Maybebop – Schöner Schein – 15.12.2024 – Neustadt
Saalbau, Neustadt an der Weinstraße
Ich bin ja nun wirklich kein großer Weihnachtsfan. Nicht mal ein kleiner. Darum besuchte ich auch keine Weihnachtskonzerte, weil mir die schnell zu festlich, zu kitschig oder zu piefig waren. Bei Maybebob-Weihnachtskonzerten war das anders. Die waren sowohl lustig als auch berührend und nervten mich kein bisschen.
Neustadt an der Weinstraße hatte eine hübsche, verwinkelte Altstadt und einen angenehm beschaulichen Weihnachtsmarkt, der neben einer großen Weihnachtspyramide und einem altmodischen Karussell viele Buden mit Essen und Trinken bot, aber nur wenige kommerzielle Verkaufsflächen. Das gefiel mir und kam mir viel netter vor als die großen städtischen Weihnachtsmärkte, die ich – ebenso wie Weihnachtskonzerte – normalerweise nicht besuchte. Im interessant gebauten Saalbau von Neustadt a.d.W. fand das Weihnachtskonzert „Schöner Schein“ statt. Der große Saal war voll.
Kurz vor Konzertbeginn sammelte sich dichter Qualm auf der Bühne. Das sah nach einem weihnachtlichen Schwelbrand aus. Als würde im Backstagebereich gerade ein Weihnachtsbaum abbrennen oder ein angetrockneter Adventskranz qualmend bis zur Tischplatte durchschmoren. Ich fand’s stimmig. Dann ging auch noch das Licht aus – einen kurzen Moment lang hätte das die Hauptsicherung sein können – aber dann wurde es auf der Bühne wieder hell und das Konzert begann.
Carol of the bells, ein englisches, hundert Jahre altes Weihnachtslied erklang. Es war viel „Ding dong ding dong“ zu hören, dazwischen kurze Sätze und Assoziationen zur Weihnachtszeit, und immer wieder durcheinander und miteinander klingende Kirchenglocken. „Ding dong ding dong ding. That is their song. With joyful ring. Ding dong ding dong ding …“ Es war ein ganzer Turm voller Glocken, die fröhlich und voller Energie Weihnachten verkündeten. Die Frage, wie man zu viert diese Fülle von Ding-Dongs und den ständig wechselnden Text durchhielt und immer noch wusste, wo man dran war, musste ich zum Glück nicht beantworten. Es war beeindruckend. Und es war sofort weihnachtlich.
Der Applaus nach dem Lied, der gleichzeitig auch der Begrüßungsapplaus für Maybebop war, war außergewöhnlich lang und laut. Die Maybebops lächelten etwas überrascht und mussten warten, bis fertig geklatscht war. „Gleich ein Schlussapplaus am Anfang“, freuten sie sich, als sie wieder zu Wort kamen.
Passend zum Fest waren die Maybebops festlich in Anzüge gekleidet. Ich vermutete Samt. Dazu gab es farblich passende Fliegen, Bauchbinden sowie sehr glänzende Lackschuhe. Stilvoll und perfekt. Ich hatte die gesungenen Glocken noch im Ohr und wusste sofort wieder, warum ich die Weihnachtskonzerte von Maybebop so gerne mochte. Sie gingen respektvoll und wertig mit den schönen traditionellen Liedern um, die auch Kirchenlieder sein konnten, ohne dabei salbungsvoll oder religiös zu werden. Gerade das betont feierliche und übertrieben gefühlvolle Gesinge, das es woanders oft gab, nervte mich nämlich gewaltig. Und natürlich wusste ich, aus welchem Grund Weihnachten gefeiert wurde, hatte mich aber weit von der Kirche entfernt und wollte darum keine religiöse Erbauung und ständiges Gesinge rund um die Bibelgeschichte. Das Heruntersingen von Liedern, die man Zuhause unter dem Weihnachtsbaum sang, fand ich auch zermürbend. Die Maybebops trafen genau meinen – ziemlich kleinen – Weihnachtspunkt. Sie schafften es, eine Rund-um-Weihnachten-Atmosphäre zu schaffen, die von nervigen Familienfeiern, Schneeflocken, lustigen Erlebnissen bis hin zu sehr ergreifenden Weihnachtsliedern ging. Ich konnte lachen, gebannt zuhören oder auch tief versinken. Immer abwechselnd. Und es war nie langweilig, denn auch die traditionellen Lieder hatten ein spannendes Arrangement. Das passte alles. – Natürlich ganz abgesehen vom großartigen Gesang und den insgesamt tollen Arrangements.
