Berichte

Stefan Gwildis – Frei händig – 25.10.2012 – Köln

Essigfrabrik, Kölnm

Die Essigfabrik war ein kleiner, nicht mehr ganz frischer Veranstaltungsraum in einem Industriegelände in Köln-Deutz. Früher wurde hier vermutlich mal Essig hergestellt, wie ich messerscharf kombinierte, inzwischen sah es nach Partys, kleinen Gigs und lauten Club-Konzerten aus. Am Eingang standen bullige Ordner, die an diesem Abend nichts zu tun hatten, außer lächelnd die Eintrittskarten der größtenteils paarweise eintreffenden Besucher abzureißen. Die meisten Konzertbesucher sahen nicht danach aus, als würden sie solche Orte öfter besuchen, und bei einem Stefan Gwildis Konzert war im Regelfall wohl keine Randale zu erwarten. Es war ein Stehkonzert, ein Umstand, der mich ein paar Sekunden lang zögern ließ, ob ich das Konzert wirklich besuchen möchte. Aber Stefan Gwildis mal im Rheinland unterwegs, in einem ungewöhnlich kleinen Rahmen, das konnte ich nicht verpassen.

Als die Bandmusiker pünktlich die Bühne betraten, war sofort eine Riesenstimmung da, die ich in dem kleinen Raum und bei dem kultivierten Publikum gar nicht erwartet hatte. Geklatsche, Jubel, Pfiffe, die beste Begrüßung, die ein Künstler haben kann. Da musste niemand mehr überzeugt werden, das Programm wurde freudig erwartet. Großer Jubel dann auch, als Stefan Gwildis auf die Bühne kam und sofort los legte. Vermutlich grinste ich sofort debil, als ich ihn singen hörte. Oh, diese kratzig nach oben gezogenen Töne, die langen, fast gesummten Endkonsonanten!

Stefan Gwildis guckte mit blitzenden Augen in den Saal und erfasste sehr genau, wer da in den ersten Reihen stand. Er schien neugierig auf das Publikum zu sein und zeigte auch im weiteren Verlauf des Abends keine Scheu vor Kontakt. Immer wieder nutzte er die Treppe, die ins Publikum führte, sang, stellte Fragen und war ganz nah. “Hallelujah!” rief er wie ein charismatischer Prediger und feuerte seine Gemeinde aus Soulschwestern und -brüdern für diesen Abend an. Locker und manchmal spontan sprach, erklärte und erzählte er, und es war zu merken, wie viel Spaß ihm der Abend auf der Bühne machte. Keine norddeutsche Zurückhaltung, sondern voller Einsatz, sprühende Energie, mitreißende gute Laune. Und natürlich diese Wahnsinnsstimme.

Die Band war spielfreudig, gut gelaunt und sehr gut. Ich bekomme nicht mehr alle Namen zusammen, was mir sehr leid tut, denn Stefan Gwildis nannte sie oft genug, aber der Schlagzeuger war extrem gut, der Bassist spielte ein unglaubliches Solo und ich liebte vor allem die Bläsersätze von Saxophon und Posaune. Die sechs Musiker machten richtig satte und einfallsreiche Musik, und ich dachte bei mir, wenn die richtigen Leute auf der Bühne stehen, knallt es einfach und geht ab. Es war ein tolles Konzert, das swingte und soulte, mal fetzig und mal ganz sanft war. Große Klasse.

Manchmal wirkte Stefan Gwildis in seinem dunklen Anzug, mit den graumelierten Haaren und der souveränen, seriösen Ausstrahlung wie ein amerikanischer Showmann, der gerade ein Las Vegas Konzert gab. Faszinierend. Aber die Lachfalten um die Augen, der wache, funkelnde Blick und die Arbeitsschuhe an den Füßen zeigten, dass er kein glatter Showmensch war. Er blieb echt, immer authentisch. Ich glaube, das gefällt mir an ihm besonders gut. Er wirkt so unverbiegbar, es ist immer Stefan Gwildis, der singt und plaudert, lacht und schwitzt und mit vollem Einsatz auf der Bühne steht. Konsequent und ehrlich, vertrauenswürdig.

Im Gegensatz zum größten Teil des Publikums war ich bei den neuen Stücken der CD “frei händig” nicht textsicher, denn die hatte ich gerade erst am Mechandisestand erworben, aber umso faszinierter hörte ich zu. Es waren sehr schöne Stücke und es machte einfach Spaß, sie im Konzert zu erleben. Zur Pause hin gab es erst ein Trommelduell zwischen Stefan Gwildis und dem Schlagzeuger, bei dem auch Stefan Gwildis wieder mal zeigen konnte, wie grandios er mit Rhythmen umgehen kann, dann zog die ganze Truppe als Trommler- und Spielmannszug durch den Saal und ging ab.

Stefan Gwildis erschien noch kurz auf der Bühne, fragte seine Gemeinde im stark aufgeheizten Saal:
“Wollt ihr eine Pause?” – “NEIN!!”
“Ihr wollt, dass wir weitermachen??” – “JA!!”
“Ihr wollt weiter schwitzen?” – “JA!!”
“Ihr wollt wirklich, dass es sofort ohne Pause weitergeht?” – “JA!!”
Eine vereinte, fest entschlossene, begeisterte Gemeinde konnte ein Prediger nicht einfach stehen lassen, darum kam die Band wieder auf die Bühne und es ging sofort weiter. Stefan Gwildis schüttelte grinsend den Kopf: “In der Essigfabrik in Köln-Deutz. Wer hätte das vorher gedacht.”

Zwischen Gelächter, Zuhören, Mitklatschen (zum Glück größtenteils auf die 2 und die 4!), gab es auch sehr berührende Momente. Beim Lied “Wär mir egal” war es ganz ruhig, und das Stück nahm mich so mit, dass ich schon die Tränen spürte. Ich war ganz ernst und getroffen und musste mich wirklich bemühen, dass nichts aus den Augen kullerte. Und die Gwildis-Version von “Windmills of your mind”, in der deutschen Umsetzung “Fall nicht auf mich rein”, war einfach nur wunderschön.

Nach zwei Stunden pausenlosem, durchgehend tollem Programm gab es die Zugaben, die durch das begeistert applaudierende Publikum anscheinend noch länger als geplant wurden. Ich freute mich riesig auch über die älteren Gwildisstücke, die mir so vertraut waren. Auch die Musiker applaudierten am Ende dem Publikum, das den ganzen Abend über eine Wahnsinnsstimmung hatte und von Anfang bis Ende hochaufmerksam war, obwohl es im Raum zunehmend heißer wurde und Stefan Gwildis die Essigfabrik “die heißeste Sauna Kölns” nannte. Von mir aus hätte der Abend noch zwei Stunden weiter gehen können. Meine Beine machten sich keine Sekunde lang bemerkbar und hatten anscheinend gar nicht registriert, dass sie auf einem Stehkonzert waren.