Berichte

Bodo Wartke – Klaviersdelikte – 10.03.2013 – Trier

Europahalle, Trier

In der Europahalle, die bis an die Randplätze mit Besuchern gefüllt war, ging das Saallicht langsam aus. Auf der Bühne strahlte ein heller Scheinwerfer den Flügel an, der von feinem Bodennebel umschwebt wurde. Die Zuschauer brachen sofort ihre Unterhaltungen ab und wurden ruhig, was ungewöhnlich war, denn normalerweise ging in dieser Situation das allgemeine Gerede halblaut weiter, bis ein Künstler zu sehen war. Nach einigen Sekunden leerer Bühne und erwartungsvoller Stille kam Bodo Wartke heraus, und sofort brandete sehr lauter Beifall auf. Ungewöhnlich laut für einen höflichen Begrüßungsapplaus. In Reihe 6 wurden vier handliche Schilder hochgereckt, auf die dicke Buchstaben gemalt waren. Zusammengesetzt ergaben sie das Wort „BODO“, was aber nur von den Besuchern in Reihe 1 bis 5 gelesen werden konnte, die sich nach hinten umdrehten, und natürlich von Bodo, der als Einziger in Blickrichtung zu den Schildern stand. Zufälligerweise wusste aber gerade der genau, wie er hieß, so dass die Schilder vielleicht nicht als Information, sondern als ein begeisterter „Bodo!“-Ruf verstanden werden mussten, nur eben in stumm. Bodo grinste jedenfalls freudig in Richtung der Schilderhalter, drehte sich um, setzte sich an den Flügel und begann zart zu spielen.

Die Töne perlten leicht in den Raum und die Situation wirkte wie der Beginn eines klassischen Konzertes. Zumindest optisch, denn akustisch ging es schnell in einen Boogie über und textlich in Probleme, die ich früher noch nicht hatte. Das Publikum lachte immer wieder auf und freute sich anscheinend über Herrn Wartkes Probleme oder zumindest darüber, wie er sich mit ihnen auseinandersetzte. Noch in den Endakkord hinein gab es großen Applaus, und ich dachte anerkennend: „Super Stimmung!“ Bodo kam vom Flügel an den Bühnenrand zurück und freute sich ebenfalls: „Ein phantastischer Empfang, ich bin ganz gerührt. Es wurden sogar Schilder hoch gehalten.“ Die Schilder wedelten sofort wieder nach oben, und Bodo grinste: „Gut, dass ich Bodo heiße und nicht anders”, und er nannte alternativ einen langen Vornamen. Zwei verspätete Zuschauer waren inzwischen im Zuschauerraum zu ihren Plätzen durchgerückt und Bodo begrüßte sie freundlich: „Gerade erst gekommen? Ich hab schon einen Song gespielt. Soll ich nochmal spielen?“ Anstelle der beiden Zuschauer rief ein Teil des Publikums „Jaaa!“ und klatschte freudig los. Bodo lehnte ab: „Nein, IHR kennt den ja schon!“

Im Programm „Klaviersdelikte“ ging es hauptsächlich um Probleme, wie Bodo erläuterte. Die konnte man auch mit der Architektur in Deutschland haben, wenn sich die künstlerische Schönheit von bunkerähnlichen Beton-Bauten mit Parkhaus-Charme dem Laien einfach nicht erschloss. Es gab wunderbare Reimkombinationen, über die spontan laut gelacht wurde, aber immer nur kurz, damit der nächste lustige Satz nicht verpasst wurde. „Die Problemlösung wäre vielleicht Dynamit“, schlug Bodo danach unverbindlich vor. Mit der Frage: „Wer war denn schon mal dabei?“, wollte Bodo den Zuschauerstand ergründen. Eine Menge Arme hoben sich und in Reihe 6 wedelten neue Schilder, auf denen jetzt „Ja, Schatz!“ zu lesen war. Bodo freute sich schon wieder über diesen persönlichen Beitrag und kündigte freundlich lächelnd an: „‘Ja, Schatz!‘ spiele ich heute ja – NICHT.“ Nicht nur die Schilderhalter reagierten enttäuscht, und er verriet verschmitzt: „Aber warten wir mal ab.“