Weiter ging es mit Weihnachtsträumereien, die musikalisch wie ein traditionelles Familienweihnachtslied klangen – also fröhlich und locker wie „Ihr Kinderlein kommet“ -, inhaltlich allerdings gar nicht so nett waren. Da wünschte sich manch einer sich selber oder jemand anderen an den Festtagen weit weg. Zum Glück fanden die jeweiligen Träumereien innerlich statt, während nach außen der Schein gewahrt wurde. Mir gefiel, wie der Klang des Stückes bei der Strophe über einen Kirchenbesuch sofort wie ein Kirchenlied klang, das von einer Gemeinde mitgesungen werden konnte.
Christoph konnte als Bass tief singen. Immer wieder war ich erstaunt, wie tief. Bei Happy birthday bei Gotts sang er von der jährlichen Geburtstagsfeier, die für das „Jesulein“ stattfand, und bei der alle möglichen Götter zur Feier kamen und sehr menschliches Verhalten zeigten. Warum sich Buddha zwischen den Göttern befand, der gar kein Gott war, ließ sich nicht aufklären. Vielleicht weil er figurmäßig zum Kuchenbuffet passte, vor dem er laut Text stand.
Mit Ballerei, Toten und Gemetzel ging es weiter, denn das lief, wie Lukas in der Leadstimme sang, an den Weihnachtstagen im Fernsehen: Das Programm zu Heiligabend. Das stimmte ja nun tatsächlich, wie ich beim Blick in die Programmzeitung in jedem Jahr verwundert feststellte. Auf der Bühne wurden die TV-Morde auch bildlich dargestellt, was sehr erheiternd war. Lukas wurde auch für ihn unerwartet von seinen Kollegen eingekreist und hatte Mühe, sich zu befreien, was ihn singend kurz auflachen ließ. Das Publikum hatte Spaß.
Olli berichtete über ihre neue Weihnachts-CD „Schöner Schein“ und dass sie in den ersten Tagen nach der Veröffentlichung sensationell gestreamt worden sei. „Die ist so viel gestreamt worden – wir haben mindestens dreißig Euro verdient!“, freute er sich gespielt. Dann hielt er eine hoch und fragte: „Wer will eine CD?“ Natürlich zeigte ich nicht auf, denn erstens hatte ich mir die CD vor dem Konzert am Artikelstand gekauft und zweitens wusste ich, dass das ziemlich sicher eine Einladung auf die Bühne bedeutete. Das wussten oder ahnten auch andere Zuschauer, weswegen nicht mal die Hälfte von ihnen ihre Hand hochstreckten. Das verwunderte Olli erstmal, der es dann aber mit „wahrscheinlich schon gestreamt“ erklärte. Schnell waren eine Kandidatin und ein Kandidat ausgewählt, die auf die Bühne gebeten wurden, was sie sichtbar überraschte. „Habt ihr noch einen CD-Player?“, fragte Olli, als sie ankamen. Die Frau nickte, der Mann überlegte: „Ääh …“, da rief eine Frauenstimme aus dem Publikum laut und bestimmt: „Ja!“ War das auch geklärt.
Zwei Maybebops knieten sich hin, die Kandidaten stellten sich hinter sie und bekamen erklärt, dass der jeweilige Kopf vor ihnen der Buzzer wäre, auf den sie zu hauen hätten, wenn sie die Lösung wüssten. Es ging darum, den Titel eines gesungenen Weihnachtsliedes herauszufinden. Erschwert wurde das durch den Text eines anderen Weihnachtsliedes, der zur gesuchten Melodie gesungen wurde. Alles klar.
