Berichte

Tim Fischer – Zarah ohne Kleid – 30.03.2013 – Münster

Mit Rainer Bielfeldt
Großes Haus, Münster

Zarah Leander – der schwedische Ufa-Star mit der unverwechselbaren tiefen Stimme und dem stark rollenden R. „Kann denn Liebe Sünde sein …“ Die umstrittene Karrierefrau, die in der Nazizeit mit ihren Filmen und Liedern ein Kassenmagnet war, sich selbst aber trotzdem als unpolitisch bezeichnete. „Ich weiß, es wirrrd einmal ein Wunderrr gescheh‘n …“ Und Liedzeilen, bei denen mir sofort ihre tiefe Stimme im Ohr ist. „Nur nicht aus Liebe weinen …“ Ich wusste nicht mal, ob ich Zarah Leander mochte, sie und ich blieben ein wenig auf Distanz, aber ihrer faszinierenden Stimme konnte ich mich nicht entziehen.

Und jetzt saß ich im Großen Theater von Münster, um Tim Fischer Lieder von Zarah Leander singen zu hören. Er nannte sein Programm „Zarah ohne Kleid“, was nicht bedeutete, dass er unbekleidet auf die Bühne kommen, sondern dass er nicht als Zarah-Parodie verkleidet auftreten würde. Stattdessen trug er ein schwarzes, eng anliegendes fast Artistentrikot, in dem er lang, sehr schmal und beinahe zerbrechlich wirkte. Ein hoher Kragen, ein schmaler, tiefer Ausschnitt und unten leicht ausgestellte Hosenbeine erweckten subtil den Eindruck eines Abendkleides, und hohe Schuhe, die zunächst unsichtbar unter der Hose blieben, streckten die Gestalt ein weiteres Stück, so dass sie fast unreal und wie eine Kunstfigur wirkte. Ein roter Lippenstift war die einzige Farbe, die umso stärker wirkte, weil alles andere so spartanisch auf das Wesentliche reduziert blieb.

Mit kraftvoller, tiefer Alt-Stimme sang Tim Fischer los, am Flügel begleitet von Rainer Bielfeldt. „Nur nicht aus Liebe weinen“. Die Rs rollten, die Stimme vibrierte an den richtigen Stellen und wenn ich die Augen schloss, hatte ich Zarah Leander vor mir auf der Bühne stehen. Aber ich schloss sie nur mal kurz, denn der Anblick von Tim Fischer war viel zu faszinierend. Mit seinen langen Armen machte er große, theatralische Bewegungen, er arbeitete ausdrucksstark mit der Mimik und seine Körperspannung strahlte geballte Energie aus. Die Intensität, mit der er sang, war wunderbar. Er lebte und fühlte, wurde auf der Bühne Zarah Leander. Das Publikum war sofort gefangen.

Auch bei den Zwischenmoderationen blieb er in der Rolle, sprach leise und mit rollendem R, erzählte vom Haus in Schweden, von schwedischen Bräuchen und den Heringen in der Ostsee. Die Erzählungen waren inhaltlich oft sehr einfach, manchmal fast schon skurril, und hatten damit ihren eigenen Humor. Wenn Zarah Leander so gedacht und gesprochen hatte, war ihr glatt zu glauben, dass sie die Problematik ihrer Karriere während der Nazizeit nicht völlig erkannt hatte.

„Yes, Sir!“, „Warum soll eine Frau denn kein Verhältnis haben“, „Davon geht die Welt nicht unter“ – ich fühlte mich in ein anderes Jahrhundert zurück versetzt und hörte freudig zu. Das lag auch daran, dass ich schon zu Schulzeiten mit Begeisterung Lieder aus alten Filmen gehört hatte, einige Schallplatten zu dem Thema besaß und mir viele Titel der Zeit vertraut waren. Natürlich auch die von Zarah Leander. Aber mir gefiel auch die Art, wie Tim Fischer sie sang, denn er inszenierte bewusst, überspitzte manchmal ein wenig, so dass der Diven-Mythos einen Hauch von Lächerlichkeit bekam, stand aber trotzdem liebevoll dahinter. Die Faszination von Zarah Leander, die sich auch selber als Star inszeniert hatte, bis hin zu ihrer theatralischen Aussprache, kam sehr gut rüber. Tim Fischer konnte mit seiner Stimme spielen, Emotionen zeigen, traf die Töne genau und konnte ganz laut oder auch sehr zart sein. Ein Genuss!

