Hape Kerkeling - Der Junge muss an die frische Luft - 22.10.2014 - Köln

Mayersche Buchhandlung, Neumarkt, Köln

Der Andrang in der Mayerschen Buchhandlung ist groß. Mehr als 300 Besucher werden zur ausverkauften Buchlesung von Hape Kerkeling erwartet. Die stetig länger werdende Warteschlange in der ersten Etage läuft sauber zwischen Büchertischen und Regalen entlang, die die Funktion von Absperrgittern übernommen haben und den Wartebereich an beiden Seiten begrenzen. Das Buchhandlungspersonal weist korrekt ein und passt auf, dass die Reihe gut geordnet und in der richtigen Reihenfolge bleibt, wie es auch die Bücher in den Regalen sind. Noch ist die Buchhandlung geöffnet, und die normalen Buchhandlungsbesucher sollen sich nicht mit der Lesungswarteschlange vermischen.

Hape Kerkeling ist mit seinem neuen Buch auf Lese- und Buchvorstellungsreise, war am Nachmittag noch in Düsseldorf zu einer Kurzlesung und Autogrammstunde, am Abend wird er in Köln erwartet. Ein volles Programm. Als unten der Buchladen schließt, beginnt oben der Einlass zur Lesung. Schwarz gekleidete Organisatorinnen und Helfer laufen herum, zwei dunkel gekleidete und wichtig guckende Securitymänner mit Stöpsel im Ohr stehen links und rechts am Rand und beobachten die Besucher, als hätten sie die interne Information, dass eine unangemessene Aktion geplant wäre, Presseleute machen ihre Fotoapparate einsatzbereit, und wenn ich nicht wüsste, dass gleich Hape Kerkeling käme, würde ich mindestens auf Barack Obama tippen. Alles wirkt künstlich aufgebauscht, als würde gleich eine extrem wichtige Person auftreten, die sehr hohe Ansprüche stellt und vor Ausschreitungen des Publikums unbedingt geschützt werden müsste. Trifft vielleicht alles auf Hape Kerkeling zu, ergibt aber trotzdem kein passendes Bild.

Als Hape Kerkeling dann in den Raum kommt und sich an den Lesetisch setzt, wirkt er wie der einzig natürliche Mensch zwischen all dem organisierten und organisierenden Schwarz. Ein vertrautes Gesicht, das sich blitzschnell vom ernsten, erwachsenen Ausdruck zum jungenhaften Grinsen ändern kann. Ein bisschen müde sieht er aus, was aber angesichts seines Tagesprogrammes nicht verwunderlich ist.

Das Publikum applaudiert erfreut, die Fotografen laufen vor den Lesetisch und blitzen los, und außer Fotografenrücken ist erstmal nicht viel zu sehen. Professionell bedient Hape die Presse, hält sein Buch in der Hand und guckt mal ernst, mal lächelnd nach rechts und links in die Linsen.

Auch die Zeit für die Fotografen scheint im Ablaufplan genau festgelegt zu sein, denn fast zeitgleich verschwinden sie aus dem Bild, und Hape spricht ins Mikro. Das funktioniert nicht, was für das Publikum besonders lustig ist, weil es während der Wartezeit immer wieder hieß, dass Herr Kerkeling noch Soundcheck mache und darum niemand vorher nach oben dürfe. Da hat wohl jemand einen Stecker früher gezogen, als es im Ablaufplan steht. Ein neues Mikro wird gereicht, das tut es erst auch nicht, legt dann aber plötzlich und in perfektem Timing mitten im Satz laut los, so dass es schon wieder Gelächter gibt.

Hape erzählt kurz, dass er eigentlich ein Buch über das Showgeschäft schreiben wollte, dann aber das Gefühl hatte, es könne banal werden. Stattdessen fand er es passender, über seine Kindheit zu berichten, denn „das macht mich aus.“ Er sieht eine Frau in der ersten Reihe an, stutzt kurz und fragt verwundert: „Sie schreiben mit? Alles?“ Sie antwortet: „Fast alles.“ Er erkundigt sich interessiert: „Habe ich schon Unwesentliches gesagt?“ Das Publikum lacht, und er grinst: „Jetzt trauen sich die anderen nicht mehr zu schreiben!“ Schnell geht er die Pressereihe durch, entschuldigt sich beim Kölner Stadt-Anzeiger-Menschen, dass er vorher in Düsseldorf war, und macht lockere Witzchen. Charmant und professionell. Das spontane Spiel mit dem Publikum kann er, er hat keine Angst vor Unerwartetem, und das Publikum ist über seine humorvollen Reaktionen und Bemerkungen entzückt.

