Wise Guys – 18.02.2004 – Totalnacht – Köln … mit sechs Stunden Wahnsinn
TOTALNACHT VORGEPLÄNKEL
Seit 1998 fand die Wise Guys Totalnacht alle zwei Jahre statt. Bei der ersten ging es darum, an einem Abend das gesamte Repertoire zu singen. Inzwischen war das gar nicht mehr möglich. Etwa 70 Lieder passten in die sechsstündige Veranstaltung, die um 19 Uhr begann und in fünf Blöcken bis 1:00 Uhr morgens ging. Die Wise Guys Totalnacht hatte Kult-Charakter und die etwa 1000 Karten für die Köln-Mülheimer Stadthalle waren begehrt. Das führte zu Problemen.
Die Preise für die Karten waren in diesem Jahr erhöht worden und lagen jetzt mit Vorverkaufsgebühr bei etwa 50,-Euro pro Person, für Schüler und Studenten 28,- Euro. Es gab empörte Stimmen, die sich über diese “Abzockerei” beschwerten. Hielten die Wise Guys sich jetzt für Superstars, oder was? Einige Leute hatten daraufhin keine Lust mehr auf den Besuch der Totalnacht. Dass es für das Geld ein sechsstündiges Kult-Konzert mit garantiert guter Laune und großem Unterhaltungswert gab, verdrängten sie dabei. Ja, es war toll, dass die Einnahmen an zwei gute Zwecke gespendet werden sollten, aber warum selber dafür so viel Geld bezahlen?
Drei Monate vorher, am 29. November, startete der Verkauf von etwa 600 Karten per Telefon. Zwei Leitungen wurden pünktlich freigeschaltet und sofort von vielen gleichzeitigen Anrufern blockiert. Eine gute halbe Stunde später waren viele Telefone heißgewählt und die Karten alle weg. Verzweifelte Fans vergossen heiße Tränen oder schrieben sich ihren Frust im Gästebuch von der Seele. Einen Vorschlag, wie man die Karten an so viele Interessenten möglichst gerecht verteilen könnte, bot keiner.
Eine weitere Chance an die begehrten Eintrittskarten zu kommen, hatte man am 10. Januar 2004, einem Samstag. Um 11 Uhr startete im Kölner Wise Guys Büro der Direktverkauf der letzten Karten, was einige Leute schon wieder blöd fanden, weil sie weiter weg wohnten und nicht dafür nach Köln fahren konnten oder wollten. Die extra anreisenden Interessenten überlegten dagegen tagelang, wann man vor dem Büro sein musste, um zu den glücklichen Käufern zu gehören. Einige entschieden sich für den Abend vorher und verbrachten die Nacht in Schlafsäcken vor der Bürotür. Die anderen stellten den Wecker früh und kamen in den frühen Morgenstunden.
Um 9 Uhr stand die „Totalnachtkarten-Büroverkauf-Schlange“ ordentlich an der Häuserzeile entlang von der Bürotür bis hinter die etwa 150 m entfernte Straßenecke herum. Das heißt, es standen nicht alle, einige nutzen mitgebrachte Klappstühle oder saßen auf Decken und Isomatten am Boden. Auffällig war, dass die Stimmung in der ganzen Schlange aufgedreht und lustig war. Wise Guys Musik erschallte halblaut aus verschiedenen CD-Playern, es wurde gelacht, erzählt und Thermoskannen gingen herum. Zum Glück war der angekündigte Regen nicht gekommen, die Temperatur lag am Morgen um 6 Grad, und es war damit für Januar sogar relativ warm. Die nahegelegene Bäckerei an der Ecke verkaufte unüblich viele Brötchen und Croissants, und der McDonalds an der Straße konnte ebenfalls zur Versorgung beitragen.
Gegen 10 Uhr kamen Eddi, Sari, Dän und Ferenc, um an die Wartenden Tee und Kaffee zu verteilen, ein Service, der gerne in Anspruch genommen wurde. Nicht nur wegen des Kaffees, auch wegen der Kellner. Es gab lockere Gespräche, Zurufe und Fragen, und die Fans freuten sich, dass die Wise Guys extra gekommen waren und sich ihrerseits über so viele „bekloppte“ Fans freuten. Eddi zählte schon mal durch und gab am Ende der Schlange vorsichtig erste, positive Aussichten bekannt: „Das könnte eventuell klappen!“ Auf maximal zwei Karten pro Person war der Verkauf begrenzt, aber hin und wieder gab es Leute, die tatsächlich nur eine Karte brauchten, so dass nicht klar war, wie lange der Vorrat reichen würde.
Um 11 Uhr schoben Sari und Ferenc im Büro einen Tisch vor die Eingangstür und begannen mit dem Verkauf. Ferenc überreichte die Karten und führte eine Strichliste, und Sari rechnete als Mathematiker die Preise für jeweils eine oder zwei Karten aus und kassierte. Alles ging ohne Gedrängel und Stress ab, auch wenn die Spannung im hinteren Drittel der Schlange langsam stieg, ob es genug Karten für alle geben würde. Es standen mehr Leute als beim vergangenen Büroverkauf an, aber bei den neuen Preisen wollte kaum einer auf gut Glück mit einer zweiten Karte nach Hause kommen und dann eventuell keinen Interessenten dafür finden. Außerdem gab es Leute, die nur als Begleitung für den Kartenkäufer dabei waren, damit es dem nicht langweilig wurde und weil es gemeinsam in der Warteschlange viel lustiger war.
Das Ende der Schlange rückte auf die Bürotür zu. Eddi stand einige Meter entfernt, zählte immer wieder durch, ließ sich den aktuellen Kartenvorrat aus dem Büro nennen und stellte fest: „Das könnte wirklich reichen.“ Die letzten Anstehenden bekamen schon einen Schreck, weil sie nicht genau hören konnten, was er sagte, wurden aber über die positive Prognose aufgeklärt. Pech für die, die im Verlauf des Morgens zum Büro gekommen waren, die Schlange grob abgezählt hatten und sofort wieder gegangen waren, weil sie es für aussichtslos gehalten hatten. Sie hatten nicht nur ihre Karten, sondern auch eine Menge Spaß verpasst.
Um 11 Uhr 45, ganze 45 Minuten NACH Verkaufsbeginn, kam ein Herr, fragte hoffnungsvoll: „Lohnt es sich noch, sich anzustellen?“ und stellte sich an das sehr kurze Reststück der Schlange. Keine fünf Minuten später war er dran, bekam eine Karte und zog freudestrahlend ab. Glückspilz! Die Übernachter stellten grinsend fest: „Der war um Viertel VOR 12 da, wir um Viertel NACH 12 – aber eben schon gestern.“ Sie hätten ihre lustige Nacht auf den Straßen von Köln vor dem Wise Guys Büro aber nicht getauscht.
Weil es nach dem Büroverkauf tatsächlich noch ein paar letzte Restkarten gab, für die niemand mehr anstand, stellte das Wise Guys Büro sie bei Ebay ein, damit sie deutschlandweit ersteigert werden konnten. Sofort gab es die nächste Kritik, dass damit die Preise hochgingen, und dass man das besser bei einem zweiten Telefonverkauf gemacht hätte. Die ersten beiden Karten gingen als Doppelpack dann auch für sagenhafte 246,- Euro weg, und auch die weiteren Karten wurden im Schnitt für jeweils etwa 80,- Euro ersteigert. Damit waren alle Karten weg und die Totalnacht war ausverkauft.
Kurz vor der Totalnacht gab es dann plötzlich wieder übriggebliebene Karten, weil Leute krank geworden oder abgesprungen waren. Die Verkäufer waren froh, die Karten für den Normalpreis zu verkaufen, um nicht auf den Kosten sitzen zu bleiben. Ganz überraschend kamen damit einige Kurzentschlossene doch noch an Karten zu Normalpreisen. Pech für die EBAY-Ersteigerer. Selbst unmittelbar vor dem Konzert gab es noch Aufrufe im Gästebuch: “Hilfe! Habe eine ermäßigte Karte zu viel!”, und sogar in der Warteschlange vor der Mülheimer Stadthalle fanden einige plötzlich übrige Karten noch ihren neuen Besitzer.
Die ersten Besucher der Totalnacht standen um 13 Uhr vor der Halle. Wie immer wollten deutlich mehr Leute in die erste Reihe, als es dort Stühle gab, darum musste man dem Glück etwas Zeit spendieren und früh genug anstehen. Der Eingang befand sich diesmal vor einer Nebentüre, zu der eine Rampe mit Geländer führte. Dadurch konnte nicht mehr so stark gedrängelt werden und es gab auch nicht mehr einen dicken Pulk von Leuten vor der Türe. Diejenigen, die sich sonst gerne einfach von der Seite dazustellten, mussten sich diesmal am Ende der Schlange anstellen, die sauber um die Ecke geführt wurde. Sehr gut.
Alles lief ruhig und fröhlich ab, auch als der Eingang geöffnet wurde und kleine Gruppen ins Foyer gelassen wurden. Dort begann der Ärger dann aber doch wieder, weil die Saaltüren noch nicht geöffnet waren und sich alles unkontrolliert im Vorraum staute. Da wäre es besser gewesen, mit dem Einlass noch zu warten, dann den Kleingruppen aber direkt den Weg bis in den Saal freizugeben. Für viele war es zudem ärgerlich, dass sie kostenpflichtig ihre Jacken und Picknicktaschen an der Garderobe abgeben mussten, wobei ich mich wunderte, dass jemand wirklich Essen in ein Konzert mitnehmen musste. OK, das Konzert war übernatürlich lang, aber ich esse normalerweise auch nicht die ganze Nacht durch.
Im Foyer war es schon übervoll, als endlich die Türen zum Saal aufgemacht wurden. Die Ordner ließen die Besucher allerdings nur langsam und sehr verzögert in den Saal, während von hinten angesichts der offenen Türen massiv gedrängelt wurde. Der Saal füllte sich schnell, aber es gab Stau vor der Garderobe, weil die dort beschäftigten Damen nicht schnell genug mit dem Einsammeln der verpflichtend abzugebenden Jacken hinterherkamen.
Es wurde 19 Uhr, aber das Konzert konnte angesichts der vielen Leute vor der Garderobe nicht losgehen. Die Wise Guys liefen im Backstagebereich hin und her. Sie waren eingesungen, startbereit und aufgedreht. Ruhig auf dem Stuhl zu sitzen ging einfach nicht mehr. Die lange Totalnacht stand bevor und machte die Atmosphäre prickelig. 70 Lieder und sechs Stunden Konzert – was für ein Wahnsinn!
* * * * *
TEIL 1: KREUZ UND QUER
Etwa 10 Minuten später als geplant saßen die meisten Zuschauer endlich auf ihren Plätzen, das Saallicht ging aus und auf der Bühne strahlten zwei Scheinwerfer schräge Lichtkegel auf den Hintergrundvorhang. Laute Star-Wars-Musik erklang, und plötzlich war eine tiefe, professionelle Ansagerstimme zu hören, die das Konzert ankündigte. Sie wurde mit Jubel begrüßt und viele erkannten gar nicht, dass es die Stimme von Ferenc war. Es war aber auch ein großer Unterschied zu seinem üblichen “Dum-Dum”. Leider war die untergelegte Musik etwas zu laut, und das Publikum johlte euphorisch los, sobald Namen verstanden wurden und verpasste damit einen großen Teil des Textes. Egal, es war ein sehr guter Anfang, der Stimmung machte. Die einzelnen Namen der Wise Guys wurden genannt und jedes Mal sprang der Betreffende auf die Bühne. Donnernder Applaus schallte durch den Saal, der dann auch noch mit Fußgetrampel unterstützt wurde.
