Rainald Grebe – Münchhausenkonzert – 14.09.2022 – Eupen
Eupen, Alter Schlachthof
Während in London die Queen gerade in einer von Pferden gezogen Kutsche zu ihrer Beerdigung gefahren wird – eine Nebeninformation, die den Konzerttermin weltgeschichtlich einordnen lässt -, fahre ich nach Eupen zum Konzert von Rainald Grebe. Er gibt es aber nicht zu Ehren der Königin. Es war ursprünglich für Juni 2020 geplant, wurde wegen Corona auf Februar 2021 verschoben, dann weiter auf Februar 2022 und schließlich auf September 2022. Auf meiner Eintrittskarte sind alle Verschiebungstermine notiert. 27 Monate Wartezeit und vier Termine – das hatte ich noch nie.
Eupen gehört zu Belgien, ist aber Teil der deutschsprachigen Gemeinschaft. Bei Aachen fahre ich über die Grenze, 16 Kilometer weiter sehe ich in Eupen überall flämische und französische Beschriftungen, fühle mich wie im Urlaub, gleichzeitig aber nicht richtig weit weg. Die Amtssprache ist deutsch, die Sprache im Theater auch.
Rainald Grebe zeigt das „Münchhausen-Konzert“, und ich finde schon den Titel interessant. Ich denke sofort an Lügen, Schwindeleien, nicht ganz bei der Wahrheit bleiben, übertreiben – da gibt es viel Material. Eingehüllt in eine dicke Decke kommt Rainald Grebe auf die Bühne und auf seinem Kopf leuchtet eine kleine Lichterkette. „Bist du da, Franz?“ fragt er, und Franz Schumacher, sein Techniker, Tourbegleiter und Sidekick wird auf der Leinwand eingeblendet und ist Gesprächspartner. Locker plaudern die beiden über Erlebnisse, die sie in der letzten Zeit hatten, erinnern sich gegenseitig und kommentieren lachend.
Rainald erzählt, dass er jetzt „Bowls“ postet, was gerade ein Trend im Internet ist. Auf der Leinwand werden Fotos von seinen Bowls gezeigt, in denen die Zutaten in Reihen oder Gruppen angeordnet sind. Die „Smoothie-Bowl“ mit in Streifen gelegtem Obst, die „Fernseh-Bowl“ mit korrekt gelegten Chip, Flips und Salzstangen, die „Handwerker-Bowl“ mit in Reihen drapierten Schrauben, Dübeln und Unterlegscheiben auf Porridgebasis. Am Ende dreht es ab mit einem Bild vom Nordpol und „geschmolzenen Bowl-Kappen“ und „Spaghetti-Bowl-ognese“, einer Schüssel, die umgedreht auf gekochten Spaghetti liegt. Rainald holt eine große Glasschüssel – eine Bowl – aus einer Plastiktüte und stellt sie dekorativ auf den Flügel.
Er singt vom „Lügenbaron“ Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen, der 1720 in Bodenwerder bei Hannover geboren wurde und bekräftigt: „und das ist wahr!“ Auch sonst darf man bei Rainald-Grebe-Konzerte nicht alles glauben, was er erzählt, bei einem Münchhausen-Konzert wird alles noch fraglicher.
Er singt über Touren und die Eindrücke während der Fahrten in „Meganice Zeit“ und singt über den Adel und das, was man vom Adel erwartet. Immer wieder geht es um Schein und Sein, Fakenews, und was vom eigenen Bild, das man nach außen zeigt, überhaupt echt ist. Wie viele Follower hat Franz Schumacher auf seinem Account – wenige – und verändert sich da während des Abends etwas? Einer springt ab. „Das ist bestimmt meine Mutter“, kommentiert Franz.
Ich finde die Gedanken und Zusammenstellungen zum Oberbegriff „Münchhausen“ albern, inspirierend, schräg und manchmal auch berührend. Sehr schön. Ich mag es ja sehr, wenn Rainald sich Gedanken in alle Richtungen macht und vieles dann zusammenpasst. Als plötzlich der Sequencer, der auf dem Flügel steht und auf Knopfdruck Begleitrhyhtmus oder Einspieler bringt, stumm bleibt, muss Franz auf die Bühne kommen und nachsehen. Er ruckelt an den Steckern und wechselt die Batterien, die beiden kommentieren es locker und plötzlich läuft das Gerät wieder. Selbst eine unerwartete Unterbrechung ist kurzweilige Unterhaltung.
Auch das alte elektronische Harmonium hat ungewollt eine stumme Taste und an anderer Stelle beim Betätigen der Tasten völlig schräge Töne. Das klingt lustig und gibt erstaunlicherweise ernsthaften Liedern eine Zerbrechlichkeit und Unvollkommenheit, die sie noch intensiver machen. Als wäre es geplant. Ist es anscheinend aber nicht, denn Rainald verzieht beim Spielen immer mal das Gesicht und scheint es nicht gut zu finden. Er zieht es aber durch. Wenn das Harmonium nicht perfekt spielt, spielt es eben unperfekt.
Dann singt er „Der Tod“, in dem er sich Gedanken über seinen eigenen Tod macht. Ich habe Tränen in den Augen. Rainald hat Vaskulitis, eine Autoimmunkrankheit, die unberechenbar ist. Auch er muss sich viel zu früh mit einem möglichen Tod beschäftigen, was er, gründlich und analysierend wie er ist, auch macht. Er singt: „Der Tod hat nix mit mir zu tun … Der Tod macht keine Termine, er kommt wenn’s ihm passt … Der Tod wippt sachte mit der Hüfte. See you soon, see you soon.“ Ach, menno! Ich möchte, dass Rainald weiterhin ganz unbefangen und übersprudelnd Programme raushaut, die Waldbühnenkonzerte der nächsten 30 Jahre plant und seine Gehirnzellen wild springen lässt. Aber er geht schon ganz richtig und sehr pragmatisch damit um, und auch das passt zu ihm. Es dauert etwas, bis ich danach wieder befreit lachen kann.
Lustig wird es, als Franz auf der Leinwand skurrile und witzige Fotos von Schildern und Gebäuden zeigt, die die beiden unterwegs auf ihren Touren gemacht haben und die sie kommentieren. Rainald spielt leise untermalende Klavierakkorde dazu. Das Publikum geht bei allen Albernheiten und bei jeder Ernsthaftigkeit mit und ist den ganzen Abend über sehr aufmerksam, lach- und klatschbereit.
Gegen Ende stellt Rainald das Buch „Himmlische Köstlichkeiten – Zu Gast bei der Apfelgräfin“ vor. Die Autorin, Daisy Gräfin von Arnim, lebt in der Uckermark und führt einen Apfelhof mit Hofladen. Sie bietet dort auch ihre eigenen Bücher an, die gefüllt sind mit sorgfältig arrangierten Motiven von Landschaften und gedeckten Tischen, Lebensweisheiten, Bibelsprüchen und Rezepten. Das ist alles sehr ernsthaft gemeint, aber dann doch so schräg, dass es sehr amüsant ist und laute Lacher bringt. Rainald liest salbungsvoll daraus vor und hat selber Spaß.
Am Ende gibt es viel Applaus, Zugaben und gute Laune.