Bodo Wartke - Achillesverse - 09.05.2004 - Düsseldorf

Kom(m)ödchen, Düsseldorf

Leider sprach Herr Wartke seine Termine nicht mit mir ab, und so kam es, dass ich ihn seit eineinhalb Jahren in einem Live-Programm sehen wollte, er aber grundsätzlich nur nach Köln kam, wenn ich schon andere Termine hatte. Um diesen Zustand zu ändern, ging ich einen Schritt auf ihn zu und fuhr nach Düsseldorf, wo er im Kom(m)ödchen auftrat. Auf dem Weg dorthin konnte ich etwas über den Namen des Programmes grübeln.

Achilles, ein Held der griechischen Mythologie, war im Kampf um Troja gefallen, weil er einen Pfeil in die Ferse bekommen hatte. Das war von daher ärgerlich, weil er ansonsten als unverwundbar galt. Ursache des Problemes war, dass seine Mutter Tethis ihn beim Eintauchen in eine dubiose Schutzflüssigkeit mit zwei Fingern an der Ferse festgehalten hatte, so dass dort nichts einwirken konnte. Dementsprechend musste seine Mutter zeitlebens zwei unverwundbare Finger gehabt haben.

Für den Fall, dass sie auch Hausfrau war, eine nicht zu verachtende Eigenschaft im Umgang mit heißen Töpfen und scharfen Messern, über die in den griechischen Sagen aber nicht weiter gesprochen wird. Anscheinend wurden schon damals Hausfrauen, selbst wenn sie göttlich waren und unverwundbare Finger vorweisen konnten, als nicht weiter interessant empfunden. Das ist womöglich der Grund, warum es den Begriff der “Achillesferse” gibt, nicht aber den der “Tethis-Finger”.

Im übertragenen Sinne wird der Begriff “Achillesferse” verwendet, um den schwächsten Teil des Ganzen darzustellen. Was wollte Bodo Wartke also mit dem Titel “Achillesverse” sagen? Seine Verse wären die schwächste Stelle des Programmes? Hatte es mit einer empfindlichen Stelle zu tun, oder sollte es doch nur ein verwirrendes Wortspiel sein, das rein akustisch keinen Unterschied zwischen V und F machte und damit auch irgendwie an Sportverletzungen und einen Medizinerkongress erinnerte? Zum Glück war der Weg nach Düsseldorf nicht so weit, und ich konnte aufhören mir seltsame Gedanken zu machen.

Das Kom(m)ödchen war klein und trotzdem nicht ganz ausverkauft. Der Sonntagabend war grundsätzlich schwierig, aber Bodo Wartke galt auch immer noch als Geheimtipp, obwohl er mit Preisen überhäuft wurde und immer öfter mal im Fernsehen zu sehen war. Das Publikum rückte etwas zusammen, ließ die letzten Reihen frei und es konnte losgehen.

Bodo Wartke betrat die Bühne von der Seite, kam an den vorderen Rand, lächelte leicht ins Publikum und verbeugte sich kurz, ehe er sich an den Flügel setzte. Seine korrekte Zurückhaltung, der Anzug mit Weste und die Brille mit der dunklen Halbfassung ließen mich sofort an die “Feuerzangenbowle” denken. Auch ein wenig an Theo Lingen, auf jeden Fall aber an einen freundlichen, pflichtbewussten Studenten aus vergangenen Zeiten. In schwarz-weiß hätte er gut in einen alten Film gepasst, aber er war farbig da. Sein knallgelbes Hemd, das zunächst nur mit dem Kragen aus dem dunklen Anzug hervorguckte, ließ ahnen, dass hinter der braven Fassade ein etwas schräger Geist steckte.

Schon vor dem ersten Lied hatte das Publikum Spaß. Bodo Wartke begann eine Diskussion mit sich selber und überlegte, ob er lieber neue oder alte Lieder spielen solle, spielte dazu perlend leicht am Flügel und war charmant, nett und witzig. Außerdem wirkte er bei aller Korrektheit plötzlich viel lockerer und könnte mühelos durcheinander und gleichzeitig reden, singen und Klavier spielen.

Tempo und Musikstil wechselten immer wieder, weil er ein Lied erzählte und nicht nur abspielte. Er passte die musikalische Begleitung den Worten an, sang mit ausgeprägter Mimik und blickte dabei direkt ins Publikum, so dass man sich nicht wie ein stiller Beobachter fühlte, sondern wie ein Gesprächspartner, dem gerade eine Geschichte erzählt wurde. “Ich mache Klavier und Gesang gleichzeitig. Das ist schwierig”, erklärte er danach mit verschämtem Stolz. “Ansonsten würde es aber auch doppelt so lange dauern.”