Die Wise Guys hatten ihre normalen “Alltags-Bühnen-Klamotten” an, stellten sich nach einiger Zeit zusammen und starteten in den Lärm mit einem Ruf, der gerade noch zu erkennen war, weil es im Saal sekundenschnell leise wurde. „Niemals aufgeben!“, und die Kenner im Saal stimmten laut in das Zitat aus „Galaxy Quest“ ein: „Niemals kapitulieren!“
Sofort ging der Wise Guys Opener los und ich freute mich, denn genau mit dem ging vor langer Zeit mein erstes Wise Guys Konzert los. Das waren die gleichen Töne, der gleiche Text und optisch fast haargenau die Jungs, die mich damals ganz unerwartet, aber sofort schwer beeindruckt hatten. Ein heute noch folgenreiches Erlebnis für mich.
Das Publikum klatschte mit und kannte den Text. Clemens sang über Ferenc: „Er ist ja fast schon dreißig“, und musste dabei selber lachen, denn inzwischen lag Ferenc … nun, knapp drüber. Nach dem Lied gab es Riesenapplaus, was nicht anders zu erwarten war. Sofort folgte Das war gut, womit die Überschrift des ersten Blocks “Kreuz und quer‘ bestätigt wurde. Da lagen Lieder zeitlich ganz schön auseinander und passten doch gut nebeneinander ins Programm. Sari bewegte sich geschmeidig und auch das Tempo des Liedes war genau richtig. Schön!
Nach langem, lauten Gejubel begrüßte Dän das Publikum: „Vielen Dank, meine Damen und Herren. Wir sind gekommen, um mit Ihnen die Nacht zu verbringen.“ Das war ein nettes Versprechen. Dän guckte ins Publikum: „In den Gesichtern Erwartungsfreude, Spannung, Panik, Entsetzen – aber warum sollte es euch besser gehen als uns?“
Er kündigte für den Abend 70 Lieder an, „jetzt nur noch 68“, und erläuterte die Einteilung in 5 Blöcke zu je 14 Liedern. Dazwischen sollte es kurze Pausen geben, deren Ende durch eine laute Fanfare angezeigt würde. „Wenn Sie das hören, geht es hier zwei Minuten später weiter, egal, wer da ist.“ Die Zuschauer lachten vergnügt, aber Dän mahnte: „Ich glaube, manche von Ihnen, die zum ersten Mal auf einer Totalnacht sind, unterschätzen auch den Faktor: Anstrengung für das Publikum. Sie werden spätestens um 23 Uhr anders aussehen, als jetzt!“
Es gab enttäuschtes Oooh, als er sagte, dass es nur 70 Lieder aus dem Repertoire von inzwischen etwa 140 bis 150 Stücken gäbe, und er grinste: „Wie gesagt, wir sprechen uns um 23 Uhr!“ Außerdem sollte es keine Zugabe geben: „Letztes Lied – Feierabend! Falls dann noch jemand hier ist.“
Weiter ging es mit Wie die Zeit vergeht, passend zur Aussage von Dän, dass es an diesem Abend Lieder aus einem Zeitraum von 12 Jahren geben würde. Es war schön swingend-fetzig, und Clemens winkte den langen Schlussapplaus ab. Dän erklärte dazu: „Wie gesagt, die Zeit drängt!“ Es ging weiter mit Ein Herz und eine Seele. Die Wise Guys standen ganz still nebeneinander auf der Bühne, und es war sehr schön. Ein voller Klang, der sanft durch den Raum strömte. Nur an einer Stelle gab es Gelächter, als Eddi sang: „Inzwischen hab’ ich längst eine Andere gefunden“, und Clemens die Hand hob und mit fünf Fingern wackelte. Mir sah das allerdings eher nach einem Missverständnis aus, bei dem Clemens zufällig an dieser Textstelle Igor am Ton etwas über den Monitorklang signalisieren wollte. Aber witzig war’s.
Charlie Razzamatazz jazzte los und Eddi hatte kurze Texthänger, die mal ein oder zwei Wörter betrafen. Hätte er an diesen Stellen einfach irgendein englisches Wort eingeschoben, wäre mir nichts aufgefallen und ich hätte die fehlende Verständlichkeit auf mangelnde Vokabelkenntnisse meinerseits geschoben. Aber die Lücken waren eindeutig kein Text! Es war aber wirklich nur kurz und Eddi immer sofort wieder drin, also kein wirkliches Problem.
Als nächster Punkt stand die Zuschauerumfrage auf dem Programm. Das Licht ging an und Dän las interessiert ein Plakat aus den ersten Reihen vor: „Sari, mach uns die Kuh!“ Es gab eine kurze Besprechung auf der Bühne, dann verkündete Dän: „Es könnte sein, dass das die einzige Zugabe heute Abend ist“, was sofort bejubelt wurde.
Bei der Umfrage ging es nicht um weite Anreisen, sondern um die Häufigkeit von Wise Guys Konzertbesuchen. Es gab tatsächlich wieder Leute, die an diesem Abend ihr erstes Konzert erlebten, manche waren schon öfter als fünf Mal dabei, andere bis zu fünfzig Mal. Einige Zuschauer hatten alle bisherigen Totalnächte erlebt und saßen zum vierten Mal dabei. Allerdings bewertete Dän das mit Blick in den Saal: „Ach, das ist ja nur Familie.“ Auch ich hatte an diesem Abend ein ganz besonderes Konzert, aber das wussten die Wise Guys nicht. Ich hatte es ihnen nicht erzählt, aus dem einzigen Grund, weil ich es an diesem Abend komplett vergessen hatte. Erst zu Hause fiel es mir wieder ein. Es war genau mein 100. Wise Guys Konzert, und das hätte eigentlich gefeiert werden müssen. Aber es war vielleicht ganz gut, dass es einfach so vorbei ging, ohne dass es jemand wusste.
Sari legte mit Ich bin grumpig los und war für so schlechtes Wetter unverschämt gut drauf. Ohne weitere Ansage ging es dann mit Wenn sie tanzt weiter. Sehr ruhig sang Dän die Leadstimme und hatte plötzlich in der ersten Strophe zwei kleine Texthänger. Aus dem Saal setzte sofort ein sanfter, vielstimmiger Mädchenstimmenchor ein und begleitete ihn textsicher. Dän forderte mit einer Armbewegung zum Weitersingen auf und zeigte sich mit einem liebevollen eingeschobenen: „Danke!“ erkenntlich. Der Chor blieb fast durchgehend leise und wunderbar begleitend dabei, sicherte Dän textlich ab, so dass es keine Probleme mehr gab, und hörte sich dazu auch noch wirklich schön an. Das war die Totalnacht. Ein Saal voller positiv eingestellter Fans, die eingriffen, wenn ihre Helden strauchelten und sie sanft trugen. Klasse!
Dän kommentierte danach: “Das Lied in der kompletten Textversion können Sie nachhören auf der CD ‚Ganz weit vorne‘.” Er versicherte, dass sie sich viel Mühe beim Textlernen gegeben hätten und sagte: „Das Gegenteil von gut? Gut gemeint.“
Auf das erste Solostück von Ferenc mussten die Zuschauer der Totalnacht nicht lange warten. Bei Haarige Zeiten legte er voll und tief los und wurde im Refrain vom laut mitsingenden Publikum unterstützt. Der Schlussapplaus war lange und steigerte sich schließlich noch in Fußgetrampel, aber als Sari einen neuen Ton angab und Willst du mit mir gehen anfing, wandelte sich der Jubel in begeistertes Mitklatschen und lautes Mitsingen. Allerdings fehlte der berüchtigte Hinternwackler von Sari, der immer tosende Begeisterung ausgelöst hatte. War Sari älter und reifer geworden, wollte er seine Kollegen nicht so unglaublich übertrumpfen, oder hatte er es einfach vergessen? Am Ende warf er sich mit ausgestreckten Armen in seine “Powerfrau”-Pose, ließ den Bauch unter dem T-Shirt hervorblitzen und hatte es ausgeglichen, denn die Zuschauer schrien entzückt.
Der letzte Martini wurde von Eddi eine Oktave tiefer als normal gesungen, und mitten in der ersten Strophe ging Clemens plötzlich zügig nach rechts ab. Die meisten Zuschaueraugen folgten ihm und erkannten, dass er sein Percussion-Instrument, die Cabasa (Holzrumpf mit kleinen Perlenketten, die beim ruckartigen Bewegen in der Hand “rrrrtsch” machen) vergessen hatte. Gerade noch rechtzeitig zum Refrain stand er wieder an seinem Platz und konnte rhythmisch rrrrtschen. Eddi wechselte in der zweiten Strophe in die höhere Oktave, auch wenn die Leadstimme so tief und eher seriös gesungen, auch gut geklungen hatte.
Lautes Singen und Klatschen begleitete Zur Lage der Nation. Die Stimmung war klasse und das Publikum lachte zuerst über den sehr aktiv trommelnden Clemens und dann über die blöden Gesichter der Hintergrundsänger. Dän vergaß völlig, dass er mit Ferenc eine Runde herumhüpfen musste, und als er auf Ferenc‘ Aufforderung endlich kam, war es schon zu spät, um mit dem Gesicht in der falschen Richtung stehen zu bleiben. Egal, das Publikum amüsierte sich lautstark. Auch ich fand es erstaunlich, dass die meisten Bewegungen noch wie von alleine kamen und fest einprogrammiert schienen.
„Wir haben die Verspätung fast schon wieder eingeholt“, verkündete Dän mit Blick auf die Uhr und sagte das „allererste, selbstgeschriebene A-cappella-Lied“ an. „Ferenc war damals nicht dabei, aber er hat heute Abend eine besondere Rolle.“ Little sweet loving girl wurde nur von vier Wise Guys gesungen, während Ferenc lässig und abwartend ein Stück entfernt stand und leicht vor sich hin grinste. Auf einmal ging er gemütlich zu der Gruppe hin und warf an einer passenden Stelle ein schnelles „Bum-Bum“ ein. Die Zuschauer jubelten, und Ferenc begab sich lässig wieder an den Bühnenrand. Etwas später wanderte er zum Tisch, um einen Schluck Wasser zu trinken, dann ging er wieder auf die Gruppe zu, wurde von Sari in die Mitte gezogen und warf an passender Stelle „Bum-Bum. Bum-Bum“ ein. Witzigerweise verpasste er kurz danach aber den Einsatz zu einer weiteren Stelle, musste lachen und Sari schob ihn gleich nach hinten und stellte sich vor ihn. Sehr lustig.
Ohne dich zog kräftig ab, und Eddi änderte die Textstelle: „Hab mir schon vorher Arabella, Bärbel Schäfer und Hans Meiser reingeknallt“ ganz aktuell in „die RTL-Dschungelshow“ und bekam damit Extra-Lacher.
Dän beendete den Block: „Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende des ersten Blocks. Die ersten vierzehn Songs sind gleich vorbei, danach kommen noch vier weitere Blöcke von gleicher Länge …“ Er ließ ein leichtes, etwas fassungsloses Lachen raus, weil noch ein so unglaublich hoher Berg vor ihnen lag, und ergänzte dann: „… und nicht unbedingt besserer Qualität.“ Außerdem bat er: „Wenn einer gerne alles mitsingt und sein Nachbar lieber das Konzert hören möchte, dann sollte man sich einigen. Ich höre zum Beispiel gerne zu, während der Eddi immer alles mitsingt. Aber wenn einer von uns den Text vergisst, zum Beispiel ich, dann bitte auf jeden Fall mitsingen!“
Superschön, leise und fein erklang das kurze Wenn ich ens nit mih existiere durch den Raum, und das Publikum war superstill. Ein wunderbarer Abschluss des ersten Blocks. Nach dem letzten Ton gab es einen schnellen und stillen Abgang der Wise Guys von der Bühne nach rechts, die Zuschauer jubelten und standen schnell auf, um so viel wie möglich von der kurzen Pause zu haben.
