Berichte

Maybebop – Muss man mögen – 14.09.2025 – Frankfurt

Saalbau, Frankfurt-Griesheim

Der Saalbau in Frankfurt-Griesheim war ein eckiger Klotz für Veranstaltungen, Kultur und private Feiern. Saalbauten sahen alle gleich aus. Ein bisschen diagonal angelegt, aus Stein, Holz und Glas und meistens mit Treppen versehen. Barrierefreiheit war im Plan nicht vorgesehen. Ich ging davon aus, dass es für sämtliche Saalbauten nur einen einzigen Architektenplan gab. Wie sonst hätten sie mir alle so vertraut vorkommen können?   

Der große, zweckmäßige Saal war bestuhlt und mit etwa 500 Plätzen ausverkauft. Die Maybebops waren nach einer langen, achtmonatigen Pause gerade wieder auf Tour. In Griesheim sangen sie das nicht mehr neue, aber natürlich immer noch sehr schöne Programm „Muss man mögen“. Da einige Frankfurter das bestimmt noch nicht gehört hatten, war es für die dann doch neu. Auffällig war, dass ich vor dem Saalbau und im Forum schon viele Anmerkungen über Chorsingen aufgeschnappt hatte und anscheinend viele Chormitglieder das Konzert besuchten.

Das Programm begann mit einer weiblichen Computerstimme, die sympathisch klang, deren Künstlichkeit aber deutlich zu hören war. Sie begrüßte die Zuschauer und gab sympathische Verhaltensregeln für den Abend, die oft leises Gelächter erhielten. Dann ging es los. Auf der Bühne erschien Jan, Lukas, Oliver und Christoph, projiziert auf Leinwände. Es waren glattgebügelte, faltenfreie und optimierte KI-Avatare, die wie aus einem Computerspiel aussahen und wie Maybebop sangen. Bei der Textzeile „Uns muss man mögen“ wurde im Publikum amüsiert gelacht.

Die scheinbar perfekte KI-Welt bekam erste Risse, die sich durch kurze Aussetzer beim Ton und durch erste Blockstreifen-Bildstörungen zeigten und immer häufiger auftraten. Plötzlich brach die Übertragung komplett zusammen. Die Zuschauer lachten freudig auf und klatschten. Der Gesang begann erneut, diesmal aber live, und die vier Sänger von Maybebop kamen mit kleinem Handylichtern durch den Mittelgang und gingen zur Bühne. Wie beruhigend – sie griffen ein und retteten die Zuschauer vor der KI-Version.

Die folgenden „uns muss man mögen“ aus den Refrains kamen gleich persönlicher rüber. Ja, es war wirklich schön, dass sie da waren und die Show selber machten. Lukas tippte während eines Refrains auf Jans Wange und säuselte dazu: „Du bist aber auch ein Schnuckel!“, was sehr witzig war. Das Publikum klatschte inzwischen im Takt mit. Nach dem letzten Ton gab es erstaunlich viel Applaus und erstes Gejohle. Erstaunlich war nicht der Applaus, sondern dass er für den Anfang des Konzertes sehr viel war.

„Das war ‚Muss man mögen‘!“, rief Lukas, winkte freundlich: „Bis zum nächsten Mal!“ und machte den Anschein, die Bühne zu verlassen. Tat er natürlich nicht. Er erzählte, dass sie dieses Programm zum ersten Mal in Frankfurt sangen – obwohl … so ganz sicher war er da nicht und die anderen konnten es auch nicht genau sagen. Sie hatten aber das Gefühl, dass sie in Frankfurt bisher nur das Weihnachtsprogramm gesungen hatten. „Wir hatten gerade acht Monate frei“, erklärte Lukas die Unsicherheit. Christoph stellte fest: „Für uns fühlt es sich wie neu an.“ Er grinste ins Publikum: „Und ihr so?“

