Berichte

Purple Schulz, Josef Piek, Jess Jochimsen, Sascha Bendiks – 05.07.2004 – Köln

Purple Schulz & Josef Piek machen Gemeinsame Sache mit Jess Jochimsen & Sascha Bendiks.
Theater im Bauturm, Köln

Im kleinen Theatersaal saß das Publikum dichtgedrängt und unterhielt sich lautstark. Es kam mir vor wie bei einem Klassentreffen, denn die Jahrgänge der meisten Besucher lagen nicht so weit auseinander und viele kannten sich und winkten sich über die Reihen hinweg fröhlich zu. Als zur ersten Konzerthälfte Purple Schulz und Josef Piek auf die Bühne kamen und sich auf ihre Hocker setzten, waren alle Zuschauer sofort aufmerksam. Zumindest vorerst. Purple sagte: „Tach zusammen“, Josef sagte: „N’Abend“, damit war das Wichtigste gesagt und sie begannen sofort mit ihrem Programmteil.

Wunderschöne Lieder, sehr gut gebracht, und ich muss wohl nicht mehr schreiben, dass ich von den Beiden sehr begeistert bin. Leider gab es im eigentlich sehr guten Publikum einige Besucher, die sich auch während des Konzertes unterhalten wollten, und das dann nicht ganz leise, so dass immer mal wieder eine leichte Unruhe aufkam. Sehr schade.

Nach dem sanften, nachdenklich-schönen ‚Kinderleicht‘ meldete sich Josef unerwartet zu Wort: „Ich muss eine Ansage machen an die Engel da unten.“ Er blickte in Richtung Backstagebereich, den man über eine steile Treppe durch eine nicht ungefährlich wirkende Bodenöffnung erreichte. „Kann ich was zu trinken haben?“ Purple lachte und gab zu bedenken, dass es sich bei Engeln, die UNTEN wären, um kleine Teufelchen handeln würde.

Da sich aus dem Backstagebereich keine Reaktion zeigte, kletterte Josef kurzentschlossen selber runter. „Gut, dann erzähl ich was, während der Josef in den Hades hinabsteigt“, beschloss Purple grinsend, wurde aber schnell unterbrochen, als plötzlich laute Gespräche aus dem Backstagebereich bis nach oben zu hören waren. „Geht das auch ein bisschen leiser?“, rief er nach unten und klagte affektiert: „Ich hab‘ hier oben ein Konzert!“, wobei er sich eine imaginäre Haarpracht nach hinten strich.

Josef kam auf die Bühne zurück und kurze Zeit später erschien Jess Jochimsen kletternd durch die Bodenöffnung und brachte beiden Akteuren eine Flasche Bier vorbei. Das Publikum applaudierte erfreut, und Purple erklärte: „Die Jungs sind da unten natürlich nicht nur zum Bierholen, sondern die wickeln nachher auch Kabel auf …“

Gegen Ende des ersten Konzertteiles sang Purple ‚Sehnsucht‘, ein ruhiges, eindringliches und sehr emotionales Lied, das viel Schmerz zeigt. Zu meiner größten Verwunderung kicherten einige Besucher, als die klaren Töne des Glockenspieles durch den Raum drangen und es war leicht unruhig. Neben mir griffen zwei junge Frauen abwechselnd in eine knisternde Tüte und steckten sich Gummibärchen in den Mund. Unglaublich! An der ersten Stelle, die spannungsvoll aufgebaut wurde und an der ein Schrei erwartet wurde, blieb Purple stumm. Das war eine Situation, in der man ein, zwei Takte lang die Stille fühlen konnte und bei der man eigentlich vor Spannung die Luft anhalten musste. Jedes Kind würde das sofort so empfinden, aber im Saal gab es Leute, die auch da leise kicherten und das witzig fanden. Die Frauen neben mir kauten. Als Purple am Ende laut und mit aller Kraft sein verzweifeltes: „Ich will raus!!“ schrie, verhallte der Klang im Raum und in der atemlosen Ruhe danach wurde neben mir unter lautem Knistern in die Tüte gegriffen, um das nächste Gummibärchen zu angeln. Wo waren wir? Im Kino, wo man gemütlich Chips knabbert und dabei zusieht wie die Titanic untergeht? Wie abgestumpft muss man sein, um in diesem Augenblick für die Umgebung störend in knisternden Tüten zu wühlen?