Wise Guys Opener
Das war gut
Wie die Zeit vergeht
Ein Herz und eine Seele
Charlie Razzamatazz
Ich bin grumpig
Wenn sie tanzt
Haarige Zeiten
Willst du mit mir gehen
Der letzte Martini
Zur Lage der Nation
Little sweet loving girl
Ohne dich
Wenn ich ens nit mih existiere
* * * * *
TEIL 2: BALLADEN
Eine laute Fanfare, die an Filmmusik und glorreiche Helden erinnerte, holte die Zuschauer aus der Pause zurück, sofern sie in diesem Moment kapierten, was das bedeuten sollte. Auf der Bühne standen inzwischen drei hölzerne Barhocker, auf denen jeweils eine Gitarre lag. Ein schönes, ruhiges Stillleben, das leider zerstört wurde, als die Wise Guys dazu kamen. Aber auf Dauer wäre es ohne Wise Guys ja auch etwas langweilig geworden. Von der Kleidung her hätte dieser Block auch “Kreuz und Quer” heißen können, denn die Klamotten waren wild gemischt. Dän trug einen Anzug, Eddi und Ferenc lockere Zivilkleidung, und Clemens und Sari hatten offenen Hemden an, die den Blick auf Brust und Bauch freigaben. Sie stellten sich im Kreis zusammen und riefen ihren Spruch: „Niemals aufgeben! Niemals kapitulieren!“, dann griffen Ferenc, Dän und Eddi nach den Gitarren, setzten sich auf die Hocker und begannen mit den ersten Akkorden von Back for Good. Ein lautes Geschrei antwortete ihnen, und eine Unmenge von Blitzlichtern erhellten eine Weile lang die Bühne.
Eddi sang die Leadstimme, während Clemens und Sari lässig am Bühnenrand standen. Als ein lauter „Sari!!“-Ruf aus dem Publikum kam, eindeutig von einer jungen Frau kurz vor dem nervlichen Zusammenbruch geschrien, öffnete Sari sein Hemd einen kurzen Moment lang etwas weiter und mehrstimmiges, lautes Gekreische kam aus dem Saal. Er machte es nochmal, und wieder flippten die Massen aus. Bevor er aber noch auf andere Ideen kam, begann der Tanzteil mit Clemens, der entzücktes Johlen beim total begeisterten Publikum auslöste. Was für eine Show! Im tosenden Lärm am Ende des Liedes zog Clemens sein Hemd mal kurz ganz über die Schultern zurück und ließ wahrscheinlich einige Mädels, die eben noch nach Sari gebrüllt hatten, stutzen und ihre Wahl kurzfristig überdenken.
Vier Wise Guys gingen von der Bühne ab, und Dän blieb alleine mit der Gitarre auf dem Hocker sitzend zurück. „Herzlich willkommen zum zweiten Block. Wir freuen uns, dass so viele von Ihnen den Weg zurückgefunden haben.“ Er ging kurz auf seinen Anzug ein: „Wir haben für diesen Balladenblock eine Montur ausgewählt, die so ungefähr das Schlimmste ist, was wir in unserer Karriere jemals getragen haben. Die Anzüge haben wir bei einem Herrenausstatter in Köln gekauft.“ Na ja, so schlimm fand ich die als Bühnenanzüge gar nicht. Vielleicht sehe ich das aber nur zu sentimental erinnernd.
Ganz alleine begann Dän mit Es tut so weh, und ein zunächst leiser Publikumschor, der beim Refrain immer lauter wurde, sang mit. Plötzlich sah man im hinteren Teil der Bühne einen Wise Guy schnell hinter den Vorhang laufen, kurz darauf einen zweiten und dann noch einen dritten. Das Publikum lachte fröhlich. Hinter dem Vorhang waren metallische Geräusche zu hören und Bewegungen im Stoff zu sehen. Dän hörte mit dem Singen auf und drehte sich wegen dieser Störungen um. Er sah wieder nach vorne, wiederholte sprechend die letzten beiden Zeilen und setzte mit dem Lied wieder ein. Unmittelbar darauf kam die Textstelle, wegen der es im hinteren Bereich diese Unruhe gegeben hatte. Der Vorhang ging weit oben auf, und Clemens, Eddi und Sari sangen, auf einer hohen Leiter stehend und grellbeleuchtet, ihren kölschen Satz: „Unser Hätz schlät für der FC Kölle!!“ Lauter Jubel antwortete ihnen, und bis zum letzten Refrain waren sie hinter dem Vorhang wieder heruntergeklettert und kamen – jetzt ebenfalls in Anzügen – auf die Bühne.
Vor dem nächsten Lied war die Spendenübergabe dran. Dän freute sich: „Weil alle bereit waren, in diesem Jahr mehr Geld auszugeben, haben wir ein ordentliche Menge Kohle bekommen.“ Die Vertreter der beiden bedachten Organisationen kamen auf die Bühne und Dän überreichte große Schecks. Ich hatte ja den Verdacht, dass die nicht echt waren, aber das schien keiner zu merken. Dän gab den ersten Scheck: „Für ‚Menschen für Menschen‘ ein Scheck über 16.000 Euro. Wir freuen uns sehr.“ Das Publikum jubelte, und Dän übergab den anderen Scheck: „Und für die ‚Jugendwerkstatt in Köln-Klettenberg‘ gibt es 5 Euro. Nee, auch 16.000.“
Beide Vertreter erzählten, für was die Gelder verwendet würden, wobei der Herr von der Jugendwerkstatt fröhliche Lacher auslöste, als er von den Schwierigkeiten der Jugendlichen berichtete und aufzählte: „Manche von denen haben Probleme, morgens rechtzeitig aufzustehen.“ Na, das war für Jugendliche nicht wirklich ungewöhnlich. Allerdings wirkte es etwas befremdlich, dass er mit dem Geld pädagogisch sinnvolles Kanufahren plante, während der Vertreter von ‚Menschen für Menschen‘ danach von 16.000 Menschen in Äthiopien sprach, die mit dem Geld ihr Leben lang sauberes Trinkwasser haben würden. Beides war jeweils wichtig, aber es kam in der Wertigkeit unterschiedlich rüber.
Dän las noch ein langes Grußwort von Karl-Heinz Böhm, dem Initiator von ‚Menschen für Menschen‘ vor, dann überreichte der Herr von der Jugendwerkstatt jedem Wise Guy eine große, schwere Metallrose, die die Jugendlichen gebaut hatten. Dän staunte spontan: „Wow, seh’n ein bisschen aus wie Waffen!“, was die friedliche, salbungsvolle Spendenstimmung sofort zerstörte und lautes Gelächter auslöste. Völlig unpassend, aber sehr witzig. Aus Äthiopien bekamen die Wise Guys kleine Ketten und es ging mit dem Programm weiter.
Sari war dran: „Tja, mir fällt jetzt die ehrenvolle Aufgabe zu, hier einen schwungvollen Übergang zu schaffen. Wir werden heute alle moderieren, auch der Ferenc.“ Das Publikum grölte kurz los. „Für diesen Block sind aber erstmal der Eddi, meine reizende Assistentin”, er zeigte kurz auf ihn, „… und ich zuständig.“ Er blickte konzentriert auf den Zettel, der am vorderen Bühnenrand lag und erklärte: „Jetzt eine Ballade, nachdem die beiden ersten Lieder keine waren. Ein Lied, bei dem der Eddi, glaube ich, mal den Text geschrieben hat. Er blickte fragend zu Dän: „Die Musik auch?“ und nickte nach Däns Nicken ins Publikum: „Die Musik auch!“
Die wahre Liebe ging los, Eddi hatte die Leadstimme und alles klang sehr schön. Plötzlich fehlte ihm ein Wort. „Du hast nie mehr Lust auf mich, bist du schon wieder … “ Kurze Pause. Sofort sang er im Text weiter: „Sturer Bock, Idiot, Drecksack, blöde Sau!“ und ergänzte sofort zufrieden grinsend, weil es ihm doch noch eingefallen war: „Blau!“ Damit war der komplette Text da. Ganz pannenfrei lief die Totalnacht nicht ab. Wie schön!
Die Moderation nach dem Lied übernahm Eddi: „Hat schon einer was über die Klamotten gesagt? Wir waren mal bei einem Herrenausstatter. Der hat uns dazu geraten und wir fanden das irgendwie total toll.“ Ein Zwischenruf kam aus dem Publikum und er wiederholte fragend: „Ist es auch?? Wer war das?“ Er kommentierte: „Eine Einzelmeinung, die wir respektieren.“ Es war aber gar keine Einzelmeinung, denn zumindest ich fand die Anzüge ja auch nicht so fürchterlich. Es war eine Bühnenkleidung, die aus bühnenoptischen Gründen OK war und über die ich mich nie aufgeregt hatte, obwohl ich überhaupt kein Anzugfan war. Sie sah etwas seriöser aus als die Wise Guys waren, aber lange nicht so schlimm, wie den Jungs immer eingeredet wurde. Da gab es inzwischen schon manchmal Hemden beim Bühnenoutfit, die als modern galten, aber viel schlimmer aussahen! *grins*
Clemens sang Liebe geht durch den Magen, salzte erst die Rotweinsuppe, würzte dann die Rotweinsoße, und war textlich etwas verwirrt. Ansonsten war es aber schön. Viele Fans waren begeistert, weil sie die alten Nummern endlich mal wieder, oder sogar zum ersten Mal live erleben konnten. Nach dem Applaus versuchte sich Sari wieder an der Moderation, blieb aber etwas holperig. „Wir singen ein tragisches Lied, ein Lied, das handelt von einem kleinen Jungen, … ääh, dem …, ääh, ich hab mir… mmmh, ehrlich gesagt, total in die Hosen gemacht, vor allem wegen der Ansagen. Nicht wegen der Texte oder so, nee, wegen der Ansagen. Und dann hab ich mir eben hinter der Bühne gedacht, ist ja scheißegal, wenn du jetzt irgendwie nicht mehr weiter weißt, dann machst du die Kuh.“ Das Publikum jubelte laut, und Sari ergänzte: „Wär jetzt beinah so weit gewesen.“
Rollbrett fetzte los, Dän und Eddi standen links und rechts auf der Bühne und begleiteten mit Gitarren. Es rockte das Haus, wie man heutzutage sagt, aber da mir der Begriff überhaupt nicht gefällt, nehme ich den lieber zurück. Es war stattdessen fetzig, rockig und mitreißend. Das Publikum ging mit, und danach war Sari schon wieder mit der Moderation dran: „Das war eine Coverversion, und wir covern eigentlich nur dann, wenn das Lied ein a-cappella-Arrangement vertragen kann.“ Clemens guckte grinsend rüber und deutete dann ein Gitarrespielen an, denn das ‚Rollbrett‘ war ja von zwei Gitarren begleitet worden, ‚Back for Good‘ sogar von drei. Dickes Gelächter vom Publikum, aber Sari hatte das nächste Stück gemeint: Lullaby von Billy Joel. Im Saal blieb es ganz ruhig und alle hörten still zu. So schön!
Ohne weitere Ansage ging es mit Gehnurjanie Indibarda in südamerikanischen Rhythmen weiter. Clemens hatte den Shaker mitgebracht, und das ganze Stück war locker, leicht und wunderbar. Zum Schmelzen! Ist ja sowieso eines meiner geliebten Lieder.