Es ging mit Bluesrock weiter und blieb themenmäßig beim Internet. Warum wurde geliked, wenn Leute sich dort auf alle Arten produzierten, seltsame Sachen behaupten, dumme Challenges mitmachen und sich zum Fremdschämen benahmen. Hört bitte auf, dumme Leute berühmt zu machen, sang Jan in der Leadstimme, und die Leute um mich herum nickten zustimmend. Zwischendurch standen die drei anderen Maybebops mal mit dem Rücken zum Publikum und schwangen bluesig lasziv ihre Hüften. Es gab vereinzelt weibliche Juchzer im Publikum. Da wären mehr drin gewesen, aber vermutlich wollten sich viele potientelle Juchzerinnen – und Juchzer – vor den ebenfalls anwesenden Chorkollegen nicht zu sehr gehen lassen. Schließlich sang man am nächsten Dienstag wieder den Messias zusammen. Nach dem Applaus beschwerte sich Jan bei Lukas, dass er ihm auf den Fuß getreten sei. „Tschuldigung“, sagte Lukas sofort. „Das machst du jeden Abend“, behauptete Jan und sie gingen kurz durch, wann sich wer wohin drehen und wie die Füße setzen musste. Christoph unterbrach sie mit tiefer Stimme und gurrte: „Dafür sahst du von hinten sehr sexy aus.“ Wow, was für eine Stimme! Ich wusste nicht, ob ich die Hüftschwünge oder diese gegurrte Stimme sexier fand.

Bei Influencer liefen die Maybebopper singend umeinander, wechselnd das Handy haltend und einen der Kollegen filmend. Das Handybild wurde live auf die Leinwand übertragen, was perfekt zum Influenzen passte. Auch die Choreo dazu war mit den lässigen Bewegungen influenzig korrekt. Dann gingen sie während des Liedes von der Bühne und machten kurze Selfiefilme mit Leuten aus dem Publikum. Auch die wurden auf die Leinwand übertragen und ein Filter machte lustige Gesichter daraus. Gute Idee, witzig und eine lebendige, rasante Nummer.

Aber es hatte schon wieder ein Choreografie-Problem gegeben. Oliver wandte sich an Christoph: „Du hast mir doch gesagt, dass es am Ende ‚Zack, zack, Finger raus‘ geht.“ Er machte dazu die geschilderten Bewegungen. „Aber das machst du selber nicht!“, rügte er vorwurfsvoll. Anscheinend hatten die acht Monate freie Zeit einige Lücken bei den Bewegungen gebracht. Vielleicht auch beim Singen, überlegte ich. Aber da waren die vier so gut, dass sie vermutlich auch improvisierend immer passend waren. Unstimmigkeiten in den choreografierten Bewegungen würden mir schnell auffallen, komplett andere Töne beim Singen vermutlich nicht.

Die Musikrichtung Bebop war schnell und eigentlich unsingbar, erklärte Oliver. „Maybebop hat ganz zu Beginn Bebop gesungen, wegen des fehlenden Erfolgs aber nicht sehr lange.“ Immerhin war der darauf hindeutende Name der Gruppe geblieben. “Einen Beboptitel singen wir noch“, sagte Oliver und es kam der Bebop Butzemann. Schnell, jazzig und natürlich bebopig. Großartig, wie er rasend schnell und trotzdem exakt gesungen wurde. Das Frankfurter Publikum beklatschte wie ordentliches Jazzpublikum die Soli und hatte Spaß.

Ich grinste beim Zuhören breit und vergnügt vor mich hin und dachte plötzlich, dass ich in meinen Kinderjahren niemals beim Hören des Butzemannes so fasziniert gegrinst hatte. Wurde das in meiner Kinderzeit nicht immer gesungen, wenn alle im Kreis standen und ein Kind außen herumlief, möglichst unbemerkt ein Taschentuch fallen ließ und versuchte, das Taschentuch nach einer Runde wieder zu erreichen, ehe das Kind, hinter dem es lag, es bemerkte? So ganz schwach hatte ich das Lied im Zusammenhang mit grüner Wiese, einem weißen Taschentuch, großer Spannung und atemlosen Rennen im Kopf. – Was mir beim Hören eines superschnellen Bebop-Butzemannes alles so durch den Kopf gehen konnte. Es gab am Ende großen Applaus, untermalt von lobenden Huh!-Ausrufen.

