Reinhard Mey - Rüm hart Tour - 02.10.2002 - Köln

Philharmonie, Köln

In der Mitte der Kölner Philharmonie stand eine einsame Gitarre im Lichtkegel, und der Saal füllte sich langsam. Die Zuschauer waren im Schnitt schon etwas älter, aber es gab auch viele Frauen um die 20. Als das Saallicht ganz langsam ausging, kam sofort Applaus und ein Techniker sprang auf die Bühne. Ach nee, das war schon Reinhard Mey! Schwarze Jeans, T-Shirt, schmale, jungenhafte Figur - völlig unkompliziert. Er griff lächelnd zur Gitarre, stellte sich vor das Mikro und legte einfach los.

Und da war er sofort: Der Reinhard Mey Sound, der mich schon mein Leben lang begleitete. Schnell gezupfte Gitarre, dazu die leicht von Wort zu Wort hopsende, springende Stimme mit den markanten Betonungen und manchmal das typische, flackernde Vibrato, wenn ein langer Ton kam. Völlig vertraut. 

Ich saß in der letzten Reihe der Philharmonie und der Klang war etwas hallig. Die Gitarre klang sehr gut, aber der Text war manchmal schwer zu verstehen. Es ging, aber ich war froh über jedes etwas heftigere Lied, denn wenn Reinhard Mey sich über etwas aufregte, war es akustisch besser.

Eine Weiterentwicklung hatte es in den letzten Jahren schon gegeben, wie mir nach den ersten Liedern auffiel. Es war nicht mehr so lustig wie früher, sondern ernsthafter und oft mit einer großen Eindringlichkeit, wenn er Themen, die ihm wichtig waren, seinem Publikum nahebringen wollte. “Sei wachsam!” fand ich sehr gut, ein Lied in dem er aufforderte, auf die Freiheit zu achten und sofort gegen jegliche Einschnitte zu kämpfen. Sein Ärger über viele Politiker, die mit Menschenleben spielten und kein Volk, sondern Untertanen haben wollten, kam gut rüber. Das Zitat aus dem Text: “Halt du sie dumm, ich halt sie arm!”, kam mir gar nicht so weit hergeholt vor. Reinhard Mey betonte danach, dass es ein Geschenk und ein Glück sei, in einem freien Land zu leben und das alles sagen zu können, aber es sei auch eine Verpflichtung, das alles zu sagen.

Auch mit der Schulpolitik war Reinhard Mey nicht sehr zufrieden. In seiner Anmoderation berichtete er von frustrierten, kleinen Schülern und sagte: “Wieso der ganze Zwang und Schulstress, wenn es sowieso alles für die Katz ist, laut Pisa-Studie?” Dann sang er ein Lied über den ersten Schultag seines Sohnes und es traf meine Gefühle so genau, dass mir fast die Tränen kamen. Ich platzte damals auch nicht vor Stolz und Freude, sondern hatte tiefstes Mitleid und wusste, dass ab jetzt viele Enttäuschungen und Fehlschläge auf die Kinder zukamen. Das bis dahin weitgehend freie Leben war vorbei. Die Textzeile: “Ich fühlte mich, als wenn man ein Kälbchen zur Schlachtbank führt” traf es genau.

Aber es gab auch lustige Lieder. Eins über die verschiedenen Arten von Hinterteilen, genannt “Pöter”, das viele Lacher im Publikum auslöste, und ein sehr anschauliches über den Besuch einer Dessous-Abteilung. Das war dann eher ein Lied wie früher, mit viel schnellem Text und einer witzigen Geschichte. Viel Gelächter, als Reinhard Mey über Strings und Bodies sang und von seinen Problemen, als seine Frau in der Umkleide verschwunden war und er in der Abteilung für einen “alten geilen Sack” gehalten wurde.

Wieso sah er eigentlich noch immer aus wie vor 20 Jahren und wirkte genauso jungenhaft? OK, die Haare waren etwas grauer geworden, aber sein ganzes Auftreten war fast unverändert. Ich hatte nicht das Gefühl, dass seit dem letzten Konzert 15 Jahre vergangen waren und fand es sehr beruhigend. Nicht gut fand ich, dass ein etwa eineinhalbjähriges Kind im Publikum war und immer wieder laut jauchzte. Zunächst hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil es mich so störte, denn unten sang Reinhard Mey doch gerade Lieder über Rücksicht und arme, unterdrückte Kinder. Ich versuchte darum ganz kinderfreundlich und tolerant zu sein. Aber es störte mich trotzdem. Warum nimmt man Kleinkinder in ein Konzert mit, für das sie nicht groß genug sind und bei dem sie andere Besucher stören? Das Problem lag also nicht an meiner fehlenden Toleranz, sondern an der fehlenden Rücksichtnahme der Kindermitnehmer. Mit bestem Gewissen wünschte ich daraufhin Mutter und Kind zu Rolf Zukowski, wo sie besser aufgehoben gewesen wären. Allerdings nicht so spät am Abend.