Das Publikum war nach den Textpatzern nicht untätig geblieben und hatte Zettel mit Strichlisten auf die Bühne gelegt. Eddi erklärte sie den Leuten in den hinteren Reihen: „Ich habe schon zwei Striche, da müssten eigentlich drei sein, da hat jemand nicht ganz richtig aufgepasst. Der Ferenc hat einen halben, der Daniel einen und der Clemens zwei. Also im Moment liege ich klar in Führung!“
Als klassische Wise Guys Ballade kam Träum vom Meer, bei der im Saal wieder große Ruhe herrschte. Wie schön, dass da keiner dachte, er müsse laut mitgrölen. Am Ende gab es dicken, langen Applaus. Bis es wieder ruhig war, war Clemens verschwunden. Sari kündigte einen großen Star der deutschen Musik an, der sich für nix zu schade sei, und rief: „Meine Damen und Herren: Wolfgang Petry!“ Es kam aber keiner, und so gab er nach vergeblichem Umblicken schonmal den Ton an und die vier Wise Guys begannen mit dem Intro. In letzter Sekunde vor seinem Einsatz kam Clemens auf die Bühne gelaufen, hatte das Jackett aus, dafür eine wuschelige Perücke auf dem Kopf, und sang sofort los. Dabei streifte er noch schnell einen Wust von Textil-Armbändern über den linken Unterarm. Da war der Sari mit seiner Ankündigung eindeutig zu schnell und der Weg zur Garderobe zu lang gewesen. Ferenc musste lachen und hielt sich dabei die Hand vor das Gesicht, und auch das Publikum fand alles sehr lustig. Es kam auch wegen des Bühnengeschehens gar nicht mehr aus dem Lachen raus, begleitete die textuntermalenden Bewegungen mit Quietschen und Johlen und steigerte sich am Ende des Liedes in donnerndes Fußgetrampel.
Oh, Scheiße war klasse und kam ebenfalls richtig gut an. Danach kündigte Eddi zwei Lieder an, die mit den Comedian Harmonists zusammenhingen. Zunächst kam Irgendwo auf der Welt, bei dem Sari die Leadstimme sang. Es war wunderschön! Saris Stimme war sanft, klar und perfekt passend für dieses Lied. Das darf nicht mit opernhafter Fülle gesungen werden, sondern mit genau der Leichtigkeit, die Sari rüberbrachte. Große Klasse! Der schnellere, rhythmisch geprägte Teil, der gegen Ende eingebaut war, musste wegen mir nicht sein. Der störte eigentlich nur das klare, ruhige Lied. Das Publikum blieb wieder ganz leise und donnerte erst am Ende mit dem Applaus los. Schöne Stimme, Sari!
Auch das nächste Lied hatte noch entfernt mit den Comedian Hamonists zu tun. Parfum wurde von Fred Kassen geschrieben, der in der späteren Comedian Harmonists-Besetzung mitgesungen hatte. Nachdem die Nazis die jüdischen Mitglieder der Gruppe aus Deutschland vertrieben hatten, versuchte eine zweite, rein arische Besetzung an die Erfolge anzuknüpfen, was nicht gelang. Sie nannten sich noch ‚Comedian Harmonists‘, waren es aber nicht mehr. Eddi sagte an: „Es blieb von deinem Glück, … äh, von UNSEREM Glück, nur dein Parfum zurück.“
Nach diesem Ausflug in alte Zeiten gab es noch einen Schlenker in längst vergangene Wise Guys Zeiten mit Wenn ich bei dir bin. Sari erläuterte im Stil von Eddi, also leicht wirrig, aber sehr liebenswert: „Immer wieder werden wir gefragt, ob die selbstgeschriebenen Lieder denn größtenteils, oder wenigstens in … äääh … großen Teilen, größtenteils … äh, ob sie biographisch seien, und das ist eigentlich meistens nicht der Fall. Beim nächsten Lied lässt sich nicht verleugnen, dass dem Eddi der Einfall dazu auf einer Grillparty gekommen sein muss.“ Die Wise Guys rückten auf der Bühne zusammen, um den Anfangston von Sari zu bekommen, da fiel ihm plötzlich noch was ein: „Das Lied enthält die wahrscheinlich umstrittenste Textzeile ääh, … ja.“ Das Publikum lachte liebevoll los, Daniel guckte auf die Uhr, und Sari gab endlich den Ton an.
Ich gebe zu, dass das Lied etwas ungewöhnlich in manchen Harmoniefolgen und etwas seltsam an manchen Textstellen ist, aber ich mag es trotzdem. An der berüchtigten Zeile, die in ihrer Aussage so umstritten war, zeigte Dän im Rhythmus des Liedes auf Eddi, um darauf hinzuweisen. „Ich bin so glücklich wie ein Würstchen an der frischen Glut.“ Was für eine Zeile. Mut muss man haben.
Als Clemens sein leidendes Gesicht aufsetzte, reagierte das Publikum mit lauten „Oooohs“, und Dän sagte das letzte Lied des zweiten Blockes an: „Es ist ein Lied, das total neu ist. Es ist viereinhalb Wochen alt und auch eine Ballade. Nur für dich.“ Dass das Lied super ankommt, hatten die Wise Guys schon auf den letzten Konzerten erleben können, und bei der Totalnacht war das nicht anders. Witzig, schnell und vor allem mit überraschendem Schluss, der einen weiteren Lacher hervorrief. Unter großem Jubel gingen die Wise Guys ab und die zweite Pause war da.
Back for Good
Es tut so weh
Die wahre Liebe
Liebe geht durch den Magen
Rollbrett
Lullaby
Gehnurjanie Indibarda
Träum vom Meer
Verlieben, verloren, vergessen, verzeih’n
Oh Scheiße
Irgendwo auf der Welt
Parfum
Wenn ich bei dir bin
Nur für dich
* * * * *
TEIL 3: COVER
Der dritte Block begann wie üblich mit Heldenmusik, diesmal von ‚Indiana Jones‘. Allerdings blieb die Bühne dabei fast dunkel und wurde nur von zwei Scheinwerfern schwach erhellt. Plötzlich brach die Musik ab und es ertönte laut: „Niemals aufgeben! Niemals kapitulieren!“ Die Wise Guys waren aber nirgendwo zu sehen, was leichte Verwirrung im Publikum auslöste. Häh? Keiner da? War das eine Panne? In diesem Moment wurde es auf der Bühne ganz dunkel und ein zuerst undefinierbarer Gesang begann. Ein Backgroundchor sang Töne, aber erst als plötzlich etwas verspätet das Mikro vom Leadsänger Eddi dazugeschaltet wurde, erkannte man Live and let die. Das Bühnenlicht wurde hochgefahren und die Wise Guys kamen langsam von links ins Blickfeld. Dann legten sie mit der abwechslungsreichen Choreografie los, die Musik war mal zart, mal heftig, und fürs Auge wurde eine Menge Lightshow und Bewegung geboten. Klasse! Heftiger Beifall ging im dem letzten, noch verklingenden Ton los, und Dän sagte, als es wieder leise geworden war: „Das ist unser neuer ‚Golden Eye‘ sozusagen. Den haben wir endlich, nach 27 Jahren, aus der Show geschmissen.“
‘Gecoverte Versionen’ war das Thema des Blocks, bei dem die Wise Guys verschiedenartig schwarz gekleidet waren. Nach Paul McCartneys “Live and let die” waren Die Philosoffen von Tom van Hasselt dran. Es war witzig wie immer, nur in einem Zwischenteil kamen leichte Unsicherheiten zum Vorschein, als die Wise Guys im Wechsel „Hump“ –„Hump“ – „Hump“ singen mussten, und die Ausführungen in Lautstärke und Rhythmik ziemlich voneinander abwichen. Aber sie hangelten sich unter dem Gegrinse der Zuschauer durch die hakelige Stelle und waren danach wieder drin. Sari sagte nach dem Stück: „Es kommt selten vor, dass wir ein Lied wie bei den “Philosoffen” mit Musik und Text übernehmen. Meistens müssen wir den Text verändern, weil der doch irgendwie scheiße ist. Oder sagen wir mal: nicht mehr aktuell.“ Ich wunderte mich etwas, warum ‚Back for good‘ im zweiten Block und nicht im Coverblock gelandet war, aber vermutlich hatte sie mehr zu den Balladen gezählt.
Es ging weiter mit Griechischer Wein, im Ursprung von Udo Jürgens. Die Wise Guys hatten den Originaltext modernisiert, wackelten mit nassen Fingern in ihren Mündern herum, um täuschend echt Bousoukiklänge zu fabrizieren und brachten den Saal zum Jubeln.
„Dankeschön! Die nächste Nummer …” war eine tiefe, gut klingende Stimme zu hören, und die Zuschauer reagierten sofort lautstark und total begeistert mit Jubel und Pfiffen. Ohhhh, Ferenc sprach!
Ferenc sprach locker das Publikum an und wirkte dabei lässig und souverän. Er erläuterte, inwiefern seine erste große Liebe mit dem nächsten Song zu tun hätte und zählte dafür Zahlen auf. „Ich war 17 Jahre alt. Es hat ein Jahr gedauert, bis wir zusammen waren. Ich war dann 18 und wir hatten uns schon mindestens 1000 Mal im Tanzunterricht berührt.“ Das Publikum wollte losjubeln, da stoppte Ferenc den Ausbruch mit: „Ja, Moment! Wenn man die Zahlen zusammenrechnet und durch 11 teilt, kommt man auf 94. Fast. Und am 9.11.94 war es dann soweit und es hat richtig Zoom gemacht!“ Jetzt durfte das Publikum jubeln und legte auch sofort los. Es freute sich über das angekündigte Lied, aber auch über die kompliziert berechnete, aber süße Ansage, und natürlich über die schöne Sprechstimme. 1001 Nacht fetzte supergut los und wurde in den Refrains laut mitgesungen und mitgeklatscht. Die von Dän angedeutete ‚silberne Spange‘, die als Zahnspange gezeigt wurde, brachte spontane Lachanfälle. Im ganzen Saal wurde in Superstimmung mitgefeiert. Klasse! So ganz nebenbei war das Originalstück auch das Lied meiner eigenen Beziehung. Nur dass ich damals keine silberne Spange hatte. Und bisher hatte ich auch noch nie Zahlen zusammengesucht, die das so verblüffend belegen konnten.
Ferenc bat für die nächste Nummer um ein gemeinsames Schnippen und die Zuschauer setzten sofort willig in den angegebenen Takt ein. Er stand in der Mitte der Bühne und gab freundlich, aber bestimmt, Anweisungen an seine Kollegen: „Von Clemens und vom Eddi bitte die üblichen Spontaneinlagen! – Sari, bitte den Ton!“ Dann warf er einen ruhigen Blick zu Dän und kommandierte: „Na, los!“ Der Saal johlte, und Dän setzte ganz brav und ohne Widerstand mit seiner Einleitung zu King of the road ein. Superwitzig! Der Text wurde von den Zuschauern lautstark mitgesungen, so dass Ferenc von einem großen Chor begleitet wurde und die anderen Guys nur noch singende Statistenrollen übernahmen. Das war wirklich Ferenc’ Lied und er dabei die absolute Hauptperson. Am Ende allerdings muckte Clemens vorwitzig auf und stand unerwartet links hinter Ferenc, anstatt rechts, um seinen Einwurf: „Idiot!“ zu singen. Ferenc drehte sich wie üblich nach rechts, suchte kurz, guckte dann schnell nach links und musste lachen. Supergut, den King kurz aus dem von ihm angeordneten Konzept zu bringen!
