Helge Schneider – Hefte raus, Klassenarbeit – 24.02.2001 – Köln
Philharmonie, Köln
Zum ersten Mal hatte ich Helge Schneider vor etwa 10 Jahren im Fernsehen bei Ausschnitten aus einem Konzert gesehen, und ich konnte nicht fassen, was ich da sah. Ein schmaler Mensch mit wirren Haaren, in einem knappen Anzug in schreienden Farben, lief auf Plateauschuhen hölzern über die Bühne und sang mit seltsamer Stimme einzelne Wörter und sinnlose Textzeilen. Was, um alles in der Welt, war das? Der Typ konnte sich doch unmöglich so verstellen! Aber konnte er wirklich so sein?? Und warum wurde er vom Publikum für diesen Schwachsinn so bejubelt? Er faszinierte mich aber trotzdem, denn ich fand sein Grinsen in den Augenwinkeln so nett. So ganz ernst schien er die Sache nicht zu nehmen.
Danach begegnete er mir noch öfter im Fernsehen, und langsam entwickelte sich in mir ein Bild von ihm. Ich begann über seinen gnadenlos blöden Unsinn zu lachen und bewunderte seine wundervollen, jazzigen Vibraphon-Soli. Außerdem merkte ich, dass sein öffentliches Auftreten nicht sein echtes Wesen zeigte. Bei Interviews im Fernsehen hatte ich sehr selten mal einen sensiblen und äußerst verletzlichen Menschen hinter der Maske hervorblitzen sehen, aber meistens wusste er diese Züge geschickt zu verbergen. Als ich seine Autobiographie “Guten Tach. Auf Wiedersehn.” las, verstand ich plötzlich viel von seinem Verhalten und er war mir noch sympathischer. Allerdings verlor er etwas von meiner Zuneigung, als er im letzten Jahr bei seiner Tour “Helge & the Firefuckers” für mein Gefühl nur qualitätsfreie, runtergesaute Musik anbot. Das war nichts für mich.
Nun war es soweit. Helge Schneider in der Kölner Philharmonie, der Name des Programmes: “Hefte raus – Klassenarbeit!” Beim Kartenkauf hatte ich die dritte Reihe gewählt. Je näher der Termin heranrückte, desto unsicherer wurde ich, ob nicht die siebte oder achte noch besser gewesen wäre. Aber ich ging neugierig und sehr freudig zu meinem ersten Live-Abend. Inzwischen hatte ich erfahren, dass jede Show bei ihm anders ausfiel, und anscheinend vom Wetter, der Bühne, dem Publikum und seiner Laune abhing. Ich war ja mal gespannt …
Schon im Foyer der Philharmonie begegnete mir Helge Schneider mehrfach. Auf der Treppe sogar gleich zweimal nebeneinander. Es gab nämlich am Fanartikelstand Helge-Schneider-Masken aus Pappe zu kaufen, und ich fand die Möglichkeit interessant, dass der richtige Helge Schneider völlig unerkannt mit einer Helge-Schneider-Maske durchs Foyer schlendern könnte.
Das Publikum war völlig anders als ich gedacht hatte. Ich hatte viel mehr jüngere, flippige und sogar prolomäßige Typen erwartet, aber es sah eher so aus, als ob gleich Nigel Kennedy mit den ‘Vier Jahreszeiten’ besucht würde. Unsere Plätze in Reihe 3 waren sehr gut und das Mikrofon auf der Bühnenmitte nicht mal 6 m entfernt. Das schien ein schöner Abend mit guter Sicht auf das Programm zu werden. Als das Licht ausging, begann sofort ein begeistertes Gejohle und die ersten lauten ‘Helge!’-Rufe erklangen. Eine absolute Superstimmung. Die Leute in der ziemlich vollen, wenn auch nicht ausverkauften Philharmonie, waren sehr gut drauf.
