Berichte

Horst Evers – So gesehen natürlich lustig – 20.02.2025 – Köln

Comedia, Köln

Es ist schon faszinierend. Vor inzwischen 25 Jahren habe ich Horst Evers zum ersten Mal auf der Bühne gesehen. Damals stand dort ein Mann vor dem Mikrofon, der eher wenige Haare auf dem Kopf hatte, nicht aussah, als ob er täglich ein Fitnessstudio besuchen würde, ein rotes Hemd trug, mit großen, kullernden Augen ab und zu ins Publikum guckte und in der Hand einige weiße Din-A-4-Blätter hielt, von denen er seine etwas skurrilen und sehr lustigen Geschichten ablas. Das Publikum vor ihm grinste, giggelte und lachte mit zuckenden Schultern und manchmal war Schnappatmung zu hören.

Das Leben ist voller Veränderungen. 25 Jahre später scheint einzig Horst Evers die Zeit fast im Originalzustand überdauert zu haben. Immer noch steht er im roten Hemd und mit weißen Zetteln in der Hand vor dem Mikrofon, guckt mit großen Augen, liest seine Texte und das Publikum hat zuckende Schultern, giggelt und lacht. Die vorher wenigen Haare sind nun ganz weg, was optisch keinen großen Unterschied macht, ins Fitnessstudio scheint er immer noch nicht täglich zu gehen. Ich finde das alles sehr beruhigend. Aus welchem Grund sollte er auch an der Performance Wesentliches ändern? Werbetechnisch gesehen läuft alles richtig – die Bühnenmarke Horst Evers ist an „rotes Hemd, keine Haare, Zettel in der Hand“ auf den ersten Blick zu erkennen. „Ich müsste heute kein Foto machen“, denke ich vorher. „Wenn ich eins aus den letzten Jahren nehme, merkt das keiner“, will aber natürlich doch ein aktuelles haben.

Der Saal der Comedia wird schnell voll, und hinter mir höre ich eine Frau ihre Begleitung fragen: „Ist das auch mit Musik?“ „Nein, nur Texte“, ist die Antwort. Ein „Oh“ folgt, in einer Tonlage, die dieser kurzen Silbe den Subtext gibt: „Nur Texte? Das könnte langweilig werden. Na ja.“ Aber da geht es schon los. Horst Evers betritt unspektakulär die Bühne, begrüßt im Applaus lächelnd und nickend das Publikum, weist zuerst darauf hin, dass der Abend vom WDR-Radio für die „Unterhaltung am Wochenende“ aufgenommen wird, weiß aber nicht, wann es gesendet wird, ist aber auch egal.

Locker plaudernd erzählt er und verblüfft dabei mit seiner Energie und Intensität. Er sieht so zurückhaltend aus, eher ruhig, lässt aber einen dichten und temperamentvollen Redeschwall los, den er mit genauen Betonungen, manchmal wilden Gesten und passenden Geräuschen untermalt. Hin und wieder kreist er sogar mit den Hüften. Die Zuschauer sind sofort bei ihm und hören und sehen fasziniert zu. Im Saal sind die ersten leisen Lacher zu hören.

Er spricht davon, dass in einer Beziehung die Partnerin immer mal wieder überrascht werden sollte. Zum Beispiel mit „Essen auf dem Kopf servieren“. Das hätte er mal gemacht – eher zufällig, weil ihm beim Suchen im Kühlschrank ein Joghurt auf den Kopf gekippt sei – aber seitdem würde er immer wieder leckere kleine Gerichte auf seinem Kopf anrichten. Das hätte seine Partnerin wirklich überrascht. Aber so richtig. Die Zuschauer gucken auf seine Glatze und im Lachen sind Untertöne von Abwehr zu hören. „Es schmeckt anders“, erklärt Horst Evers ernst. „Und man braucht weniger Salz.“ „Iiiih!“, sind einige Frauenstimmen zu vernehmen, die Herren machen eher ablehnend: „Ouuu.“ Treuherzig blickt Horst Evers hoch und sagt verständnisvoll: „An dieser Stelle verliere ich viele“, was sofort Gelächter auslöst und die beginnende Distanz zum Künstler auf der Bühne gleich wieder verschwinden lässt.

