Berichte

Purple Schulz, Schrader, Christina Lux – 25.07.2013 – Berg.-Gladbach

Pütz-Roth, Bergisch-Gladbach

Es begann wie bei einer Filmpremiere. Am Eingang des Geländes standen seriöse, in schwarze Anzüge gekleidete Herren, die die ankommenden Besucherautos auf den gegenüberliegenden Parkplatz winkten, von wo aus schwarze Limousinen in unablässigem Kreislauf die Gäste auf das leicht erhöht liegende Veranstaltungsgelände brachten. So richtig mit schwarz gekleidetem Chauffeur und am Ende des gewundenen Weges wartenden, ebenso seriös gekleideten Herren, die höflich die Autotüren öffneten. Die Besucher konnten den Weg aber auch zu Fuß machen, und da er zwar etwas steil, aber nicht lang war, verzichtete ich auf den – zugegebenermaßen verlockenden – Service. Mit einer Limousine zum Purple-Schulz-Konzert vorgefahren zu werden – das wär was gewesen. Aber dafür lange auf dem Parkplatz zu stehen, bis die Reihe an mir war … och, nö.

Oben liefen Kellnerinnen und Kellner mit Tabletts voller Getränke zwischen den Gästen herum, und ich hätte mich wie ein VIP-Gast auf einer Premiere fühlen können, wenn sie ihre Getränke nicht nur gegen Bons abgegeben hätten, die die Gäste vorher am Bon-Stand kaufen mussten. Trotzdem wirkte die Veranstaltung wie eine exklusive Gartenparty, was durch den seriösen Eindruck vermittelt wurde, den nicht nur die Chauffeure, Autotür-Aufhalter und das Servicepersonal ausstrahlten, sondern auch die meist älteren, sommerlich, aber korrekt gekleideten Gäste.

Erstaunlicherweise fand die VIP-Party auf einem Friedhof statt. Im Jahr 2006 hatte der Bestatter Fritz Roth diesen ersten privaten Waldfriedhof eröffnet, auf dem man unter hohen Bäumen und zwischen gewundenen Wegen kleine Grabstellen nach der eigenen Vorstellung gestalten konnte. Mit Schwung, neuen Ideen und vor allem der Überzeugung, dass der Tod und die Trauerarbeit zum Leben gehören, hatte Fritz Roth wichtige Impulse und neue Ansichten in die Bestattungskultur gebracht. Im vergangenen Dezember war er an Krebs gestorben, und er hätte sich sicher gefreut, dass sein Freund Purple an diesem Abend ein Konzert auf seinem Friedhof gab.

Große, weiße Papierlampions hingen zwischen den Bäumen, schwankten leicht hin und her und schufen eine verträumte Stimmung. Die Umgebung wirkte friedlich und wunderschön, und dass unmittelbar neben der Bühne die ersten Grabstellen zu sehen waren, wurde mehr als Deko wahrgenommen. Es war anders als auf üblichen Friedhöfen. Die meisten Besucher waren Stammgäste der hier stattfindenden Konzerte und lagen im Altersdurchschnitt deutlich über dem der sonstigen Purple-Schulz-Besucher. „Alles zukünftige Kunden, die sich hier schon was angemietet haben“, vermutete ein Gast, was durchaus zutreffen konnte. Die Vorstellung, mal unter den wehenden Lampions zwischen Farn und Moos zu liegen und neben dem täglichen Vogelgezwitscher hin und wieder auch ein Konzert zu hören, fand ich sehr reizvoll, und ich beneidete die Herrschaften, die hier schon gebucht hatten, ein wenig.

Es wurde voller und voller. Ursprünglich hatte ich erwartet, dass es ein kleines, intimes Konzert mit 150 bis 200 Zuschauern geben würde, aber zwei Tage vorher war schon von 1500 angemeldeten Gästen die Rede gewesen. Weit mehr, als es Sitzmöglichkeiten auf der Terrasse gab, und nicht nur die Bierstehtische wurden dicht umlagert, auch die einfachen Bänke auf dem hinter der Bühne liegenden Waldfriedhof füllten sich. Am Rand des Platzes unterhielten sich Schrader und Christina Lux neben dem Merchandisestand und warteten auf den Beginn des Konzertes, fast unbemerkt von den Konzertbesuchern.