Wie üblich gab es danach langen Jubel. Sari guckte demonstrativ auf die Uhr, aber die Klatschlautstärke blieb gleich, nur dass noch Fußgetrampel dazukam. Der Lärm steigerte sich weiter in rhythmisches Klatschen mit lauten „Hey-hey-hey!“-Rufen, und auch Ferenc guckte jetzt auf die Uhr. Irgendwann wurde es leiser und Ferenc kam durch: „Vielen Dank, auch im Namen meiner Band! Dankeschön!“, woraufhin fröhliches Gelächter losplatzte, denn das war der etwas abgeänderte Satz, den sonst Dän an dieser Stelle sagte. Sehr witzig!
„Das nächste Lied möchte ich gerne verschiedenen Leuten widmen“, begann Ferenc und zählte auf: „Ich möchte es Udo Jürgens widmen, Tom und Jerry, Fleurop international, dem Blumenladen an der Ecke Sülzburgstraße, und …“ er blickte sich zu den anderen vier Wise Guys um und fuhr freundlich lächelnd fort: „… meinen Jungs, die es geschafft haben, acht Jahre lang, ACHT JAHRE LANG Witze über mein Alter zu machen und Sie damit zu unterhalten. Vielen Dank!“ Es hörte sich an wie die Danksagung bei der Oscarverleihung, war dann aber doch ganz anders. Das Publikum klatschte jedoch wie bei einer Oscarverleihung los und feierte damit nicht nur Fleurop und die Jungs, sondern auch Ferenc und seine souveränen Ansagen. Es folgte Vielen Dank für die Blumen, das zwar nicht besonders spektakulär war, aber viele Lacher auslöste.
Ohne weitere Ansage ging es mit dem Root Beer Rag weiter, der an den ersten Tönen erkannt und freudig bejolt wurde. Sari erklärte danach: „Wir können Bergfest feiern, das heißt, wir haben die Hälfte der Lieder, die wir heute Abend singen, hinter uns gebracht.“ „Ach, du Scheiße!“ war der spontane Ausruf eines Mannes, bei dem nicht klar wurde, ob er das blöd fand, weil schon die Hälfte des Konzertes vorbei war, oder weil noch die Hälfte des Konzertes vor ihm lag. Die meisten anderen Zuschauer reagierten mit enttäuschtem: „Ooooooh!“, und Sari schob hinterher: „Für uns ein Grund zu feiern, für Sie ein Grund zu trauern.“
Da Ferenc vorher mit seinen Ansagen so abgeräumt hatte, machte es sich Sari etwas einfacher: „Ich hatte mir eigentlich für das nächste Lied eine richtig schöne, lange Ansage überlegt, aber wenn ich höre, dass wir schon ein bisschen hängen und für das Lied eigentlich gar keine Ansage brauchen, machen wir es kurz: Es kommt jetzt noch ein Lied.“ Mit dieser Kurzfassung hatte er spontan Erfolg, aber wahrscheinlich traute er sich nur nicht mehr, Bemerkungen über das Alter von Ferenc zu machen. Das Lied war When I’m 64 und wurde vom Publikum traditionsgemäß gerne gehört. Dass das Publikum toll, konzentriert und aufmerksam war, merkte man daran, dass das letzte „Plem-Plem“ gut zu hören war, bevor der Applaus losbrach. Es wurde nicht blindlings bei jeder Geste gejohlt, sondern alles auch sehr bewusst erlebt. Eine wirklich superschöne Atmosphäre.
Sofort ging es mit Sensationell weiter, und ich wunderte mich etwas, wieso das als Cover-Version galt? Das war doch von den Wise Guys! Es begann ganz leise als Schlaflied und knallte dann richtig los. Die Zuschauer machten begeistert mit und zeigten ihre tolle Stimmung. Das Lied ist aber auch klasse. Sehr mitreißend, witzige Einwürfe … nur der Schluss! Ohje. Es gibt gar keinen richtigen, das Lied ist einfach irgendwann aus. Bei der Totalnacht war er dann noch schlimmer, als sonst, obwohl das kaum vorstellbar war. Eddi sang fetzig: „Nur dein Freund …“ und sollte dann eigentlich noch etwas über diesen doofen Typen sagen, aber das Stück endete mit seiner zögernden Sprechstimme: „Ist so’n …“ Stille, dann: „Mir fällt nix, überhaupt nix ein.“ Ein völlig abgekackter Schluss. Auf seine Art dann wieder sehr witzig, aber da auch der an dieser Stelle vorgesehene, übliche Schluss nicht viel besser gewesen wäre, ist es egal.
Sari hatte sich übrigens inzwischen die gleiche Frage gestellt, die mich beschäftigt hatte: „Warum haben wir diese Nummer im Coverblock?“ Er beantwortete sie selber mit: „Keine Ahnung.“ Von hinten wurde ihm etwas zugeraunt: „Ach, wegen dem Anfang. Ich dachte, wir wären schon so gut, dass wir uns jetzt selber covern würden. Also ein Zeichen von Größenwahnsinn.“ Er blickte auf den Zettel mit dem Programmablauf und sagte: „Das nächste Lied ist eigentlich auch von uns“, lachte los und fand eine Erklärung: „Es ist eigentlich ein Klassiker, den darf man covern.“ Clemens kam mit Percussion-Instrumenten, das Publikum freute sich, und Meine heiße Liebe begann. Clemens schwärmte von seiner Liebe, der Backgroundchor sang “mokka-mokka-mokka” und ich fühlte mich angesprochen, weil das zufällig mein Forumsname war, und Sari legte eine sehr aktive, gelenkige Schlusstanzeinlage aufs Parkett.
Sofort ging es mit Skandal weiter, wahrscheinlich darum ohne Ansage, weil man nicht schon wieder erklären wollte, wieso sich das Stück im Coverblock befand. An der Textstelle: „springen nackt aus einer Torte“ gab es freudige Ausrufe im Publikum, die das wohl für eine gute Idee hielten. Leider setzten die Wise Guys es nicht in der Bühnenchoreografie um, obwohl sie sonst immer so kreativ waren.
Über den Skywalker sagte Sari, er wäre ein Versuch gewesen, einen Titel für eine Kinoserie zu schreiben. Leicht resigniert schloss er: „Der Text war vielleicht zu versponnen. Hätte was werden können.“ Die Choreographie war klasse, besonders als Eddi im Zeitlupentempo vor den in Gegenrichtung gleitenden Kollegen herlief. Super! Im Schlussakkord schlug Ferenc mit einem Plastik-Star-Wars-Schwert auf Eddis Kopf. Eddi fiel dramatisch zu Boden und Sari lobte nach dem Endapplaus anerkennend: „Großes Kino!“
Sari erzählte von einer Fragstunde an einer Schule, bei der die kreativste Frage gewesen wäre: „Seid ihr eigentlich schwul?“ Clemens hätte schlagfertig geantwortet: „Nee, aber wenn wir es wären, dann könnten wir auf unseren Touren jede Menge Spaß haben!“ Das Publikum klatschte lachend los und hatte genauso viel Spaß als Sari sofort anschließend das nächste Lied ankündigte: „Wir werden ein Lied über Freundschaft singen.“ In das laute Lachen hinein versicherte er schnell: „Es geht eigentlich nur um Freundschaft.“ Mit lautem Geschrei wurden die ersten Töne von Rasier dich begrüßt, das nun wirklich wieder eine ganz echte und darüberhinaus ganz wunderbare Cover-Version war. Allerdings behandelte Ferenc den armen Sari nicht sehr umsichtig und schleuderte ihn nicht nur am Ende nach links, sondern kurz davor schon nach rechts. Sari kam scheinbar ziemlich sauer vom Bühnenrand zurück, Ferenc flüchtete ängstlich und warf sich dann vor ihm auf die Knie und überreichte, um Entschuldigung bittend, eine der Metall-Rosen. Ein übler Trick, auf den Sari gleich reinfiel und sich versöhnt zeigte.
Es gab donnernden Applaus, und die letzte Moderation wurde von Dän übernommen: „Wir schließen diesen dritten Block mit einem Lied, tja, das müsste eigentlich ganz am Schluss kommen, aber es kommt jetzt schon.“ Wonderful world von Louis Armstrong begann sanft und war sehr schön.
Dän trug eine Sonnenbrille und beanspruchte seine Stimmbänder mit rauhem, kratzigen Louis-Armstrong-Sound, die anderen Vier machten einen schönen Begleitchor. Als es um „friends“ ging, umarmten sich die Hintergrundsänger paarweise. Dän stoppte das Singen, nahm seine Sonnenbrille ab, guckte sie in aller Ruhe an und ließ die Kollegen in ihrer innigen Haltung verharren. Sari winkte ungeduldig, aber es dauerte, bis sie der Leadsänger mit dem neuen Einsatz gnädig erlöste.
Nach dem letzten Satz begann der Applaus schon während des Schlusstons, aber Dän winkte ihn schnell ab, um noch sein gesungenes: „Oh, Ye-ye-yesss-sss-sss-sss“ anzubringen. Dann platzten aber Jubel und Geschrei los, und die Wise Guys gingen still nach rechts ab. Fand ich übrigens schön, dass die Blöcke immer so klar und einfach beendet wurden und nicht durch Verbeugungsarien am Ende unruhig wurden. Ein schneller, ruhiger Abgang, und die Pause konnte beginnen.
Live and let die
Die Philosoffen
Griechischer Wein
1001 Nacht
King of the road
Vielen Dank für die Blumen
Root Beer Rag
When I’m 64
Sensationell
Meine heiße Liebe
Skandal
Mach mir den Skywalker
Rasier dich
Wonderful world
* * * * *
TEIL 4: GREATEST HITS
Unter Gladiatoren-Einmarsch-Musik schritten die Wise Guys auf die Bühne und wirkten damit eindeutig eindrucksvoller, als wenn sie quäkige Wir-sind-die-lustigen-Schlümpfe- Musik gewählt hätten. Sie stellten sich in einer Reihe am Bühnenrand auf, warteten in Heldenhaltung bis die Musik abbrach, und stießen ihr „Niemals aufgeben! niemals kapitulieren!“ aus. Dass die Arme nicht ganz synchron waren und die Perfektion damit etwas bröckelte, tat der Sache ganz gut. Sie blieben trotzdem die Helden des Abends. Jetzt in bunten Hemden.
Es ging sofort mit Probier’s mal mit ‘nem Bass los. Ferenc sang: „Bist du enttäuscht von eingebildeten Tenören?“, und eine laute Frauenstimme antwortete laut: „Ja!“ Leider kamen noch eine ganze Weile lang viele Leute in den Saal, denen das Ende der fünfzehnminütigen Pause zu schnell gekommen war. Es gab Unruhe, weil sie fast alle vor der Bühne entlanglaufen mussten, um durch den Mittelgang zu ihren Plätzen zu kommen. Schade, aber eine längere Pause war im Zeitplan einfach nicht drin.
Das schon anwesende Publikum versuchte, sich nicht stören zu lassen und sang kräftig mit. Die Wise Guys überspielten geschickt, dass sie diesmal keinen Stuhl für Ferenc auf der Bühne hatten, und am Ende blieb Ferenc stehen und sang sein tiefes: „Wo-how …“ und das Publikum setzte mit: „Yeaaaaaaaah!“ ein. Dän rief in den jubelnden Applaus mahnend: „Wir hängen!“, guckte sich dann aber noch schnell die auf der Bühne liegenden Fehler-Strichlisten an. Er verkündete: „Drei, eins, zwei, Sari hat noch’n weißes Blatt”. Wen er dabei ausließ, war nicht zu erkennen.
Er begrüßte die Zuschauer zum vierten Block und erklärte: „Dieser Block hat das Motto: ‚Greatest Hits‘. Im Rahmen dessen, was wir an greatest hits in den letzten Jahren fabriziert haben, möchten wir ein sehr nachdenkliches Lied singen zum Thema Genforschung.“ „Jaaaa!‘ brüllte das Publikum begeistert und freute sich auf Julia.
