Berichte

Hape Kerkeling – Lesung – 16.03.2007 – Köln

Ein Mann, ein Fjord.
Lit. Cologne, MS Rhein Energie, Köln

Wer mich kennt, weiß, dass ich Hape Kerkeling klasse finde und seinen Humor sehr mag. Und das nicht erst seit Horst Schlämmer, sondern seit vielen Jahren. Wir sind sozusagen zusammen aufgewachsen, allerdings auf verschiedenen Seiten des Fernsehers. Er machte drinnen was vor und ich grinste ihm von außen zu. Jetzt stellte er sein Hörbuch “Ein Mann, ein Fjord”!” bei einer Lesung vor.

Ich freute mich natürlich über den unerwarteten Bucherfolg von “Ich bin dann mal weg”, über seine wunderbare Figur Horst Schlämmer, und dass alle Karten für seine Lesung auf der Lit Cologne rasant schnell verkauft waren. Ich freute mich nicht mehr, als ich sah, dass die Schlange der Zuschauer vor dem Eingang schon 45 Minuten vor Einlass gewaltig lang war und bis weit um die nächste Ecke reichte. Hallo? So ging’s ja wohl nicht. Ich war seit Jahrzehnten bekennender Hape-Fan und stand plötzlich inmitten der Massen potentieller Jakobswegpilger und Schlämmer-Fans. Konnten nicht Leute, die Hape Kerkeling grundsätzlich und schon jahrelang gut fanden, nach vorne?

Andererseits freute mich natürlich für ihn, dass er so beruhigend erfolgreich war, blieb geduldig und fand, als ich endlich bis in den Innenraum des Schiffes vorgedrungen war, sogar noch einen sehr guten Sitzplatz in Reihe 19. Reihe 20 war die letzte. Aber immerhin saß ich am Mittelgang und hatte freie Sicht auf die Bühne – sobald ich meinen Oberkörper etwas nach links in den Gang ragen ließ.

Die MS Rhein Energie war ein Schiff, das ansonsten auch Rheinrundfahrten machte und während der Lit Cologne kurzerhand zum ‘Literaturschiff’ erklärt worden war. Neben dem großen unteren Raum, der eigentlich wie ein Saal mit Bühne aussah, gab es noch eine obere Etage, auf der man ebenfalls sitzen konnte und die ein großes Loch in der Mitte hatte, das den Blick auf die Bühne freigab. Zumindest wenn man nahe am Loch saß. Das Schiff sollte während der Lesung auf dem Rhein fahren und pünktlich zum Ende wieder am Ausgangspunkt anlegen. Im Gegensatz zu sonstigen Schifffahrten waren allerdings die Fensterplätze auf beiden Etagen gar nicht so begehrt, weil die meisten Zuschauer statt “Köln bei Nacht” dann doch lieber “Hape beim Vorlesen” sehen wollten.

Mein Gatte lehnte sich neben mir in seinem Sitz zurück, blinzelte zur Anlegestelle, wo die Lichter still und hübsch im Dunkeln funkelten, und erkannte plötzlich: “Das ist ja auch’n ganz großer Nachteil. Wenn’s beschissen ist, kann ich nicht fliehen.” Das stimmte. Ebenso wie der Satz auf der Eintrittskarte: “Kein Einlass nach Beginn – Schiff legt ab!” Vermutlich war das auch für einige Presseleute ungewohnt, dass sie einer Veranstaltung bis zum Schluss beiwohnen mussten und nicht nach 10 Minuten unauffällig verschwinden konnten. Beiboot runterlassen und wild losrudern, würde auf jeden Fall auffallen.

Pünktlich wurde das Saallicht auf dem Schiff herunter gedimmt und erwartungsvolle Halbstille trat ein. Ich saß etwas angespannt und wartete fast auf ein plötzliches Erscheinen von Horst Schlämmer, der unerwartet in grauem Kittel hinter mir stehen, mich mit großen Zähnen angrinsen und “Schätzelein…” gurren würde. Stattdessen kam Rainer Osnowski, Initiator, Geschäftsführer und Festivalleiter der Lit Cologne (vermutlich könnte man noch mehr Bezeichnungen finden, er ist einfach der “Macher”) auf die Bühne und gratulierte allen Zuschauern, dass sie eine der begehrten Eintrittskarte bekommen hatten, was unwahrscheinlicher als ein Lottogewinn gewesen sei. Zwar war die CD zu “Ein Mann, ein Fjord!” schon im Studio eingelesen, damit sie nach der Veranstaltung sofort verkauft werden konnte, aber an diesem Abend gab es die “Welturaufführung vor lebendigen Menschen”. Es war total blödsinnig, aber ich freute mich in diesem Moment, dass ich mit Hape etwas gemeinsam hatte: Wir beide waren bei dieser Welturaufführung dabei. Wie immer auf verschiedenen Seiten, aber immerhin.