Die Maybebops sangen vierstimmig die Melodie von „Stille Nacht“, nahmen dazu aber den Text von „Oh, du Fröhliche“. Die Kandidatin auf der Bühne nickte und wippte währenddessen fröhlich mit, hatte anscheinend aber nicht verstanden, dass sie den Buzzer nutzen sollte. Der Kandidat guckte konzentriert ins Publikum und wartete ab. Als die erste Strophe durch war, ohne dass einer der Kandidaten sich bemerkbar gemacht hatte, fragte Olli nach dem Titel des Liedes. „Oh, du Fröhliche“, sagte der Mann. Das Publikum lachte vergnügt auf. Olli fragte bei der Dame nach, die selbstbewusst: „Oh, du Fröhliche!“ sagte. Olli erklärte nochmal, dass nicht der Text, sondern die Melodie erkannt werden sollte und wie der Buzzer genutzt werden musste.
Es wurde lustig. Sehr. Der Buzzer wurde weiterhin nicht zuverlässig betätigt, das Publikum sang in jeder Runde nach den ersten Tönen laut den richtigen Text mit, was die Kandidaten auf der Bühne aber noch mehr verwirrte, der Mann nannte in der zweiten Runde und ohne jeden Grund schon wieder: „Oh, du Fröhliche“, und mit viel Gelächter, lachendem Kopfschütteln bei den Buzzer-Maybebops und großen Extra-Hilfen gab es schließlich eine mühsam zum Sieg gezogene Gewinnerin. Da war das gesuchte Lied tatsächlich „Oh, du Fröhliche“, aber da hatte sich der Mann anscheinend nicht mehr getraut, das ein weiteres Mal zu nennen. Die Dame bedankte sich überschwänglich, küsste ihren Mitkandidaten überraschend auf die Wangen und zog winkend ab. Jan blickte ihr hinterher und grinste: „Ich möchte das, was die Dame genommen hat!“
Nach dem Buzzerspiel herrschte im Saal lachende Partystimmung, da passte das nächste Lied. Es ging lustig zu beim gut gelaunten Fanta-Klaus, der im Kreiskrankenhaus Stimmung machte. Eher beiläufig kam heraus, dass er zu den Menschen gehörte, die über die Feiertage ins Krankenhaus gingen, weil sie dort nicht alleine waren und es Essen und Getränke gab. Die Klinik als Zufluchtsort gegen Einsamkeit und Armut.
Dass die Maybebops danach auf eine Spendensammlung für die Tafeln in Deutschland hinwiesen, passte und war schön. Dass ich erst einige Minuten danach kapierte, dass Fanta-Klaus eine Abwandlung von Santa Claus war, lag vermutlich an mir. Bis dahin dachte ich mehrfach: „Warum denn Fanta und nicht besser Kaffee? Es geht doch im Text gar nicht um Limonade!“ Na, auch bei mir klingelt dann mal ein Glöckchen.
Lukas sang danach sehr schön und sanft Was ich besaß. Über den Zauber von Weihnachten, der sich im Laufe der Jahre veränderte und ihm verlorenging. Dabei war doch von den brennenden Kerzen bis zum geschmückten Baum alles da, so wie in den Jahren davor. Erst als in einem Jahr wieder große Kinderaugen Weihnachten erlebten, war der Zauber wieder zu spüren. Hach, schön. Ich mag die Stimme von Lukas ja sehr. Allerdings auch die von Jan, die von Olli und die von Christoph.
Die Nacht ist vorgedrungen war sehr intensiv und wirkte wie ein mittelalterliches Gebet voller Hoffnung. Wunderschön arrangiert und gesungen. Ich merkte beim Zuhören, wie mein Unterkiefer immer stärker nach unten zog, was bei mir, zusammen mit einem debilen Blick, auf absolute Entspannung und Seligkeit hindeutete. Große Klasse.
Während ich noch aufpassen musste, vor Entspannung und Glück nicht zu sabbern, kam sofort danach knallharter Deutsch-Rap. Jan war der KNG of LightZ, der „die hellste Villa der Stadt hat“, weil er sie mit Weihnachtsbeleuchtung vollballerte. Er stand zwar im Samtanzug auf der Bühne, die dicken Goldketten, das offene Hemd und der aufgetunte Wagen waren aber quasi zu hören. Sehr cool gebracht. Gepitchtes Gesinge, im Refrain, der von Christoph gesungen wurde, mit sehr metallischem Klang – super!