Sari sang die Leadstimme und hatte gerade den Satz: „heraus kam ein süßes, kleines Schaf“ gebracht, als laute „Määäh!“ aus dem Saal schallten und gleichzeitig mehrere kleine Stoffschafe auf die Bühne flogen. Völlig verblüfft musste er kurz lachen, während sich Eddi und Clemens bückten, um jeweils eines der Tierchen aufzuheben. Eddi stopfte seines nach kurzem Zögern in die Hosentasche, aber Clemens versuchte geduldig, es irgendwie an seinem Hemdknopf zu befestigen. Singend fummelte er vor seiner Brust herum und gab es erst auf, als er eine Hand zum Schnippen brauchte.
Im Applaus nach dem Lied gab Sari den nächsten Ton an und startete mit Eddi und Clemens sofort die Einleitung zu Mädchen lach doch mal. Dän, der gerade die restlichen Schafe von der Bühne sammelte, wurde davon etwas überrascht und eilte zum Rand, um sie dort auf dem Tisch abzulegen. Gleichzeitig wummerte er aber schon die Begleitung ins Handmikro. Das Lied war wirklich einer der greatest hits von den Wise Guys. Die Zuschauer sangen und klatschten laut mit und viele hielt es nicht mehr auf den Sitzen. Sari und Eddi hüpften über die Bühne und erinnerten damit an alte Känguru-Zeiten, und am Ende gab es tosende Begeisterung, die durch den Saal hallte.
Clemens grinste ins Publikum: „Ihr seid wohl noch gar nicht müde, was? Das ist ja sagenhaft!“ Allerdings empfahl er auch: „Es ist eine gute Idee, sich wieder zu setzen, denn das nächste Lied wird ein bisschen ruhiger und gemütlicher: Alles im grünen Bereich.“ Ferenc setzte mit den Basstönen ein und lachte dabei einem zufrieden grinsenden Dän ins Gesicht. Wie schön. Viele Mädchenstimmen sangen sanft mit, und ich fand wieder mal, dass einige der alten Lieder sehr viel Charme haben und eigentlich viel zu wenig zu hören sind.
Eddi machte die nächste Ansage: „Meine Damen und Herren, beobachten Sie unsere tollen Tanzschritte im nächsten Titel … äh, … äh, wie heißt der?“ Er blickte angestrengt auf den Zettel mit dem Programmablauf: „Ah ja, unser Frühlingslied.“ Der Refrain: „Anna hat Migräne!“ wurde vom Publikum sehr laut mitgesungen und natürlich wurde auch die Choreographie beobachtet und bewundert.
Eddi macht weiter mit der Moderation. Auch wenn er sich manchmal verirrte und seine Gedanken sprangen, hörten die Zuschauer gerne zu. Sie lachten oft, aber immer liebevoll. Es war gar nicht schlimm, dass Eddi nicht perfekt durchkam, es zeigte vielmehr, dass man nicht alles in Höchstform können muss. Die manchmal etwas verwirrenden Ansagen waren genau darum sehr nah und persönlich.
„Wir haben bei der letzten Totalnacht etwas ausprobiert und das hat vielen Leuten total Spaß gemacht. Jedenfalls MIR“, begann Eddi und erklärte: „Es ist relativ einfach. Wir machen …“, er sang vor: „Bum, Bum, Bum“, und ein großer Teil der Zuschauer setzte sofort laut ein: „Ba-da-ba-da-ba-daaa!“ Eddi sagte zeitgleich: „und dann macht ihr: Ba-da-ba-da-ba-daaa“, aber das hatte sich schon erledigt. Er wiederholte: „Ba-da-ba-da-ba-daaa, für die Leute, die es noch nicht kennen, aber … naja.“ Es schienen nicht viele zu sein. „Ich mach es noch einmal vor“, sagte er, setzte mit „Bum, Bum, Bum“ ein und der komplette Saal antwortete laut: „Ba-da-ba-da-ba-daaa!“ „Super!“, lobte Eddi. „So oder so ähnlich beginnt das folgende Lied.“
In diesem Moment kam Sari als Marcello Sarini auf die Bühne gestürmt, hatte ein offenes Hemd an, aber leider noch ein T-Shirt darunter. Was war los? Waren ihm Brusthaare gewachsen, die er nicht zeigen durfte? Eddi startete mit: „Bum, Bum, Bum“, die Zuschauer antworteten ihm vorschriftsmäßig, und die Wise Guys setzten nach der dritten Runde mit ihrem Anfangsakkord zu Ich will keine a-cappella ein, der ziemlich schräg daneben lag. Clemens blickte etwas entsetzt zu Eddi, der sich nach vorne beugte und lachen musste. Sie fanden sich aber alle schnell in der gleichen Tonart wieder.
Sari zog nach den ersten gesungenen Sätzen seine Sonnenbrille ab, klappte sie ganz lässig zusammen und wollte sie in die Brusttasche seines Hemdes stecken. Leider hatte das Hemd keine Brusttasche. Mit coolem Blick ins Publikum versuchte er in Brusthöhe einen Halt für die Brille zu finden und packte sie nach drei Versuchen umständlich in die Hosentasche. Das Publikum lachte vergnügt und gab Extra-Applaus. Am Ende des Liedes gab es wieder mal großen Jubel und kein Anzeichen von Ermüdungserscheinungen bei den Zuschauern.
Clemens begann ziemlich flott das nächste Lied anzusagen, und hinter ihm knöpfte sich Sari das Hemd so schnell wie möglich zu und versuchte den unteren Rand eilig in die Hose zu schieben, wobei er nebenbei auch noch zu Clemens fuchtelte, dass der sich etwas mehr Zeit lassen solle. Die Zuschauer johlten, und Clemens drehte sich erstaunt um: „Was hat er euch gezeigt?“
„Das nächste Lied gehörte eigentlich in den Balladen-Block“, führte Clemens seine Ansage dann endlich aus. „Ich weiß auch nicht, warum das hier gelandet ist.“ Die Wise Guys standen fast bewegungslos nebeneinander und sangen Wie kann es sein. Es war sanft, traurig und superschön. Das Publikum war ganz ruhig, sang nicht mit, sondern genoss die fünf Stimmen, die durch den Raum klangen. Erst als das Bühnenlicht gleichzeitig mit dem Schlusston langsam runtergefahren wurde, setzte lauter Applaus ein. Toll!
Vielleicht hätte die Einteilung der Lieder in die Blöcke vorher mal genauer besprochen werden müssen, denn Clemens sagte etwas verwundert: „Das nächste Lied ist eigentlich auch balladesk und hätte in den Balladen-Block mit den Comedian Harmonists Liedern gehört.“ Es war Die Comedian Harmonists, ein Lied, das eindeutig eine Ballade war, aber auch sehr beliebt, und darum auch ein greatest hit. Andererseits wäre es ja umständlich gewesen einen weiteren Block ‚Balladen, die greatest hits sind‘ zu machen, und einen weiteren, der ‚Balladen, die keinen großen Erfolg hatten‘ hieß.
Das Lied über die Comedian Harmonists war immer noch klasse. Auch rührend, weil die Wise Guys ja ein wenig die Nachfolger der Comedian Harmonists waren. Es gab da durchaus Parallelen im Erfolg, in der Umsetzung von neuen musikalischen Ideen, der Kreativität, der Leichtigkeit und dem Humor. Ganz abgesehen von den vielen weiblichen Herzen, die gebrochen wurden. 75 Jahre vorher hatte schon mal eine Vokal-Gruppe, die nur von einem Klavier begleitet wurde, große Säle gefüllt und das Publikum zum Jubeln gebracht. Ihr Einfluss war bis heute zu spüren und hatte auch die Wise Guys mitgeprägt.
Das Publikum applaudierte am Ende sehr laut, und Eddi guckte sich den Stand auf den Strichlisten an. Während des Liedes hatte Clemens einen kleinen Patzer gehabt, der sofort als dicker Strich vermerkt worden war. Eddi erklärte: „Clemens hat aufgeholt. Clemens und ich liegen jetzt gleichmäßig in Führung mit jeweils drei Texthängern.“ Clemens protestierte: „Das war kein Texthänger!“ Eddi: „Doch, war schon ’n Texthänger!“ Clemens wandte sich an das Publikum: „Das war kein Texthänger! Es heißt: „Man ZIEHT sich Wochenend und Sonnenschein“, ich hatte: „Man PRÄGT sich Wochenend und Sonnenschein“!” Eddi widersprach: „Du hattest: „Man prrrrrrt sich…!““, was die Diskussion mit Gelächter beendete.
Eddi bemerkte, dass die nächsten drei Lieder neu wären, aber vielleicht trotzdem einmal zu den greatest hits gezählt werden könnten. „Und das erste heißt: Du gehst mir … Es ist ‘ne Uraufführung! Daniel? Ja, es ist ‘ne Uraufführung. Es heißt: Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf.“ Sari hatte die Leadstimme, die durch extrem viel Text auffiel, der dazu an manchen Stellen auch noch extrem schnell gesungen werden musste. Mehrere Textsilben auf einen Taktschlag waren völlig normal. Der Rhythmus zog kräftig los, und das Publikum ging gut mit.
Nur einmal kam Sari ganz kurz aus dem Tempo, als er den Satz: „Ich sprech’ zu schnell und du zu laut“ begann mit: „Ich sprech zu lau…“, und schnell weiterholperte mit: „schnellundduzulaut“. Da alle Silben auf nur zwei Schläge verteilt werden mussten, war es knapp und Sari lachte kurz auf. Aber trotzdem: Großes Kompliment! Ein süßes Lied und klasse ausgeführt!
In den Jubel hinein begann das nächste Stück: Wo der Pfeffer wächst. Die Strophen waren sanft, leise und fast balladenhaft und damit ein starker Kontrast zum Refrain, der mit gewaltigem Rhythmus abzog und ganz andere Emotionen zeigte. Enttäuschung, Wut und sogar Hass waren zu spüren, als Dän den sang. Und obwohl ich normalerweise nicht begeistert bin, wenn ich einem wütenden Mann gegenüberstehe, gefiel mir der laute Ausbruch sehr gut. In halber Kraft gesungen wäre das lange nicht so überzeugend, wie mit voller Ladung Wut im Bauch. Sehr beeindruckend, besonders, weil man dem sonst so ruhigen, kontrollierten Dän einen solchen Ausbruch gar nicht zutraute. Große Klasse!
Sofort ging es weiter mit Einer von den Wise Guys, das die Emotionswogen wieder glättete. Eine schöne Geschichte, bei der aus dem Saal immer wieder fröhliches Lachen kam. Bei der ‚Pinkelszene‘ gab es lautes Geschrei, als ob es gerade echt passieren würde. Alle drei Lieder wurden sehr bejubelt und kamen wirklich gut an, so dass sie ihren Platz im ‚Greatest Hits-Block‘ durchaus bestätigten.
Clemens rückte den Ruf der Wise Guys etwas zurecht: „Die nächste Nummer ist ein wahrer Etikettenschwindel, weil wir nämlich immer behaupten, dass wir damit die Herzen der Frauen erreichen und von Angeboten überschwemmt werden. Das Einzige, was wir wirklich bekommen, in schöner Regelmäßigkeit, sind Kekse.“ Auch das Publikum bekam Kekse, nämlich die Chocolate Chip Cookies. Allerdings war ganz klar zu merken, dass es bei vielen weiblichen Zuschauern nicht nur ums Backen ging.