Zum Glück und zu meiner großen Beruhigung war die Mehrheit der Besucher sehr beeindruckt und applaudierte nach dem Lied lange, laut und sehr kräftig. Zur Pause schlug Purple wie in der Vorwoche vor: „Wenn ihr fertig getrunken habt und frische Luft geschnappt habt, kommt ihr wieder rein und ruft laut Hallo!“. Ich grinste, denn das hatte in der letzten Woche auch schon nicht geklappt.

Die Pause wurde nicht nur vom Publikum zur Abkühlung gebraucht, sondern auch von den Darstellern, die in der Zeit auf der Bühne umbauten. Ich guckte gespannt zu, denn ich wollte wissen, wer Sascha Bendiks war. Jess Jochimsen kannte ich von einigen Veranstaltungen, aber sein musikalischer Partner war mir bis zu diesem Abend völlig unbekannt. Auf der Bühne wuselten mehrere Leute herum, die alle Sascha Bendiks hätten sein können, und ich freute mich, als jemand: „Geht es jetzt, Sascha?“ rief und einer der Herren an der Gitarre klimperte, sich umdrehte und „Ja!“ antwortete. Ich hätte natürlich ganz einfach bis zum Beginn des zweiten Programmteiles warten können, um dann aus vier möglichen Personen, von denen ich drei eindeutig zuordnen konnte, unglaublich zielsicher die mir unbekannte vierte Person als Sascha Bendiks zu identifizieren, aber das wäre ja nicht so spannend gewesen.

Die Pause war vorbei, der Saal wieder voll. Endlich kamen im Publikum „Hallo“-Rufe auf, und sofort kletterte Purple aus dem Bodenloch und kam auf die Bühne. Verblüffend gut! Wahrscheinlich hatte er seit 10 Minuten sprungbereit gesessen und gewartet, dass jemand „Hallo!“ rief.

Purple stellte sich in die Mitte der Bühne und berichtete, wie er Jess Jochimsen kennengelernt hatte. Er hatte WDR 5, ‘Unterhaltung am Wochenende’ gehört, in der Jess Jochimsen über seine „furchtbar schwierige Kindheit und vor allem über seine Pubertät” las. Purple grinste: „Ich bin nicht sicher, ob er da irgendwann mal raus kommt.“ Um nicht alleine Musik machen zu müssen, hatte Jess Jochimsen seinen Kollegen Sascha Bendiks mitgebracht. Aus diesem Grund stand an diesem Abend nicht nur die Gitarrensammlung von Josef auf der Bühne, sondern auch die von Jess und Sascha, so dass Purple feststellte: „Es ist ein bisschen wie beim AC/DC-Konzert.“

Jess Jochimsen und Sascha Bendiks kamen unter viel Begrüßungsapplaus auf die Bühne und Purple und Josef verschwanden in den Backstagebereich, um ihnen erstmal die Bühne zu überlassen . „Vielen Dank!“, sagte Jess, während er ein kleines elektronisches Schlagzeug aufbaute. „Ich bin sehr aufgeregt. KONZERT!“ Die ersten vier Stücke wollten sie alleine machen. „Purple und Josef haben gesagt, wir sollen gerne Stücke machen, die wir sonst nicht so spielen. Das ist nicht das Problem – drei unserer vier Stücke spielen wir heute zum ersten Mal.“

Sie legten los, Sascha am Keyboard, Jess an dem kleinen Schlagzeug, das wie aus dem Spielwarenladen aussah. Sehr ernsthaft und temperamentvoll, aber auch mit spannungsvollen Pausen sangen sie ein Zuhörlied, das eigentlich eine Geschichte war, und das Publikum hatte sofort viel Spaß und lachte laut los. Jess strich liebevoll mit den Besen übers Schlagzeug und explodierte wenige Sekunden später fast beim Break, Sascha sang die Leadstimme, und ich war von der witzigen, lässigen und gleichzeitig ausdrucksvollen Darstellung sehr angetan.