Hanna und David Roth, die nach dem Tod ihres Vaters die Firma weiterführten, kamen auf die Bühne und freuten sich, dass es so viele Gäste wie noch nie bei einem Konzert gab. 1700 hatten sich angemeldet, und da es immer noch ein kleines Transport-Chaos am Fuß des Hügels gäbe – wissendes Gelächter der Anwesenden -, würde das Konzert etwas später beginnen. David Roth versprach aber einen berührenden Abend, der unter dem Oberbegriff “Streicheleinheiten für die Seele” stand.

Die Vertreter eines örtlichen Hospizvereines nutzen die Wartezeit, kamen auf die Bühne, erklärten die Tätigkeit des Vereines und kündigten an, mit Sammelbüchsen herum zu gehen, in die gespendet werden könne. Am liebsten Scheine, die nicht mit Klimpern das Konzert stören würden.

Vermutlich waren die Limousinen immer noch unterwegs und transportierten Gäste zum Gelände, da begann das Konzert endlich. Die Bühne war noch leer, ein Musikeinspieler begann, und Purple tauchte singend zwischen den Zuschauern auf und lief, Ich hab Feuer gemacht singend, auf die Bühne zu. Schrader schloss sich an, beide setzten sich an ihre Instrumente und damit war plötzlich und fast unerwartet das Konzert dran.

„Feuer machen“ – Aktiv werden, den Mut haben, etwas Neues zu wagen. Das erste Lied fetzte gleich los, war mitreißend und rhythmisch, die Aussage auffordernd, und das Publikum hörte aufmerksam zu und applaudierte anschließend freudig.

„Herzlich willkommen an diesem wunderschönen Ort!“, begrüßte Purple die Zuschauer. „Hier hat Fritz Roth Feuer gemacht und seine Visionen umgesetzt, seine Träume verwirklicht. Ich freue mich, hier spielen zu können.“ Es ging gleich weiter mit Uns kann nix passieren. Schrader saß lang und schmal an der Gitarre, spielte wunderbar und brachte mit Spaß passende Einwürfe, ohne mit einer wilden Show auf sich aufmerksam zu machen. Zuverlässig, souverän, humorvoll – ich mochte den einfach. Bei ihm fiel mir immer sofort der äußerst positiv besetzte Begriff “coole Sau” ein, den ich hier aber angesichts der Seriosität der Veranstaltung vermeiden möchte. Ach, zu spät.

Nach dem freudigen Applaus des Publikums grinste Purple: „Ich hab mich hier eben mal umgeguckt. Am besten spielen wir ein Stück aus dem letzten Jahrhundert.“ Das Publikum lachte mit empörtem Unterton auf, und er ergänzte: „Was sag ich: Jahrtausend!“ Da hatte er allerdings Recht, denn Nur mit dir war tatsächlich aus dem letzten Jahrtausend. Unglaublich, wie jung ich mich fühlte und wie alt ich tatsächlich war! Das verdrängte ich aber sofort, als das Lied begann. Purple und Schrader sangen wunderschön zweistimmig, und ich genoß nur. Wunderschönes Lied, schöne Stimmen, tolle Atmosphäre.

Um Demenz und Alzheimer ging es in Fragezeichen , einem sehr berührendem Lied, bei dem ich es toll fand, wie Purple das Thema aus der Sicht eines verwirrten Menschen umgesetzt hatte. Er erzählte anschließend, dass Teile des Videos zu „Fragezeichen“ nebenan im „Haus der menschlichen Begleitung“ gedreht worden waren. Als Gast – oder vielmehr weitere Musikerin – kam Christina Lux auf die Bühne. Von der hatte ich live noch nichts gehört, aber immer wieder die Empfehlung von Purple gelesen, dass man doch unbedingt auf ein Konzert von Christina Lux gehen solle, weil die so toll wäre. Sie kam auf die Bühne, schlank, zierlich und doch ein wenig burschikos. Eine Frau mit Ausstrahlung und Selbstbewusstsein und einer schon beim Sprechen erstaunlich tiefen, volltönenden Stimme. Die hatte ich gar nicht so erwartet.