In den lauten Endapplaus hinein begannen die ersten Töne von Jetzt ist Sommer, die das ungeordnete Klatschen sofort in rhythmische Bahnen brachten. Die Zuschauer sprangen unter lautem Geschrei von den Stühlen hoch und feierten singend und klatschend mit. Superstimmung im Saal und keine Anzeichen von Erschöpfung, sondern donnernde Lautstärke. Dän forderte danach auf: „Bleiben Sie stehen“, denn es kam das Stück Sing mal wieder, bei dem alle zum Abschluss des vierten Blockes mitmachen konnten.
Schon von der ersten Zeile an wurde laut mitgesungen. Im Mitsingteil rief Eddi nach dem ersten Versuch: „Hinten auch! Nicht nur die Fans hier vorne!“, und ein sehr lauter Chor antwortete ihm auf jedes Vorsingen.
Abwechselnd sang Eddi auf der einen Seite des Saales und die etwa 1000 Zuschauer auf der anderen Seite. Alle hatten Spaß, und am Schluss gab es lauten Jubel, die Wise Guys gingen zur Seite ab und das Publikum begab sich aufgedreht und sehr wach in die letzte Pause. Aber auch die Wise Guys hörten sich wach an und schienen nach inzwischen 56 gesungenen Liedern stimmlich noch keine Probleme zu haben.
Probier’s mal mit ‘nem Bass
Julia
Mädchen lach doch mal
Alles im grünen Bereich
Frühlingslied
Ich will keine a-cappella
Wie kann es sein
Die Comedian Harmonists
Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf
Wo der Pfeffer wächst
Einer von den Wise Guys
Chocolate Chip Cookies
Jetzt ist Sommer
Sing mal wieder
* * * * *
TEIL 5: KARNEVAL
In der letzten, kurzen Pause der Totalnacht wurden im Backstagebereich Gewänder gewickelt, Haare toupiert und Farben verwendet. Traditionell wurde der letzte Block in Karnevalskostümen absolviert. Es gab kein gemeinsames Motto, sondern jeder brachte sein eigenes Kostüm mit, so dass es die ersten Überraschungen für die Wise Guys ihrerseits schon im Flur vor den Garderoben gab.
Als die Pausen-End-Fanfare ertönte, machten sich die Wise Guys zum letzten Mal an diesem Abend gemeinsam auf den Weg zur Bühne. Bei den Zuschauern im Saal waren in der Zwischenzeit Textblätter verteilt worden, auf denen ein Text stand, der zur Melodie von ‚Showtime‘ gesungen werden sollte. Das versuchten sie zum Ende der Pause, was wegen der Silbenverteilung nicht ganz einfach war, so dass es mal mehr, meistens aber weniger synchron klang. Mittendrin ging das Saallicht aus und eine laute, lustige, schnelle Comic-Musik aus den Lautsprechern übertönte alles. Der Jubel platzte los und die Wise Guys erschienen kostümiert auf der Bühne. Sie stellten sich auf und riefen laut: „Dreimal Kölle – Alaaf! Kölle – Alaaf! Kölle – Alaaf!“ Der Saal brüllte das „Alaaf!“ jeweils laut mit und damit war der Karnevalsblock eröffnet.
Sari gab den Ton an, und es ging sofort mit Showtime los. Diesmal aber mit dem Originaltext, der den meisten Zuschauern locker von den Lippen kam. An der Stelle, an der Dän sonst: „Meine Damen und Herren, die Band“ vorstellte, rief er: „die Pappnasen!“ Der Saal feierte lautstark und freute sich, dass der fünfte Block gut begonnen hatte, dass es noch keine Stimmausfälle gab und die wunderbare Totalnacht immer noch nicht beendet war.
Dän begrüßte: „Ja, meine Damen und Herren, liebe Närrinnen und Narren, wir kommen zu unserem letzten Block des Abends, das ist der Karnevalsblock. Wir wollen Ihnen die Kostüme kurz erläutern, denn es steht ja immer ein tieferer Sinn dahinter.“
Dän: „Weil ich als Einziger noch nichts zum Babyboom der Gruppe beigetragen habe, möchte ich das heute Abend wenigstens optisch nachholen. Deshalb habe ich mich als Säugling verkleidet.“
Ferenc: „Jaaa. Ich hatte noch diesen Mantel im Schrank und hab’ diesen Hut gefunden. Und diese Peitsche dazu. Ich bin also so eine Art Indiana Husta- oder Ferenc Jones-Verschnitt. Das war’s.“
Eddi: „Schlechter Elektriker.“
Sari: „Ich bin Unterwasser-Pirat. Mein wichtigstes Utensil hab’ ich vergessen. Ich wollt noch ’n Dosenöffner mitbringen. Irgendwie muss man ja in diese U-Boote kommen.“
Clemens: „Ich stehe ganz bewusst auf der anderen Seite der Gruppe, weil ich thematisch einen Bogen zum Daniel schlage, der Baby ist, denn dieses Kostüm, das ich hier habe und das heute konzeptionell und handwerklich komplett neu entstanden ist, basiert in wesentlichen Teilen auf einem ehemaligen Schwangerschaftskleid meiner Frau. Was die Interpretation angeht, sind wir uns nicht einig. Es gibt Leute, die sehen das mehr römisch oder mehr ägyptisch, so dass ich mich als Doppel-Spion, römisch-ägyptisch bezeichnen würde.“
Nach dieser sehr schönen Vorstellungsrunde wies Dän darauf hin, dass die Wise Guys gerne Karneval feiern, nach früheren Versuchen aber nicht mehr gerne Karnevalsmusik machen und er sagte Do you believe an. Die Zuschauer fanden ihrerseits Karnevalsmusik von den Wise Guys überhaupt nicht schlimm und sangen lautstark mit. Eddi wanderte während des Liedes auf der Suche nach dem Handmikro herum und fand es schließlich auf einem der seitlichen Tische.
„Tja, das Nächste ist auch schnell angesagt“, begann Clemens. „Es reimt sich vielleicht wenig auf ‚Düsseldorf‘, das stimmt, also ‚amorph‘ und viel mehr fällt einem da nicht ein, aber man muss es ja auch nicht unbedingt reimen, um es thematisch zu verarbeiten.”
Also auf „Düsseldorf‘ reimt sich auch ‚Carl Orff‘, ‚frischer Schorf‘ und ‚Schüssel Torf‘, aber das wollte ich nicht laut in den Saal rufen, zumal es den Text nicht unbedingt sinnvoller gestaltet hätte. Nein, nein, nein war das Mitsing-Lied überhaupt und passte zur Bühnenkleidung und zur Stimmung im Saal.
Als sich nach dem musikalischen Vortrag alles beruhigt hatte, sagte Dän: „Unsere prähistorischen Versuche alltägliche Dinge, also Vorgänge des alltäglichen Lebens satirisch aufs Korn zu nehmen, und die kleinen Missstände des Alltags ein bisschen anzuprangern, … auf nette Art … mmmh, wie bring ich das zu Ende?“ Er musste grinsen und das Publikum reagierte mit Gelächter. Der Meister zeigte Ermüdungserscheinungen. Dän brachte den Satz aber noch zu Ende: „… gipfelte in dem folgenden Song: Tut mir leid.“
Die Wise Guys begannen als Einleitung mit einem Choral, bei dem Clemens eine hohe Stimme sang. Eine sehr hohe sogar. Die alte Musikform hörte sich bei den Wise Guys ganz ungewohnt, aber sehr gut an und ging nach einer Strophe in ‚Tut mir leid‘ über. Clemens sang im Pharao-Outfit davon, dass er gut gelaunt sei, und strich sie dabei immer wieder grinsend die Lamettafäden seines Kopfschmuckes aus dem Gesicht, die auf der Haut kitzelten und im Headmicro hängenblieben. Er war in seinem Kostüm eine tolle, glitzernde Erscheinung auf der Bühne. Dagegen verschwand Ferenc mit seinem zwar sehr männlichen, aber auch dunklen Kostüm manchmal fast aus dem Blickfeld, weil die Hutkrempe einen starken Schatten warf, der seine Augen verdeckte und der Rest der Figur von dem dunklen Mantel bedeckt wurde. Dafür konnte er mit der Peitsche knallen – was er aber nicht machte.
Ohne Ansage ging Wenn der Herrjott ruft los, und im Saal herrschte andächtige Stille, als Eddi mit der unheimlichen Fanfare loslegte. Das Publikum lachte über die Formulierungen, und in der letzten Strophe wanderte Dän vor der Gruppe entlang zügig zu Eddi an das rechte Ende und sang dabei: „Wenn der Herrjott ruft zur Himmelfahrt, dann stellen wir uns ganz hinten …“ er stockte, weil ihm auffiel, dass er ans vordere Ende gegangen war, brach lachend ab, rief: „Scheiße!“ und drehte sich sofort um, um an das andere Ende zu gehen. Das Publikum brach am Ende in lautes Gejohle und langes Klatschen aus.
Clemens erzählte, dass das Lied Kölsche Jung in New York früher eine ihrer Top-Nummern bei der Straßenmusik gewesen wäre, und dass sie von Sting die Genehmigung zur Veröffentlichung bekommen hätten. Als es losging, fiel mir plötzlich ein, dass genau dieses Lied mein erster Kontakt mit den Wise Guys gewesen war. Ich kann mich genau an die Situation erinnern, als ich irgendwann in den 90er Jahren mit dem Gatten im Auto durch Köln fuhr und dieses Lied plötzlich aus dem Autoradio erklang. Wir sahen uns überrascht lachend an und hatten lange keine Ahnung, wer das gesungen hatte. Aber es hatte einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Außerdem muss es irgendetwas in unserem Inneren berührt haben, denn wir können uns beide bis heute an die Situation mit diesem Lied im Radio erinnern. Die Wise Guys haben wir erst einige Jahre später kennengelernt. Zufall? Schicksal? Jetzt lieber wieder zur Totalnacht.
Es ging mit Tönen weiter, die etwas undefinierbar und ziemlich ungewohnt waren. Nach drei Akkorden unterbrach Dän halblaut: „Machen wir’s nochmal! Ich bin total am Schlafen – ist so warm hier.“ Es fingerte an den Bändern seiner Babyhaube herum und zog sie herunter. „Oooooh!“ rief das Publikum bedauernd, aber er versicherte: „Ich zieh’s gleich wieder an!“ Die Töne begannen erneut, aber diesmal setzte auch Dän rechtzeitig ein und Deutscher Meister war klar zu erkennen. Ein lauter Zuschauerchor sang mit und gab Dän keine Chance mehr, einen Einsatz zu verpennen. Beim Refrain wurden Schals in die Luft gehalten und von ganz alleine geschunkelt. Da war keine Aufforderung nötig. Als Belohnung gab es von den Zuschauern anschließend das volle Ausflipp-Programm mit Geschrei, Pfiffen und Getrampel.
Dän hatte im verdunkelten Saal entdeckt, dass es kostümierte Zuschauer gab und bat um Saallicht. „Alle, die verkleidet sind, stehen mal auf!“ sagte er und es gab Extraapplaus. Allerdings waren es gar nicht so sehr viele, aber es gab trotzdem ein buntes Bild.
Das Saallicht ging wieder aus und Dän moderierte knapp: „Jetzt ein musikalischer Leckerbissen aus dem Jahre … 1974.“ In die Lacher hinein gab Sari den Ton an, Dän sprach laut, aber monoton: „Eins, …Zwei …“ das Publikum erkannte es sofort, johlte laut und der Tekkno hämmerte los. Der hätte natürlich auch in die Rubrik ‚greatest hits‘ gepasst, denn er war legendär und umjubelt.
