Kurt Krömer – Na, du alte Kackbratze – 19.10.2005 – Bonn
Pantheon, Bonn
Im Bonner Pantheon habe ich Kurt Krömer im Jahr 2001 zum ersten Mal gesehen. Er war Teilnehmer beim ‘Prix Pantheon’, und er war an diesem Abend nicht besonders gut gewesen. Vielleicht war es eine ungünstig gewählte Nummer aus seinem Programm, vielleicht der blöde Anfangsplatz. Er war nicht wirklich schlecht, aber seine Darstellung wirkte für mich auch nicht rund und überzeugend. Trotzdem blieb er mir fest im Gedächtnis, denn ich dachte oft an ihn, so wie ich ihn NACH der Veranstaltung gesehen hatte. Ein stiller, fast einsam wirkender Clown, der allein im wirbeligen Foyer stand und total nett aussah.
Ich wäre damals so gerne zu ihm gegangen, damit er nicht alleine blieb, aber ich wollte ihm nicht sagen, dass er einen guten Auftritt hatte, denn dass das nicht stimmte, wusste er selber. Ich will so was auch aus aufmunternden Gründen nicht lügen. Ich wollte aber auch nicht sagen, dass der Auftritt nicht besonders gut war und mit ihm nach Gründen dafür suchen. Und ganz neutral übers Wetter zu sprechen, kam mir auch nicht wie die Lösung vor. Also ging ich nach Hause und behielt das traurigschöne Bild von ihm im Kopf.
Als Kurt Krömer danach immer mal wieder im Fernsehen zu sehen war, guckte ich mit steigendem Interesse zu. Der war gar nicht so schlecht. Eigentlich sogar richtig gut. Manchmal hing ich laut lachend vor dem Bildschirm und fand seine verschrobene Darstellung sehr treffend. “Der ist viel besser geworden und gefällt mir jetzt richtig gut”, informierte ich meinen Gatten am Tage der Krömer-Vorstellung. “Da kann man sehen, wie sich dein Humor geändert hat”, brummte der. “Ich glaube, der ist inzwischen WIRKLICH besser geworden und alles ist stimmiger in seiner Rolle”, behauptete ich. “Tja, das hättest du wohl gerne. Ich sage nur: Rainald Grebe.” Das war der Schwachpunkt unserer Beziehung. Während ich Rainald Grebe abgedreht und sehr vergnüglich fand, war meinem Gatten dessen Humor nicht logisch genug und ihm fehlten die ‘richtigen’ Enden. So gesehen war Kurt Krömer auch unlogisch.
Das Bonner Pantheon war knackevoll. Kurt Krömer war kein Geheimtipp mehr, sondern hatte einige Tage zuvor sogar von RTL den “Deutschen Comedy Preis 2005” als “Nachwuchstalent des Jahres” verliehen bekommen. Ich war gespannt auf den Abend mit ihm, blieb aber immer noch skeptisch, ob es mir durchgehend gefallen würde. Und schon kam ein Minuspunkt. Ich fragte vor der Vorstellung bei den Mitarbeitern nach, ob ich für meinen Bericht während der Vorstellung Fotos machen dürfe, natürlich völlig unauffällig und blitzfrei, und bekam eine Absage. Nein, Fotos waren nur nach vorheriger Absprache mit der Pressestelle erlaubt, die sich im Vorfeld informieren wollte, wo der Bericht veröffentlicht werden sollte. So kurzfristig ging garnichts. Na, wie uncool war das denn? Nun gut, wenn sie keine netten Fotos haben wollten, würde ich auch keine machen. Auch nicht heimlich. Hätte zwar keiner bemerkt, aber da konnte ich jetzt auch eigen sein.
Als Kurt Krömer auf die Bühne kam, wurde er von lautem Applaus begrüßt. Es saßen einige Fans im Publikum, die schon vorfreudig lachten, als sie ihn nur sahen. Eigentlich sah er immer noch so aus, wie vor vier Jahren beim Prix Pantheon. Jung, schlank, nett, mit einem schlechtsitzenden Anzug, einer großen Brille und einem Seitenscheitel. Er war passend dazu linkisch und unsicher. Als er sprach, wirkte er aber viel selbstsicherer als vor vier Jahren im Pantheon. Auch wenn sich das jetzt unlogisch anhört: Er spielte die Unsicherheit mit großer Selbstsicherheit. Seine Rolle und die dargestellte Figur waren rund, logisch und überzeugend.
Mit Berliner Akzent und wenig hochgeistiger Bildung, dafür eigener Weltanschauung, erzählte er sich durch die Show, war dabei einerseits schüchtern und fast unterwürfig, konnte aber auch sauer explodieren. Das aber nur, wenn er in sicherer Entfernung war. Wie ein kleines Kind ärgerte und zankte er immer wieder los und hatte eine dicke Klappe, wenn er wusste, dass sein Gegner ihn nicht erwischen konnte. Die Kommunikation mit dem Publikum war dabei ganz wichtig.
