Berichte

Köln swingt – Benefizkonzert – 27.06.2004 – Köln

Jürgen Becker, Brings, Purple Schulz, Josef Piek, Hans Süper, Margie Kinsky, Lucky Kids, Big Band der Bundeswehr.

Was hatte ich mich beeilt, um zum Roncalli-Platz am Kölner Dom zu kommen, wo ein Benefiz-Konzert stattfinden sollte. Ich wollte mir zumindest einen noch einigermaßen guten Platz in der Mitte sichern, doch als ich eine Stunde vor Konzertbeginn vom Bahnhof um die Ecke bog, war der Bereich vor der Bühne so gut wie leer. Der Jonglierer an der Ecke hatte da eindeutig mehr Interessenten. Tja.

Ziemlich gelangweilt stand ich herum und sah den knapp vor und hinter mir vorbeirollenden Skatern zu. Ein paar Meter neben mir gab es eine Plastikabdeckung auf dem Boden, unter der Kabel lagen, die von der Bühne zum Mischpult liefen. “Fffffffffff” machte es, wenn ein Skater an mir vorbei rauschte, dann hörte ich das gleichmäßige “grrrrrrrrrr” der Rollen weiterlaufen, für einen kurzen Augenblick lang gar nichts mehr und dann das laute “Plock!” beim Aufsetzen, wenn die Abdeckung übersprungen war. Hätte ich mir doch nur ein Buch mitgebracht!

Langsam aber stetig wurde es voller, und auf der Bühne schob ein Roadie die Monitorboxen herum und sah fast aus wie Kai Engel von Brings. Witzig. Erst als er ein Akkordeon holte und testweise anspielte merkte ich, dass er es tatsächlich war.

Die etwa 100 Kinder vom Chor ‘Lucky Kids’ betraten die Bühne, um einen Soundcheck zu machen. Sie hatten alle gelbe oder blaue T-Shirts an und winkten glücklich lächelnd in das Publikum, von wo aus Eltern, Großeltern und Geschwister stolz lächelnd zurückwinkten. Fotoapparate und Videokameras wurden gezückt, um den Auftritt festzuhalten. “Aber’n System han die nit drin, dat die immer sagen: Blau-Gelb-Blau-Gelb”, wunderte sich neben mir eine Frau über den farblich unsortierten Anblick. “Nee”, bestätigte ihre Nachbarin nach einem Blick auf die Bühne.

Der Moderator des Abends erklärte dem Publikum, dass es eine Probe wäre und man noch nicht so richtig hinhören solle, dann kam der Kabarettist Jürgen Becker dazu und erklärte den Kindern: “Wir üben jetzt einfach mal zusammen. So viele Mitsänger hatte ich noch nie. Alle gelb-blau – ein herrrrlisches Bild!”

Musikalisch unterstützt von der Big Band der Bundeswehr, die inzwischen auch Platz genommen hatte, sangen sie das Mitschunkellied ‘Es ist alles Traben-Trarbach’. Die Kinder summten bei der Textzeile: “Jeder Mann ein bisschen lesbisch, jede Frau ein bisschen schwul” mit unbewegter Miene mit, während die Eltern mit unverändert lächelnder Miene gerührt zuhörten.

Der Soundcheck war kurz und klappte gut, darum konnten die Kinder schon bald wieder die Bühne verlassen. Inzwischen war der Domplatz ziemlich gefüllt und das offizielle Programm konnte losgehen. Die Moderatoren traten auf, Thomas Ernst in rosafarbenem Hemd, seine Kollegin Claudia Melters in rosafarbenem Kleid, und erklärten, dass es ein Benefizabend zugunsten der Kölner Kinder wäre und die Künstler alle honorarfrei auftreten würden. Frau Neven DuMont und der Bürgermeister Schramma sprachen nette Worte und baten um Spenden, dann begannen die Jungs von der Bundeswehr Big Band, die in ihren weißen Hemden und Hosen wie frisch vom Segelschulschiff aussahen. Der Kapitän dirigierte.