Noch im Endapplaus begab sich Clemens zur Bühnenmitte, wo sich schnell auch seine Kollegen einfanden. Bis auf Eddi, der eine längere Anmoderation erwartet hatte und seelenruhig an einem der Seitentische stand und verträumt eine Wasserflasche aufdrehte. Clemens rief ihn halblaut, Eddi sprintete zur Bühnenmitte und sofort ging der Ohrwurm los. Im Publikum warfen die Kenner immer mal ein passendes „Hallo!“ ein. Dafür blieb es nach Clemens’ Textstelle: „… mit Beethoven und Bach“ still, weil Eddi verpasst hatte, sein beethövliches ‚Papapapaaaaah!‘ zu schmettern. Clemens drehte sich zu ihm um und lachte schnaubend los, und auch Eddi klappte lachend zur Seite. Mist! Völlig vergessen! Zum Ausgleich sang er ein herzhaftes „Papapapaaaah!“ an der gleichen Stelle in der nächsten Strophe, wo es textlich überhaupt nicht passte, aber Clemens überraschte und erneut zum Lachen brachte. Am Schluss sangen die Zuschauer laut mit, warfen immer mal wieder ihr „Hallo!“ ein und hatten viel Spaß. Als der Applaus losbrandete, konnte Eddi endlich in aller Ruhe zu seiner Wasserflasche zurückkehren.
Dän ließ vorsichtig eine Kritik los: „Wir hatten ein bisschen den Eindruck, Sie machen jetzt so teilweise schlapp. WIR wachen gerade auf. Wir haben eben in der Pause noch überlegt, dass wir nach dem Konzert eine Gesangsprobe machen.“ Er kündigte eine „Granate“ an: „Aus der ‘blauen Phase‘ bei uns. Die war so um 2001 rum, und das Lied, das wir aus dieser Phase singen wollen, und das auch von Historikern als Prototyp angesehen wird, heißt Kaiser Franz.“ Die Wise Guys sangen die Einleitungstöne, und Clemens fuchtelte mit den Armen, um das Publikum zu Waldgeräuschen zu animieren. Die erfahrenen Fans, die die ‚blaue Phase‘ erlebt hatten, setzten sofort ein.
Sollten Leute im Publikum gewesen sein, denen das Lied neu war, werden sie ungewohnte Erfahrungen gemacht haben, denn, wie es Clemens nachher sagte: „Das Lied ist ziemlich gaga.“
„Oh, ich muss was sagen!“, erinnerte sich Clemens erschrocken, als der Endapplaus aufgehört hatte und alles ruhig blieb. „Ich war gerade so empört über den Strich, den man mir da verpasst hat, ich weiß gar nicht genau, was ich falsch gemacht habe.“ Es kamen Zurufe aus der ersten Reihe und er gab seinen Widerspruch auf: „Die Jury ist unbestechlich und ich führe mit fünf Strichen. Das ist ja skandalös!“
Seinen Frust ließ er gleich wieder raus: „Jetzt kommt ein Lied, das dem Sari hoffentlich so ‘nen Balken einbringen wird, weil er unglaublich viel Text hat und außerdem mit dem Ferenc zusammen am hinteren Ende der Skala rangiert. 99 Jahre.“ Unter dem Jubel der Zuschauer setzte Sari ein und war natürlich total gefordert. Nach nicht mal vier Zeilen hatte es ihn erwischt. Anstatt „Es wurde sechs und dann …“, sang er: „Ich habe sechs“, und kassierte einen Strich. Leider wurden kreative Textänderungen nicht bewertet, sonst hätte er ihn etwas später wieder ausgleichen können, als er nicht die Originalzahl 120 einsetzte, sondern als aktuelle Fassung: „In 99 Jahren sind wir beide 140“ sang. Einige Zuschauer reagierten auf diese Neuerung mit freudig anerkennendem Gekreisch.
Dän kam mit der harten Wahrheit: „Wir hoffen, dass Sie mitgezählt haben. Wir kommen zu den letzten drei Liedern der Wise Guys Totalnacht 2004.“ Das Publikum reagierte mit lautem: „Ooooooh!“, und Dän vermied sensible, tröstenden Worte, indem er erklärte: „Wenn IHR Song bis jetzt noch nicht dabei war, dann stehen Ihre Karten verdammt schlecht.“
Danach wies er auf den Afterglow hin und startete die raffinierteste Überleitung des ganzen Abends: „Es ist aber ein sehr später Afterglow. Insgesamt ist alles sehr spät – ist alles eigentlich schon zu spät.“ Eine raffinierte Ansage für Zu spät. Laute, begeisterte Rufe tönten aus dem Saal, aber sie schrien nicht: „Klasse Überleitung!“ oder: „Tolles Lied!“, sondern: „Sari, mach die Kuh!“ Es gab aber ‚Zu spät‘. Auch wenn manches Mädchenherz vielleicht brach, wurde von den meisten Zuschauern gut gelaunt zugehört. Eddi sang: „Wo wart ihr, bitte schön, vor ein paar Jahren?“ und eine laute, weibliche Stimme aus dem Publikum rief: „Grundschule!“, was fröhliches Gelächter auslöste und auch die Wise Guys zum Grinsen brachte.
Nach dem Lied stellte Clemens fest: „Mein Gott, nur noch zwei Lieder!“, aber er war ja auch Mathelehrer und konnte das im Kopf rechnen. Das Publikum schien von der Tatsache überrascht, obwohl Dän beim Lied davor von „noch drei Lieder“ gesprochen hatte, und rief wieder enttäuscht: „Ooooooh!“ Clemens zog Vergleiche: „Bei Sportlern laufen die Beine irgendwann von alleine. In so einem ähnlich schmerzfreien, sphärischen Zustand bewegen wir uns auch ungefähr im Moment. Darum machen wir jetzt Party: Was für eine Nacht!“ Die Zuschauer jubelten los, weil sie so eine Nacht, wie sie im Lied beschrieben wurde, gerade im Moment erlebten.
Bei den ersten Tönen sprangen alle auf, klatschten mit, sangen laut und mobilisierten die letzten Reserven. Ein paar Leute mussten dagegen schon ihre Sachen packen und den Saal verlassen, weil die letzten Bahnen kurz darauf fuhren und leider keine Rücksicht auf die Wise Guys und ihre Totalnacht nahmen. Im Saal gab es eine Riesenstimmung, die am Liedende in tosendem Geklatsche und lautem Geschrei weiterging. Dän rief: „Vielen Dank!“, was von seinen Lippen abgelesen werden musste, weil er vom donnernden Klatschen übertönt wurde.
Als endlich Ruhe eintrat, kündigte er an: „Wir präsentieren Ihnen: Die Kuh!“ Die Fans freuten sich, Sari stellte sich in die Bühnenmitte, konzentrierte sich angestrengt und röhrte: „Mooooooooh“. Es klang eher nach Kälbchen oder erkälteter Jungkuh, aber dem Publikum war schon alles egal und es jubelte wieder völlig begeistert los.
Die letzte Moderation kam nochmal von Dän. Er bedankte sich bei allen Zuschauern, weil sie „relativ klaglos“ die erhöhten Preise gezahlt hatten und damit eine hohe Spendensumme erreicht werden konnte, dass sie so lange durchgehalten und bei dieser verrückten Idee mitgemacht hatten. „Eigentlich fast schade, dass es schon alles vorbei ist“, bedauerte Dän. „Wir könnten eigentlich noch etwas weiter machen, aber …“ Lautes, zustimmendes Geschrei unterbrach ihn, „… aber deswegen hatte ich ja gerade in den Satz das Wort ‚eigentlich‘ eingefügt.” Ehe noch weitere Hoffnungen geweckt wurden, stellte er klar: „Meine Damen und Herren, wir möchten uns von Ihnen verabschieden mit dem folgenden Lied …“
Die Wise Guys stellten sich ruhig auf der Bühne zusammen und begannen leise und sanft mit Weil ich ein Kölner bin. Die einzigen Geräusche, die im Saal zu hören waren, waren die fünf Stimmen, und einige Sekunden lang raschelnde Kleidung, weil sich alle Zuschauer leise wieder hinsetzten. Das war kein Stehlied. Auch das Lachen während der witzigen Textstellen war leise und ein wenig sentimental, denn die Totalnacht näherte sich ihrem Ende, was auch ein wenig traurig war.
Es war ein wunderbarer Abschluss, der ganz ruhig ein sehr schönes Ausnahmekonzert beendete. Am Ende des Liedes standen die Wise Guys im Scheinwerferlicht eng nebeneinander auf der Bühne, hielten sich an den Schultern umarmt und ließen die letzten Töne leise verklingen. Sehr schön!
Großer Jubel, Pfiffe, Geschrei, Applaus tosten durch den Saal, das Publikum erhob sich zu Standing Ovation, und die Wise Guys verbeugten sich, winkten lächelnd und gingen ab.
Showtime
Do you believe in Kölle Alaaf
Nein, nein, nein
Tut mir leid
Wenn der Herrjott ruft
Kölsche Jung in New York
Deutscher Meister
Tekkno
Ohrwurm
Kaiser Franz
99 Jahre
Jetzt ist es zu spät
Was für eine Nacht
Weil ich ein Kölner bin
Es war eine sehr schöne Totalnacht mit einem Publikum, das zuhören konnte und nicht grundsätzlich alles laut mitsingen musste. Eine wirklich tolle Atmosphäre, die den Abend zu einem unvergesslichen, außergewöhnlichen Erlebnis machte. Der Afterglow war recht voll und die Wise Guys wurden umlagert, um Autogramme zu geben und in Fotoapparate zu lachen. Alle Fünf sahen müde aus und rangierten auf einer Skala von ‚erstaunlich fit‘ bis ‚total am Ende‘. Aber auch manche Zuschauer hatten viel von ihrer Energie verloren, waren begeistert von der Nacht, verlangten aber nicht lautstark nach einem sechsten Block. Immerhin musste der Nachhauseweg noch geschafft werden. Clemens wurde mehrfach auf sein DVD-Zitat bezüglich der Textsicherheit angesprochen und grinsend auf seine fünf Texthänger hingewiesen. Irgendwann verabschiedete sich der letzte Wise Guy, ging durch die Tür in den Backstagebereich und die Stadthalle konnte dichtgemacht werden.
Die komplette Liederliste:
Wise Guys Opener
Das war gut
Wie die Zeit vergeht
Ein Herz und eine Seele
Charlie Razzamatazz
Ich bin grumpig
Wenn sie tanzt
Haarige Zeiten
Willst du mit mir gehen
Der letzte Martini
Zur Lage der Nation
Little sweet loving girl
Ohne dich
Wenn ich ens nit mih existiere
Back for Good
Es tut so weh
Die wahre Liebe
Liebe geht durch den Magen
Rollbrett
Lullaby
Gehnurjanie Indibarda
Träum vom Meer
Verlieben, verloren, vergessen, verzeih’n
Oh Scheiße
Irgendwo auf der Welt
Parfum
Wenn ich bei dir bin
Nur für dich
Live and let die
Die Philosoffen
Griechischer Wein
1001 Nacht
King of the road
Vielen Dank für die Blumen
Root Beer Rag
When I’m 64
Sensationell
Meine heiße Liebe
Skandal
Mach mir den Skywalker
Rasier dich
Wonderful world
Probier’s mal mit ‘nem Bass
Julia
Mädchen lach doch mal
Alles im grünen Bereich
Frühlingslied
Ich will keine a-cappella
Wie kann es sein
Die Comedian Harmonists
Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf
Wo der Pfeffer wächst
Einer von den Wise Guys
Chocolate Chip Cookies
Jetzt ist Sommer
Sing mal wieder
Showtime
Do you believe in Kölle Alaaf
Nein, nein, nein
Tut mir leid
Wenn der Herrjott ruft
Kölsche Jung in New York
Deutscher Meister
Tekkno
Ohrwurm
Kaiser Franz
99 Jahre
Jetzt ist es zu spät
Was für eine Nacht
Weil ich ein Kölner bin