Berichte

Bodo Wartke – Wunderpunkt – 19.03.2025 – Euskirchen

Stadttheater Euskirchen

Viele Jahre lang galt Bodo Wartke als „Klavierkabarettist“. Er saß am Flügel und sang deutsche Texte, die oft verblüffend gereimt waren und deren Inhalt häufig lustig war, aber auch ernsthaft und gefühlvoll sein konnte. Nebenbei konnte er auch Ukulele, Mundharmonika und Cajon spielen, Stepptanzen und Swingtanzen. Bei seinen Theaterstücken „König Ödipus“ und „Antigone“ wurde er zudem zum Schauspieler. In den letzten Jahren kam eine neue Leidenschaft dazu: Die Zungenbrecher. Er wurde zum Zungenbrecherspezialisten. Sozusagen zum Zungenbrechersprecher. Vor zwei Jahren ging sein gerapter „Der dicke Dachdecker deckt das Dach“ viral, im letzten Jahr wurde das Musikvideo zu „Barbaras Rhabarberbar“, das Bodo zusammen mit Marti Fischer gemacht hatte, überraschend zum weltweit viralen Hit. Seitdem sah und hörte ich Bodo häufig in Sendern als Interview-Gast und meistens wurde er zur Barbara befragt oder rappte und tanzte sie dort. Dass er ganz andere Musik als Schwerpunkt hatte, wurde oft nicht mal angesprochen.

Was hatte das jetzt für Auswirkungen auf seine Konzerte? Wie kombinierte er den „Gentleman-Entertainer am Flügel“, wie er mal in einer Konzertankündigung bezeichnet wurde, mit dem Zungenbrecher-Rapper? Kamen jetzt Besucher zu Konzerten, die den ganzen Abend am liebsten von Rhabarber-Barbara-Bar-Barbaren hören wollten? Waren die enttäuscht, wenn es auch Liebeslieder am Klavier gab? Und waren die langjährigen Konzertbesucher erfreut, wenn Bodo zwischendurch über „das dichte Fichtendickicht“ rappte? Neue Erfolge konnten neue Herausforderungen mit sich bringen. Oder wie Bodo Wartke es in einem Lied selber sang: „Probleme, die ich früher noch nicht hatte.“


Das Programm „Wunderpunkt“ war sehr neu. Eine CD dazu gab es noch nicht, die DVD-Aufzeichnung war für den Mai geplant. Im ausverkauften Stadttheater Euskirchen wurde Bodo Wartke beim Erscheinen auf der Bühne sofort mit sehr lautem Applaus begrüßt. Er startete mit einem für ihn typischen Lied am Flügel, in dem es gut formuliert und vielfältig um das Denken ging, also das Bedenken, Ausdenken, Reindenken, Querdenken, Überdenken … Faszinierend, was er da zusammengetragen und auch noch sinnvoll gereimt hatte. So wie Reinhard Mey eine sofort erkennbare Rhythmik und Aufteilung seiner Textzeilen hat, ist auch ein typisches Bodo-Wartke-Lied gleich zu erkennen. Er hatte schon früh seinen ganz eigenen Stil gefunden, der durch die souveräne Nutzung der deutschen Sprache auffiel.

Die Themen seiner Lieder waren meist naheliegend und gut nachvollziehbar. Ob es nun ein sanftes Liebeslied war, eine gescheiterte Beziehung oder einfach nur ein Drucker, der nicht druckte. „Der Arsch!“, kommentierte der „Gentleman-Entertainer am Flügel“ das sich weigernde Gerät und wirkte trotzdem weiterhin wie ein Gentleman.

Bodo moderierte locker, erklärte kurz Zusammenhänge und das Entstehen einzelner Lieder und wirkte nah und natürlich. Das Publikum hörte interessiert zu und blieb durchgehend aufmerksam und gut gelaunt bei ihm. Es wurde gelacht, geklatscht und zugehört.

Beim Lied „Eins, zwei, drei“ konnte das Publikum mitmachen und auf ein Kopfnicken von Bodo hin jeweils die nächste Zahl vom Bereich 1 bis 15 rufen. Das hörte sich einfach an. Eine kurze Probe klappte sehr gut und ließ Bodo loben: „Phantastisch! Wie aus einer Kehle!“ Im Lied waren die eingefügten Zahlen dann gar nicht als Zahlen gemeint, denn Bodo Wartke ergänzte sie zu Wörtern wie „Eins -igartig“ und „Zwei -fel“. Es gab viel Gelächter. Bei der Sieben, die zu „Sieben -nachteiligt“ wurde, warf Bodo schnell erklärend ein: „Sie benachteiligt“, was erst eine kurze Denkpause und dann einen erneuten Lacher brachte. Ich kam unerwartet in Stress, weil ich auf den Text hörte, die jeweilige Einarbeitung der Zahl klasse fand, darüber noch lachte und dann fieberhaft überlegte, welche Zahl als nächste dran war. „Hatten wir die Acht schon? Oh, gleich ist es soweit! Was ist, wenn ich jetzt laut „Acht!“ rufe und die Neun ist dran??“ Ich konnte mich kaum noch auf den Text konzentrieren, weil ich so auf die Lücke für die Zahl und meinen korrekten Einwurf achtete. Es klappte aber alles ordnungsgemäß und war sehr lustig.

