Lars Reichow – Freiheit! – 23.10.2014 – Bonn
Pantheon, Bonn
Lars Reichow ist nicht nur Geschichtenerzähler, Klavierspieler, politischer Kabarettist und charmanter Plauderer, er singt auch noch wunderbar, und das in einer Klangfarbe, die meinen Pulsschlag beeinflusst. Er ist mit seinem noch sehr neuen Programm „Freiheit!“ im Bonner Pantheon, und ich bin auch da. Die Freiheit ist ein weites Feld, und ich bin gespannt, was ich an diesem Abend zu hören bekomme.
„Sie haben einen freien Abend“, erkennt Lars Reichow mit Blick auf das zahlreich erschienene Publikum folgerichtig und erklärt: „Freiheit in der Freizeit – mehr kann man nicht haben!“ Locker an einen Stehtisch gelehnt, plaudert er über aktuelle Politik, verteilt mit witzigen Bemerkungen kleine Spitzen und wirkt dabei fast wie in einem privaten Gespräch. Er ist mit dem Publikum auf einer Seite und genauso verwundert über das Verhalten mancher Politiker oder der aktuell streikenden Piloten, ohne im lehrerhaften Ton zu dozieren.
Am Flügel singt er ein Gespräch zwischen Putin und Merkel, bei dem er zwischen den typischen Tonfällen hin und her springt. Dass sich „schnarchen“ auf „Oligarchen“ reimt, überrascht mich und ich lache noch zwei Zeilen später darüber. Natürlich reimt es sich, aber ich habe noch nie darüber nachgedacht und kann mich über Unerwartetes einfach freuen.
Das Symbol für Freiheit im Urlaub ist das Wohnmobil, mit dem man frei und unabhängig ist. Lars Reichow berichtet von der Familienreise durch Norwegen und zählt bewundernd auf, was für verschiedene Bereiche in einem Wohnmobil stecken. Alles Wichtige ist in nur einem Zimmer dabei: Küche, Bad, Schlafzimmer und Auto. Er erkennt aber auch: „Das Wohnmobil ist so eng, damit man die Freiheit außen zu schätzen weiß.“ Außerdem stören die Käsefüße des Sohnes und die ständig verstopfte Toilette. Das Publikum, das schon bei der Eröffnungsnummer immer mal aufgelacht hatte, beginnt vergnügt und zunehmend lauter zu glucksen. Es hat aber auch eine eigene Komik, wie dieser seriöse Mann, der im Anzug lässig elegant wirkt, anklagend und selbstmitleidig über all die Schwierigkeiten erzählt, die ihm seine Familie und das Wohnmobil in den Weg legten. Besonders lustig, weil er völlig ernst bleibt, während das Publikum laut über seine Bemerkungen lacht.
Wortbeiträge wechseln sich mit Gesangsnummern ab. Ich merke immer, wie mir bei den ruhigen Liedern die Puls- und Atemfrequenz spürbar runter geht, weil ich im Klang der Flügelmusik und dieser wunderschönen Stimme versinke. Ich höre einfach zu, und wenn mein Hirn nicht von alleine für das Nötigste sorgen würde, würde ich vermutlich komplett vergessen zu atmen. Hach, diese Stimme! Sanft und leicht, ein bisschen rau, eine Prise Soul – ich finde die einfach toll. Was nicht heißt, dass ich auf das übrige Programm verzichten möchte. Wahrscheinlich ist es für mich sowieso gesünder, wenn es zwischendurch Nummern gibt, bei denen ich vor Lachen leichte Schnappatmung bekomme. So gleicht sich sauerstoffmäßig alles wieder aus.
Lars Reichow plaudert über seinen 50. Geburtstag, den er Anfang des Jahres hatte, und verkündet, dass es ein phantastisches Alter sei. „Ich kann es den Jüngeren nur empfehlen!“, bestätigt er nachdrücklich, und nickt freundlich ins Publikum: „Die Älteren wissen auch noch, wie toll das war.“ Fünfzigjährige seien überall auf dem Höhepunkt der Leistungsfähigkeit und überhaupt Frauenversteher. Völlig ernst berichtet er, dass er drei Tage vor dem Geburtstag seine Frau gefragt habe, ob er jetzt lieber einen Waschbrettbauch haben solle. „Och, nö“, hatte sie geantwortet, was er trocken kommentierte mit: „Wär sowieso knapp geworden.“
Weil das Vokabular aktueller Rapmusik zum Entsetzen des Künstlers vorwiegend aus Wörtern wie „isch, fick, disch“ besteht, will Lars Reichow einen eigenen Raptext vortragen und begibt sich dazu an das auf der Bühne stehende Keyboard. Ungeplant wird es lustig, denn das dortige Mikrofon will sich nicht am Halter festschrauben lassen und fällt immer wieder nach unten. Als es endlich mal seine Position behält, traut sich Lars Reichow nicht, es nochmal zu berühren und singt in leicht gebeugter Haltung los. Den Rhythmus gibt das Keyboard, die Akkorde spielt Lars Reichow dazu, und der Text ist deutlich gepflegter als in üblichen Raps. Außerdem sehr, sehr schnell.