“Können Sie überhaupt sehen?”, fragte er freundlich bei einem Zuschauerpaar nach, das zwar vorne, aber ganz am äußersten Saalrand saß und einen eingeschränkten Bühnenblick haben musste. Als die beiden verneinten, rief er bedauernd: “Schade. 80 Prozent der Show findet HIER statt!”, sprang aus ihrem Blickfeld, drückte sich eng an den seitlichen Vorhang und grinste zänkisch. “Ich mach jetzt ’n Handstand!”, rief er laut. “Und jetzt jonglier ich mit acht Bällen!” Das Publikum lachte los und applaudierte willig, als er aus seinem Versteck dazu aufforderte.
Mit bedauerndem Blick kam er danach an den Bühnenrand zurück und erklärte den beiden Besuchern, dass sie leider die ‘Arschkarte’ gezogen hätten. Der Mann rief: “Da kriegen wir nachher die Hälfte zurück”, woraufhin sich die Stimmung von Kurt Krömer schlagartig änderte: “Wat kriegt ihr zurück?”, fragte er drohend und wurde laut: “Ihr kriegt nachher einen Jochbeinbruch!” Das Publikum johlte vergnügt, und er teilte nach einem Blick auf das Paar mit: “Na, mit dem Publikum haben wir heute Pech.”
Eigentlich machte Kurt Krömer auf der Bühne alle Fehler, die man als Künstler vermeiden sollte. Er schien kein wirkliches Konzept zu haben, er war nachlässig gekleidet, er wirkte unsicher, er beschimpfte Zuschauer, er hatte völlig unvorhersehbare Stimmungswechsel, er zankte und ärgerte, und er erzählte Geschichten, die kein Ende hatten. Etwas überrascht stutzte ich, als seine vorgelesene, etwas längere Geschichte, wie er eine junge, hübsche Türkin bei einem Umzug kennengelernt hatte und wie er dann bei ihr zu Hause klingelte und ihr kleiner Bruder ihn mit: “Was willst du? Hau ab!” begrüßte, plötzlich endete. Sie hörte einfach mittendrin auf. Kurt Krömer bemerkte die Verwunderung des Publikums und sagte nur herablassend: “So ist das. Im Leben hat nicht jede Geschichte ein Ende”, und machte mit einer anderen Sache weiter.
Ich blickte rasch zu meinem Gatten, der ja der Kämpfer für ordentlich beendete Geschichten war, aber der grinste nur vergnügt. So vergnügt, wie eigentlich alle Zuschauer grinsten, denn die Show mit Kurt Krömer war spannend und sehr lustig. Was würde er als nächstes machen? Aus seinem Leben erzählen, sein Publikum mit versöhnlichem Lächeln und seinem typischen: “So, Freunde …” begrüßen, oder einen Zuschauer blöd anmachen, verhöhnen, dann freundlich werden, um im Weggehen noch eine Beleidigung hinterherzuwerfen? Was er auch machte, das Publikum machte willig mit und ließ sich ohne Widerstand von ihm lenken. Er wirkte nicht wirklich gefährlich. “Markus, geh raus und schlag ihn zusammen!”, gab er seine Anweisung an einen Zuschauer und hielt sich selbst, schmächtig wie er war, zurück.
Nach einer Stunde Programm kündigte er freundlich lächelnd an: “Die nächste Weltklassenummer dauert zwanzig Minuten und heißt …” Er machte eine bedeutungsvolle Unterbrechung und natürlich rief sofort jemand: “Pause!” hinein. Sauer sprang Kurt Krömer auf, blickte suchend ins Publikum und rief in strengem Lehrerton: “So, wer hat das jetzt reingerufen?” Er entschied: “Es gibt KEINE Pause! Da können Sie sich HIER bedanken!”, und zeigte anklagend auf einen Zuschauer. Er setzte sich an seinen Tisch zurück – auch das Publikum blieb weiterhin sitzen – und erklärte: “Es gibt Leute, die pullern müssen”. Mit lautem Gluckern goss er sich sehr langsam ein Glas mit Mineralwasser voll. Genüsslich schlürfte er ein und spuckte das Wasser dann in dünnem Strahl plätschernd ins Glas zurück. “Iiiiii!”, hörte man einige Frauenstimmen. Kurt Krömer pöbelte: “Wie Iiiii?? Guck mal in den Spiegel – DAS ist Iiiii!”
Schließlich ging er doch von der Bühne ab, um sofort zurückzukommen und seinen Tisch abzuräumen: “Ich wollt nur noch die Wertsachen mitnehmen.” Das Saallicht ging an, die Zuschauer standen auf, blieben aber an ihrem Platz stehen, denn es blieb spannend. Immer wieder ging Kurt Krömer ab, kam aber sofort danach auf die Bühne zurück, pöbelte etwas rum, guckte nur mal zu, was die Zuschauer so machten, oder sprang hüpfend quer bis zur anderen Seite. Es war völlig sinnlos, aber sehr witzig. Erst als er einige Minuten lang nicht mehr kam, schoben sich die Zuschauer nach draußen, immer aber in der Erwartung, dass er plötzlich zurückkehren könnte. Tat er aber nicht. Beziehungsweise erst, als alle Zuschauer am Ende der Pause wieder saßen.