Ohne Ansage ging es mit einer romantischen Ballade weiter. Lukas sang sanft schmelzend Frauenname, war dabei voll Gefühl und Enthusiasmus, hing ein Klischee ans nächste, entlarvte alle Liebeslieder – und es funktionierte trotzdem. Kitsch, Schmelz, Herz, aber auch total lustig. Sehr klasse. Das Publikum war schlau und verstand jeden Gag. Das machte Spaß. Mitten im sanften Refrain gab es einen weiblichen Ruf aus dem Publikum: „Ich will ein Kind von dir!“, was gut passte. Wobei ich ja immer anmahne, dass man das gut überlegen sollte, weil man auch Spaß haben kann, ohne danach womöglich als alleinerziehende Mutter mit einem Kind dazusitzen. Am Ende gab es schon wieder lautes Gejubel. Lukas bildete mit seinen Armen ein Herz über seinem Kopf und Jan kommentierte: „Das macht er nur, wenn er berührt ist“.

„Ist das in Ordnung, wenn wir ein Volkslied proben?“, fragte Lukas und stellte einen Ständer auf, auf dem der Text lag. Vielleicht auch der gesamte Notensatz, das war nicht zu erkennen und auch egal. Bolle reiste jüngst zu Pfingsten begann, und Lukas sang mit astreinem Berliner Akzent. Im Publikum wurde sofort leise mitgesungen, bei den Refrains sicherer und deutlich lauter. Als Lukas eine Strophe mit „Und …“ begann, die anderen aber „Als …“ sangen, stoppten sie kurz, warfen einen Blick auf den Text und setzten zu viert mit „Als …“ wieder ein. In der darauffolgenden Strophe stockte Leadsänger Lukas vor Beginn der Zeile kurz, guckte auf das Textblatt und setzte mit zwei Sekunden Verzögerung, korrekt begleitet von den Kollegen, die die zwei Sekunden einfach abgewartet hatten, ein. Der ausliegende Text war anscheinend wirklich notwendig. Acht Monate Pause waren lang. Für das Publikum waren die kurzen Orientierungsstopps aber eher unterhaltsam und lustig, das Lied sowieso. Oliver kommentierte danach: „Volkslieder und Text, das ist nicht so einfach, weil das ganz schön viele Strophen sind.“

Er hielt eine Volkslieder-CD von Maybebop hoch und fragte lockend: „Wer will? Ich verschenke eine CD. Bedingungslos.“ Beim letzten Wort gab es an einigen Stellen im Publikum tiefes Ho-ho-ho-Gelächter, das schon zeigte, dass es einen Haken geben musste. Trotzdem gingen einige Hände in die Höhe und zwei Damen wurden ausgewählt und auf die Bühne gebeten. „Wir machen ein kleines Quiz mit euch“, erklärte Oliver, und im Publikum wurde nicht sehr hämisch, aber doch vorfreudig gelacht. Die Damen waren eine sehr junge Ronja, die ich aus der Entfernung auf etwa 13 Jahre schätzte, und eine deutlich ältere Gisela, die ich bei 70 Plus einordnete. Wie gesagt, aus der Entfernung, mit nicht mehr perfekten Augen, aber zumindest der Altersunterschied war deutlich zu sehen. Die beiden sollten Volkslieder erkennen. „Oh je“, dachte ich. „Da ist Gisela aber im Vorteil.“ Aber vielleicht schätzte ich das falsch ein und Ronja war Mitglied in einem Volkslieder-Kinderchor und Expertin in älterem Liedgut.

Christoph und Jan knieten sich hin und stellten ihre Köpfe als Buzzer zur Verfügung, um mit einem Geräusch zu reagieren, sobald sie eine Berührung spürten. Gisela und Ronja stellten sich hinter sie, bereit, den jeweiligen Buzzer zu betätigen. Der Gewinnerin winkte die Volkslieder-CD. Die Maybebops holten Luft und sangen „Ein Vogel wollte Hochzeit machen“, allerdings zur Melodie von „Auf einem Baum ein Kuckuck“. Ronja und Gisela guckten verwirrt und warteten ab. „Was war das für ein Lied?“, wurden sie nach dem kurzen musikalischen Einsatz gefragt. „Ein Vogel wollte Hochzeit machen“, antwortete Gisela. „Das war der Text. Wir suchen aber die Melodie“, wurde ihr erklärt. Und hinter mir in der Reihe sagte jemand verstehend: „Ach so!“