Weitere Problembereiche, die besungen werden konnten, lagen unter der Gürtellinie und waren Thema des Liedes Fehlende Worte. Wie konnte man intime Körperteile nennen, ohne verkrampft medizinisch zu werden oder peinlich umgangssprachlich. Bodo mit ordinärem Wortgut?? Das ging doch gar nicht! Auf der Suche nach passenden Begriffen zog er sich elegant auf die Anfangsbuchstaben zurück, und ich fühlte mich wie bei einer Rätselprüfung unter Zeitdruck. Mir knallten die Buchstaben um die Ohren und ich musste sinnvoll ergänzen und dabei auch noch auf den weiteren Text hören. Ein männliches Geschlechtsteil mit P? … Ach ja! Und mit S-C-H? S-C-H?? Schro … Schri … Oh, schon der nächste Buchstabe. Wie, wieder P?? Hatte ich doch eben schon… Herr im Himmel! Ah, natürlich….“

Wenn Bodo wüsste, was dieses Lied für einen Stress bei den Zuhörern auslösen konnte! Wenn mir nicht sofort klar war, was er meinte, hatte ich das Gefühl, ich würde die Prüfung nicht schaffen. Konnte es sein, dass ich das betreffende Wort gar nicht kannte? Aber die um mich herum lachten doch und kannten es! War ich einfach zu blöd?? Die Situation hatte etwas Schräges. Ich saß in einem Bodo-Wartke-Konzert, der Künstler hatte einen Anzug an und wirkte sehr korrekt. Er saß am Flügel, sang ein selbstverfasstes Lied, und mehr als tausend Zuschauer ließen durch ihren Kopf alle versauten Ausdrücke kreisen, die sie kannten. Erstaunlicherweise war es ganz unpeinlich. Und die Erkenntnis am Schluss: Es fehlen die Worte.

Für die Frühlingsgefühle kam der Spezialgast des Abends auf die Bühne, Melanie Haupt. Sehr passend, denn gerade bei diesem Lied ist eine zweite Person wichtig und Melanie genau die Richtige. Ein junges Paar im Mai, verliebt auf einer Parkbank sitzend, umschwirrt von Pollen. Da stellt sich heraus, ob so eine Beziehung halten kann. Melanie war total süß, sang toll und die Szene wurde von beiden wunderbar dargestellt. Auch die Vertrautheit und die Freude am gemeinsamen Auftreten war spürbar. Unter viel Applaus ging Melanie danach ab und Bodo verriet, dass sie VIELLEICHT im zweiten Teil nochmal da wäre.

Das Schweigen der Spammer gehörte zur Sparte „Probleme, für die man nichts kann“ und zeigte auf, wie die Welt ohne Werbung wäre. Vermutlich wesentlich entspannender. Bodo machte danach den Test mit dem Publikum, das auf sein gesungenes „Nichts ist unmöö-gliiiich” spontan mit „To-yoooo-taaa!“ einstieg. Es stellte sich allerdings heraus, dass von den 1200 Zuschauern gerade mal 6 einen Toyota fuhren. Viel schlimmer war allerdings der von Bodo vorgeführte Spot „Vogelpark Walsrode“, im Original von einem „demotivierten Kinderchor“ gesungen, den sogar einige Leute aus dem Publikum kannten.

Als Bodo danach einen Gegenstand ankündigte, den er für ein Lied benötigte, das zum Bereich „Probleme, die man sich selber einbrockt“ gehörte, kam ein Zuruf aus dem Publikum. Bodo wiederholte gespielt empört: „Meine Frau! Wer hat DAS denn gesagt??“, und starrte ins Publikum. Kopfschüttelnd holte er eine Art Geigenkasten und zeigte ihn vor: „Hier könnte ich meine Frau auch gar nicht verstauen!“ Im Kasten lag eine Ukulele, mit der er Teenager zu sein instrumental begleitete. Ursprünglich hieß das Lied aus den 50ern “Teenager in love” und war von Dion & The Belmonts, aber bei Bodo ging es natürlich textlich nicht nur um die Liebe, sondern um weitergehende Probleme im Pubertätsalter.

Ich liebe Ukulelenmusik, weil sie aufs erste Hören wie harmlose Kindermusik klingt, aber dann doch alles kann und einen wunderschönen, fast melancholischen Unterton hat. Der Klang berührt unerwartet. Plötzlich stand vor mir der Bruder von Buddy Holly auf der Bühne, die Brille und der schmale Anzug passten perfekt dazu, die Ponyhaare wirkten fast eine kleine Tolle und die Ukulele gab den passenden Ton. Wir befanden uns mitten in den 50er Jahren und mir war klar, dass die zuschauenden Frauen alle Petticoats trugen und die Männer Röhrenhosen. Es war sehr authentisch, der brave Rock’n’Roller stand auf der Bühne, das Teenager-Thema passte und die vier Akkorde reichten musikalisch genau aus. Bodo wirkte wie aus der Zeit gefallen. Ich war einfach entzückt.