Der sehr schlaue Umgang mit den Feinheiten der deutschen Sprache war Bodos Spezialität. So bezeichnete er eine Friseurin wunderbar passend als „Abschnittsgefährtin“, konnte aber auch einen eigenen Text zur am Flügel gespielten Mondscheinsonate von Beethoven singen, der zeigte, dass Beethoven & Wartke als Duo geschmeidig miteinander zu vereinen waren. Als er die ersten Zungenbrecher präsentierte und aus den altbekannten Sätzen kleine Geschichten machte, wurde es für meine Hirnzellen anspruchsvoll. Es gab viel Text mit viel Inhalt in äußerst hohem Tempo. Geschätzt haute Bodo eine Zeile pro Sekunde raus, und während mein Hirn noch den Inhalt der ersten beiden Zeilen verarbeiten wollte, prasselten schon Zeile sieben und acht an meine Ohren. Schnell gab ich auf, den Inhalt komplett erfassen zu wollen und erfreute mich vorwiegend an dem hohen Tempo, der deutlichen Aussprache und der Fähigkeit, diese vertrackten, sehr ähnlichen Wörter mit vielen leichten Änderungen und in Varianten auswendig und ohne jedes Stocken vortragen zu können. Wobei vortragen es nicht trifft. Rhythmisch durchbrettern wäre eine bessere Bezeichnung.

Die Zuschauer applaudierten sehr. Auch wenn sich bei dem Tempo inhaltlich nicht mehr unbedingt alles aufbröseln und erfassen ließ, waren alleine die Performance und das Können so faszinierend, dass es viel Spaß beim Zuhören machte.

Nach den Wort-Wirbelstürmen tat es aber auch gut, wenn es wieder Lieder mit langsamem Text und einer ruhigen Atmosphäre gab. An manchen Stellen sang Bodo erstaunlich tief, mit vollem Ton, das gefiel mir.

Auch seine aufmerksamen, kritischen Betrachtungen der Gesellschaft mochte ich sehr. „Die heiligen Schriften 2.0“ befassten sich mit religiösem Fanatismus, hatten eine fröhliche Musik und manchmal ziemlich harte Textzeilen, die aber punktgenau trafen. Das Publikum gab danach riesigen Applaus. Den gab es ebenfalls nach „Mansplaining“, bei dem Bodo zu lockeren Boogieklängen in der Rolle des herablassend erklärenden Mannes sang. „Schätzchen, ich erklär dir …“ und „Fräulein“ waren treffend abschätzig und sehr typisch. Der Mann neben mir lachte laut auf und da merkte ich erst, dass er eine Frau war. Ich hatte im Dunkeln nicht so genau hingesehen. Ganz ehrlich, wenn jemand ein „Frauenversteher“ im besten Sinne war, dann war es Bodo Wartke. Für ihn waren die Gleichberechtigung und Wertschätzung von Frauen eine Selbstverständlichkeit, das war zu merken. Mir gefiel das sehr.

Das Konzert blieb weiterhin sehr abwechslungsreich. Bei einem Lied über ein Mixtape mit Liedern der 80er-Jahre reimte Bodo „Rausch der Verzückung“ auf „Rauschunterdrückung“, was ich großartig fand und mit anerkennendem, vergnügten Grinsen honorierte. Die angespielten 80er-Hits sang das Publikum – vorwiegend das weibliche – dann textsicher und schön mit. Natürlich gab es auch noch die gerapte und getanzte Rhabarber-Barbara, die sehr umjubelt wurde.

Um die bei unterschiedlichen Zielgruppen beliebten Musikrichtungen „Schlager“ und „Gangstarap“ zu verbinden und damit für alle zugänglich zu machen, präsentierte Bodo einen „Gangsta-Schlager“. Zur Melodie von „Atemlos“ sang er von „Nutten“, „Messer im Bauch“ und „Hurensohn“ – und ich hatte das Gefühl, ich würde mich verhören, denn er blieb weiterhin ein Gentleman und da passte das Vokabular so gar nicht zu ihm. Es war erstaunlich. Und lustig. Am Ende des abwechslungsreichen Abends wurde viel geklatscht und gejubelt und es gab Standing Ovation.

So wie es aussah, waren alle Besucher sehr zufrieden mit dem Programm. Die Zungenbrecherfans ebenso wie die Liebesliederschwelger und die Wortspiel- und Musikfreunde. Es gab von allem etwas, nichts kam mir zu viel vor, ich hatte eher das Gefühl, dass zwei Stunden zu kurz waren.

Auch Bodo Wartke zeigte sich erfreut über das erfreute Publikum. Für alle ein wunderbarer Abend.