Der erste Leseteil geht über seine frühe Kindheit, die er weitgehend mit seiner Mutter im Krämerladen seiner Oma Änne in Recklinghausen verbrachte. Auf der Ladentheke sitzend und später mit Ohren und Augen überall dabei, ist er mitten im Klatsch und Tratsch der Kunden und bekommt ungefiltert von den Sorgen und Freuden des alltäglichen Lebens zu hören. Anstatt mit anderen Kindern in den Kindergarten zu gehen und Klötzchen zu stapeln, ist er mitten im prallen Leben und beobachtet. Eine kindliche Frühförderung im Entdecken verschiedener Typen und des menschlichen Verhaltens. Zur Freude des Publikums liest er einige Dialoge im Ruhrpottplatt, das auch in seinen Sketchen und Filmen immer wieder vorkam. Es ist oft lustig, was er beschreibt, aber es ist auch viel Wärme zu spüren. Er ist glücklich gewesen und hat sich geborgen und geliebt gefühlt, der Krämerladen war der Mittelpunkt seiner Welt.

Nach dem Leseteil können die Zuschauer Fragen stellen. Hape hatte das vorher schon erwähnt und in Aussicht gestellt, dass er auch Fragen über seinen erfolgreichen Diätplan beantworten und seine nicht operierten Körperteile zeigen könne. Gerade der Diätplan erzeugt Gelächter, denn Hape bezeichnet sich gerne als „den dicken Mann“. Was er überhaupt nicht ist, aber ganz mager ist er eben auch nicht, und das Gewicht scheint ein Punkt zu sein, den er gerne witzig überspielt und entkräftet, ehe andere darauf eingehen.

Kaum ist die Fragerunde eröffnet, bleibt es im Publikum stumm. „Sie sind aber enthusiastisch!“, beschwert sich Hape und lockert die Atmosphäre damit sofort auf. Langsam kommen die ersten Fragen, beziehen sich aber meist auf sehr banale Sachen. Lieblingsessen, liebstes Kinderlied ... Es ist aber auch schwer. Was ich gerne fragen würde, möchte ich nicht vor so viel Publikum machen. Das Buch habe ich eben erst gekauft und noch nicht gelesen. Wäre blöd, wenn ich etwas frage, das ausführlich im Buch beschrieben ist. Zum Glück stellen andere Besucher mal mehr, mal weniger interessante Fragen. Hape geht oft mit passendem Dialekt darauf ein, und wird auch sofort zu Horst Schlämmer, als gefragt wird, warum es den nicht mehr geben soll. „Schätzelein“, gurrt er in Richtung der Fragestellerin, „nun lass mich doch mal im Schrank hängen!“ Dann nickt er ihr verschwörerisch zu und kündigt heiser charmant an: „Ich komm gleich mal rüber und hol mir deine Telefonnummer.“

Das Thema „Tod“, um das es in der Biographie auch geht, wird überhaupt nicht angesprochen. Zum Glück. Nicht, weil ich es ausklammern möchte, sondern weil es mir als viel zu privat erscheint und ich nicht möchte, dass öffentlich in persönlichen Bereichen gewühlt wird, in denen es vermutlich weh tut. Das, was Hape Kerkeling dazu sagen wollte, hat er im Buch gemacht, was für ihn ganz sicher nicht einfach war. Vielleicht bleiben die meisten Fragen auch darum so oberflächlich, weil der empfindliche Bereich vorsichtig und weiträumig umgangen wird. Als die Frage gestellt wird, ob er noch ein weiteres Buch, wie ursprünglich geplant über das Showbusiness schreiben würde, nickt Hape lächelnd: „Lust hätte ich.“ Er grinst plötzlich breit: „Da war die ein oder andere Hackfresse dabei!“ Das Publikum freut sich, wie es überhaupt viel Spaß hat und den lockeren und schlagfertigen Hape genießt.

Erstaunlicherweise wird er von allen Fragestellern durchgehend gesiezt. Ich hätte gedacht, dass ihn viele duzen, so wie es mir sehr nahe liegt. Vorher in der Warteschlange sprachen alle noch von „Hape“, als wäre es ein Freund aus Kindertagen, jetzt ist es „Herr Kerkeling“ und „Sie“. Das liegt aber auch an Hape Kerkeling, der freundlich, witzig und aufmerksam ist, aber höfliche Distanz hält und anscheinend auch erwartet. Das finde ich völlig in Ordnung, würde ihn bei einer Frage dann aber doch duzen, weil mir ein „Sie“ unecht vorkommt. Da würde ich ihn lieber ehrlich und trotzdem respektvoll duzen. Vielleicht ganz gut, dass mir keine Frage einfällt, die mir wichtig genug vorkommt.

