Rainald Grebe – Das Abschiedskonzert – 26.11.2004 – Swisttal
Kreativitästforum Swisttal-Morenhoven
Jahrelang hatten wir geglaubt, dass wir den gleichen Humor hätten. Und dann kam Rainald Grebe und es wurde klar, dass meine Gatte und ich aus humoristischer Sicht überhaupt nicht zueinander passten. Während ich den Abend sehr kurzweilig und schön abgedreht fand, verließ mein Gatte die Veranstaltung während der Pause und kam erst zum Schluss wieder, um seine humorgestörte Gattin abzuholen. „Der führt ja nichts zu Ende!“ begründete er entnervt seine Flucht. Ich versuchte zu erklären, dass es nicht auf das Ende ankäme, sondern gerade die vielen spontanen Assoziationen so reizvoll wären. Er schnaubte: „Nicht alles, was einem im Hirn rumgeht, muss auf die Bühne!“ Peng, das saß!
Aber mal von vorne. Die Vorstellung fand im Krea-Theater in Swisttal-Morenhoven statt. Der Ort lag in der Nähe von Bonn und war genauso ländlich und klein, wie der Ortsname sich anhörte. In einer alten Schule war ein Kreativ-Center eingerichtet, in dessen Foyer alte Plakate von Kabarettkünstlern an der Wand hingen, ein von Kindern gebasteltes Pappmaché-Krokodil mit Lichterkette im Maul in einer Urwaldkulisse schwebte, und es an einer gezimmerten Bar Kölsch vom Fass gab.
Der Saal war eindeutig der kleinste, in dem ich jemals eine Veranstaltung besucht hatte. Ein Drittel des Raumes nahm die professionelle Bühne ein, im Rest standen 5 Reihen à 12 Stühle, und es gab noch ein paar Sitzmöglichkeiten auf einem erhöhten Podest an der Rückwand. Der Raum war gemütlich und knackevoll – die Vorstellung war ausverkauft.
Obwohl Rainald Grebe beim Prix Pantheon 2003 den Zuschauerpreis gewonnen hatte, war er immer noch ein Geheimtipp. Ich hatte ihn einige Wochen vorher bei den ‚Vorlesern‘ gesehen und fand ihn etwas wirrig, aber interessant. Mein Gatte war schon damals sehr zurückhaltend geblieben mit seiner Begeisterung, hatte aber zugestimmt, als ich fragte, ob er in ein komplettes Grebe-Programm mitkommen wolle.
Vermutlich war es der engagierte Veranstalter, der zunächst eine kurze Ansprache an das eng sitzende Publikum hielt und dabei darauf hinwies, dass es sich immer lohnen würde mit dem Beginn der Vorstellung auf die letzte U-Bahn zu warten, weil damit noch ein Schwung von Zuschauern gekommen sei. Ich guckte verblüfft. Eine U-Bahn? In Swisttal-Morenhoven??
Dann ging es los. Rainald Grebe guckte vorsichtig hinter dem Vorhang hervor und grinste freudig. Auf dem Kopf trug er einen bunten Kinder-Indianer-Kopfschmuck, der nicht ganz zur restlichen, eher männlichen Erscheinung passte. Nach dem ersten Begrüßungsapplaus wurde es ruhig, und auch der Hauptdarsteller blieb stumm und machte nichts, außer nett und erfreut das Publikum anzulächeln. “Ja, sag was!” ertönte eine ungeduldige Stimme aus dem Zuschauerbereich, was sofort Lacher auslöste. Rainald Grebe führte lächelnd einen Finger vor den Mund, damit es leise blieb, schlich vorsichtig zum Klavier, wo er sich lautlos setzte, ins Publikum lächelte, das jetzt spannungsgeladen in der Stille abwartete, und plötzlich begann: “So, jetzt sag ich mal was.”
Mit intensivem Blickkontakt zum Publikum erzählte er von Thüringen, fragte, wer Städtenamen von dort nennen könne, und sprang begeistert von der Bühne, um den Mann zu sehen, der einen speziellen Ortsnamen gerufen hatte. Sehr locker, lustig und ungefährlich. Er war wie ein begeisterter, großer Junge, der sich einfach freuen konnte, wenn die Zuschauer lachten oder mitarbeiteten, aber selber keine großen Ansprüche an das Publikum stellte. Als ob er in einer eigenen Welt lebte, von der er erzählte, aber es schien ihm nicht wichtig zu sein, wenn das Publikum das nicht verstand. Wenn aber doch: Umso besser.
Mit völlig ernster Miene, aber innerlich begeistert verkündete er plötzlich: “Eines noch: Vor 1000 Jahren soll es sehr viele Mittelaltermärkte gegeben haben!” Peng! Er wandte sich wieder seinem Klavier zu, und im Publikum stieg langsam glucksendes Gelächter hoch, aber es dauerte, bis der Satz von allen verstanden war. Oder wenigstens von fast allen.
Seine Lieder waren sehr melodisch, seine Stimme war schön, wenn auch mit etwas kindlich-naivem Ton, der aber sehr gut zu den manchmal etwas abgedrehten Gedanken passte. Er sang mal laut und heftig, dann wieder ganz sanft und zart. Mit weit aufgerissenen Augen, die ihm einen leicht irren Blick gaben, guckte er ins Publikum, spielte dabei Klavier und sang vom “wortkargen Wolfram”, von “ziellos umhertreibenden Planeten”, “Dörte, dem Ausweg aus der Spaßgesellschaft” und von “Bengt, der im Keller headbanged”.