Oliver forderte das Publikum auf, singend mit dem zur Melodie passenden Text einzusteigen, um den beiden Kandidatinnen etwas zu helfen. Wieder sangen sie den Text der „Vogelhochzeit“ zur Melodie vom Kuckuck, und diesmal wurde im Publikum zunehmend lauter der korrekte Text vom Kuckuck mitgesungen. Gisela und Ronja reagierten wieder nicht. „Was für ein Lied war das?“, fragte Oliver anschließend. „Gisela sagte: „Was mit Kuckuck.“ Jan: „Aber welcher Kuckuck?“ Da drückte Ronja den Buzzer und sagte: „Auf einem Baum ein Kuckuck.“ Erster Punkt und Gisela wurde das Spiel nochmal erklärt: Auf die Melodie hören, nicht auf den Text.

Weil es etwas schwierig schien, stieg das Publikum jetzt sofort ein, sobald es das Lied erkannte. Und kaum sangen die ersten Stimmen den passenden Text, konnten auf einmal immer mehr mitmachen und es wurde richtig laut im Saal. Beim Müller mit der Wanderlust und der klappernden Mühle am rauschenden Bach war Gisela dank des laut singenden Publikums vorne und konnte richtig lösen. Ronja kannte die Lieder überhaupt nicht. Im Volkslieder-Kinderchor war sie wohl doch nicht. Buzzer-Jan kommentierte klagend: „Also Gisela ist im Spiel angekommen, das hat jetzt richtig wehgetan.“

In der letzten Runde musste „Der Mond ist aufgegangen“ erkannt werden. Das Publikum sang deutlich vor und Oliver flüsterte Ronja, die weit hinten lag, die Lösung vor. „Der Mond geht auf?“, versuchte sie es zögernd. Eine Frauenstimme aus dem Publikum rief: „Ronja braucht die CD zum Üben!“ Am Schluss hatte Gisela eindeutig gewonnen und Oliver tröstete die jüngere Kandidatin: „Ronja, das war nicht deine Schuld. Das liegt eindeutig an deinem Elternhaus“, woraufhin es schon wieder vergnügtes Gelächter im Publikum gab. Und für Ronja gab es natürlich ebenfalls eine CD. Was für ein lustiges Spiel, das gar nicht so einfach war. Ich wusste schon, warum ich mich niemals für die „bedingungslose CD“ melden würde und dann auf der Bühne stehen und nach Textzeilen suchen müsste, während die Maybebops neben mir so überzeugend ganz andere Worte sangen.

John Maynard, die alte Ballade von Theodor Fontane, hatte Dramatik, Emotionen, drängende Rhythmen und zwischendurch schön enge Akkorde. Musik und Text passten perfekt zueinander. Ich sah Bilder vor mir und fühlte mich wie beim Hören einer Filmmusik. Christoph sang sehr spannend und eindringlich die Leadstimme. Im Lied gab es leise Stellen, bei denen es ganz still im Saal blieb. Na gut, ein vereinzelter Huster war mal kurz zu hören, der zwar schnell vorbei war, aber trotzdem kurz die Spannung verhustete. Am Ende gab es eine Pause im Lied. Ich hatte die Befürchtung, dass einige Zuschauer sie für den Schluss halten und losklatschen könnten, aber alles blieb fast atemlos still. Ein berührendes Lied in beeindruckendem Arrangement mit toller Leadstimme.

Als der Applaus verklungen war, wurde kontrastreich mit dem lockeren Heut kommt der Hans zu mir weitergemacht. Der war im Refrain zum Mitsingen gedacht, was auch sofort klappte, denn das war das bekannte: „Ob er aber über Oberammergau, oder aber über Unterammergau …“ Allerdings war Lukas das erste Mitsingen noch zu verhalten gewesen und er tadelte: „Hab ich schon besser gehört.“ Der Text in den Refrains wurde im weiteren Verlauf geändert, was es lustig machte. Die Zuschauer sangen jetzt schon lauter mit. „Ja, um einiges besser. Da ist aber noch Luft nach oben. Ihr habt fünf Strophen Zeit“, kommentierte Lukas.