Herr Osnowski blieb witzig und kurz, und dann kam Hape Kerkeling auf die Bühne, sah aus wie immer und gurrte nicht. Auch er freute sich, dass kein Zuschauer vor Ende der Veranstaltung den Leseort verlassen konnte und stellte das Konzept der CD vor. Ursprünglich war die Geschichte als Filmidee geschrieben worden: Ein Mann gewinnt einen Fjord, fährt zu den Lofoten, seine Frau folgt ihm mit dem Taxi und es gibt ziemliche Verwicklungen. Beim Vorlesen der Rohfassung war plötzlich die Idee gekommen eine CD, also einen Hör-Film daraus zu machen. Einen Spielfilm für die Ohren, der aber nicht wie ein übliches Hörbuch geschrieben war, sondern bei dem die Regieanweisungen und die Dialoge vorgelesen wurden. Hape Kerkeling sprach alles selber und auch Horst Schlämmer sollte in der Geschichte vorkommen, was mir im Vorfeld etwas seltsam vorkam. Na, mal abwarten.

Hape stellte zunächst die Hauptcharaktere vor und begann dann mit dem Vorlesen der Geschichte. Auch das Schiff regte sich plötzlich, zitterte, vibrierte dumpf und brummelte dann leise los. Die Kölner Altstadt mit den vielen kleinen Lichtern wurde an den Panoramafenstern vorbei geschoben. Wie in einem Freizeitpark, dachte ich. Da wird manchmal auch nur an der Gondel gewackelt und drumherum laufen Filme ab, damit man denkt, man wäre unterwegs.

Es war total gemütlich. Der weiche, bequeme Sessel wackelte ganz sanft, ein leiser Brummton war zu hören, die Zuschauer lauschten andächtig, an den Fenstern zogen schöne Bilder von “Köln bei Nacht” vorbei und Hape las eine Geschichte vor. Von mir aus hätte die Fahrt jetzt bis zu den Lofoten gehen können. Hin und zurück.

Wie es Hape Kerkeling zu Beginn etwas besorgt angekündigt hatte, begann es ein wenig zäh, denn in den ersten Szenen kam man langsam in die Geschichte hinein, lernte den Alltag der Familie kennen und die Verwicklungen begannen erst später. Die Familie war typisch für einen Hape-Kerkeling-Film, so dass ich mir ziemlich gut vorstellen konnte, wie die einzelnen Mitglieder aussehen konnten. Plötzlich tauchte unerwartet Horst Schlämmer in einer Kaufhaus-Szene auf, und als die bekannte, rauchige Stimme ertönte, platzte der Saal lachend los. Draußen zog das beleuchtete Schokoladenmuseum vorbei, drinnen gurrte es: “Schätzelein…”.

Auf interessante Art verwirrend war, dass ich beim Blick zur Bühne Herrn Schlämmer zwar hörte, aber Hape Kerkeling sah. Kurioserweise wurde das reale Hape-Bild mit dichten grauen Haaren und großen Zähnen ausgestattet, und bei einer Zeugenaussage auf der Polizeiwache hätte ich später fest behauptet, dass ich zwischendurch Horst Schlämmer auf der Bühne gesehen hätte.

Die Geschichte entwickelte sich weiter und wurde trotz des steigenden Personenanteils übersichtlicher. Hape gab den verschiedenen Charakteren sehr prägnante Stimmen, so dass immer klar war, wer gerade sprach. Eigentlich war es ein typischer Kerkeling-Film, fand ich, mit vielen feinen Humorstellen, die liebevoll überspitzt eine etwas abgedrehte Familie und ihr meist chaotisches Umfeld zeigten.

Mit der Hörfilmfassung hatte ich allerdings leichte Probleme. Ich fand es hochinteressant, aber ich hätte mehr Zeit gebraucht. Ehe ich die Regieanweisung bildlich und phantasievoll im Kopf umgesetzt hatte (Birgit sitzt mit einem Kaffee am Küchentisch, Ute kommt herein, geht zum Kühlschrank, holt eine Flasche Bier und öffnet sie, da kommt Norbert herein…) ging schon der Dialog los und ich musste mich sofort auf ihn konzentrieren. Bis dahin wusste ich nicht, wie die Küche eingerichtet war, ob die Tapete grün oder orange und an welcher Seite das Fenster war. Vielleicht wollte ich einfach zu viel im Kopf umsetzen, aber bei einem Buch hätte ich bei Bedarf kurz angehalten, mir die Küche im Kopf eingerichtet und dann erst weitergelesen.