Der Sound war kräftig und voll, legte heftig los und die Bläsersätze fegten über den Platz. Sie hatten eine afrikanische anmutende, dunkelhäutige Sängerin mitgebracht, die ebenfalls gewaltig sang und optisch ein schöner Kontrast war.

Jürgen Becker kam dazu und erwähnte, dass er “gestandener Wehrdienstverweigerer” war. Er legte den Kindern auf dem Platz die musikalische Früherziehung ans Herz, denn “wenn ihr ein Instrument lernt, müsst ihr nicht nach Afghanistan.” Er wandte sich an die Berufssoldaten: “Ihr seid doch auch froh, dass ihr hier seid! Köln ist besser als Kabul.” Die Männer der Big Band lachten ebenso vergnügt wie das Publikum.

Jürgen Becker erzählte locker kleine Ausschnitte aus seinem Programm und erzielte viel Gelächter. Die Sonne schien, der Dom ragte groß und graugrün neben der Bühne auf und reichte bis in den blau-weißen Himmel hinein, und die Stimmung war bestens. Die ‘Lucky Kids’ stellten sich ordentlich, aber immer noch nicht farblich sortiert auf, leuchteten blau und gelb in der Sonne, und Jürgen Becker sagte: “Die sind aber nicht in der FDP – um Gottes Willen.”

Außerdem grinste er: “Die Big Band der Bundeswehr spielt mit einem Verweigerer – das ist Toleranz!” Gemeinsam wurde das Traben-Trabach-Lied gesungen, danach gab es ein eigenes Kinderchor-Lied, dessen Halbplayback-Schluss von einem fehlerhaften CD-Player etwas überstürzt eingeleitet wurde.

Im Anschluss betrat Tony aus dem Musical West-Side-Story die Bühne. Theatralisch und mit wohltönender Sprechstimme sagte er: “Maria”, und begann zur einsetzenden Halbplayback-Musik zu singen, doch da drehte der CD-Player völlig durch, sirrte laut und brach ab. Tony brach ebenfalls ab, grinste und ging von der Bühne, um nicht blöd rumzustehen, während der CD-Player überprüft wurde. Ich sah ihn im seitlichen Randbereich der Bühne vergnügt über die Panne lachen.

Nach einigen Minuten wurde er erneut angesagt, betrat immer noch grinsend die Bühne, sprach erneut ein wohltönendes “Maria!”, und erntete fröhliches Gelächter vom gut gelaunten Publikum, dem dieser Anfang bekannt vorkam. Der CD-Player benahm sich diesmal vorbildlich und Tony konnte richtig gut singen. Mitten im Lied bekam er sogar Extra-Applaus, weil er einen langen Ton schön kräftig und beeindruckend gut gesungen hatte.

Dann kam seine Maria endlich zu ihm, sah wirklich süß aus und die beiden sangen ein schönes Duett. Während das für die Zuschauer ein akustischer Genuss war, sahen viele offizielle und private Fotografen auch das schöne Bild und eilten vor die Bühne, um es in ihre Apparate zu bekommen.

In der Zwischenzeit verteilten sich die ‘Lucky Kids’ auf dem Gelände und sammelten in Eimern Spenden für den guten Zweck. Sozusagen eimerweise.

Der nächste Programmpunkt hieß Purple Schulz, sah nicht so aus, als hätte er sich jemals für die Soldatenlaufbahn interessiert und bekannte zum Thema: ‘Musik machen mit der Bundeswehr’, dass er zunächst Angst gehabt, dann aber gedacht hätte: “Die schießen nicht, die spielen nur!”

Der Moderator verkündete, dass Purple zur Zeit in Köln auf Tour sei, was diesen sehr erheiterte, dann setzte die Big Band zackig und laut mit Musik ein und Purple suchte eine Stelle, an der er einsetzen konnte. Da alles sehr temperamentvoll und laut war, war nicht ganz sicher, ob die Trompeten gerade die Begleitung für die Strophe oder für den Refrain schmetterten. Die Band wiederholte den Anfang nahtlos, Purple setzte passend ein und sang die ‘Verliebten Jungs’, während er mit Schwung über die Bühne sprang.

