Berichte

Horst Evers – Großer Bahnhof – 07.10.2010 – Köln

Comedia, Köln

Wer ein Eisenbahnfan war und extra zum “Großen Bahnhof” gekommen war, um einen ganzen Abend lang Bundesbahn- und Bahnhofs- Geschichten zu hören, wurde gleich enttäuscht. “Es geht hier nicht um Bahnhöfe und Züge”, stellte Horst Evers klar, “sondern um den ‘großen Bahnhof’, den man bekommt, wenn man willkommen ist.” Das wirft dann aber auch Fragen auf: Bin ich willkommen? Wenn ja, wo? Und holt mich überhaupt jemand ab?

Horst Evers hatte die große Gabe seit 10 Jahren optisch nicht voneinander zu unterscheidende Soloshows zu machen, bei denen er ein rotes Hemd trug, weiße Zettel in der Hand hielt, entweder vor einem Mikrofon stand oder an einem Tisch saß und vorlas. Von der Choreographie her überschaubar und nicht unbedingt spektakulär, aber seine lebensnahen und trotzdem skurrilen Geschichten glichen das völlig aus. Sie waren immer wieder neu und brachten das Publikum zu lautem Gelächter. Ich glaube kaum, dass er mit einer aufwändigen Bühnenchoreographie und wildem Getanze größere Lachstürme auslösen würde. – Obwohl …? Naja, egal.

So ganz ohne Bahnhof ging es beim ‘Ankommen’ und ‘Willkommen sein’ dann doch nicht, und schon die Geschichte über den Baguetteladen im Bahnhof Bielefeld, der mit seinen vielfältigen Auswahlmöglichkeiten die Nerven nicht nur einer mittelalten Wandergruppe strapazierte, brachte viel glucksendes Gelächter. Später gab es sogar noch eine Bedarfshaltestelle mitten in der Pampa, an der der Albtraum jedes Reisenden wahr wurde, mutterseelenallein, ohne Handynetz, dafür mit dem Verdacht auf nahende Wölfe, nicht abgeholt zu werden. Die Stärke von Horst Evers war es, die Geschichten so zu beschreiben, dass sie beim Zuhören sofort bildlich im Kopf entstanden, genau mitempfunden werden konnten, aber immer das Gefühl blieb, dass es einen selber nie ganz so schlimm treffen würde wie den Erzähler. Es war beruhigend, dass es offensichtlich jemanden gab, bei dem die Pannen im Leben immer noch ein Stück größer ausfielen.

Auch im Bereich der modernen Technik war Horst Evers zuhause, beziehungsweise er konnte davon berichten. Die Erklärung, dass es nicht nur aktuell 3D-Filme im Kino gab, sondern dass wesentliche Bereiche des Alltags schon seit Jahrhunderten in 3D dargestellt wurden, wurde mit genau so viel Gelächter quittiert wie das “analoge Twittern”, das Brüllen von kurzen Nachrichten durch ein offenes Fenster in den Hinterhof. Auch sein von unterwegs mit dem Handy zu programmierender Kaffeeautomat mit all seinen Vor- und Nachteilen erfreute das aufmerksame und sehr lachbereite Publikum der Comedia sehr. Zu Beginn der Pause kam eine junge Frau durch den Gang, wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln und schluchzte in Richtung ihres Begleiters: “Es hat sich jetzt schon gelohnt!”

Seit zehn Jahren ging ich regelmäßig und mit großem Vergnügen zu Horst Evers Vorstellungen und stellte inzwischen eine Veränderung im Charakter der Geschichten fest. War die Hauptperson der Erzählungen, die ja auch immer als Horst Evers erkannt oder vermeintlich erkannt wurde, früher ein manchmal fast hilfloser, vom Leben überforderter Mensch gewesen, wurde sie jetzt immer selbstbewusster. Noch immer integrierte sie sich nicht reibungslos in die Gesellschaft und blieb ein Außenseiter, der am Rand saß und beobachtete, aber inzwischen strahlte sie die Botschaft aus: “Ich bin so und ich will auch so sein.” Sie suchte sich ihren eigenen Weg im Leben und ließ sich nicht beirren oder von großen Selbstzweifeln plagen. Mir gefiel das sehr.

Auch die Unterschiede zwischen der Moderation und den Vorlesetexten verschwammen inzwischen. Viele Moderationen waren eigene Geschichten, die auch hätten vorgelesen werden können und genauso witzig wie die aufgeschriebenen Geschichten waren. Der Unterschied war manchmal nur zu merken, weil von Zetteln vorgelesen wurde oder eben nicht. Beides war klasse. Und es kamen schauspielerische Elemente hinein, mit den Horst Evers sehr überzeugend neue Charaktere gestaltete. Kurz gesagt, es war abwechslungsreich, spannend und kurzweilig. Ein wunderbares, lustiges und rundes Programm eines sehr präsenten Horst Evers, der auch ohne Licht- und Bühnenshow einen Saal bis zum Ende des langen Programmes in aufmerksamer Spannung hielt. Am Ende gab es viel Applaus und deutliche Spuren von Lachtränen.