Buddy Casino an der FARFISA-Orgel und Peter Thoms am Schlagzeug spielten “Take Five” und dann kam unter lautem Jubel Helge Schneider auf die Bühne. Er trug einen knappen lila Anzug mit blauer Krawatte und blauem Einstecktuch, und begann mitzusingen. Es swingte total gut ab und war wirklich klasse. Viel Applaus und Helge Schneider rief: “Tschüss! Danke! War super. Wir seh’n uns ein andermal!” und ging ab. Aber nur kurz, dann kam er grinsend zurück. “Kleiner Spaß. Habt ihr gemerkt.” Er begann zu erzählen und hatte eine wirklich nette, sympathische Stimme. Den Karneval in Köln erwähnte er gleich grinsend mit: “Helau! Alaaf! Oder wie sind die Schlüsselwörter hier?” Bodo, der Auszubildende zum Teekoch, wurde vorgestellt und musste auch gleich eine Tasse Tee bringen. “Mmmh, Pfefferminze. Schmeckt aber nicht nach Pfeffer und nicht nach Münze.” Fünfmal ließ sich Helge Schneider aufwendig Tee bringen und quatschte vor sich hin, ehe er zum ersten richtigen Lied kam. War etwas Zeitschinderei und er schien nicht so richtig Lust auf den Anfang zu haben.
Dann ging es aber endlich los und er sang “Mädchen wollen küssen, Jungens aber auch.” Ziemlich blödsinnig mit teilweise improvisiertem Text, aber witzig. Gleich danach “Hast du eine Mutter, so hast du immer Butter.” Auch nett und lustig, weil in typischer Helge Schneider-Art vorgetragen. Als Extra für die Stadt gab es dann ein Köln-Lied. Refrain: “Köln, Köln, Köln, Köln, Köln.” Viel Gelächter über sein schlechtes Kölsch, aber es war nett gemeint, auch wenn Strophen wie “Der Dommm, der Rinnn, un ooch Kölle singen Köln, Köln, Köln, Köln, Köln” nicht überzeugend gut sind. Sehr gut aber danach seine Parodie von Udo Lindenberg. Sobald er den Hut aufsetzte, hatte er sofort die Mimik und Stimme von Lindenberg. War der Hut auch nur kurz weg, war er wieder Helge Schneider. Leider brachte er diesen Gag im Verlauf des Abends immer wieder und damit zu oft.
Bodo wurde immer wieder herangewunken, um Tee zu reichen. “Ich glaube, am Montag habe ich einen Teebauch und muss mir den Tee herausoperieren lassen.” Es wurde ziemlich viel gelacht, weil es alles sehr albern war, und auch Helge Schneider grinste oft über seine eigenen Einfälle. Wenn er lachen musste, sah er richtig niedlich aus. Lachende Augen, lockere Haare, nur eben abgedrehte, enge Anzüge und ein bewusst seltsames Verhalten. Trotzdem hätte ich gerne mehr GUTE Musik gehört. So war es für den Anfang einer Show ganz witzig, lag aber noch weit unter einem gut verjazzten “Katzeklo”. So richtige Lust auf den Abend schien er nicht zu haben. Nervig waren die häufigen Zwischenrufe von den hinteren Plätzen, die eigentlich mehr unverständliche Brüller waren. Wenn es zuviel wurde, ignorierte sie Helge Schneider einfach, oder rief auch schon mal gespielt streng: “Still jetzt!” Gemeinsam mit dem Publikum wurde die Vogelhochzeit gesungen, wobei eine typische Helge-Strophe war: “Die Alaskaschneegans, die Alaskaschneegans, die hat den allerlängsten Weg.” Er forderte Publikumsvorschläge, lehnte aber den ‘Waran’ ab. “Waran ist kein Vogel! Das ist eine Art Pferd in grün. Mit kurzen Beinen.”
Mit seiner Klarinette konnte er dafür wunderbare Töne machen. Es war nicht perfekt und sauber gespielt, aber das Feeling stimmte einfach. Besonders die leisen Stellen waren wunderschön. Supergut gezogene Töne, lockere, jazzige Läufe – er hat einfach Musik im Blut. Das zeigte er auch beim “Meisenmann”, einem süßen Schlager wie aus den 50er Jahren in holländischem Akzent. Auf einer Harmonika mit Luftschlauch spielte er dazu ein phantastisches Solo und die schönen, klaren Töne erfüllten die Philharmonie. Mit so wenigen Tasten so wahnsinnig gut und teilweise ungeheuer schnell zu spielen, das fand ich sehr beeindruckend!