Anschließend kam Josef Piek dazu, und da das eigene Konzert im Bauturm-Theater mit Tommy Engel als Gast schon ausverkauft war, empfahl Purple einen Konzertbesuch bei den anstehenden Konzerten von Tommy Engel im Gloria, bei denen Josef Gitarre spielen würde. Nach längerer Ankündigung fragte er in Richtung Josef: “Gibt’s noch Karten?” woraufhin sich Josef ruhig zum Mikrofon vorbeugte und ein lknappes: “Nein!” sagte.

Purple am Keyboard und Josef an der Gitarre spielten anschließend zu zweit ein ruhiges ‘Immer nur leben’, und das gefiel mir in dieser Kombination viel besser, als es in einer Version mit der lauten Big Band hätte sein können.

Margie Kinsky und ein Partner vom Improvisationstheater ‘Springmaus’ spielten einen Sketch, bei dem Margie Schimpftiraden aus der untersten Schublade vom imaginären Balkon auf imaginäre Kindern herunterbrüllte und sich anschließend beklagte: “Nää, wat sin die Kinder aggressiv!” Sehr witzig.

Das Programm des Abends zeigte sich sehr abwechslungsreich. Allerdings swingte bei ‘Köln swingt’ nicht alles. Die Bundeswehr Band zum Beispiel nicht. Sie spielte laut, exakt und bestach durch punktgenaue Einsätze und klare Töne, aber die Lässigkeit fehlte. Genau auf den Rhythmus zu spielen war zwar perfekt, aber nicht jazzig. Der Leiter erwies sich beim Dirigieren als erstaunlich temperamentvoll, holte schwungvoll aus und sprang sogar mal hoch, um einen strahlenden Endton zu bekommen, blieb bei allen Bewegungen aber angespannt und kontrolliert. Dementsprechend kontrolliert flippte er aus. Der Grundklang der Big Band war sehr schön, die Musiker konnten spielen, aber der Swing kam einfach nicht auf.

Einige der Musiker zogen sich für ein weiteres Stück Kaftane über, die anderen warfen sich ein afrikanisch anmutendes Tuch über die Schultern, und die temperamentvolle, afrikanische Sängerin kam buntgekleidet dazu und begann ganz alleine das kraftvolle ‘Nan ts’ngonya’, den Ruf von Rafiki aus ‘Der König der Löwen’. Ihre Stimme war laut und voller Leben – toll!

Dann setzte die Big Band mit einer Fanfare und der anschließenden Begleitung ein – und zwei Welten trafen aufeinander. Da brachte dann auch die afrikanische Verkleidung der Bundeswehr-Soldaten nichts. Afrikanische Wildheit und Kraft stieß auf lautstarke, deutsche Exaktheit. Da konnte ich dann nur noch gequält lächeln, denn das war eigentlich schon zu schade, um noch witzig zu sein.

Der Moderator sagte die nächste Gruppe an, die zur Freude des Publikums “alle fünf auch wieder Wehrdienstverweigerer” waren, und Brings kam unter dem Jubel der Zuschauer auf die Bühne. Sie starteten mit Begleitung der Bundeswehr Band mit ‘Zo Foß noh Kölle jonn’, das Publikum rockte mit, vor der Bühne drehten sich Kinder tanzend im Kreis. Peter Brings hatte zunächst ein Käppi auf, outete sich später aber als kahlgeschoren.

Mittendrin sprang Purple Schulz über die Bühne, schwenkte eine weiße Stoffbahn und verkündete, dass es bei der Fußball-EM 1:0 für Tschechien stehen würde. Er sang eben noch einen Refrain mit und verschwand auf der anderen Seite in den Kulissen.

Brings brachte auch mit dem nächsten Lied ‘Su lang mer noch am levve sin’ Superstimmung auf den Platz, und ich stellte fest, dass sie dazu gar nicht so viele Zutaten brauchten. Sie machten sehr gute Musik, Peter Brings hatte eine tolle Stimme, aber außerdem kam einem die Melodie schon beim ersten Hören mitsingbereit vertraut vor und auch den Text hatte man schnell drauf, weil nach ein paar kurzen Sätzen Strophe etwa zweihundert Mal der Refrain wiederholt wurde.