Zwischendrin gab es, ebenfalls von Christoph, eine Runde superschnelles Gerappe, bei dem er vermutlich zwei Zeilen pro Sekunde raussprudelte. Oder drei. Unfassbar. Und sehr authentisch. Am Ende winkte das Publikum aufgedreht im Takt mit und die Stimmung hatte wieder was von Party.
Was für ein Wechsel! Eben noch langsam, intensiv und ergreifend mit „Die Nacht“, danach knallig und metallisch mit Rap. Erstaunlicherweise ging das und auch das Publikum ging ohne Probleme mit. Es wurde gejubelt. Die Maybebop drehten sich zur Seite und gingen ab in die Pause. Was? Jetzt schon? Es hat doch gerade erst angefangen! Zumindest gefühlt. Ich war noch gar nicht auf Pause eingestellt. Der Blick auf die Uhr zeigte, dass alles stimmte.
Die Anzüge in der zweiten Konzerthälfte hatten kein einheitliches Farb- und Stilkonzept, sondern eher die weit gehaltene Überschrift: „Festliche Familienfeier im Anzug“. Das Ergebnis war lebensecht. Jeder kleidete sich so, wie er wollte und nebeneinanderstehend passte es dann nicht unbedingt zusammen. Während Lukas eher unauffällig festlich gekleidet war, allerdings eine Kappe zum Anzug trug, und bei Jan ein kleines, ungewöhnliches Muster im Anzugstoff aus der Entfernung kaum zu sehen war und nur die Hosenbeine so gekürzt waren, dass sie die farbigen Socken gut erkennen ließen, trug Olli eine gewagte Kombination aus hellem Jackett mit dunklem Rot und knalligem Türkis, kombiniert mit einer dicken schwarzen Brille. Christoph hatte anscheinend den Bezugstoff eines Sofas abgezogen und in einen Anzug umarbeiten lassen und trug dazu ein auffälliges Halstuch mit Glitzerzeug und Hut. Ich mochte es. Alles. Auch das Konzept, das eigentlich keines war, von mir aber doch als eines erkannt wurde.
Tragisch ging es weiter mit Der Tod des Weihnachtsmannes. Den wenig bekleideten Weihnachtsmann entdeckte nämlich der Papa im Schrank und warf ihn aus dem Fenster. „Du wirst die Schwerkraft schon besiegen“. Ein hoffnungsvoller Wunsch zur Weihnachtszeit. Ollis sang es sanft und schön.
„Happy birthday, lieber Jesus!“, hieß es anschließend als Geburtstagslied in Danke Jesus und ging locker und leicht von Lukas in der Leadstimme weiter: „Danke, Jesus, dass du geboren bist. Heiligabend wäre ohne dich echt trist.“ Alles gesungen in der Stimmung erbaulicher Gottesdienstlieder, die ich sonst gar nicht mochte, was ich in diesem Fall aber richtig gut fand.
Grünland ging ans Herz. Es war kein neues Lied und ich mochte auch das Video dazu sehr. Olli sang traurig-schön vom Weihnachtsmann, der samt Elfen und Rentieren nicht mehr gebraucht wurde. „Nichts ist für immer. Es ist schon okay. Manchmal fehlt mir der Schnee.“ Warum fehlte der Schnee? Lag es am Klimawandel oder war Weihnachten inzwischen in kommerzieller Hand und hatte keinen Zauber mehr? Der Grund war mir nicht ganz klar, aber auch egal. Es war ein so wunderbar sentimentales Lied mit einer wunderschönen Melodie, dass ich Gänsehaut hatte, nur wenig atmete und sehr gerührt guckte. So schön!
Als Klassiker in Maybebop-Umsetzung gab es Es kommt ein Schiff geladen. Jan sang klar und schön die Hauptstimme, Lukas klopfte das Mikrofon bei jeder Eins im Takt fest gegen sein Bein, so dass ein dumpf-bassiges Wumm einen ruhigen, aber doch gewichtigen und treibenden Rhythmus gab. Mir wurde wieder mal bewusst, dass die Maybebops sehr, sehr leise, aber auch sehr, sehr laut singen konnten, sehr tief und sehr hoch, und sehr oft klangen sie nach deutlich mehr als vier Personen. Es war immer wieder beeindruckend.