Das schönste Lied des Abends war für mich ein Stück über den Jugendfreund “Etienne” und die Erinnerungen an den gemeinsam verbrachten Sommer. Es war wunderschön, ich erlebte alles mit und wunderte mich nur über den Refrain: “Etienne, was wäre wenn?” Der passte doch gar nicht zum Text. Doch am Schluss wurde es schrecklich traurig und plötzlich passte der Refrain und ich hatte Mühe nicht zu weinen. Es ging total ans Herz, denn Etienne starb in dem Sommer, und ich musste sofort an einen unserer Freunde denken, der auch gestorben war, als wir alle gerade erwachsen waren und uns von der Schule ins Leben stürzen wollten. Ich hörte traurig und fasziniert, wie Reinhard Mey genau das ausdrücken konnte, was ich fühlte und was mich innerlich anrührte.

Obwohl 2000 Leute in der Philharmonie saßen, hatte das Konzert eine ruhige, fast private Atmosphäre. Da stand Reinhard Mey mit Gitarre in der Mitte und sang so, als ob er bei Freunden wäre. Er baute keine Distanz auf, sondern wirkte völlig normal und natürlich. Zum Schluss gab es ein ruhiges Lied, in dem er von einem Konzertsaal nach Abschluss eines Konzertes sang, von leeren Stuhlreihen, vom fehlenden Zauber und der Fremdheit. Sehr schön und ein passendes Ende.

Es gab viel Beifall und natürlich kam er nochmal zu einer Zugabe raus. Das Saallicht war schon angeschaltet und er brachte ein Textblatt mit: “Es ist ein neues Lied, ich kann es noch nicht ganz. Ich möchte es aber trotzdem singen.” Ganz nett und heiter ging es los und handelte vom Sommer. Beim ersten Refrain platzte das Publikum dann aber laut los, denn der war: “... irgendein Depp mäht irgendwo immer!” Kurz vorher hatte Reinhard Mey Schlagzeilen gemacht, als er einen ewig rasenmähenden Nachbarn als “Rasennazi” bezeichnet hatte, und so war das neue Lied über “Gräserausrotter” und “Gänseblümchenkiller” natürlich der große Lacher. Es gab wieder großen Beifall, Reinhard Mey ging ab und kam zu einer weiteren Zugabe zurück.

Diesmal sang er nur für den Z-Block, der ihn die ganze Zeit von hinten gesehen hatte. Allerdings grinste er vorher und machte eine Bemerkung über sein “Pöter”-Lied, das jetzt kritische Blicke auslösen könnte. Wow! Also ich konnte nicht meckern. Von hinten sah er sehr flott und eher noch jünger aus.

Das Lied war ein Liebeslied und sehr schön. Es gab noch eine Zugabe, für die er nicht wieder rausging. “Ein Letztes. Ich möchte da nicht immer hin- und herrennen, denn das hält SIE auch auf, und der Weg ist wirklich riesig.” Er lächelte und sagte ganz ruhig: “Ich hab noch Lust zu singen.”

“Die Zeit des Gauklers ist vorbei” war dann ein etwas melancholisches Abschiedslied, bei dem mir zum ersten Mal der Gedanke kam, dass es mal eine Zeit geben könnte, in der Reinhard Mey nicht mehr auf der Bühne unterwegs ist. Unvorstellbar! Ihn gab es doch immer und ihn musste es doch ganz verlässlich immer geben! “Alles kommt, wie es kommen muss”, sang Reinhard Mey, es gab Standing Ovation, und das Konzert war vorbei.

Fazit: Ein ruhiges, meist ernsthaftes Konzert, bei dem ich mir doch noch zwei oder drei der alten Klassiker gewünscht hätte, auch wenn er vielleicht (verständlicherweise) keine Lust mehr hat die zu spielen.

Nach dem Konzert gab Reinhard Mey noch Autogramme. Vor dem Bühnenausgang standen in einem großen Pulk mindestens 150 Leute, die nacheinander in den Vorraum gingen, wo er an einem Tisch saß und geduldig seine Unterschrift gab. Es ging alles sehr ruhig und nett zu, denn es war klar, dass er nicht plötzlich abbrechen und verschwinden würde. Wolfgang Niedecken kam aus dem Backstagebereich und ging grinsend vorbei, ohne dass sich einer um ihn kümmerte oder lieber ein Autogramm von IHM haben wollte. Sehr witzig und für ihn vielleicht auch etwas ungewohnt. Alle wollten zu Reinhard Mey, der jeden freundlich ansprach, lächelnd auf Fragen antwortete und dabei unermüdlich Fotos, CDs und sogar Teddybären signierte.