Danach war schon wieder Mai, denn es gab ein weiteres Mai-Frühlingslied. Ich weiß nicht, wie es heißt, vermutlich ungefähr Es geschah in einer lauen Frühlingsnacht. Ganz romantisch fing es an, wurde dann relativ schnell prickelnd erotisch, und ich überlegte schon, MUSS ich das wissen, was Herr Wartke in seiner Freizeit nachts auf der Straße macht?, als er abrupt stoppte und mit einem energischen „So!“ aufhörte. Das Publikum lachte los, fast befreit, denn nach der musikalischen Vorbereitung mit den Bezeichnungen für Geschlechtsorgane war Herrn Wartke ja durchaus noch mehr zuzutrauen. Der erklärte entschuldigend: „Ich würd’s gerne bis zum Schluss singen, aber es sind ja auch Kinder da.“ Aus diesem Grunde hatte er vier verschiedene Lied-Enden geschrieben, die jeweils unterschiedliche Altersfreigaben hatten. Zunächst spielt er die ab 6 Jahren freigegebene Version, die viel Gekicher und Gelächter auslöste. Danach war die für die ab 12-Jährigen dran. Bodo mahnte: „Wer noch nicht 12 Jahre alt ist, hält sich jetzt die Ohren zu! Oder lässt sie sich zuhalten!“ Wieder gab es viel Gelächter, ebenso für die ab-16-Version.

Dann ging es an die vierte Version, die ab 18 Jahre freigegeben war, also erwachsenentauglich. „Es geht durchaus heftig zur Sache“, warnte Bodo. „Wollen Sie sie hören?“ Das Publikum gab sofort seine deutliche Zustimmung, und dann wurde es wirklich heftig. Vielleicht etwas anders als erwartet. Aber vor allem zeigte sich, dass der disziplinierte, formvollendete und die korrekte Haltung nicht verlierende Herr Wartke innerlich mehr als nur einen Vulkan sprudeln hatte. Temperamentvoll brach es aus ihm heraus, und gerade weil seine Ausstrahlung dem Klischee nach der eines wohlerzogenen Sprosses des Hochadels entsprach, war es umso verblüffender, dass er sich plötzlich würgend, windend und anscheinend hemmungslos zum Zombie machte. Was für eine Kraft und Gewalt steckte da in ihm drin!

Ich liebe solche Momente, in denen sich zeigt, dass ein Mensch ganz anders sein kann, als man beim ersten Anschein denkt. Das macht es spannend, weil man plötzlich gar nicht weiß, was man von ihm noch alles erwarten kann. Das Publikum jubelte am Ende sehr laut über die Performance und klatschte begeistert. Als es leiser wurde, entschuldigte sich Bodo: „SIE wollten das hören!“

Weitere traumatische Erlebnisse verarbeitete Bodo in dem schönen Titel Die WG des Herrn, ein reichhaltiges Problemthema, dann war der erste Teil beendet. Bodo verbeugte sich unter einem Applaus, der eigentlich so laut und donnernd wie ein Konzert-Endapplaus war. Dabei ging es doch nur in die Pause. Das Trierer Publikum war gut drauf.

Ohne weitere Ansage ging es nach der Pause mit der tanzenden Konstanze aus Konstanz weiter. Diese Leichtigkeit, mit der Bodo auf dem Flügel musikalisch durch die verschiedenen Tanzrhythmen tanzte! Wunderbar!