Sie hatte eine Gitarre dabei und wurde von Purple und Schrader eiligst mit Mikro, Kabel und freudigem Lächeln umsorgt. Ihr erstes Lied war Es ist gut so, und Purple und Schrader begleiteten sie mit Keyboard und Gitarre. Oh, was hatte sie für eine schöne Stimme! Die war ganz ähnlich wie sie: Grazil und trotzdem kraftvoll, mit Ausstrahlung und Selbstbewusstsein. Zwischen den Liedern erzählte sie locker und mit Humor, und das Publikum nahm sie offen und herzlich an. Es folgte Playground aus ihrem gleichnamigen neuen Album, bei dem sie zum Mitschnippen auffordert, was die Zuschauer auch gerne und vorbildlich taten.

Ohne Purple und Schrader auf der Bühne sang sie danach Paper Airplane. Im Zuschauerbereich war es erstaunlich ruhig, es wurde aufmerksam zugehört und jeder Ton, auch wenn er ganz sanft und zart war, wurde gehört. Toll! Die englischen Texte fand ich allerdings etwas problematisch. Ich merkte an mir selber, dass ich schnell den inneren Übersetzter abschaltete, wenn ich die ersten Lücken hatte, und auch viele Leute um mich herum hörte ich zwischendurch oder nachher sagen: “Ich hab nichts verstanden”, oder: “Der Sinn war mir klar, weil sie es vorher erklärt hat, aber den Rest habe ich nicht verstanden.“ Schade. Da geht so viel Inhalt verloren, der ja sehr durchdacht und tiefsinnig ist. Andererseits wird sie schon ihre Gründe haben, warum sie gerne englisch singt, und da halt ich mich dann raus.

Mit Are you somebody endete der erste Block von Christina Lux, und Purple outete sich als Fan von ihr und wies auf ihr bevorstehendes Konzert im Kölner Stadtgarten hin. Er blickte ins Publikum und stellte fest: „Früher saßen in meinen Konzerten junge, hübsche Mädchen. Das sind jetzt gestandene Männer.“ Ich wunderte mich, warum sich nach Purple Schulz Konzerten so viele Mädchen umoperiert haben mussten, um zu Männern zu werden, denn biologisch war das nicht erklärbar und bisher hatte ich auch nie das Gefühl gehabt, dass der Anblick von Purple solche Wünsche auslösen könnte, aber da griff schon Christina Lux ein und korrigierte, dass es jetzt „reife Frauen“ seien. Sie sagte es so, als wäre das eine Auszeichnung, aber der Begriff „reife Frau“ gefällt mir persönlich auch nicht, denn er bedeutet ja nur, dass der Begriff “alt” irgendwie nett umschrieben werden soll. Aber vermutlich reagiere ich nur so ablehnend, weil ich jetzt ins “reife Alter” komme. Oder schon drin bin. Purple fand den Begriff „reife Frauen“ dann aber auch besser als „gestandene Männer“, da ihn das immer an „abgestandene Männer“ erinnern würde.

Aus den Zeiten, in denen die Fans noch jung waren, stammte das nächste Lied. Purple erzählte von seiner Kritik an seinem Vater und von Fragen, die nicht rechtzeitig gestellt und somit nie beantwortet wurden. Sag die Wahrheit war das zornige und verzweifelte Fordern nach einem offenen Gespräch, das immer abgeblockt wurde. Schrader spielte dazu Gitarre und Christina Lux rasselte rhythmisch exakt mit einem Percussioninstrument und fühlte temperamentvoll mit.

Im Applaus ging Purple ab, und Schrader sprach von „drei Personen auf der Bühne“, was etwas verwirrend war, weil man nur zwei sah, was aber in der Verwirrung noch gesteigert wurde, als er sich „den vierten Mann“ wünschte. Als vierter Mann kam natürlich Purple zurück, der eigentlich der dritte Mann war, oder, wenn man es ganz genau nahm, der zweite, denn Christina Lux war ja eine Frau. Ich bin vielleicht reif und sicher blond, aber nicht völlig blöd! Zu meiner Freude sang Purple Aufschnitt neh’m, seine Version von Xavier Naidoos jammerndem „Abschied neh’m“. Das Publikum hatte großen Spaß und lachte immer wieder laut auf.

