Berichte

Lars Reichow – Das Beste – 09.03.2013 – Bonn

Pantheon, Bonn

Hinter diesem Mann war ich schon lange her. Vielleicht nicht konsequent genug, denn seit mindestens drei Jahren wollte ich mal einen Abend mit ihm verbringen. Ein Vorhaben, das sich als schwierig erwies. Nicht weil er oder ich nicht gewollt hätten, sondern weil unsere Termine schwer zu vereinbaren waren. Doch im Sommer kam er unerwartet zu mir – durch die Luft. Schon eine ganze Weile hörte ich interessiert und lachend dem Kabarett-Mittschnitt auf WDR5 zu, da wurde mir plötzlich klar: Das ist doch Lars Reichow! Na, wenn das mal kein deutlicher Wink war!

Ich aktivierte meine Bemühungen, verglich seine Termine mit meinen, und plötzlich passte es: Lars Reichow kam nach Bonn, ich auch – und schon hatten wir unseren ersten gemeinsamen Abend. Im Bonner Pantheon. Er auf der Bühne, ich im Zuschauerraum. Als er auftrat, dachte ich freudig: „Endlich!“, und er hatte keine Ahnung, dass ich überhaupt da war. Ich war ja nur eine von Tausenden. Na, nicht ganz. So viele Leute passen ja gar nicht ins Pantheon rein.

Die Zuschauer im knackevollen Saal begrüßten ihn mit lautem Applaus, und ich vermutete, dass viele von ihnen schon mehrfach Gelegenheit hatten, einen Abend mit ihm zu verbringen. Er lächelte ins Publikum: „Was für eine Freude!“, und versprach, dass es an diesem Abend nicht nur, wie im Programm angekündigt, „das Beste für Bonn“ geben würde, sondern „the VERY best of“. Da hatte ich ja richtig Glück. Endlich war ich mal da, und da machte er sofort nur allerbeste Sachen.

Plaudernd stieg er in den gerade vergangenen Weltfrauentag ein, wirkte locker und souverän, gab mit harmlosem Gesicht einige treffende Spitzen ab, und versprach dann ein Lied „mit interaktiver Gelegenheit“. Mitsingen war angesagt, kein Problem, die gute Stimmung dazu war im Pantheon schon da. Die Frauen bekamen ein leicht heulendes „Uhuhuhuuu“ zur Aufgabe, die Männer ein herzhaftes „Dudeludelup“, und los ging es mit einem Lied über Frauen. Hach, was spielte Lars Reichow schön auf dem Flügel, und was für eine wunderschöne Stimme er hatte! Live noch viel schöner als im Radio. Sanft, jazzig, ein bisschen rau, ich hörte mit großer Freude zu. Auch dem Text, der viel war. Sehr viel. Und sehr schnell. Es war nicht so, dass es unendlich viele Strophen gab und nicht aufhörte, nein, die Liedlänge war genau richtig, aber er konnte in einem Lied anscheinend doppelt so viel Text unterbringen wie andere Sänger. Rasant sang er lange Sätze herunter, denen sich sofort die nächsten anschlossen. Da hieß es konzentriert zuhören, sonst hatte man schnell ganze Abschnitte verpasst. In der Zeit, in der man dem Sitznachbarn zuraunte: “Ist das Ihr Wasser oder meins?”, eine Frage, die man sich bei üblichen Refrains anderer Künstler durchaus mal erlauben konnte, hatte Lars Reichow acht Textzeilen gesungen. Oder sogar neun. Ich trank lieber gar nicht erst.

Es war alles klar und gut zu verstehen, aber MIR blieb manchmal die Luft weg. Vor allem hatte ich Sorge, dass er sich verhaspeln könnte, denn für Haspler und Extra-Atmer war kein Platz im Lied. Aber er verhaspelte sich nicht. Er sang souverän, sicher, mit sehr deutlicher Artikulation, und ich war beeindruckt. Nur die eingeplanten Mitsänger verlor er unterwegs, weil er neben dem schnellen Klavierspielen und dem vielen Text nicht auch noch die Einsätze an das Publikum winken konnte. Machte aber nichts. Das Textende hieß „… die Bonner Frauen“, und er versicherte anschließend mit ernstem Gesicht: „Ich sing das überall mit diesem Ende. Ich will mich hier nicht einschleimen.“ Es gab Gelächter, und er legte nach: „Doch. Auch in Berlin! Die fragen dann immer: Bonn? Wo ist das denn?“

Ich mochte, wie Lars Reichow mit trockenem Humor und großer Ernsthaftigkeit, die mit Harmlosigkeit gepaart war, Geschichten erzählte. Er war wie der Nachbar irgendwo aus der Straße, den man an einem sonnigen Samstag vor dem Haus trifft, und der locker und kurzweilig plaudert und die Welt erklärt. Auch das private Familienleben blieb nicht verschont. „Ich bitte um Diskretion, ich konnte das zuhause nicht mehr absprechen“, beschwor er das vergnügt lachende Publikum. Dann berichtete er mit männlicher Distanz über den Dekorationszwang seiner Frau, die im Herbst „Stroh-Stoff-Nuss-Puppen-Kombinations-Schalen“ aufstellte. „In denen sind Moose, Nüsse, Stöckchen – also Sachen, die vom Baum gefallen sind, und die sogar die Tiere nicht mehr wollten.“ Die Zuschauer lachten glucksend, während er ganz ernst blieb. Seine Erklärungen wurden immer verdrehter. Er sprach von den Gefühlsknospen der Frauen, auf denen sich Dekopapillen befinden und klagte: „Ich wachte mal auf und war Teil einer Dekoration. Im Schlaf eindekoriert.“