Da Bodo schon seit langem Lied-Strophen mit Frauennamen schrieb, hatte er inzwischen ein großes Archiv mit passenden Reimen und wettete, dass alle im Publikum vorkommenden Frauennamen dabei waren. „Wer einen Namen hat, den ich noch nicht habe, der bekommt meine neue CD“, versprach er. Eine Oranna meldete sich. „Oranna?“, fragte Bodo mit großen Augen nach und verlangte streng: „Darf ich bitte mal den Ausweis sehen?“ Die Dame begann zu kramen, aber er winkte ab: „Nein, nein, ich glaub das. Aber was ist das für ein Name?“ „Das ist eine saarländische Lokalheilige“, rief die Frau. Bodo sagte: „Ach so“, und dann interessiert: „Sind SIE das?“ Ihm wurde erklärt, dass die Heilige Oranna vor lange Zeit aus Schottland ins Saarland gekommen und ihr Name dort noch gebräuchlich sei. „Ist ein sehr schöner Name“, gab Bodo anscheinend geschlagen zu und lächelte unerwartet triumphierend: „Hab ich!“ Dann fragte er in den Saal: „Sind noch andere Nationalheilige unter uns?“ Es gab noch die Heilige Lena, die Heilige Linda und die Heilige Heidrun. Alle natürlich ohne das Heilig davor. Bodo sah sicherheitshalber am Laptop nach und konnte seine CD wieder wegpacken. Die Namen waren alle in passenden Strophen vorhanden.

Auf die Melodie von Andrea sang er alle vier Frauenstrophen, und es war tatsächlich die Oranna dabei, wobei ich persönlich ja vermute, dass er mal schnell die Johanna umgenannt hat. Aber ich weiß es nicht, und es war auch egal, denn es reimte sich alles ganz richtig auf Oranna und damit hatte er gewonnen. Auf die Heidrun war ich gespannt, weil mir dazu nicht viel einfallen würde, aber als er sie auf „in Abgeschieden-heit ruh’n“ reimte, lachte ich anerkennend. Dieser Fuchs. Sogar die Zugaben-Xanthippe ging fließend durch, sah aber vorne auch schwieriger aus, als sie hinten war.

Die Unterscheidung der GEMA von E-Musik (Ernster Musik) und U-Musik (Unterhaltungsmusik) waren Probleme, die gut in ein Bodo-Problem-Programm passten. „U-Musik ist für die GEMA Musik zweiter Klasse“, erklärte Bodo. „Blöd für mich, denn meine Lieder gelten bei der GEMA als U-Musik“. Aus diesem Grunde wollte er seine U-Musik-Lieder in E-Musik-Lieder umändern. E-Musik war an folgenden Punkten zu erkennen: 1. Alle müssen ernst sein, weder Musiker noch Publikum dürfen lachen. 2. Der Text darf nicht zu verstehen sein. 3. Die Musik sollte möglichst grauenvoll klingen, damit sie Spaß verhindert.

Entschlossen zog sich Bodo dicke Boxhandschuhe über die Hände und schob sich einen Mundschutz über die Zähne. Damit konnte er Punkt 2, die fehlende Textverständlichkeit, und Punkt 3, die grauenhafte Musik, erreichen. Wie mit einer dicken, klobigen Zahnklammer im Mund nuschelte er schwer verständlich: „Gibt esch ein Schtück, dasch Schie heute abend beschondersch gerne hören wollen?“ Das Publikum lachte laut auf und es wurde „Ja, Schatz!“ gerufen. Bodo nickte ergeben, drehte sich zum Flügel, konzentrierte sich kurz, drückte dann mit Schwung die Boxhandschuhe auf die Tasten und sang los. Mit etwas Phantasie war das Lied tatsächlich zu erkennen, aber es war grauenhaft gespielt und kaum zu verstehen. Die Zuschauer lachten prustend los, und Bodo stoppte sofort, drehte sich zum Publikum und rief nuschelnd: „Nischt lachen!!“ Umsonst. Da konnte man einfach nicht ernst bleiben. Er versuchte die Änderung in E-Musik mit seinem gut bekannten Liebeslied. Der Boxhandschuh traf beim ersten Ton mehrere Tasten und es war ein sehr schräger Akkord zu hören. „Verschpielt“, kommentierte Bodo und begann nochmal. Das Publikum quietschte und schnappte lachend nach Luft. Es war total witzig. Punkt 1, dass niemand Spaß haben durfte, war einfach nicht zu erreichen.

Das Singen und Sprechen mit dem Mundschutz war nicht nur akustisch ein Genuss, sondern auch optisch. Angestrengt versuchte Bodo die eingeschränkten Möglichkeiten der Zunge mit größeren Mundbewegungen auszugleichen, und obwohl er nicht sichtlich sabberte, hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, bei der saftigen Aussprache müsse es auch tropfen. Die ganze Nummer war superwitzig und konnte auf keinen Fall zu irgendeiner Form von E gezählt werden. Schließlich spielte er „Eye oft he tiger“, das erstaunlicherweise sogar mit Boxhandschuhen zu spielen war, und bei dem der Mundschutz die Aussprache gar nicht so sehr beeinträchtigte. Für englische Popmusik scheint es andere Voraussetzungen zu geben.