Vor dem nächsten Lied erzählten sie, dass sie vor dem Konzert noch auf dem Weihnachtsmarkt in Neustadt gewesen waren, und der ihnen in seiner Beschaulichkeit gut gefallen habe. Sie schienen mit dem Besuch von Weihnachtsmärkten aber nicht sehr erfahren. Lukas sagte, dass er Weihnachtsmärkte „im Osten“ kannte, bei denen gäbe es Fahrgeschäfte wie „die wilde Maus“. Das verwunderte die anderen. Jan wurde auf den DOM in Hamburg hingewiesen, der auch Fahrgeschäfte habe, was er bestätigte, aber ergänzte mit: „Da gehe ich nicht hin.“
Olli erzählte von einem Lied aus seiner Kindheit, das auf einer alten LP zu hören war. Peter Alexander und der Tölzer Knabenchor sangen dort „Schnee fällt“ und das wurde zum Mitsinglied des heutigen Konzertabends. Anstelle von Peter Alexander und den Tölzer Knaben, – die nicht da waren – wobei das bei vereinzelten Tölzer Knaben nicht mit Sicherheit zu sagen war, wenn sie auch inzwischen als „Tölzer Männer“ bezeichnet werden müssten – sangen die Konzertbesucher. Zum Glück mit Unterstützung der Maybebops.
Erst wurde in langsamen Tempo geübt, der Text wurde eingeblendet, dann wurde es schneller und die Maybebops sangen mit. Hohe Frauenstimmen sangen: „Schnee fällt, Schnee fällt“, dann setzten Männerstimmen tief und voll ein: „Was machen wir da?“, und die hellen Stimmen sangen: „Eine Schlittenfahrt!“ Es machte Spaß und ich fand das Ergebnis erstaunlich gut. Allerdings war alles sehr schnell, und weil der eingeblendete Text optisch nicht Männer- von Frauenzeilen unterschied, piepste ich manchmal bei den dunklen Herren rein, weil ich dachte, ich sei wieder dran. Als ich gerade dachte: „Jetzt kann ich es!“ und sicher in die nächste Runde starten wollte, war es fertig. Es gab großen Applaus vom Publikum – auch für die eigene Leistung. Ein großer Spaß!
Traditionell war auch das bekannte God rest you merry, gentlemen. Im Arrangement gab es arabische Vierteltöne, was ich sehr faszinierend fand. Ein sehr dynamisches Lied. Toll.
Danach wurden Begriffe für die Impro gesucht. Schnell kamen zusammen: Tschibo Outlet, Bienenwachskerzen, Gurkenhobel, heiße Schokolade, Doppelglas (korrigierende Rufe aus dem Publikum) … Dubbeglas? (erklärende Rufe aus dem Publikum) … Häh? Was soll das sein? (noch mehr erklärende Rufe aus dem Publikum) … ach, egal … und Lebkuchenhaus. Die Stilrichtung war Swing. Wieder mal spann Olli spontan eine erstaunlich logische und weitgehend gut gereimte Geschichte zusammen. Ich bewunderte das. So schnell könnte ich gar keine zusammenhängende Erzählung singen, geschweige denn mir auch nur drei Begriffe länger als zehn Sekunden merken. Natürlich bekam das Dubbeglas, als es eingearbeitet war, einen freudigen Sonderapplaus des Publikums.
Es ging zurück zur besinnlichen Weihnachtszeit und Olli mahnte Alkoholfreiheit an. Bleibt Heiligabend nüchtern. Es gab aber Ausnahmen für gewisse Getränke. Mehrere. Viele. Die Zungen der Maybebops wurden schwerfälliger, die Körperhaltung ging verloren, während sie „abgrundtief in die Gläser schauten“, die Aussprache wurde lallender. Die gesungenen Töne blieben wundersamerweise korrekt, auch wenn die letzten Sätze hemmungslos herausgegrölt wurden. Sie waren in feier(licher) Stimmung, wenn auch nicht ganz weihnachtlich. Es war sehr lustig.