Im zweiten Leseteil geht es um eine Situation, in der sein Vater nach dem Tod der Mutter mithilfe eines attraktiven Dekolletés und Eierlikör an eine Bekannte verkuppelt werden soll. Zeitgleich entdeckt Hans-Peter den Farbfernseher mit Fernbedienung als Tor zu einer neuen Welt. Mit der neuen Frau wird es dann vorerst nichts, aber die Farbe und die Fernbedienung beeindrucken. Alles ist sehr lustig berichtet, aber auch herzlich und berührend, so wie Hape Kerkeling eben schreibt. Auch sein erstes Buch ging nahe, weil die Atmosphäre und Empfindungen so gut und echt beschrieben waren.

Im folgenden Frageteil erklärt er, dass es gar nicht so viel Unterschied zwischen seinen Rollen und ihm privat gibt, da auch in allen Rollen etwas von ihm stecke. Außerdem verrät er, dass er sich wie ein Hochstapler fühlt, weil auch dieses Buch, genau wie “Ich bin dann mal weg”, ein Bestseller ist. Auf seine Schlager-Leidenschaft angesprochen, strahlt er und muss nicht lange überredet werden, ein Lied anzustimmen. “Die Liebe ist ein seltsames Spiel” singt er los, ist in der Tonlage etwas zu tief, was er schnell bemerkt, aber trotzdem durchzieht, und hat den Text nicht perfekt drauf, was an der La-la-la-Stelle zu merken ist. Aber er ist begeistert und das Publikum applaudiert laut und freudig.

Ungeplant witzig wird es, als eine Zuschauerin fragt: “Würden Sie gerne mal im Tatort mitspielen?” Auf die Entfernung versteht Hape den Satz nicht richtig und wiederholt verwundert: “Sie wollen gerne mal im Tatort mitspielen?” Kopfschüttelnd meint er: “Da bin ich aber der falsche Ansprechpartner”, bietet jedoch an, dass die Dame ein Foto als Leiche vor dem Lesetisch machen könne. Es ist sehr witzig, weil niemand die Frage korrekt wiederholt und Hape wirklich etwas verwirrt über dieses seltsame Ansinnen scheint. Ich lache vergnügt, hätte eine Antwort auf die ursprüngliche Frage aber interessant gefunden. Vermutlich würde sie “Ja”, lauten. Könnte ich mir zumindest vorstellen.

Am Ende der Lesung schlägt die vorbildliche Organisation wieder zu. Blitzschnell wird die Menschenmasse zum Aufstehen gebracht und in zwei Gruppen geteilt. “Wer ein Buch kaufen möchte, stellt sich bitte rechts an, wer schon ein Buch hat und es signieren lassen möchte, stellt sich bitte links an!” Es geht wie am Fließband. Rechts wird verkauft, von dort eilen Menschen an das Ende der Schlange links und rücken langsam vor. Am Lesetisch, der jetzt Signiertisch ist, greifen gleich drei vorbereitende Personen nach den Büchern, schlagen die Buchdeckel auf und legen sie dem Autor zum Unterschreiben vor. Da sie quer übereinander arbeiten, machen sie manchmal mehr Hektik als nötig wäre. Ich bekomme mein von mir korrekt und fertig aufgeschlagenes Buch von ihnen aus der Hand genommen, es wird über Hape gereicht und von der anderen Seite wieder vor ihn hin gelegt. Danach muss ich sogar aufpassen, dass ich es zurückbekomme, weil eine der Helferinnen es nach dem Unterschreiben eilig vor Hape wegzieht und meinem Vorgänger mitgeben will. Eine Szene, die so schön absurd ist, dass sie in einem Hape-Film vorkommen könnte. Ich grinse und genieße.

Das aufmerksame Personal achtet auch darauf, dass die Besucher zügig und ohne längeren Aufenthalt am Signiertisch vorbeikommen und dann noch zügiger und mit einem freundlichen, aber betonten “Auf Wiedersehen!” zum Hinausgehen animiert werden. Die Security-Männer gucken immer noch wichtig, was jetzt auch völlig berechtigt ist, denn sie haben alle unangemessenen Aktionen des Publikums allein durch ihren wachen Blick erfolgreich verhindern können. Hape Kerkeling wird froh sein, wenn er am späten Abend in sein Hotelbett sinken kann, und ich bin froh, dass ich dabei war. Es war eine straff organisierte Promoveranstaltung, die durch Hapes spontane Kommentare und seine natürliche Art doch ein wenig privater, sehr humorvoll und auf jeden Fall lohnenswert wurde.

Das Buch ist übrigens toll! Warmherzig und mit großer Liebe geschrieben, manchmal inhaltlich sehr beklemmend, weil der kleine Hans-Peter Situationen erleben musste, die ihn völlig überforderten, aber dann auch wieder mit viel Komik, weil Hape Kerkeling schon früh einen guten Blick für absurde Situationen und die Menschen hatte. Seine Kindheit mit allen Höhen und Tiefen, hat ihn zu dem gemacht, der er jetzt ist. Schlagfertig, lustig, nachdenklich, ehrlich. Ich finde ihn klasse.