Und der war gar nicht so schwer: “Su lang mer noch am levve sin, am laache, kriesche, danze sin, su lang mer noch am levve sin.” Wörtlich übersetzt: “So lange wir noch am Leben sind, am Lachen, Weinen, Tanzen sind, so lange wir noch am Leben sind.” So hatte man ganz schnell und ohne jegliche Probleme ein ganz langes Lied auswendig drauf, das man 10 Minuten lang textsicher mitsingen konnte. War ja auch mal schön.

Zur Abwechslung sprang Purple über die Bühne und zeigte das 3:0 an. Das nächste Lied, die ‘Superjeile Zick’ war ähnlich aufgebaut, hatte aber einen viel schwierigeren Text. Das hinderte die Leute nicht daran, wenigstens beim Refrain mehr oder weniger mitzusingen und tolle Stimmung zu haben. Vermutlich hatten die Bundeswehr-Soldaten, die aufgestanden waren und begeistert im Takt mitklatschten, keine Ahnung, was auf der Party, von der gesungen wurde, los war. Ansonsten hätten sie als Vertreter des deutschen Staates vermutlich nicht mitsingen dürfen.

Brings machte richtige Feierlaune und wurde nach dem Abgang mit lauten Zugabe-Rufen gelockt, kam aber nicht wieder, weil das offizielle Programm weitergehen musste. 13.500 Euro Spendengelder waren nach der Auszählung im Eimer, und der letzte Programmpunkt betrat die Bühne: Hans Süper, eine Kölner Karnevalslegende. Er wurde laut umjubelt und sein Erscheinen von den Kölnern gefeiert. Vor drei Jahren hatte er seinen Bühnenabschied erklärt und sich nach Spanien zurückgezogen, aber hin und wieder ließ er sich zu Kurzauftritten überreden.

Er erzählte, sang, war wieder das halbe ‘Colonia-Duett’ und wurde laut beklatscht. “Wollt ihr noch ene han?” fragte er nach dem ersten Lied ins Publikum. “Jaaa!”, erklang es aus vielen Kehlen, und er schüttelte lachend den Kopf: “Ihr kritt de Hals nit voll!”, und griff zur Mandoline. Auf einem Hocker in der Mitte der Bühne sitzend, nur von seiner kleinen Mandoline begleitet, sang er leise und melancholisch ‘Ich bin ne kölsche Jung’. Es war ruhig, zart und wunderschön, und es gab dabei ungewöhnlich viele, traurige Moll-Akkorde.

Beim Refrain setzte das Publikum zwar kräftig, aber gleichzeitig sentimental ein und feierte zum Glück in diesem Augenblick nicht karnevalsmäßig ab. In den Kulissen konnte ich Peter Brings und Kai Engel sehen, die vorher noch fetzig gerockt hatten, und nun ganz ruhig dort standen und leicht lächelnd auf Hans Süper blickten. Ein sehr schöner, zu Herzen gehender Abschluss der Veranstaltung. Hans Süper war in Köln Kult. Ganz ruhig stand er am Ende auf der Bühne, guckte ernst und ergriffen, und ein riesiger Beifall brandete auf. Das Dankeschön der Kölner für seine künstlerische Arbeit der vergangenen Jahre.

Ehe es zu feierlich wurde, kamen alle Mitwirkenden zum Finale auf die Bühne, die ‘Lucky Kids’ sangen “Oh, happy days” und wurden dabei von Künstlern und Publikum unterstützt.

Mit einer spontanen Polonaise wurde am Ende die Bühne leergeräumt, die Bundeswehr Big Band spielte den letzten Tusch und das Ende der dreistündigen, sehr abwechslungsreichen, kurzweiligen und spaßmachenden Veranstaltung war gekommen. Klasse! Auch wenn nicht alles geswingt hatte, egal.