Was er aber auch alles erlebt! Als Mitfahrer im öffentlichen Bus befindet er sich plötzlich mitten in einer Unterhaltung über Vornamen, im Supermarkt sieht er einem Kunden zu, der Dosen schüttelt und an ihnen lauscht, und im Restaurant fotografiert eine Influencerin ausgiebig sein Essen, was etwas länger dauert, von ihm freundlich interessiert beobachtet und zum Abschluss kommentiert wird mit: „Es hat ja auch kalt geschmeckt.“ Anschließend überlegt er, ob es nicht logischer wäre, leere Teller NACH dem Essen zu fotografieren, um in den sozialen Medien mit regelmäßigen Leere-Teller-Posts die eigene Leistung zu demonstrieren. „Sieh mal, alles wieder leergegessen!“ Die Zuschauerin neben mir lacht fröhlich auf und raunt halblaut zu ihrem Mann rüber: „Das ist eine gute Idee!“ Sie scheint schon Pläne zu haben.

Horst Evers‘ Texte sind immer wieder überraschend und haben oft unerwartete Wendungen. Was er in seinen Geschichten erlebt hat, ist sehr skurril und lustig, wie er darauf spontan reagiert, meist gut nachvollziehbar. Als Zuhörerin bin ich da noch voll auf seiner Seite. Aber häufig driftet seine darauffolgende Handlung so vom Erwartbaren ab, dass ich innerlich einen spitzen Schrei ausstoße und fassungslos „Warum???“ denke. Dann wird es doppelt lustig.

Er erzählt und plaudert und liest vor und es bleibt die ganze Zeit spannend. Das Publikum kichert und gluckst immer mehr. Ich merke, dass sich meine Mundwinkel seit dem ersten Stück durchgehend recht weit außen befinden. Da bleiben sie und können nicht mehr in ihre Grundposition zurückrutschen. Wenn es zwischendurch noch witziger wird, bewegen sie sich kurzzeitig auf die Ohren zu. Ich kann einfach nicht zuhören, ohne die ganze Zeit über höchst erfreut zu grinsen. Das gibt bestimmt Muskelkater in den Wangen, denke ich.

Ob Horst Evers frei erzählt oder die Texte abliest, immer ist er dabei äußerst lebendig und mitreißend. Er spielt mit Lautstärke, Tonfall und Tempo, betont einzelne Silben, wiederholt Wörter, wird beim Erzählen lauter, drängender, noch lauter, noch drängender, immer aufgeregter, um den Schlusssatz dann plötzlich kurz und nüchtern zu sagen. Schon das ist wieder witzig. Bei einer Geschichte singt er zur Verdeutlichung der dort herrschenden Partystimmung sogar mit einer guten, volltönenden Bassstimme mehrere Strophen der Vogelhochzeit. Na, sieh mal an, doch mit Musik! Freut sich die Dame hinter mir jetzt oder hat sie es bis jetzt gar nicht vermisst? Aber wieso singt er eigentlich so viel tiefer, als er spricht?

Fasziniert merke ich, dass Horst Evers es schafft, dass ich nicht nur einer Geschichte zuhöre, sondern sie wie einen Film erlebe. Einen, an dem ich teilnehme und mich in der Szene befinde. Im Bus sitze ich auf einem Platz und drehe mich während der Unterhaltung zur jeweiligen Richtung des Sprechenden um, im Supermarkt stehe ich im Gang und sehe nicht nur einen Mann, der Konservendosen schüttelt, sondern hinter ihm auch Horst Evers, der ihm erstaunt zusieht. Und ich laufe hinter der Influencerin mit dem Essensteller und Horst Evers durch ein Restaurant und gucke zu, wie sie besseres Licht für ihr Foto sucht und er freundlich und geduldig zuguckt, während ihm der Magen knurrt. Vielleicht habe ich nur selber so große Phantasie, vermutlich schreibt Horst Evers aber so gut und treffend, dass meine Vorstellungskraft ungehemmt loslegen kann.

Gegen Ende führt Horst Evers einige Geschichten zusammen und es gibt glucksendes Lachen und manchmal spontanen Applaus, wenn eine Person aus einer früheren Geschichte in einer späteren unerwartet als Sidekick wieder auftaucht. Sehr klasse. Als nach dem letzten Applaus das Saallicht angeht, strahlt meine Sitznachbarin mich an: „Das war ein sehr, sehr, SEHR unterhaltsamer Abend!“ Sehe ich auch so. Ich fahre gut gelaunt und vor mich hin grinsend nach Hause und merke noch im Bett liegend, dass die Mundwinkel weiterhin sehr weit außen stehen. Ich kann immer noch nicht ernst gucken. Gut, dass ich bei der Rückfahrt nicht dauerlächelnd in eine Polizeikontrolle gekommen bin! Das hätte eine Horst-Evers-Geschichte werden können. „Die Situation ist ernst. Hören Sie sofort auf zu lachen!“ „Ich kann nicht.“