So angespornt wurde das Mitsingen tatsächlich kräftiger, immer wieder untermalt von Gelächter über den Text. Im dicken Schlussapplaus gingen die Maybebops zur Seite ab. Pause. Oh, schon?


Auf dem Weg zu den Toiletten, die wie in jedem Saalbau über eine breite Treppe ins Untergeschoss, an der Garderobe und kleinen Clubräumen vorbei, zu erreichen waren, hörte ich es sowohl hinter als auch vor mir lustig pfeifen: „Ob er aber über Oberammergau, oder aber über Unterammergau …“ Gute Laune in Griesheim.


Beim Auftreten der Maybebops zum zweiten Konzertteil gab es gleich wieder Jubel und Applaus. Das Publikum wirkte während der Lieder manchmal verhalten, war aber sehr aufmerksam, konzentriert und in bester Stimmung dabei. Wenn viele der Zuschauer tatsächlich Chormitglieder waren, klatschten und johlten die nicht einfach in Vorträge rein, sondern gaben am Ende lauten Applaus. Genau das machten sie.  

O Täler weit, o Höhen wurde im Satz von Mendelssohn begonnen. Es war so wunderschön. Das Lied mochte ich sehr und hatte es im Mendelssohn-Satz früher auch gesungen. Ich hörte konzentriert auf Lukas, der „meine“ Stimme sang. Da hätte ich sofort einsteigen und mitsingen können, was das Lied aber nicht schöner gemacht hätte. Nach dem Anfang im altvertrauten, vierstimmigen Satz wurde es moderner, jazziger und rhythmischer. Es erinnerte mich an früher typische Quart-, Quint- und Sextetts, die oft im Radio zu hören waren und leicht, locker und jazzig Melodien sangen. Ein bisschen Manhatten Transfer war auch drin. Ich mochte sehr, dass die Volkslieder auf ihre alte Art geschätzt wurden, aber auch neue Varianten bekamen, die sie nicht verhunzten, sondern in anderer Form zeigten.

Lukas fragte anschließend, wie man die Pause im Saalbau verbringt und wiederholte die gerufenen Antworten. Zur Toilette gehen, Wein trinken. Er fragte: „Geht man vor die Tür und genießt die Aussicht?“, woraufhin er Gelächter zur Antwort bekam, denn so sehr schön war Griesheim nicht. Die Maybebops sprachen von der Behelfsbrücke an der Bahn, über die sie gelaufen waren, und das wissende Gelächter im Publikum zeigte, dass die Brücke zwar nicht bei mir, aber in Griesheim ein Thema war. Anscheinend war das Konstrukt etwas wackelig, denn Lukas sagte: „Ich hatte Angst mit den Koffern“, woraufhin es zustimmendes Gelächter gab.

Früher gab’s die Tagesschau war eine Würdigung der Tagesschau-Nachrichtensendung, die früher die seriöse und sichere Informationsquelle war, auf die sich alle verließen. Im Gegensatz dazu gab es heute viele Informationsquellen, viele Fake-News und die Unsicherheit, wem man glauben konnte. Die gesungene Melodie war ziemlich orientalisch, hatte Vierteltöne und schien mir tanzbar zu sein. Meine Füße zuckten, ich hatte plötzlich Bauchtanzgefühle und wollte mit den Armen wedeln. Zum Glück konnte ich mich zurückhalten, empfand es aber als erstaunlich mitreißend. Dabei stand ich sonst so gar nicht auf Bauchtanz. Vor allem nicht bei der Tagesschau.

„Das Lied ist inzwischen sieben Jahre alt“, wurde danach erklärt. „Die Tagesschau war eine Instanz“. Lukas, der in Ost-Berlin aufgewachsen war, kommentierte: „Die Aktuelle Kamera war auch eine Instanz.“ In Ost-Berlin hatte er beides sehen können. „Ich habe die Unterschiede aber noch nicht erfassen können“, meinte er über die Berichterstattung aus jeweils unterschiedlichen Blickwinkeln.