Aber warum zeigte er dieses Können an diesem Abend so selten? Klar, auch alberner Schwachsinn ist lustig, aber es wäre schon schön, wenn auch öfter mal was Niveauvolles käme. Er kann’s doch! Die supergute Stimmung vom Anfang war inzwischen merklich abgesunken. Das lag eindeutig an der etwas lahmen Show von Helge Schneider und ließ sich auch durch die kurzen superguten Soli nicht lange hochbringen. Die beiden Musiker waren sehr gut und spielten mit viel Drive (Buddy Casino lachte immer total nett!), aber Helge Schneider ruhte sich leicht müde auf dem Vorschussapplaus aus und kommentierte auch noch: “Ihr habt ja alle schon bezahlt, eigentlich könnte ich gehen.”
Die Pause begann, und hinter uns in Reihe 4 schlief einer tief und fest. Um die Stimmung im Saal etwas runterzubringen und die Leute zu beruhigen, wurde während der ganzen Pause klassische Gitarrenmusik abgedudelt. Das Problem war nur, dass die Stimmung sowieso schon weit unten war. Damit beruhigte das sanfte Geklimper dann nicht mehr, sondern machte nur unglaublich müde. Vorteil: Auch die Zwischenrufer verloren die letzte Energie zum Zwischenrufen. Na, es konnte eigentlich nur besser werden. Der erste Teil hatte sehr schön angefangen, wirkte dann aber etwas lustlos. Eine Steigerung im zweiten Teil würde das aber wieder gutmachen.
Leider fing auch der zweite Teil es sehr langatmig an. Es ging um Beethoven und ab und zu gab es einen Lacher, aber richtig lustig war es nicht. Auch die ‘Mondscheinsonate’, die über ‘Für Elise’ bis zur ‘Milka’-Werbung ging, war nicht schön gespielt. Als Helge Schneider dann auch noch minutenlang aus einem ‘Wendy’-Heft vorlas, nützte auch die beste verstellte Stimme nichts mehr. Mir war es grottenlangweilig. Über sein albernes Gehabe beim Gitarrespielen und Bodo, der ihm immer wieder die Hand aus dem Gitarrenloch holen musste, lachten zwar noch viele Zuschauer, aber ich fand es überhaupt nicht mehr witzig. Schade. Es war ‘hingerotzt’, das einzige Wort, das mir dazu einfiel. Die ersten Leute gingen schon.
Dann kam “Katzeklo”, sein großer Hit. Erst mittelmäßig und langatmig gebracht, dann aber supergut, als er auf dem Vibraphon spielte. Das Beste vom ganzen Abend! Sein Gesicht war ganz ernsthaft und konzentriert und das Ergebnis wirklich klasse! Ein Genuss! Endlich guckte der echte, engagierte Helge Schneider wieder durch. Ein wirklich außergewöhnlich guter Musiker. Er kann es doch so gut! Zum Abschied sagte Helge Schneider: “Ihr wart müde – aber ich auch!” Ein krasses Fehlurteil, denn er war es, der alle müde gemacht hatte. Das war schon eine Wahnsinns-Leistung, ein so hochmotiviertes Publikum in diese müde, gedrückte Stimmung zu bringen. Sein nächster Satz stimmte: “Der Abend war Scheiße!”
Trotzdem gab es beim Abgang zunächst ein paar laute Zugabe-Rufe der harten Fans und er gab noch “Tanz auf dem Vulkan” im Stil eines Carpendale-Schlagers. Sehr schön gesungen (das kann er ja, wenn er will) und wunderbar kitschig. Am nettesten aber die Affenhandpuppe, die mit ihm Trompete spielte. Beim Abgang setzte er sich noch zu einem kurzen “Oh, du fröhliche” an die große Philharmonie-Orgel, dann ging er ab, das Licht ging an und es war sofort Schluss. Nicht mal der kleinste Ruf nach Zugabe war noch zu hören. Alle standen auf und gingen ziemlich ruhig raus.
Fazit: Ich halte Helge Schneider immer noch für einen sensiblen, netten Menschen und einen außergewöhnlich guten Musiker. Allerdings hat er den Abend müde und lustlos durchgezogen und sich überhaupt nicht bemüht. Das ist für mich eine grobe Missachtung des Publikums, das für diesen Abend bezahlt hat. Als Profi muss er meiner Meinung nach ein Mindestmaß von Leistung bringen oder den Abend absagen. Ich war froh, als Schluss war. Wie schade. Die Klassenarbeit gibt es mit einem „Ungenügend“ zurück.