Berichte

Purple Schulz, Josef Piek, Ulla Meinecke – 28.06.2004 – Köln

Purple Schulz und Josef Piek machen Gemeinsame Sache mit Ulla Meinecke.
Bauturm-Theater, Köln

Es war der vierte Gemeinsame-Sache-Abend, und ich ging schon wieder zum kleinen Bauturm-Theater und war freudig gespannt. Durch die unterschiedlichen Gäste in dieser Reihe fiel jeder Abend anders aus und blieb damit kurzweilig und unterhaltsam. Den ersten Programm-Teil mit Purple Schulz und Josef Piek mochte ich sowieso sehr und dafür alleine lohnte sich jede Fahrt zum Bauturm. Diesmal war Ulla Meinecke als Gast da und die kannte ich nicht wirklich gut.

Was fiel mir spontan zu ihr ein? Sie machte Lieder und Texte, die anspruchsvoll waren und auf keinen Fall etwas mit seichten Schlagern zu tun hatten, sang mit kräftiger, sehr guter Stimme, lebte in Berlin, wirkte unangepasst und aufmüpfig und hatte mal irgendwas mit Udo Lindenberg zu tun, aber nur irgendwas musikalisches, und ich konnte sie mir gut als frühere Hausbesetzerin oder in der Wohnküche einer WG vorstellen. Und natürlich kannte ich dieses Lied von ihr mit der Tänzerin. Welche von diesen spontanen Assoziationen zu Ulla Meinecke stimmten, wusste ich nicht und es konnten durchaus krasse Fehlgedanken darunter sein. Der Abend würde mir vielleicht etwas Aufklärung bringen.

Im Bauturm-Theater war es voll und wieder mal warm. Schon vor Beginn des Programmes zogen die ersten Besucher ihre Pullover und Jacken aus, um sich dem Klima anzupassen. Laute, lebhafte Unterhaltungen füllten den Raum, die erst leiser wurden, als die Anfangsmusik des Abends vom Band ertönte. Wieder starteten Purple und Josef mit dem ersten Programmteil und der war diesmal noch besser als sonst. Keine Ahnung, woran das lag. Vielleicht auch am Publikum, das sofort gut gelaunt, freudig und locker reagierte und damit die beiden Hauptakteure zu hohen Leistungen anspornte.

Einige Besucher waren Wiederholungstäter, die nicht genug von der Konzertreihe bekommen konnten. Josef schlug freundlich vor: “Es hilft übrigens, wenn die Leute, die schon mal hier waren, über die gleichen Witze lachen wie beim letzten Mal!”, und Purple nickte zustimmend: “Das wäre erleichternd.” Josef: “Ich tu ja auch so, als wäre ich …” und brach grinsend ab, woraufhin Purple sofort sagte: “Du SPIELST auch jeden Abend so, als wärst du zum ersten Mal hier!” Die Zuschauer lachten laut und vergnügt und waren bester Laune.

Als Josef etwas später seine Gitarre stimmte, gab es ein dumpfes “Plop!” und eine Saite war gerissen. Er blickte ruhig auf die Gitarre, sagte überrascht: “Oh!”, und aus dem Zuschauerraum war laut die Stimme von Pe Werner zu hören: “Nicht schon wieder!!” Sie hatte zwei Wochen vorher spontan ausgeholfen, als bei Stoppok eine Gitarrensaite gerissen war, und im Backstagebereich die neue Saite aufgezogen, während Stoppok mit einer Ersatzgitarre weiterspielte. Die erfahrenen Konzertgänger lachten laut, Purple grinste freundlich: “Unsere Saiten-Aufzieherin ist da!”, und Josef hielt auffordernd die Gitarre hoch, aber Pe wollte diesmal nicht. Vielleicht hatte sie Sorge, dass das ab jetzt bei allen Purplekonzerten ihre Aufgabe werden könnte. Zum Glück kam Josef immer mit einem halben Gitarrenladen angereist, stellte die fünfsaitige Gitarre nach hinten, griff zu einer sechssaitigen und es konnte weitergehen.

Das Programm der ersten Hälfte war ruhig, besinnlich, laut, witzig und sehr, sehr schön. Ich hätte noch viel länger zuhören können. Aber die Pause wurde mal wieder dringend benötigt, um sich im Foyer und vor dem Theater-Café von innen mit einem kühlen Getränk und von außen mit frischer Luft abzukühlen. Purple hatte am Ende des ersten Programmteiles gesagt: “Wir sehen uns dann in 20 Minuten wieder. Oder sagen wir so: Wenn ihr alle was getrunken habt, ruft ihr laut ‘Hallo!’, dann sind wir wieder da!” Prima Idee!