Sehr passend sang er danach „Meine Wende“, über sein persönliches Erleben, als Ost und West zusammenkamen und sich für ihn eine neue Welt auftat. Private Fotos von ihm, die im Hintergrund auf der Leinwand gezeigt wurden, machten es sehr nah. Es war berührend. Namen, Schlagworte, Produktbezeichnungen fielen, die den meisten im Publikum sofort etwas sagten. Ich dachte an Ronja, stellvertretend für die Teen-Generation. Konnte sie verstehen, um was es ging oder waren Teile des Textes ebenso wie der wandernde Müller und die klappernde Mühle irgendwelche Begriffe, die ihr nichts sagten? Zum Ende des Liedes wurde als letztes Bild ein sehr frühes Maybebop-Foto eingeblendet, auf dem Lukas zu sehen war. Ohne die Wende wäre er nicht zu Maybebop gekommen und sein Leben wäre sehr anders verlaufen. Es gab viel Applaus.

Drei Maybebops verließen die Bühne, auf der Oliver zurückblieb und alleine zu singen begann. Rhythmus, Melodie und Text wechselten schnell ab, es gab keine hörbare Pause. Muss man denn alles hier alleine machen? war die Kernaussage. Wow, sehr großartig. Es hörte sich nach deutlich mehr als nur einer Stimme an. Wann holte er Luft? Als er davon sang, dass er delegieren müsse, war das Publikum dran. „Dum dum – dum dum“ sang er den rhythmischen Bass vor und die Zuschauer sangen auf Kommando nach. Erst alle, dann nur die auf der linken Saalseite, dann nur die auf der rechten. Dann sang er den Melodiebogen mit hohen, springenden „Dö dö – dö dö“ vor und der wurde von rechts, links oder allen wiederholt. Bis dahin war es übersichtlich. Doch dann wechselte er die Kommandos immer schneller. „Dum dum“ für die linke Seite, „dö dö“ für rechts, „dum dum“ für alle, dödö rechts, dödö links, dumdum rechts, dödö alle, dumdum alle … Puh! Ich wartete auf mein Kommando und setzte ein, aber bewunderte gleichzeitig, wie konzentriert und genau Oliver die schnell wechselnden Einsätze gab. Mit zunehmender Wechselgeschwindigkeit wurde es auf Publikumsseite wackeliger, weil es zu schnell wurde, aber da sang schon Oliver den ernüchternden Schlusssatz: „Lass mich das lieber mal alleine machen“, was angesichts der Publikums-Überforderung sehr nachvollziehbar war. Sofort löste sich alles in großen Jubel und Applaus auf. Die anderen drei kamen auf die Bühne zurück und Lukas lobte anerkennend: „Das war wirklich sehr, sehr gut.“ „Ich hab heute mal ein ganz neues Dirigierkonzept ausprobiert“, erklärte Oliver leicht lächelnd.

Auf den vorher übermittelten Wunsch einer Zuschauerin gab es den Erlkönig. Die bei der Ankündigung spontan ausgestoßenen „Ah!“ und „Oh!“ aus dem Saal zeigten, dass das Freude auslöste. Vermutlich würde sich auch Goethe über die Maybebop-Umsetzung seines Gedichtes freuen. Der verzweifelte, leidend rufende Jan, der säuselnd lockende Lukas und der tiefe, beruhigende Bass von Christoph machten es spannend und bewegend. Dazu kam natürlich die Stimme von Oliver, der keine „Rolle“, aber die passenden Töne hatte, und nicht zuletzt war es wieder ein großartiges Arrangement. Alles zusammen war beeindruckend. Gänsehaut. Selbstverständlich gab es im Anschluss wieder sehr viel Applaus und Gejubel.