Während das Publikum anschließend noch laut jubelte, zog Bodo die Handschuhe aus und nahm mit einem angewiderten „Bäh!“ den tropfenden Mundschutz heraus.

Weil E- und U-Musik so hart getrennt wurden, versuchte Bodo sie zu vereinen. „Was für Musik kommt dabei raus?“, fragte er das Publikum. „Ü-Musik!“ wurde gerufen und er bestätigte: „Richtig!“ Mit einer Mundharmonika, schnippenden Fingern, hin und wieder swingenden Hüftbewegungen und dem Untermischen einiger Kinderlieder machte er die Vogelfänger-Arie aus Mozarts Zauberflöte zu einer gekonnten Ü-Darbietung.

Die Zuschauer setzten bei bekannten Refrains singend ein und lachten ansonsten immer wieder fröhlich auf. Als am Ende auch noch unerwartet der Vogelpark Walsrode auftauchte, gingen die letzten Akkorde im gellenden Pfeifen und tobenden Applaus unter. Ü-Musik kann die Massen anscheinend begeistern. Besonders Musik von Mozart war geeignet, dem „krassen Checker“, wie Bodo ihn bezeichnete. Er spielte den ersten Satz einer Mozart-Sonate, wurde swingig, jazzig, boogie-woogig und brachte sogar geschickt Freddys „Junge, komm bald wieder!“ unter. Es war super, und ich war mir sicher, dass es auch Mozart gefallen hätte.

Balladig und wunderschön ging es weiter mit Dein Duft. Das war U-Musik, aber es lachte keiner. Im Gegenteil. Bis auf ein paar unvermeidliche Huster war es ganz still im Saal. Der letzte Ton verklang und es blieb noch einige Sekunden atemlos still, ehe der Applaus losplatzte. Schön! Ganz sanft klang danach Sie durch den Raum, und ich dachte daran, dass Bodo, der jetzt die Zuschauer mit den leisen, sensiblen Tönen bannte, eben noch mit Boxhandschuhen auf den Tasten getrommelt und kreischendes Gelächter ausgelöst hatte. Was für ein schöner Kontrast, und wie toll, dass beides so nah aneinander funktionierte.

„Sie merken, wir sind mitten im Balladenblock angekommen“, sagte Bodo und spielte gleich noch eine, die ganz neu war: Die Stunde Null , über das Ende einer Beziehung. Sehr fein und berührend. Dann kam noch Christine, ein Lied über den Verlust seiner kleinen Schwester, und das tat mir im Herzen schon fast weh. Da ist so viel Schmerz und Sehnsucht drin, dass es mich richtig mitnimmt. Es ist nicht so, dass es inhaltlich zu schwer für das Programm ist, es ist ein wunderbares Lied und es ist schön, dass es seinen Platz in dem größtenteils lustigen Abend hat. Ich musste allerdings schwer schlucken und konnte gar nicht mehr nachvollziehen, dass ich vorher noch über Boxhandschuhe lachen konnte.

Es schien schwierig danach sofort wieder ins lustige Programm zu kommen. Die Stimmung im Publikum war deutlich ernster, fast ein wenig bedrückt und abwartend. Spurlos waren die Texte und die Musik nicht vorbei gegangen, und man konnte doch jetzt nicht einfach wieder laut lachen. Zum Glück half der „Leopard im Quadrat“, den Bodo anschleppte, und in dem sich ein Cajon, ein Holzkisten-Percussions-Instrument befand. Das war nach Aussage von Bodo sehr laut und sollte ihn ausgerechnet bei einem Lied über die Sehnsucht nach Stille begleiten. Bei dieser Ansage grinsten die Zuschauer schon wieder und wurden lebendiger.

Mit rhythmischen Sprechgesang, lautem Klopfen auf dem Cajon und zwischendurch sogar gleichzeitig einhändigen Bassläufen auf dem Flügel spielte Bodo turbulente Szenen aus dem Alltag vor, die den Wunsch nach Stille mehr als verständlich machten. Am Ende klatschte das inzwischen wieder völlig gelöste Publikum laut, Bodo verbeugte sich und ging ab.