In den Texten waren Slogans untergebracht, Wortfetzen und Gedankenspiele. Sie waren ungewöhnlich, hakelig, aber oft durchaus nachvollziehbar. Lange nicht so abgedreht, wie sich das jetzt vielleicht liest. Ich fand zwischen vielen lustigen Sachen immer wieder sehr poetische und wunderschöne Zeilen, die überhaupt nicht witzig waren. Rainald Grebe war ein Clown, der sehr melancholisch sein konnte und innerlich ernst war. Das Leben um ihn herum war absurd, nicht er mit seinen Gedanken.
Wenn er nicht ins Publikum lächelte, konnte er plötzlich einige Jahre älter und überhaupt nicht mehr wirrig und lustig aussehen. Ein Buster Keaton, der die Menschen zum Lachen brachte und dabei tief ernsthaft blieb. Ich mochte das. Außerdem hatte ich erfahren, dass er ein Diplom als Puppenspieler hatte, was ihn mir noch viel sympathischer machte. Puppenspieler lebten immer in Welten, die gleichzeitig ernsthaft und lustig waren.
Allerdings konnte er auch völlig abgedrehte Sachen machen. Zunächst glaubte ich ihm nicht, als er erzählte, dass er fünf Stunden lang Fernsehen geguckt, dabei gezapped und alles auf Video aufgenommen und auswendig gelernt hätte. Aber dann spielte er einen Teil davon vor. An einem Tisch sitzend, ganz ernsthaft und mit überraschender Intensität war er das Fernsehbild und spielte mit genauem Tonfall nach, was er gesehen hatte. Immer wieder hatte er zum Film “Die Nebel von Avalon” gezapped, dessen Szenen er nachspielte und den jeweils passenden Tonfall annahm. Manchmal glitt er mitten im Satz in eine Werbesendung oder die Nachrichten, um dann zum Film zurückzukehren. Es war sehr abgedreht und beeindruckend gut gebracht. Nach wenigen Minuten war ich davon überzeugt, dass er fünf Stunden lang gezappten Videofilm tatsächlich auswendig gelernt hatte. Und ich war auch davon überzeugt, dass es ihm völlig egal war, wenn andere Menschen das für bekloppt hielten.
Ich vermute, dass mein Gatte Rainald Grebe für bekloppt hielt. Oder zumindest seine Texte für völlig sinnlos. Er war Ingenieur und musste alles logisch erklären können und zu einem sinnvollen Ende bringen. Und bei Rainald Grebe gab es weder logische, vorgegebene Wege, noch sinnvolle Enden. Die meisten Lieder hörten plötzlich auf und waren fertig, aber es hätten auch genauso gut noch ein paar Zeilen folgen können.
Mich störte das aber nicht, denn ich war auch so eine Art Zen-Meisterin der wirren Ideen und assoziativen Gedankensprünge, bei denen ich so schnell sein konnte, dass ich eventuelle Verfolger schon nach wenigen Hüpfern abgeschüttelt hatte. Aber auch wenn ich Rainald Grebe sehr nett und sympathisch fand und Assoziationen liebte, verstand ich lange nicht alles, was er in seinen Liedern vortrug. Warum küsst der Torrero den Stier im Eiskanal und sie reiten nach Madrid?? Hatte das einen tieferen Sinn oder war das einfach daher gesagt? Trotzdem war ich fasziniert und überhaupt nicht gelangweilt, sondern fühlte mich gut unterhalten. So ist das eben bei Gedankensprüngen. Selbst Zen-Meisterinnen können da nicht immer folgen oder springen in die andere Richtung.
Für mich bewegte sich Rainald Grebe irgendwie zwischen Genie und Wahnsinn und lebte dabei harmlos, sehr nett und scheinbar zufrieden in einer eigenen Welt.
Am Ende des Abends war ich sehr gut gelaunt, die meisten Zuschauer klatschten begeistert, einige nur freundlich, Rainald Grebe grinste zufrieden, und mein Gatte wartete, immer noch leicht genervt von der ersten Hälfte, im Foyer auf mich. Ein Rainald Grebe Abend schien die Zuschauer in zwei klare Fraktionen zu spalten: Entweder gefiel einem das, oder nicht. Meinem Gatten gefiel der Titel des Programmes: “Abschiedskonzert”, aber ich fragte nicht nach warum. Konnte ich mir nämlich denken.
Fazit: Ich halte Rainald Grebe für einen sehr ernsthaften Menschen, der absurde und irrwitzige Situationen sieht, seine Gedanken in Liedern ausdrückt und dabei nicht immer die normalen Wege benutzt. Er kann sehr albern und abgedreht sein, selber über seine Sachen oder Reaktionen aus dem Publikum lachen, bleibt dabei aber immer freundlich und zurückhaltend. Ein ernsthafter Clown, der in seiner Welt lebt und sich nicht davon beeinflussen lässt, wenn andere Leute ihn nicht verstehen. Kann sein, dass ich mehr von seinem Genie erahne, als mein Gatte, kann aber auch sein, dass ich nur ähnlich abgedreht und sinnlos denke und mich darum so wohl fühle.
Vorbehaltslos empfehlen kann ich Rainald Grebe also nur Leuten, die so wie ich denken. Wer wie mein Gatte denkt, sollte lieber nicht hingehen. Paare, die humormäßig auf verschiedenen Polen leben, wenn also einer Wert auf ein logisches Ende legt, dem anderen das aber ganz egal ist, sollten nicht gemeinsam eine Vorstellung besuchen. In unserem Fall hat der Abend die Beziehung scheinbar nachhaltig gestört, denn ich erhalte seitdem immer wieder spitze Bemerkungen, die irgendwie mit meiner Vorliebe zu Rainald Grebe und meinem seltsamen Sinn für Humor zusammenhängen. Dabei ist es doch mein Gatte, der einen völlig unverständlichen Humor hat!