Der zweite Teil hatte keine Konzeptänderung, was zum ersten Teil passte, in dem ich kein Konzept entdeckt hatte. Es machte aber viel Spaß dem chaotischen Herren zuzusehen, wenn mir auch manche fertigen Nummern schwächer als seine spontanen Improvisationen vorkamen. Aber weil er viel improvisierte und mit dem Publikum spielte, war der ganze Abend eine sehr amüsante und kurzweilige Sache. Einige Nummern verrieten aber auch, dass dort ein Mensch stand, der sich sehr gut in ganz andere Rollen versetzen konnte, und der nicht nur schwächlich und pöbelnd berlinern, sondern auch kräftig und völlig unwitzig Hochdeutsch sprechen konnte. Kurt Krömer verpackte die anderen Rollen in Geschichten, die von Kurt Krömer nacherzählt wurden, was ein bisschen davon ablenkte, wie gut er schauspielerisch war.
Ich überlegte, ob ich ihn überhaupt erkennen würde, wenn er mir in der Bahn ohne den schlechtsitzenden Anzug, ohne Seitenscheitel, ohne seine verklemmte Art und ohne seine emotionalen Ausbrüche gegenübersitzen würde. In Jeans und mit normaler Stimme würde mir vielleicht höchstens noch sein nettes Lächeln entfernt bekannt vorkommen. Auf jeden Fall hatte er viel Talent und war mit der Rolle von Kurt Krömer eigentlich unterfordert.
Die Schlussmusik war die Erkennungsmusik der ‘Stunksitzung’. Hey! Das passte nicht. Nachdem ich in der vergangenen Session so viel mit der Kölner Stunksitzung zu tun hatte, gehörte diese Musik für mich nicht zu Kurt Krömer. Aus Prinzip klatschte ich nicht im Takt mit, so wie es die anderen Zuschauer machten. Mein Gatte guckte fragend, und ich erklärte ihm: “Das ist die Stunksitzungsmusik, die gehört hier nicht hin, da will ich nicht mitmachen.” Er maß mich mit einem langen Blick und sagte dann genüsslich: “Manchmal bist du auch kleinlich, oder?”
Am Ende des Abends gab es ein sehr begeistertes, laut applaudierendes Publikum, das mehrere Zugaben forderte und auch bekam. Die Show endete damit, dass Kurt Krömer während des Applauses auf die Uhr blickte und sich laut drohend bedankte: “Noch fünf Minuten und ich hol die Bullen!!”, bevor er unter dem Gelächter des hocherfreuten Publikums grinsend abging.
Wenn ich mir heute eine Aufzeichnung des damaligen Prix Pantheon Auftrittes von Kurt Krömer ansehen könnte, würde ich wohl sagen können, was die Unterschiede zum aktuellen Auftritt waren. Im Prinzip spielte er die gleiche Rolle, war jetzt aber wirklich witzig und bei allen Pöbeleien sympathisch, nett und ungefährlich. Auf jeden Fall hatte er das Publikum jetzt sofort gewonnen und mir einen spannenden, witzigen, sehr unterhaltsamen und unerwartet vielfältigen Abend geboten. Wie schön, dass ich sagen kann, dass Kurt Krömer nicht nur in seiner Fernsehshow, sondern auch einen ganzen Abend lang sehr lohnenswert ist.
Vermutlich steht er auch nach den Vorstellungen nicht mehr alleine in wirbeligen Foyers herum, was ich sehr beruhigend finde. Wobei ich allerdings auch weiß, dass der stille Betrachter am Rande zufriedener sein kann, als der umwirbelte Mittelpunkt. So, und weil ich leider kein Foto machen durfte, aber trotzdem zeigen möchte, wie Kurt Krömer auf der Bühne aussah, hier eine kleine, spontane Skizze:
Kann natürlich nicht ganz so treffend wie ein gutes Foto rüberkommen, zumal ich es im abgedunkelten Zuschauerraum halb blind auf den Block kritzeln musste, aber wenn Herr Krömer sich lieber von genehmigungsfreien Schnellzeichnern abbilden lassen möchte, dann muss er eben mit solchen Ergebnissen leben. Und demnächst vielleicht sogar hören: “Ach, SIE sind Kurt Krömer? Ich hab Sie mir ganz anders vorgestellt. Im Internet habe ich da mal so ein Bild von Ihnen gesehen …”
Ja, ich bin kleinlich. Und ich zanke hin und wieder auch sehr gerne und mit Vergnügen. Und Kurt Kömer finde ich klasse.