Für das Improlied fragte Oliver nach Begriffen. Er erhielt: Laugenbrötchen, Länderfinanzausgleich, Behelfsbrücke, Nasenhaar und Gay Pride. Christoph stieß ein wenig erschrocken aus: „Alter Schwede!“, was aber nicht als weiterer Begriff galt. Der Alte Schwede sagte aber aus, was ich dachte. Schnell wurde als Musikrichtung „Reggae“ bestimmt und sofort ging es los. Schon beim ersten Ton hatte ich drei der fünf Wörter vergessen und wusste nur noch „Nasenhaar“ und … äh … äh … Ich hatte vier der fünf Wörter vergessen. Oliver hatte dieses Problem nicht. Er lief unter karibischen Klängen locker über die Bühne und brachte singend, inhaltlich logisch und dazu noch gut gereimt alle Begriffe in einem kleinen Lied unter. Als die „Behelfsbrücke“ kam, gab es im Publikum freudiges Gelächter und sie war folgerichtig auch das Refrain-Hauptthema. Nach dem letzten Ton wurde sehr gejubelt. Ich jubelte mit und dachte dabei: Wie macht er das? Wie kann er sich diese Begriffe merken und währenddessen ohne Vorbereitung eine kleine Geschichte daraus reimen? Und wieso galt ich als Frau als multitaskingfähig und konnte mir gerade mal das „Nasenhaar“ merken, ohne überhaupt einen Reim darauf zu haben? Chapeau.

Noch im Applaus stellten sich die Maybebops gegenseitig mit Namen vor, traten einzeln kurz vor und wurden beklatscht. Was? Seit wann wurde das denn mitten im Konzert gemacht? Oder ging es schon auf das Ende zu? Das konnte ja gar nicht sein! Ach nein, es ging ins Gebirge. Ruf der Berge erklang, mit wunderbarem Gejodel von Jan. Ich bin keine Jodel-Expertin, aber für mich hörte es sich ganz echt und sehr authentisch an.

Während die vier Maybebops mit ernsten Gesichtern vom urlaubenden Ehepaar sangen, fiel mir plötzlich ein, an was mich der Stil des Liedes erinnerte: An kölsche Krätzjer. Im Rheinland ist das eine sehr alte Liedart, die heute noch im Karneval zu hören ist. In den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts gab es tatsächlich noch Straßensänger, die damit in Köln unterwegs waren. Beim Krätzchen gibt es eine nur sparsame instrumentale Begleitung, zu der in langsamem Tempo und mit großer Ernsthaftigkeit meist lustige Geschichten gesungen werden. Sehr wichtig sind dabei die bewusst gesetzten Pausen, die wie Löcher im Lied stecken und nicht nur die Spannung, sondern auch den Humor erhöhen. Damit wurde Ruf der Berge zu einem gejodelten Krätzjer und funktionierte, wie es funktionieren sollte: Es brachte den Zuhörern sehr großen Spaß. Noch im lauten Applaus gingen die Maybebops ab. Was?? Die zweite Hälfte hatte doch gerade erst angefangen! Also gefühlt. Ich war noch nicht bereit für das Ende.

Das Publikum pfiff, johlte und klatschte, und zum Glück kamen sie zurück. Nicht ganz unerwartet, aber das Ende des Konzertes war wohl tatsächlich in Sicht. Sie stellten vier Mikrofonständer auf, sich selber dahinter und begannen ohne weitere Ansage mit Schlaraffenland. Im Refrain klopften sie sich rhythmisch auf den Körper, stampften mit den Füßen auf und klatschten in die Hände. Bodypercussion. Im Publikum gab es liedvertraute Mitklatscher, die zu den schnellen Doppelklatschern einsetzten – leider waren einzelne davon immer etwas zu spät. Oder zu früh. Gut gemeint, aber dann doch etwas hilflos neben dem exakten Tempo der Maybebop stolpernd. Vielleicht stellte ich mich an, aber es lenkte mich ab, weil ich vor jedem Klatscher unaufhaltsam dachte: „Na, sind sie wieder daneben?“, und dann fast schon zufrieden war, wenn es kurz vorher oder minimal später aus dem Publikum klatschte. Außerhalb der Klatscher konnte ich das Lied aber sehr genießen. Auch hier gab es am Ende wieder großen, langen Jubel. Mit Standing Ovation. Sehr langen Jubel. Auf der Bühne wurde freudig in den Saal und auf das jubelnde Publikum geguckt, aber es zeigte sich auch etwas Verwunderung auf den Gesichtern, als es einfach nicht aufhörte. Das Publikum im Griesheimer Saalbau war begeistert und zeigte das deutlich.