Erzählteile, die leicht und spontan wirkten, wechselten sich mit Liedern ab, und ich fand schon die schöne, wandelbare Erzählstimme von Lars Reichow toll, war aber komplett hin und weg, wenn er sang. Er hatte die jazzige Leichtigkeit von Roger Cicero, die kraftvolle Spannung von Udo Jürgens und den sanft-rauen Soul von Stefan Gwildis. Alles zusammen war Lars Reichow. Ich steh ja voll auf diese gefühlvollen, rauen, leicht brechenden Stimmen und schmelze beim Zuhören, debil vor mich hin lächelnd, langsam weg. Ein reiner Konzertabend von Lars Reichow wäre auch ein Grund mit ihm nochmal einen Abend zu verbringen, dachte ich und überlegte, ob ich bei ihm nun lieber einen kompletten Liederabend oder ein gemischtes Wort- Gesangprogramm vorziehen würde. Meine Entscheidung war ein klares: “Egal! Beides toll!”

Lars Reichow konnte den größten Blödsinn erzählen, ohne dabei den ernsthaften Gesichtsausdruck und den Eindruck von Seriosität zu verlieren. Da sprang kein Comedian-Hektiker von einer Bühnenseite zur anderen, es stand ein lässiger, oft fast etwas distanziert wirkender Mann auf der Bühne, der dem Publikum freundlich plaudernd von seinen Erfahrungen erzählte und gleich die passenden Erklärungen bot, von denen er selber überzeugt schien. Er berichtete ausgiebig von Urlauben in fremden Ländern, die er aber anscheinend nur vom Buffet im jeweiligen Hotel kannte, erzählte von seiner Oma, deren Internet damals „Fensterbank“ hieß, die alles wusste, und die nicht googelte, sondern sagte: „Isch gugge mol“, und vom heimischen Teenager, der seit zwei Jahren den Sitzsack nicht verließ – „aber er lebt“ – und dem er das W-Lan durchschneiden wollte, um ihn aus dieser Lage zu holen. Immer wieder gluckste das Publikum los und oft durchzog lautes Gelächter den Saal.

Wenn bei Veranstaltungen immer wieder einzelne Quieker, kaum unterdrückbare Solo-Lachanfälle und laute, spontane Lacher in verschiedenen Bereichen eines Zuschauerraumes auftreten, heißt das, dass die Stimmung sehr gelöst und richtig gut ist. Das war sie. Lars Reichow war auf der Bühne sehr präsent, hielt das Publikum mühelos bei sich und setzte immer noch was drauf. Ich lachte sehr viel, war hoch konzentriert, genoss die phantasiereichen Geschichten, den Humor, die wunderbaren Formulierungen, die Bilder, die er vor meinen Augen entstehen ließ und die Lieder, die nicht nur viel Text hatten, sondern, wie das Liebeslied an seine Frau, auch ganz gefühlvoll und berührend sein konnten. Und diese Stimme! Manchmal mit voller Kraft wie aus den Tiefen des Bauches herausgesungen, dann wieder ganz sanft und schmeichelnd.

Am Ende spielte er ein „französisches Kinderlied“, das für die Zuschauer sofort als die Stöhnnummer „Je t’aime“ zu erkennen war. Lars Reichow sang französischen Phantasietext dazu, „Schösewööh, sche schösewööööh!“, und sinnierte laut, was das Thema des Liedes sein könnte. „Vielleicht hat sie einen zu schweren Wäschekorb getragen, weil sie so stöhnt. Die Franzosen haben’s ja immer mit der Wäsche“. Das Publikum gluckste nur noch schnappatmend.

Der laute Applaus der begeisterten Zuschauer holte Lars Reichow nach Verbeugung und Abgang sofort auf die Bühne zurück, und er zeigte sich sehr gewillt noch weitere Zugaben zu geben. Zunächst erklärte er aber ausführlich den möglichen Ablauf, der mit erneuten Auftritten beginnen, sich dann zu nicht enden wollenden Zugabeteilen und letztendlich zu einem Alptraum entwickeln würde, bei dem er am Ende sogar vor der privaten Wohnungstür der flüchtigen Zuschauer stehen würde, dort klingeln und den verzweifelten Konzertbesuchern zurufen würde: „Ich hab noch was Lustiges!“ Er blickte treuherzig ins Publikum: „Das war jetzt nur die Erklärung. Sollen wir das so machen?“ Das Publikum lachte zwar noch fröhlich, schien aber inzwischen leichte Bedenken zu haben, und so sang er stattdessen ein wunderschönes Lied über sein persönliches Glück. Es schloss mit der ruhig und liebevoll gesungenen Zeile: „Für mich ist Glück, wenn ich den ganzen Tag alleine bin – und abends sind sie alle wieder da.“ Ich lächelte selig. Einerseits wegen seiner wunderbaren Stimme mit dem hohen Schmelzfaktor, aber auch, weil ich dieses Gefühl ganz genau kenne.

Was für ein schöner Abend! Genau meine Humorschiene, intelligente Gedanken, seriös verpackte Albernheiten, schöne Sätze und Wortkombinationen, und eine Stimme, die ich sprechend und singend wunderschön finde. Ziemlich viel schön, aber besonders schön, dass wir mal einen Abend gemeinsam verbringen konnten, der Herr Reichow und ich, auch wenn er das gar nicht bemerkt hat. Aber ich. Und ich fand’s toll.