Im Unterschied zu anderen Purple-Konzerten, bei denen am Ende des Liedes die hochgestreckten Zuschauer-Arme von rechts nach links geschwungen wurden, wurde hier nur leicht mitgeklatscht. Arme hochrecken im Konzert war bei einem Großteil der Besucher vermutlich nicht üblich. Aber die Stimmung war toll. Und zack! war der erste Konzertteil schon vorüber. Sehr abwechslungsreich und kurzweilig.

Die Pause nutzen viele Besucher, um zwischen Bäumen entlang zu spazieren und die kleinen Grabstätten am Hang anzusehen. Andere Besucher nutzen sie, um von ihren seitlichen Stehplätzen auf die dadurch kurz frei gewordenen, mittleren Stehplätze zu wechseln, wo sie einfach stehen blieben. Motto: Weggegangen, Platz vergangen. Das wunderte mich in diesem seriösen Umfeld dann doch. Obwohl die Pause etwas länger war, um den vielen Besuchern die Möglichkeit zu geben, bis zu den etwas entfernt stehenden Toilettenwagen und zurück zu kommen, begann der zweite Teil, ehe alle Zuschauer zurück waren. Eine gute Entscheidung, denn die einsetzende Musik rief auch die Spaziergänger aus dem Wald zurück.

Purple und Schrader sangen als mexikanisches Gitarrenduo So macht das keinen Spaß, was den Zuschauern aber großen Spaß machte. Südamerikanische Rhythmen klangen über den Platz, das Mitsingen des Refrains erwies sich für die Zuschauer aber als schwierig bis unmöglich. Zu viel Text und zu schnell. Ehe der saß, war das Lied vorbei.

Christina Lux kam wieder dazu, und sie sang eine der beiden Stimmen von Auf dem Grund, einem Lied von Dania König. Auch bei Geheimnis sang sie in den Refrains warm und harmonisch mit, und ich dachte, sie könne durchaus immer dabei sein. Der Klang der drei Stimmen war rund und wunderschön.

Im Anschluss sang Christina Lux Sanctuary, das aus ihrem neuen Album war. Ihre volle, kräftige Stimme konnte auch ganz zart sein und war immer sicher in der Intonation. Eine sehr amerikanische Stimme, mit Jazz- und Soulanteilen, die mir gut gefiel. Das Publikum hörte aufmerksam zu, wer den Text nicht ganz verstand, genoss zumindest die Musik und den Gesang. Nach jedem Lied gab es lauten Applaus.

Purple und Schrader hatten Christina Lux begleitet, und sie sagte jetzt: “Ich mache viele Solokonzerte ….”, brach ab, seufzte selig und strahlte Schrader und Purple an: „Kommt ihr jetzt immer mit?“ Wie schön! Ihr gefiel es auch mit den beiden! Mit Longing beendete sie ihren zweiten Liedblock.

Purple kündigte erneut ein sehr altes Lied an, das er vor langer Zeit geschrieben hatte, nachdem er die Beerdigungszeremonie seiner geliebten Tante Trude als lieblos und nicht angemessen empfunden hatte. “Ich hab das noch nie live gespielt”, verriet er. “Es kann sein, dass ich das gar nicht mehr kann.” Irgendwo da oben war ein wunderschönes, liebevolles Lied mit sehr positiver Ausstrahlung, das sehr gut an diesen speziellen Ort passte.

Gänsehaut-emotional ging es mit Sehnsucht weiter. Die Mundharmonika klagte im Intro und erinnerte mich an „Spiel mir das Lied vom Tod“, weil sie ähnliche Gefühle von Verlassensein und Hoffnungslosigkeit auslöste. Jedes Mal bin ich wieder erstaunt, wie berührend Purple das Lied singt. Das Publikum war fast atemlos still, und nur nach dem Schrei: „Ich will raus!“ waren leise Reaktionen zu hören, die eher einem Aufatmen glichen, als einer freudigen Zustimmung.

Die große Spannung blieb bis zum Ende des Liedes und platzte dann in einem großen Applaus und lautem Gejubel los. Ein großartiges Lied, und immer wieder tief berührend gebracht.