Als es endlich ruhig wurde, sagte Christoph dankend: „Allerliebst“, und versprach: „Ihr Süßen, wir singen euch gleich noch was.“ Das war der Flashback. Oliver erzählte kurz, dass sie in den letzten Jahren immer einen musikalischen Jahresrückblick auf die erfolgreichsten Stücke des Jahres gemacht hatten, dass die aktuelle Chartmusik sie aber nicht mehr gekickt hatte. Darum hatten sie jetzt stattdessen die Hits aus dem Jahr 1984 zusammengestellt und Oliver versprach, dass das wirklich alles Hits waren. „Macht mit! singt, tanzt, zieht euch aus!“, und schon ging es los.  

Es wurden viele Lieder angesungen, und alle waren Hits und alle kannte ich. Dancing with tears in my eyes, Footloose, Ghost Busters, Radio Gagga – da klappte der Doppelklatscher des Publikums sehr gut -, You’re my heart, your’re my soul, … Im Saal wurde sofort mitgesungen, mitgeklatscht, im Takt gewackelt, gelacht. Ringsherum gab es strahlende Gesichter, freudiges Erkennen und gut gelauntes Refrainsingen. Wunderbar. Bei „I just call to say I love you“ warf Jan: „Scheißschnulze!“ ein, bei „Like a Virgin“ befingerte Christoph Jan, der laut: „Ein Nein ist ein Nein!“ ausrief. Die Stimmung war großartig, die Musik sehr vertraut und es war eine schöne, liebevolle Partystimmung. Für den größten Teil des Publikums. Aber was war mit Ronja? Sah sie gerade mit großen Augen auf die wild gewordenen Leute um sie herum, weil für sie die Hits von 1984 genauso unbekannt und weit weg waren wie der Müller und die Mühle?

Selbstverständlich gab es nach dem Medley wieder riesigen Applaus und Gejubel. Kein Wunder nach diesem Anheizen. Schon wieder wollte der Applaus nicht aufhören. Lukas sagte irgendwann mit zynischem Unterton: „Ihr habt Wochenende?“, musste aber abwarten, bis das Geklatsche aufhörte.

Das letzte Lied war Alles das kann nur Musik. Es war sanft und schön und katapultierte mich aus der Partystimmung 1984 in die komplette Tiefenentspannung. Die ist bei mir da, wenn ich nur noch zuhöre, ganz in der Musik bin und sogar mein Unterkiefer sich total entspannt, so dass ich kurz vorm Sabbern bin. Ich hörte einfach nur zu. Als der letzte Akkord verklang, seufzte eine Frau in meiner Nähe: „Oooh, schööön“. Die Maybebops gingen im Applaus von der Bühne ab und durch den Mittelgang nach draußen ins Foyer. Das Saallicht ging an und das Konzert war vorbei.


– Die vier Maybebops haben schöne Stimmen, von denen ich gar nicht sagen kann, welche mir am besten gefällt. Jede hat ihre Besonderheit und bei jeder Leadstimme denke ich, dass ich die Stimme vielleicht am besten finde, was sich beim nächsten Lied und der nächsten Leadstimme sofort ändert.  
– Sie singen sehr harmonisch miteinander und anscheinend mühelos alle engen und weiten Akkorde, können laut sein, leise, sanft, eindringlich, jazzig, schmachtend, heftig, alles.
– Die Bühnenbilder des Programmes waren immer passend und sehr abwechslungsreich. Nicht zu viel, nicht nervig und im Konzept schlau überlegt.
– Der Ton war sehr gut, ich konnte mühelos zuhören, ohne mich über zu laute oder zu leise Stimmen zu ärgern und fand die Abmischung genau richtig.
– Ich möchte weiterhin zu Maybebop-Konzerten gehen. Unbedingt.



Muss man mögen
Hört bitte auf, dumme Leute berühmt zu machen
Influencer
Bebop-Butzemann
Frauenname
Bolle reiste jüngst zu Pfingsten
Volkslieder-Quiz
John Maynard
Heut kommt der Hans zu mir

O Täler weit, o Höhen
Früher gab’s die Tagesschau
Meine Wende
Muss man denn alles hier alleine machen
Erlkönig
Improlied
Ruf der Berge
Schlaraffenland
Flashback 1984

Alles das kann nur Musik