Ich freute ich mich, Jess Jochimsen auch mal anders als lesend oder moderierend zu erleben. Und ich freute mich, Sascha Bendiks ÜBERHAUPT mal zu erleben, denn da hatte ich mal wieder eine Bildungslücke. Es war schon erstaunlich wie viele Bildungslücken sich bei mir an den Montagen im Bauturm-Theater zeigten. Aber ich war ja lernfähig.

Ein etwas schräges Lied über „Dörte Becker“ war witzig und gefiel mir sehr. Die beiden Jungs sangen extrem ernsthaft und legten dabei an den Instrumenten temperamentvoll los. Das Ergebnis hatte fast Rockband-Feeling, war sehr gut und wirklich unterhaltsam! Dass das Publikum immer wieder laut loslachte, weil der Text viele Klischees aufgriff, war gewollt. Er erwähnte, dass das Dörte-Lied von Rainald Grebe war, und hämmerte ein: „Rainald Grebe, Rainald Grebe, Rainald Grebe. Man kann diesen Namen nicht oft genug sagen. Rainald Grebe.“

Jess Jochimsen sagte danach: „Wir sind ’ne Band mit Botschaft.“ Sascha lachte auf: „Wir sind ’ne BAND?“, und Jess grinste: „Wir sind ’ne Band. Ich hab’s zum ersten Mal gesagt, aber es kam mir gut über die Lippen.“ 

Mit Film-Synchronsprecher-Stimmen brachten sie danach Filmzitate und schlugen vor, die mal im Alltag anzuwenden. „Lassen Sie mich durch – ich bin Arzt!“ zum Beispiel, oder auch „Wir müssen alle raus hier! Die Kiste kann jeden Augenblick explodieren!“ Die Zuschauer amüsierten sich sehr, und Jess behauptete: „Wir können 90 Minuten Programm machen mit Filmzitaten!“, was ich nicht bezweifelte.

Das Theater im Bauturm lag an der Aachener Straße, bei der freie Parkplätze selten waren. Jess gab ein Beispiel, wo ein Zitat angebracht gewesen wäre: „Als wir angekommen sind, also die Aachener ist jetzt nicht so die Straße, wo man parkt …“, das erfahrene Publikum lachte schallend los. „Wir haben beim Ausladen einen Strafzettel bekommen, aber wir saßen noch im Auto DRIN!! Da hätte man aus dem Auto hechten und der Politesse zurufen müssen: „Wenn SIE HIER sind, WER schützt dann den PRÄSIDENTEN??“

Nach den vier Liedern kamen Josef und Purple auf die Bühne zurück und Purple feixte: „So, soll’n wir jetzt mal wieder ’n bisschen MUSIK machen?“ Mit wechselnder Instrumental-Besetzung gab es einige Lieder der Gäste zu hören, die von Purple und Josef begleitet wurden. Die Stimme von Sascha war klasse. Er konnte rau oder sanft singen, manchmal beides gleichzeitig und sang ernsthafte oder auch völlig abgedrehte Sachen. Sehr gut gefiel mir dabei, dass man nicht immer wusste, ob es gleich noch witzig werden würde oder doch eher romantisch blieb.

Jess wechselte Gitarren in allen Größen zwischendurch gegen das elektronische Schlagzeug aus, sang die zweite Stimme und erwies sich als sehr taktsicher und musikalisch. Stimmlich war er eher temperamentvoll als schön, aber zu den Liedern passte es und machte Vergnügen beim Zuhören.

Im Hintergrund der Bühne wurde ein schwarzer Vorhang entfernt und eine große Leinwand war zu sehen, auf der es einen Diavortrag gab. Jess kündigte ihn mit den Worten an: „Dias von Orten, wo man denkt: Da möchte ich sterben!“ Es gab gesammelte Fotos von seltsamen Schildern, Gebäuden und Situationen zu sehen, zu denen live eine sehr passende, süßlich wabernde Musik gespielt wurde. Die Zuschauer lachten oft laut los – eines der Foto-Highlights war das Fitnesscenter mit Rolltreppen am Aufgang -, und die Stimmung im Theater war eine Mischung aus gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre und aufgedrehter Partylaune.