Als alle etwas getrunken hatten und der Saal wieder voll besetzt war, gab es einen halblauten Hallo-Ruf aus dem Publikum, dem sofort Gelächter und dann mehrere, noch lautere Hallo-Rufe folgten. Aber die Bühne blieb leer. So ist das eben oft mit guten Ideen – sie lassen sich nicht immer umsetzen. Den Zuschauern blieb nichts anderes übrig, als geduldig einige Minuten zu warten, bis die Darsteller von ganz alleine zur zweiten Konzerthälfte erschienen.

Während Josef seine Gitarre stimmte, erzählte Purple etwas über Ulla Meinecke. “Ich habe sie 1977 in der Sporthalle Köln auf Tour mit Udo Lindenberg zum ersten Mal gesehen.” Da! Udo Lindenberg! Das war ein fetter Punkt für mich und mein Wissen über Ulla Meinecke! Purple, der gar nicht merkte, wie zufrieden ich grinste, sprach von der ‘Rockpoeten-Tour’, bei der 1989 Josef und er, Manfred Maurenbrecher (der Gast von letzter Woche), Stefan Stoppok (der Gast von vorletzter Woche) und Ulla Meinecke (der heutige Gast) dabei gewesen waren. “Wir haben damals vier Konzerte in der ehemaligen DDR gegeben, was dann letztendlich ein paar Wochen später zum Umsturz führte.” Die Zuschauer freuten sich über diese Logik und lachten fröhlich. Purple sagte Ulla Meinecke an, die kam auf die Bühne, verbeugte sich und zog zuerst mal die Schuhe aus, die sie nachlässig auf den Teppich fallen ließ.

Es gab langen, dicken Applaus für sie, den sie ruhig und fast etwas verlegen entgegennahm. So plötzlich vor einem laut klatschenden, sehr nah an der Bühne sitzenden Publikum zu stehen und mit vielen fremden Gesichtern konfrontiert zu sein, war bestimmt nicht einfach. Außerdem kam mir Ulla Meinecke nicht so vor, als würde sie lässig und ohne jede Nervosität eine Bühne betreten. Dazu wirkte sie viel zu sensibel. Als der lange Applaus aufhörte, hob sie das Mikrofon an den Mund und sagte sehr leise und sanft: “Schönen Dank, guten Abend”. Purple und Josef legten sofort mit den ersten Akkorden los, sie machte während der ersten, einleitenden Takte weiche Tanzbewegungen, dann setzte ihre volle, warme Stimme zu ‘Ein Schritt vor und zwei zurück ein’.

Sie zog sich während des Singens gerne einen Schritt aus dem hellen Scheinwerferlicht in den etwas dunkleren Hintergrund zurück, und ich merkte, wie schwer es sein kann, sich nicht hinter einem Instrument verstecken zu können, sondern offen und verletzlich mit nur einem Mikrofon in der Hand vor dem Publikum stehen zu müssen. Zumal Ulla Meinecke anspruchsvolle Texte mit Tiefe sang und damit auch einen Blick in ihr Inneres freigab. Doch das Publikum machte es ihr leicht, war voll auf ihrer Seite, hörte aufmerksam zu und klatschte nach dem Lied laut und sehr kräftig.

Ulla Meinecke hatte schon während des Singens des ersten Liedes immer mal wieder zum Mischpult signalisiert, dass der Monitor-Ton auf der Bühne nicht ganz ideal war. Jetzt sagte sie leise und sanft: “Arne, könntest du mir ein paar Tiefen geben, vorsichtig?” Purple platzte laut los: “Du musst mit dem Arne lauter reden, der ist Tontechniker!”

In ruhiger Erzählweise und mit jeweils einer kurzen Geschichte als Einleitung sagte Ulla Meinecke ihre Lieder an und wurde dabei zunehmend lauter und fester in der Stimme, auch wenn die Grundausstrahlung ruhig und ruhend blieb. Ihre Lieder sang sie sehr ernsthaft und ausdrucksstark, bewegte sich dabei mit dem Körper leicht hin und her, und nur ihre linke Hand ließ die Spannung raus. Es war eine Hand, die stellvertretend für Ulla Meinecke tanzte, während sie selber sich auf das Singen konzentrierte. Grazil und fast wie bei einer Zirkusartistin bewegten sich die Finger, die Hand ging spannungsvoll nach oben, oder senkte sich drehend ab, als hätte sie ein Eigenleben. Wunderbar anzusehen, und da Ulla Meinecke sehr dunkel gekleidet war, hob sich die helle Hand immer wieder gut vor ihr ab und wurde zum Blickfang. Am Ende jedes Liedes sank die Hand nach unten, entspannte sich und blieb beim Schlussakkord locker neben dem Körper hängen.