Seine Reime waren verschachtelt, verzogen, feinsinnig und teilweise gewaltsam passend geklopft, so dass es die wunderbarsten Kombinationen gab, über die ich breit und zufrieden grinsen musste. Klasse, wie er mit der Sprache spielen konnte und dabei leicht und locker blieb! “Vieles von dem, was ich tagtäglich erlebe, reimt sich gar nicht!”, beklagte er sich, aber ich vertraute fest darauf, dass er alles passend bekam. Selbst auf die Zeile “Da musst du durch” fand er neben dem “Lurch” verschiedene mehr oder weniger passende Reimwörter, die den Zuschauern gequälte Aaah!s und Gelächter entlockten.

Um dem Publikum eine Unterscheidung der diversen Arten von Liebesliedern, die es an diesem Abend gab, zu ermöglichen, teilte Bodo Wartke die Lieder in zwei verschiedene Kategorien ein, je nach Aussage, Stimmung und Tonart. Kategorie 1 war „die glückliche Liebe in C-Dur“ ohne jede schwarze Taste. Kategorie 2 war „die unglückliche Liebe in C-moll“. Als das verstanden war, spielte er ein Lied der Kategorie 1, aber in Moll.

Der Abend bestand zum größten Teil aus Liebesliedern, die fast alle wegen der schrägen Texte lustig waren, oder plötzlich eine überraschende Wendung bekamen. Nur ein Lied blieb unerwartet ernst, und obwohl ich die ganze Zeit auf einen Witz wartete, dachte ich nachher doch, dass Bodo Wartke unbesorgt noch mehr ernsthafte Lieder einbauen könnte. 

Nebenbei machte ich mir leichte Sorgen, denn wenn auch nur die Hälfte der Lieder autobiographischen Hintergrund hatte, waren das eine Menge verpasster Gelegenheiten, unglücklicher Lieben und trauriger Trennungen. Allerdings zeigte Bodo Wartke auch sehr ausgeprägte Mordgedanken, so dass ich in beiden Bereichen auf seine starke Phantasie hoffte. Das gelbe Hemd hatte gleich zu Anfang gezeigt, dass er nicht so brav dachte, wie er aussah. Bei allen brutalen Sätzen über durchgesägte Hälse und knackende Knochen schickte er aber immer sofort einen entschuldigenden Blick hinterher, der aussagte: “Ich sing das doch nur so....” und guckte mit verschmitztem Jungenlächeln in die Gegend.

Ungewöhnlich war auch ein Lied über Hundehaufen, zu dem er steppte und dabei einen Sprechgesang machte, der schon in manchen Wortkombinationen Rhythmus hatte, wie zum Beispiel: “In Hunde-Haufen laufen.” “Fersenbegleitete Verse”, nannte Bodo Wartke die Nummer, womit er wieder mit dem F und dem V spielte. Und endlich erfuhr ich auch, warum das Programm “Achillesverse” hieß. Es ging inhaltlich um die Liebe, und damit um wunde Punkte, wunde Stellen und die Verwundbarkeit in der Liebe. OK, das konnte ich gelten lassen. War sogar schön erklärt.

Am Ende des Abends gab es den Liebeslied-Klassiker, bei dem Bodo Wartke in verschiedenen Sprachen sang. Eine wunderbare Melodie, die alleine schon ein romantisches Liebeslied war, und bei allem Gelächter nicht kaputt zu machen war. Schön zu beobachten, wie Bodo Wartke jede Sprache mit passender Mimik sang, wobei der Spanier sehr feurig und der Holländer eher etwas plump ausfiel. Auch die grazile bayerische Sprache wurde von entsprechender Mimik begleitet. Als nach der russischen Strophe ein zustimmender Zuruf im Publikum ertönte, ließ Bodo Wartke das Saallicht an machen, um sich mit der Russisch-Kennerin über die Aussprache zu unterhalten. Alles war wunderbar locker und sehr witzig.

Es gab viel Applaus, das Publikum hatte sich sehr amüsiert, viel gelacht, war aber mit den Jubelrufen etwas zurückhaltend geblieben. Sonntagabend in Düsseldorf eben. Trotzdem ein sehr schöner Auftritt und ganz bestimmt nicht mein letzter bei Bodo Wartke! Es war ein Zuhör-Abend mit viel Humor, einem netten Künstler und einem wunderbaren Umgang mit der Sprache. Dazu tolle Musikbegleitung, ein Hundehaufen-Step, ein Bahntagebuch, ein gelbes und ein grünes Hemd und trotz der vielen Liebeslieder ein ganz abwechslungsreicher Abend.

Ich erinnere mich, dass ich vor sehr vielen Jahren im gleichen Theater einen jungen, schlaksigen Nachwuchskabarettisten gesehen hatte, den ich richtig gut fand, weil er frech, witzig und intelligent war. Sein Name war zwar etwas unscheinbar, aber ich konnte ihn mir trotzdem merken: Harald Schmidt. Irgendwann werde ich mal sagen können: “Den Bodo Wartke habe ich vor vielen Jahren mal im Kom(m)ödchen gesehen, als er noch ziemlich unbekannt war. Aber der ist mir aufgefallen, weil der frech, witzig und intelligent war.”