Purple und Schrader waren „bei den Hits angekommen“ und brachten Verliebte Jungs. Erstaunlich viele Zuschauer konnten auf Aufforderung den richtigen Text einsingen, was mich tatsächlich verblüffte. Dass meine Generation die früheren Purple Schulz Lieder kannte, ist kein Wunder, denn die liefen damals ständig irgendwo, aber haben meine Eltern, die 70+ Generation, sie auch gehört und könnten sie den Text mitsingen? Vermutlich nicht. Was war in Bergisch-Gladbach anders gelaufen?

Auch Du hast mir gerade noch gefehlt schien recht bekannt zu sein, was ich aber nicht genauer untersuchen konnte, denn ich hatte einen unvermeidlichen Wipp- und Mitsingdrang und war damit beschäftigt. Der Zuschauer-Jubel am Ende war groß. Trotzdem verließ Purple die Bühne und ließ Schrader alleine zurück.

Der nutzte gleich die Gelegenheit, redete los und zeigte, dass er nicht nur eine sehr schöne Singstimme, sondern auch eine äußerst angenehme Sprechstimme hatte. Sehr cool, witzig und souverän berichtete er über das Auto, das sie für die Tour zur Verfügung gestellt bekommen hatten. Es war der Wagen des Kölner Dreigestirns, der nach Karneval nicht gebraucht wurde.

Schrader erzählte, wie sie sich gefreut hatten, mit dem ringsum beschrifteten Wagen durch Deutschland zu fahren: „Prinz und Dings und alle Sponsoren stehen drauf. Das macht was her!“ Beim Abholen hatten sie dann zu ihrer großen Enttäuschung erfahren, dass es den Wagen nur ohne Aufkleber gab.

So was! Dabei hätte die Auto-Deko gut zum nächsten Lied gepasst. Purple kam mit Hütchen, Luftschlangen und roter Nase zurück, sang Brauchtum, und das Publikum war sofort ganz dabei. Das war Karneval, da flogen die Arme von ganz alleine nach oben, während laut „Kölle Alaaf!“ mitgesungen wurde. Super Stimmung auf dem Friedhof. Ich konnte fast sehen, wie Fritz Roth zufrieden lachte und von irgendwo da oben freudig einstimmte.

Das Publikum klatschte, pfiff und johlte begeistert, und es war erstaunlich, dass das Konzert jetzt als offiziell beendet galt. Schon? Ja, klar, es war inzwischen dunkel geworden, aber es war doch gerade so schön!

Sofort eilten David und Hanna Roth auf die Bühne, und Schrader kümmerte sich schnell darum, dass Purple nach seinem karnevalistischen Exzess wieder ordentlich aussah, indem er ihm die Konfettireste aus dem Haar suchte.

Es gab Blumen für die Dame und Alkohol für die Herren. Eine Tradition, die man auch mal brechen und bei der man neue Wege gehen sollte, finde ich. Nicht jeder Mann trinkt Alkohol, und manche Frau hätte vielleicht ganz gerne Prozentiges statt Grünzeug. Na, war nicht Thema des Abends. Schön war, dass die Sammlung für den Hospizverein bisher 6000 Euro und 10 Dollar ergeben hatte, und es wurde gewitzelt: „Hat sich gelohnt, dass der Hospizverein als Vorgruppe auftreten durfte.“

David Roth bat die Künstler um eine Zugabe, fragte ins Publikum: „Wollt ihr noch??“ und erhielt ein deutliches „Ja!“ als Antwort. Dass seit der Pause immer mal wieder Leute den Platz verließen, lag nicht am Konzertinhalt oder der Stimmung, sondern an der mittlerweile vorgerückten Uhrzeit. Manchen Besuchern wurde es zu spät und die scharf Denkenden sahen den Stau beim Shuttleservice vor sich und wollten lieber die jetzt noch freien Limousinen nutzen, ehe sie später lange anstehen mussten. Es war wie im Theater, wo die ganz Eiligen schon vor dem Schlussapplaus gehen, um die Ersten an der Garderobe und im Parkhaus zu sein. Das tat der guten Stimmung aber keinen Abbruch. Gerade bei einer Open Air Veranstaltung fiel kaum auf, wenn es Bewegungen auf den Wegen gab, und freiwerdende Stühle wurden fast immer schnell wieder aufgefüllt.