Auch ihr Gesicht, das manchmal zur Hälfte von den halblangen, dunklen Haaren verdeckt wurde, strahlte im Licht auf, wenn sie es anhob und ganz offen zeigte, konnte aber auch fast wieder aus dem Blick verschwinden, wenn sie den Kopf senkte. Es passierte optisch also eigentlich nicht viel auf der Bühne, blieb aber interessant und spannend. Bei ‘Feuer unterm Eis’ übernahm Purple den Gesang bei der letzten Strophe und sang unerwartet mit der Stimme von Herbert Grönemeyer. Er hatte das Gesicht angespannt, die Schultern versteift und sang in verkrampfter Körperhaltung verblüffend echt.

Ulla warf ihm einen schnellen, erstaunten Blick zu und grinste dann leicht, das Publikum johlte und klatschte lachend los. Ulla Meinecke musste während des Weitersinges immer mal wieder lachen, versuchte sich aber ernst zu halten. Nach dem Schlussakkord blickte sie fest und mit unbeweglicher Miene zu Purple, der sofort mit vorsichtig lachendem Blick testete, ob sie die Unernsthaftigkeit eventuell übelgenommen hätte. Aber sie blickte undurchschaubar und ließ nicht erkennen, ob sie amüsiert oder pikiert war.

Ehe das geklärt werden konnte, hatte Josef seinen Platz verlassen und sich zu zwei Freunden in die erste Reihe gesetzt. Purple schüttelte freundlich, aber etwas verständnislos den Kopf: “Ich weiß gar nicht, was du jetzt machst. Meines Wissens spielen wir was zusammen.” Josef widersprach, aber Purple behauptete: “Auf meiner Liste steht was anderes.” Ulla guckte Purple an und sagte: “Ein bisschen seid ihr wie ein altes Ehepaar”, und nickte bestätigend zu Josef: “Ja, ja, das stimmt schon. Beruhig dich jetzt!” Purple sah in seinem Notenordner nach und rief: “Oh, da hab ich mich verblättert!”

Ulla fand die Diskussion “wunderbar konstruktiv gelöst” und begann mit der nächsten Ansage, während Purple sich spielbereit hinsetzte, die Finger über die Tasten hielt und auf den Einsatz wartete. Mitten im Satz drehte sich Ulla Meinecke zur Seite und sagte: “Du kannst die Hände nochmal runternehmen!” Purple riss die Hände nach oben und sagte gespielt verschüchtert: “Ich will nix verkehrt machen.” Ulla erklärte: “Ich sag einfach ‘Jetzt’!” Purple fragte nach: “Wenn du ‘Jetzt!’ sagst, soll ich dann mit dem Stück anfangen?” Ulla: “Ja.” Purple ließ zufrieden die Hände auf die Tasten sinken, ums sie sofort wieder erschreckt hochzureißen und dabei mit großen Augen zu Ulla gucken. Wie ein kleiner Junge, der gespielt unschuldig tat.

Ulla sah ihn ruhig an und sagte dann sanft: “Ja, guck mal, ist doch schön, dass wir nur Kollegen sind”, woraufhin das Publikum lachend losplatzte. Purple bestätigte grinsend: “Wir hätten es schlimmer treffen können.”

Die Lieder von Ulla Meinecke gingen um Beziehungen und Zwischenmenschliches, zeigten tiefe Gedanken und hatten eine poetische Sprache. Im Regelfall waren sie ernsthaft und Ulla Meinecke wollte ihr Programm auch in dieser Stimmung vortragen. Da hatte sie aber nicht mit Purple gerechnet, der während der Ansagen immer mal wieder von der Seite albern dazwischenfunkte und die Zuschauer zum Lachen brachte. Ich fand das sehr schön, weil es die Ernsthaftigkeit auflockerte und spontane Reaktionen und Bemerkungen auslöste. Es war ja kein reines Ulla-Meinecke-Konzert, sondern ein gemeinsamer Abend mehrere Künstler, der durch solche Aktionen ganz eigenständig und originell wurde. Josef hielt sich dagegen den Abend über fast komplett mit Bemerkungen zurück und überließ das Spielchen seinem Kollegen und dem Gast.

Witzigerweise erinnerte mich das Verhalten von Ulla und Purple an Mutter und Sohn. Er war albern, quicklebendig und fing immer mal grinsend kleine Störaktionen an, und sie wirkte ernsthaft und seriös, guckte ihn dann mahnend an, konnte das Lächeln um die Mundwinkel aber nicht immer verbergen, weil diese Fröhlichkeit sie mitriss. Purple war aber, wenn er sie musikalisch bei ihren Liedern begleitete, völlig bei der Sache, unterstützte sie aufmerksam und ernsthaft und unterließ alle Witze. Na ja, bis auf die Grönemeyer-Einlage, die aber musikalisch perfekt war.