Außerdem machte ich mir noch lange während späterer Szenen Gedanken, ob der Eimer vom Blumenladen am Bahnhof aus blauem Plastik oder aus silberglänzendem Zink war. Für mich war das ein wichtiger Unterschied, der entscheidend für das Bild war. Lief Norbert mit einem leichten, blauen Plastikeimer durch die Gegend, wie ich zunächst spontan dachte, oder mit einem laut klappernden Zinkeimer, wie mir danach in den Sinn kam? Warum hatte ich eigentlich spontan an Blau gedacht? Hatte Hape das im Text erwähnt? Mehrere Szenen später ging mir plötzlich durch den Kopf: “Sind das nicht immer so schwarze Plastikeimer in den Blumenläden? Nein, nicht, wenn es ein teurer Laden ist, dann haben die Zinkeimer. Aber am Bahnhof? Da gibt’s bestimmt Plastikeimer. Aber doch nicht in blau!”

Sehr schön und gelungen fand ich die vielen kurzen Hinweise und die sich wiederholenden Schlagworte. Es hing alles zusammen, immer wieder verbanden sich Szenen und wurden Fäden verknüpft. Uschi Blum sang überall ihre schrecklichen Schlager, Ford und Fjord wurden gerne verwechselt und es war fast verwunderlich, dass alle so haarscharf nebeneinander her aktiv sein konnten, ohne sich ständig in die Arme zu laufen. Trotz einiger übersprungener und nur kurz in der Handlung erklärter Kapitel, war der Bogen der Geschichte gut erkennbar und das Zuhören machte Spaß. Es war witzig und immer wieder gab es laute Lacher. Aber auch die leisen Lacher waren schön.

Allerdings störte mich Herr Schlämmer immer noch. Gespannt warteten die Zuhörer – auch ich – wann er in der Geschichte wieder auftreten würde, beziehungsweise sich mit seiner rauchigen, sexgeschwängerten Stimme, die so gar nicht zu seinem Äußeren passte, zu Wort melden würde, aber bei aller Komik blieb er für mich ein Fremdkörper. Ein Gaststar, der zur Freude des Publikums mitspielte, aber eigentlich nicht wirklich hineinpasste. Genauso wenig hätten Sophia Loren oder Inspektor Columbo in die Geschichte gehört.

Um es klar zu sagen: Ich finde die Figur Horst Schlämmer toll. Sie ist stimmig und glaubhaft, und ich freue mich sehr, wenn der etwas aufdringliche, von sich selbst überzeugte Reporter irgendwo auftaucht. Aber für mich ist er zu eigenständig und lebt in einer anderen Welt als die Familie Krabbe aus Wanne, die so chaotisch zum Fjord in den Lofoten unterwegs ist. Allerdings sehe ich ein, dass ein Großteil der Zuhörer genau die Horst-Schlämmer-Stellen toll findet und ihn unbedingt dabeihaben möchte. Ich habe nur die Sorge, dass bei allem Schlämmer-Hype der eigentliche Kerkeling-Humor ein wenig übersehen wird, weil zu gespannt auf “Schätzelein” und “Kreislauf” gewartet wird.

Am Ende der Lesung, die nicht das Ende der Geschichte war, gab es die Möglichkeit Fragen zu stellen. Hape Kerkeling antwortete freundlich, ehrlich und sehr ernsthaft, bei lustigen Fragen aber auch witzig und schlagfertig. Die letzte Frage brachte ihn dann allerdings aus dem Konzept: “Welche Kapitel lesen Sie als Zugabe?” Tosendes Zuschauergeklatsche unterstützte den geschickt angebrachten Wunsch. “Da waren wir gar nicht drauf vorbereitet”, reagierte Hape verwirrt und blätterte in der Loseblatt-Sammlung. Mit tiefer Horst-Schlämmer-Stimme gurrte er ergänzend: “Wir haben uns innerlich auf’n Flop eingestellt.” Doch dann las er spontan noch eine weitere Szene, die Zuhörer freuten sich und ließen ihn danach zur Signierecke auf das Oberdeck gehen, wo sich schon wieder eine lange Ansteh-Schlange bildete, die quer durch das Schiff reichte.

In meiner Nähe standen zwei gutaussehende, junge Frauen, die doch tatsächlich von Horst Schlämmer schwärmten: “Der sieht so geil aus!”. Ich grinste in mich hinein und dachte, dass sie die echten Herr Schlämmers, die es ja auch gab, vermutlich keines Blickes würdigen würden, egal wie sexy die gurren konnten.

Als ich im Booklet der frisch erstandenen CD blätterte, erledigte sich übrigens die Frage nach der Eimerfarbe: Blau. Fazit: Ein sehr schöner Abend, der mir für eine Reise zu den Lofoten zu kurz vorkam und der für mich gerne noch etwas länger hätte dauern können, ein vorgelesener Hape-Kerkeling-Film mit immer verrückteren Verwicklungen, der Spaß machte, ein witziger Horst Schlämmer, den ich eigentlich toll finde, der mir aber in der Handlung zu knallig war, weil das Publikum so knallig auf ihn reagierte, und ein Hape Kerkeling, der wieder mal total nett und sympathisch war.