Ich höre zwar interessiert zu, merke aber, dass mir die Musik vom Flügel besser gefällt. Von wegen Frauenversteher. Als Frauenversteher sitzt man am Flügel, weil das viel besser wirkt! Keyboard ist so banal. Vermutlich stelle ich mich an, aber ich bin sowieso nicht der Freund von hämmernden Rhythmen und damit auch nicht rapgeeignet. Lars Reichow rapt sich wortgewandt durch, das Mikrofon hält bis zum Schluss, dann sagt er etwas von einer Pause und geht ab. Häh?, denke ich. Hat er etwas vergessen oder gehört das zum Programm und er kommt gleich auf die Bühne zurück? Das kann ja wohl nicht sein, dass sein neues Programm eine so kurze erste Hälfte hat! Das Saallicht geht an und ich gucke verwirrt auf die Uhr. Was?? Es ist 21 Uhr und ich habe tatsächlich schon eine Stunde lang zugehört, gelacht und die Atmung verlangsamt. War das kurzweilig!
Die Pause kommt mir länger als die erste Stunde Programm vor, was sie nach Aussage meiner Uhr aber gar nicht ist. Als es weitergeht, erzählt Lars Reichow über einen freien Tag, den er hatte. Auch eine Variante von Freiheit, wenn mal kein Termin im Kalender steht. Ein ganz freier Tag, an dem er extra lange im Bett blieb, danach demonstrativ stundenlang im Bademantel herumlief, bewusst nichts tat und am Abend schließlich froh war, als er endlich rum war, der freie Tag. Das Publikum ist ganz bei ihm und amüsiert sich hörbar.
Wieder am Flügel singt Lars Reichow mit Schmelzstimme vom Liegen auf der Couch vor dem Fernseher, und diesmal stockt mir der Atem nicht vor Entzücken, sondern vor Beklemmung, denn während er singend von Couch, Haus und Auto berichtet, erwähnt er auch die Bilder auf dem Fernsehschirm von einem sinkenden Flüchtlingsboot auf dem Mittelmeer. Eine große persönliche Luxusfreiheit auf der einen Seite, auf der anderen verlieren Menschen ihr Leben, weil sie mit hohem Risiko aus ihrem Heimatland in die Freiheit flüchten wollen. Das Lied wird immer leiser, das Publikum auch.
Erstaunlicherweise geht es danach mit der nächsten Nummer humorvoll weiter, ohne dass es einen radikalen Bruch gibt. Lars Reichow kann so was. Im Mainzer Dialekt versichert er als Spießbürgertyp, dass er nichts gegen Ausländer hat und dass er schon versteht, dass die Flüchtlinge mal relaxen wollen. Nur bitte nicht in seiner Nachbarschaft. Schlimm genug, dass nicht alle Anwohner ihre Hecken regelmäßig schneiden. Es sind entlarvende Sätze, die im Mainzer Dialekt harmlos und lustig wirken, aber knallhart sind.
Kraftvoll und sehr intensiv singt Lars Reichow danach ein Lied über Diktatoren, das musikalisch ein James Bond Titellied sein könnte. Das passt, und ich wünsche mir einen James Bond, der das mal regelt. Freiheit wird dort besonders wichtig, wo sie nicht selbstverständlich ist.
Mit einem Sprung geht es zu großen Volksfesten wie dem Münchner Oktoberfest, das nicht mehr ein traditionelles Fest für Münchner ist, sondern vorwiegend von Touristen besucht wird. Lars Reichow kommentiert das inzwischen auch für Nichtbayern übliche Bekleiden mit Lederhose und Dirndl: „Tausende Euro werden ausgegeben, damit sie so aussehen wie die Dorfdeppen früher.“ Dann verfällt er in einen Reporterton und berichtet von den Promis auf der Wiesn. Den immer gleichen, die sich bei allen Events sehen lassen und vor die Kamera drängen. Sein Bericht wird immer temporeicher, immer spitzer und trifft genau auf den Punkt. Klasse und sehr witzig! Am Ende holt er Luft und sagt: „Tschuldigung, das musste ich mal kurz raus lassen“, und der Applaus bricht los.
Seine Erzählung über die neue italienische Kaffeemaschine löst glucksendes Gelächter und sehr große Erheiterung aus. Der Kampf mit dem Automaten um ein paar Tassen Kaffee ist so anschaulich erzählt, dass die Zuschauer alles genau nachvollziehen können und – zum Teil wohl auch aus eigener Erfahrung – immer wieder laut loslachen. Ein Lied über Apps singt er etwas später so schnell, dass ich gerade mal zuhören kann, den Text aber nicht in diesem Tempo sprechen, geschweige denn singen könnte. „Und jetzt alle!“, ruft er im Refrain und singt unter dem Gelächter des Publikums unmitsingbar schnell: „Äbbedäbbedäbbedäpp …“
Ganz am Ende gibt es ein sehr sanftes Liebeslied, und da gefällt mir das Keyboard ohne hämmernden Rhythmus und stattdessen mit halligen, glockenartigen Klängen sehr gut. Ich steh ansonsten aber mehr auf den warmen Flügelklang, der einfach viel schöner als ein Keyboard klingt. Das Publikum sitzt mucksmäuschenstill und hört zu. Das Liebeslied ist fein und leise und viel zu schnell vorbei. Davon hätte ich trotz stark verlangsamter Atmung gerne noch einige Strophen mehr gehört. Wunderschön.
Das Licht geht an, schon wieder ist die Zeit blitzschnell vergangen. Was? Schon so spät? Was für ein schöner Abend mit einem kurzweiligen, runden Programm! Sehr lustig, manchmal albern, immer durchdacht, sprachlich schön und mit Stil. Einen freien Abend bei Lars Reichow zu verbringen, ist sehr zu empfehlen!