Purple sagte, dass er zunächst nicht gewusst hatte, wie er die Kurve kriegen sollte, vom Jeck in „Brauchtum“ zu einem ernsten Lied über den Tod. Doch inzwischen wüsste er, dass das ginge. „Fritz Roth war auch ein Jeck“, sagte er und berichtete, dass er das Lied “Der letzte Koffer” auf dessen Trauerfeier gesungen habe. Ernst und konzentriert begann er das Vorspiel auf dem Keyboard, guckte plötzlich hoch, fragte Schrader kritisch: „Was guckst du mich an?” und erkannte blitzschnell: “Ich hab das falsche Programm, ne?“ Das Publikum lachte amüsiert auf, während Purple schnell an seinem Keyboard schaltete und in einer anderen Tonlage erneut startete. Sofort war die konzentrierte Stimmung wieder da, aber ich fand die Panne gar nicht mal unpassend. Sie war für mich sinnbildlich, dass immer etwas Ungeplantes eintreten kann. Das gehörte zum Leben und auch zum Tod.

Sehr berührend klang Der letzte Koffer über den abendlichen Friedhof, auf dem zwischen den Bäumen verstreut kleine Grablichter flackerten. Nie war das Lied passender, es nahm mit, erschreckte mit der Endgültigkeit, war aber auch tröstlich.

Das Publikum wartete kurz den verklingenden, letzten Ton ab, ehe es mit dem Applaus einsetzte. Purple und Schrader überließen Christina Lux die Bühne, die alleine mit ihrer Gitarre dort stand, und ganz sanft und innig Vergehen sang. “Würd ich jetzt in diesem Moment vergehen, dann wär es gut.“ Es passte inhaltlich ganz genau zum “Letzten Koffer”, die Töne schwebten leicht durch die Nachtluft, ein tiefer Frieden war zu spüren. Wunderschön.

Den Abschluss machte Immer nur leben, eines meiner Lieblingslieder, das ich bei meiner eigenen Beerdigung hören möchte, auch wenn ich vorhabe, dass es bis dahin noch etwas dauert. Wie bei den wunderbaren Abenden der „Gemeinsamen Sache“ sangen Purple und der Gast, in diesem Fall Christina Lux, abwechselnd die Strophen, und die Freude am Leben, das Genießen bis zum letzten Atemzug, waren Aussagen, die zu diesem Abend passten.

Großer Jubel und viel Applaus, und eine Konzert-ist-aus-Stimmung, aber Purple fragte: „Wollt ihr noch was?“ Genau in diesem Moment erhoben sich zufällig mehrere Leute in den ersten Reihen, um zum Shuttleservice zu eilen, was ein wenig nach Flucht aussah, auch wenn das Tempo nicht sehr hoch war. Da die meisten Leute aber freudig noch mehr hören wollten und auf ihren Plätzen blieben, gab es noch Kleine Seen, in das vom Publikum sofort eingestimmt wurde. Der Refrain wurde recht gut mitgesungen, dann wechselte Purple fast unmerklich zu „Tränen lügen nicht“, in dessen Refrain noch viel lauter eingestimmt wurde. „DAS könnt ihr!“, lachte Purple gespielt empört und grinste zu Schrader: „Da musst du dich ja wie zuhause fühlen!“ Das stimmte vermutlich, denn Schrader war auch Gitarrist bei Guildo Horn und da hatte ich diesen Refrain als Teil des Publikums selber schon mit viel Spaß mitgegrölt.

Es gab ein furioses Ende auf der Bühne, und viel Applaus des sehr begeisterten Publikums. Purple, Schrader und Christina Lux verbeugten sich glücklich lächelnd und liefen zum CD-, T-Shirt- und Grillschürzen-Verkaufsstand hinüber, um zu signieren, zu reden und sich mit Fans fotografieren zu lassen. Währenddessen fuhren unermüdlich schwarze Limousinen den Berg runter und wieder hoch, um die Konzertbesucher stilvoll zum Parkplatz zu bringen. Außer denen natürlich, die nicht warten wollten und selber liefen.

Es war ein wunderbarer Abend! Und in seiner Mischung von ernsten, lustigen, mitreißenden, berührenden Liedern, an diesem ungewöhnlichen Ort, in dieser ruhigen, liebevollen Atmosphäre, mit Purple, Schrader und Christina Lux, manchmal allen dreien gleichzeitig, ein ganz lohnenswertes Erlebnis.