Nach dem letzten Ton kippte Lukas nach hinten um und blieb liegen, die anderen verließen nicht ganz trittsicher die Bühne. Es gab viel Jubel.
Bei Adventskalender im September wurde Jan zum dramatischen Countertenor, der mich an Klaus Nomi erinnerte. Sehr klasse. Das Lichtkonzept der Show war im Übrigen auch sehr schön, abwechslungsreich und immer passend zum Lied gestaltet.
Es gab viel Applaus, den Jan divenhaft lächelnd und mit langsam ausgeführten Handküssen zum Publikum entgegennahm.
Ursprünglich war zum Jahresabschluss der Flashback 2024 geplant gewesen, ein Medley der großen Jahreshits. „Die Hits nehmen uns nicht mehr so mit“, erklärte Lukas den Grund, warum sie das nicht gemacht hatten. Ein Ed Sheeran- und Taylor Swift- Medley wollten sie auch nicht haben, darum hatten sie 40 Jahre zurückgeschaut ins Jahr 1984, das sich als „Goldener Schnitt der Popmusik“ gezeigt hätte. Der Flashback 2024 war darum der Flashback 1984. Vielleicht könnte man ihn nennen: Flashback 2024/1984. Olli rief: „Singt mit, ihr kennt die alle!“ Das bezweifelte ich, denn ich war schon im Jahr 1984 bei aktueller Musik nicht immer drin gewesen.
Sie legten los und tatsächlich: Ich kannte alle. „Wake me up“, „Ghost Busters“, „Dancing with tears in my eyes“, „Footloose“ … Im Publikum wurde bei jedem Lied kräftig mitgesungen und auf der Bühne gab es jeweils eine die passende Choreografie. Es ging wild ab und traf Erinnerungsnerven. Was für eine Stimmung!
Nach dem letzten Ton gab es Superjubel und Standing Ovation. Verdient.
Sofort ging es von der jubelnden Lautstärke zum wunderschönen Nacht, Nacht, heilige Nacht. Es war wie ein eindringliches Abendgebet und berührte sehr. Die Töne klangen durch den stillen Saal und als der letzte Akkord verklang, gab es eine Fünf-Sekunden-Stille, ehe der Applaus losplatzte. Und wieder gab es Standing Ovation. Die vier Maybebops verbeugten sich, verließen über die Treppe die Bühne und gingen durch den Saal ab. Es war Schluss.
Auch diesmal hatte es funktioniert: Ich war milde und sentimental weihnachtlich gestimmt, tiefenentspannt und lächelte. Das war ein schönes Gefühl. Aber ich hatte auch erkannt: Die Weihnachtskonzerte der Maybebops sind nicht so großartig, weil sie Weihnachtskonzerte sind, sondern sie sind großartig, weil sie Maybebopkonzerte sind.
Beim Verlassen des Saales hatte ich vor mir einige Frauen, die nicht fassen konnten, dass den Maybebops das „Dubbeglas“ nicht bekannt war. „Wieso wissen die nicht, was ein Dubbeglas ist?“, fragte eine von ihnen mit empörtem Unterton. Eine andere bekräftigte: „Das muss man doch wissen!“ „Na ja“, überlegte eine andere. „Zwei kommen ja oben aus Norddeutschland. Vielleicht gibt es da keine Dubbegläser.“ Die nächste ergänzte: „Und die anderen sind aus dem Osten“, als wäre damit klar, dass sie nichts kennen konnten. Ich grinste vor mich hin. Ich wohnte gerade mal 240 Kilometer entfernt, also weder weit im Norden noch im Osten und hatte den Begriff nie gehört. Als mir etwas später erklärt wurde, wie so ein Glas aussieht, wusste ich aber, was gemeint war. Ich kannte das aus dem Gläserschrank meiner Eltern als „Frankfurter Äppelwoi-Glas“ und das hatte kleine, wie mit den Fingerspitzen eingedrückte Kuhlen in der Glasfläche. Später guckte ich bei Wikipedia nach: Das Dubbeglas ist ein gläsernes Trinkgefäß für Wein oder Weinschorle, das überwiegend in der rheinland-pfälzischen Region Pfalz verwendet wird.