Sofort gab es Zugabe-Rufe, auf die er genau richtig reagierte, indem er zurück kam. Freundlich fragte er: „Haben Sie Fragen zum Programm?“ „Ja, Schatz!“, würde wieder laut gewünscht. Bodo lachte. Er begann ein Vorspiel, das erst nach einiger Zeit in die Anfangsakkorde zu Ja, Schatz überging. Kaum waren diese zu erkennen, wurde gejubelt und sofort mitgeklatscht. Zum Glück nur bis zum Beginn des Textteiles. Die Neuhörer im Publikum waren dabei durch ihr spontanes Lachen und die manchmal ungläubigen Blicke sofort zu erkennen. Wie? Muskelstränge zertrennnen? Luftröhre?? Aber auch Bodo guckte ungläubig, als er sich plötzlich versang. Anstelle der „plumpen Platitüden“ sang er von „platten Plumpitü …“, brach ab und platze zur Freude des Publikums laut raus: „Scheiße! Schon tausendmal gesungen!!“ Natürlich setzte er sofort wieder ein, sang überdeutlich und richtig „mit plumpen Platitüden plagst“, setzte kopfschüttelnd und grinsend ein “mit platten Plumpitüden“ nach, und sang dann fehlerfrei bis zum Schluss. Großer Applaus für alles. Für Ja, Schatz! und auch für die Panne und das witzige Umgehen damit. Und nicht zuletzt für die spannende Nachtszene mit Mond.

Das Konzert war vom zweiten Problem-Teil in den Zugabe-Teil gekommen, was daran zu erkennen war, dass Bodo jetzt nach jedem Lied die Bühne verließ und dann wieder zurückkam. Diesmal, um ein weiteres der neuen Lieder vorzustellen: Happy end. Es ging um den Liebeskummer und das Zurückbleiben, war eigentlich fast lustig und schön locker getextet, es gab also durchaus Lächelpotential, aber die ernste Basis kam trotzdem durch. Ich hörte intensiv zu und dachte, dass man so was nicht einfach aus der Entfernung schreibt, sondern erlebt haben muss, und da fand ich es gleich noch viel berührender. Das Gefühl der Traurigkeit und Verlorenheit war deutlich zu spüren, und ich fand, es passte doch gar nicht, dass so ein toller, netter und erfolgreicher Mensch wie Bodo Wartke, dem an diesem Abend schätzungsweise 600 Frauen zujubelten, mal Liebeskummer gehabt haben musste. Andererseits sprach es für ihn, dass er so etwas nicht einfach mit einem Schulterzucken wegsteckte, sondern intensiv empfand. Und er konnte es so in Liedform umsetzen, dass es ganz genau nachvollziehbar war und auch andere Seelen berührte.

Ein weiterer Spezialgast sollte für das letzte Lied kommen, und ich tippte auf Melanie Haupt, die ja eigentlich schon für den zweiten Teil VIELLEICHT angekündigt war, und bisher nicht erschienen war. Es war aber nicht die Melanie aus dem ersten Teil, sondern eine Sängerin aus Paris, die Bodo von früher kannte und zufällig in Trier am Bahnhof getroffen hatte, wie er erklärte, und die erstaunlicherweise wie die vorherige Melanie aussah, aber ein anderes Kleid trug und französisch sang. Mir kam seine Erklärung nicht ganz überzeugend vor, aber ich konnte mir ja auch nicht den Ausweis zeigen lassen. Quand même je t’aime hieß das Lied, sie sang wunderschön mit kraftvoller Stimme, die einen faszinierenden dunklen Unterton hatte und warf sich dabei an Bodo ran.

Der übersetzte simultan und wies ihre radikalen Annäherungen strikt ab. Beleidigt verließ sie die Bühne. Es war ein temperamentvoller Abschluss des Konzertes und das sehr begeisterte Drei-Generationen-Publikum applaudierte heftigst und jubelte laut. Bodo verbeugte sich strahlend, ging dann endgültig von der Bühne und das Saallicht leuchtete auf. Ein deutliches Zeichen, dass es nun vorbei war.

Es war ein wunderschöner, langer, aber sehr kurzweiliger Abend mit tollen Texten und Liedern, einem souveränen Bodo Wartke, mit E-, U- und Ü-Beiträgen, Melanie, albernen Lachtränen und tiefer Berührtheit. Gekonnt!