Auf einmal war das ‘Hafencafé’ dran, ein Lied, das Manfred Maurenbrecher geschrieben hatte, wie ich in der Woche davor überrascht festgestellt hatte. Ulla sang es anders als Maurenbrecher und auch anders als Ina Müllerund Edda Schnittgard, deren Version ich schon oft gehört hatte. Von Manfred Maurenbrecher hatte ich erfahren, dass Ulla Meinecke das Lied schon lange vor ‘Queen Bee’ gesungen hatte und war gespannt, es von ihr zu hören. Es passte wunderbar zu ihrer Stimme und die Art, in der sie es vortrug, gefiel mir sehr.

Im Anschluss daran erzählte Ulla Meinecke, dass sie einen Bericht über den Abend mit Maurenbrecher gelesen und sehr gelacht hätte, denn eine junge Frau hätte dort geschrieben: „Mensch, der ist das, der das Hafencafé geschrieben hat, das kenne ich nur von Queen Bee.“ Die Zuschauer lachten los, und Ulla Meinecke setzte hinterher: “Das fand ich sehr schön – ich sing den Song seit 22 Jahren, oder so.” Ich hätte wahrscheinlich beschämt zusammensinken müssen, musste aber sehr lachen, weil ich das lustig fand. Auch mein Gatte amüsierte sich sehr, allerdings mehr über den Begriff “junge Frau”.

Beim nächsten Lied brach Ulla nach dem ersten Ton lachend ab, weil die Tonart nicht gestimmt hatte. Josef skandierte ein kämpferisches: “D-Dur! D-Dur! Und nicht F-Dur, oder sowas, ne, Herr Schulz”, und Purple hob entschuldigend die Hände: “Ich versuche mich gerne an schwierigen Tonarten.” Josef schwenkte anfeuernd den Arm in die Luft und rief dabei laut: “D-Dur, D-Dur, D-Dur!”

Ulla Meinecke blickte zu Purple: “Lässt du dir das gefallen als Chef?” Josef warf sofort ein: “Den Chef haben wir abgeschafft vor 25 Jahren”, und Purple bestätigte: “Wir verdienen dasselbe Geld, aber ich muss dafür mehr reden, das ist das Ärgerliche.”

Gegen Schluss des Abends gab es von Purple und Josef ‘Solche Tage’, bei denen Ulla gemütlich auf dem Klavierhocker sitzend und auf ein Textblatt guckend, das vor ihr auf dem Boden lag, den Refrain mitsang. Vorher hatte Purple angekündigt, dass sie damit Premiere hätte, denn “sie singt zum ersten Mal einen Purple Schulz Titel, den sie überhaupt nicht kennt.” Den Refrain erkannte sie aber und setzte auch jedes Mal mehr oder weniger pünktlich ein. Es gab danach viel Applaus vom Publikum, der in erkennenden Jubel überging, als der Rhythmus des nächsten Liedes zu hören war. Ah, das war die ‘Tänzerin’, das Lied, das ich zum Glück nur in der Ulla-Meinecke-Version kannte. Sie brachte es sehr dynamisch, die Zuschauer waren begeistert und gaben einen dicken Endapplaus.

Die drei Akteure kamen zusammen nach vorne, Purple hatte Ulla umarmt, Josef hielt ihre Hand, sie sahen aus wie eine nette, aber etwas verzwickte Dreierbeziehung, und das begeisterte Publikum gab Standing Ovation. Winkend gingen sie ab und nur Josef und Purple kamen nochmal zurück, um das wunderschöne ‘Immer nur leben’ als Abschluss des Abends zu spielen. Danach standen sie Hand in Hand vor dem applaudierenden Publikum, grinsten breit und verbeugten sich.

Ich zählte meine Punkte zusammen. Mit den Assoziationen zu Ulla Meinecke hatte ich gar nicht so schlecht gelegen. Sie machte Lieder und Texte, die anspruchsvoll waren und auf keinen Fall etwas mit seichten Schlagern zu tun hatten, sang mit kräftiger, sehr guter Stimme, lebte wirklich in Berlin, wirkte unangepasst und aufmüpfig und hatte mal musikalisch was mit Udo Lindenberg zu tun gehabt. Die Frage, ob sie Häuser besetzt und in der Wohnküche einer WG gesessen hat, habe ich nicht klären können, aber neben der ‘Tänzerin’ singt sie – und das werde ich nicht vergessen – seit vielen Jahren auch das ‘Hafencafé’, und zwar schon viel länger, als ‘Queen Bee’.