Das ganze Programm der zweiten Hälfte war gemischt und sehr kurzweilig. Immer passierte etwas Neues, mal gab es ein abgedrehtes Lied, dann einen guten Zwischenkommentar, dann wieder ein ganz ruhiges, ernstes Lied. Besondere Hingucker waren oft die völlig ernsthaften Gesichter der beiden Gäste, die in schönem Gegensatz zu ihren witzigen Aktionen standen.

Ich guckte nach geschätzten 30 Minuten auf die Uhr und es waren schon 52 Minuten vergangen. Als Sascha etwas später ankündigte: „Wir kommen jetzt zum allerletzten Stück“, reagierte das Publikum mit enttäuschtem „Ooooooh!“, und Sascha grinste breit: „Ist das putzig!“ Er bedankte sich für den Spaß, den sie gehabt hatten und freute sich, dass Purple und Josef sie eingeladen hatten. Das Publikum fand das auch und unterstützte den Dank mit dickem Geklatsche.

Purple warf schnell ein, dass er es toll fand, dass Jess extra zwei neue Akkorde gelernt hatte, und Jess bekräftigte heldenmutig, die Gitarre für das letzte Lied schon in der Hand: „Ich werde das Solo spielen. Laut!“

Nach dem Lied Jubel, gemeinsame Verbeugung, Abgang, langes Geklatsche, erneuter Auftritt, Zugabe. Das Publikum zeigte sich begeistert, und Jess setzte sich auf einen Hocker und las eine seiner Geschichten vor. Er erklärte vorher, dass es eigentlich ein lustiger, fieser Text hätte werden sollen, der dann aber doch etwas traurig wurde. Es ging um Phillip, Dattelpreise und Fahrradreifen ohne Luft, und es war tatsächlich bei allem Witz auch traurig und machte ein wenig nachdenklich. Außerdem zeigte es, wie empfindsam Jess Jochimsen war und wie genau er beobachten konnte.

Hochgestellte Haare, schnodderige Schnauze, auf der Bühne immer einen passenden Spruch auf den Lippen, ein cooler Typ, der viel abgedrehten Humor, aber wenig ungeplante Emotionalität zeigte. Er wirkte sehr selbstsicher, trug mit kräftiger Stimme seine Texte vor und spielte überzeugend lässig den Rockstar. Aber innen drin dann doch leiser, nachdenklich und sensibel. Muss ja nicht sein, dass jeder sein Innerstes auf der Bühne preisgibt, aber ich fand es schön, dass auch die leisen Töne zu hören waren. Manchmal treffen die tiefer als alle lauten.

Die Zuschauer hörten mit Ruhe der sehr lebendig vorgetragenen Geschichte zu, und auch die Kollegen auf der Bühne lauschten konzentriert. Der Schluss war anrührend und wunderbar leise. So cool war der Typ gar nicht.

Nach den vielen lauten Lachern im zweiten Programmteil gab es am Ende noch einen ruhigen musikalischen Abschluss, bei dem Sascha Akkordeon spielte, mit rauer Stimme sang und von den anderen begleitet wurde. In die letzten, sanften Akkorde hinein sprach Jess: „Vielen Dank fürs Zuschauen und Zuhören, kommt gut nach Hause!“, nannte abschließend: „Purple Schulz, Josef Piek und Sascha Bendiks!“, und Purple ergänzte: „Und Jess Jochimsen!“

Das Publikum jubelte, klatschte, pfiff, johlte und zeigte, dass der Abend ein voller Erfolg gewesen war. Die vier Akteure winkten lachend, verbeugten sich, gingen nacheinander durch das Bodenloch in den Backstagebereich zurück und es war Schluss.

Der fünfte Abend der Reihe war vorbei und hatte mir sehr gut gefallen. Die Kombination Jess Jochimsen und Sascha Bendiks passte wunderbar und die beiden hatten ein witziges, kurzweiliges Programm geboten. Purple und Josef hatten sich sehr zurückgenommen und nur vorsichtig begleitet, was Jess und Sascha an eigenen Liedern vortrugen. Es waren perfekte Gastgeber, die jedem Gast das ideale Umfeld boten, weil sie sich nicht in den Vordergrund spielen wollten, sondern Raum für die Persönlichkeit des Gastes boten. Diesmal also keine gemeinsam gespielten Purple-Schulz-Lieder, dafür mehr aus dem Programm der Gäste. Ich fand den Abend superklasse.