Aber auch der Blick auf Rainer Bielfeldt am Flügel lohnte sich. Sorgsam und hoch konzentriert beobachtete er während des Begleitens Tim Fischer, bereit auf jede Verzögerung, auf jedes Anziehen des Tempos einzugehen. Er lächelte liebevoll, wenn Stellen gut gelangen, fühlte mit und schien zu erahnen, wie Tim Fischer nur Augenblicke später reagieren würde. Manchmal vergaß ich, dass er dort saß und die Musik machte, weil Gesang und Flügelbegleitung zu einer Einheit verschmolzen. Perfekt!

Zwischen den originalen Zarah-Liedern gab es auch welche, die sie nie gesungen hatte, die Tim Fischer aber so genau in ihrem Tonfall sang, dass sie sofort zu Zarah-Liedern wurden. Hätte sie sie gesungen, dann hätte sie sie so gesungen. (Ein seltsamer Satz, aber er sagt genau das aus, was ich sagen will.) So ging es nach den beiden Ohrwürmen „Davon geht die Welt nicht unter“ und „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n“, die 1942 aus einem Ufa-Aufmunterungs- und Durchhaltefilm waren, nahtlos in Georg Kreislers „Schieß mit mir“ über. Mit rollendem Zarah-Leander-R sang Tim Fischer: „Komm, schieß mit mir, wir werden schon irgendwen töten. Komm, bomb mit mir!“, und behielt dabei die aufmunternde, mitreißende Freude der beiden vorherigen Lieder bei. Das war so makaber, dass einigen Zuschauern das Lächeln gefror.

Vermutlich fragten sich auch welche, warum Zarah Leander so ein Lied gesungen hatte, weil nicht gleich zu merken war, dass es gar nicht aus ihrem Repertoire war. „Ich war so kurzsichtig, ich habe nicht gemerkt, dass ich jeden Morgen mit Goebbels gefrühstückt habe“, erklärte Zarah-Tim, und das Publikum lachte mit einem dunklen Oh-weia-Unterton. Ich fand es sehr gut. Das Thema des Abends war ja nicht, wie Zarah Leander zu den Nazis stand und ob sie sich richtig oder falsch verhalten hatte, aber so eine Liedzusammenstellung und der Kommentar sagten ganz viel dazu. Bei Zarah Leander waren vermutlich Naivität und eine karrierebedingte Kurzsichtigkeit zusammen gekommen.

Mal mit ungeheuer kraftvollem Ton, mal ganz sanft und berührend, sang Tim Fischer unterschiedlichste Lieder, und das Publikum lachte mal vergnügt auf oder saß fast atemlos still. Von der temperamentvollen Geschichte des „Filet Stroganoff“ über „Wodka für die Königin“ ging es zur leisen, berührenden „Lotte“ und zu „Wo sind die Clowns“. Auch Rainer Bielfeldt hatte die Gelegenheit mit seiner wunderschönen sanften Stimme „Sänger sein“ zu singen und bekam dafür viel Applaus. Am Ende drehte Tim Fischer mit „Der fette Elvis“ von Pigor nochmal auf und fegte temperamentvoll über die Bühne. Das Publikum war begeistert. Nicht nur vom Elvis, vom ganzen Abend mit Zarah, Kreisler, “Wir zwei sind ein Paar” und weiteren Sahnestückchen. Als letzte Zugabe kam die „Rinnsteinprinzessin“ – sensibel und wunderschön, noch einmal hielt das Publikum den Atem an.

Danach gab es Standing Ovation, Tim Fischer und Rainer Bielfeldt strahlten glücklich nach diesem sehr gelungenen Konzertabend, und mein Sitznachbar raunte mir im lauten Applaus zu: „Für uns Westfalen ist das ungewöhnlich. Wir zeigen unsere Begeisterung selten so laut.“ Ein großartiges Konzert! Große Kunst!