Hape Kerkeling - Ich bin dann mal weg - 31.05.2006 - Köln

Lesung - Tanzbrunnentheater, Köln

Nachdem Hape Kerkeling die Warnzeichen des eigenen Körpers lange ignorierte, legt der ihn mit einem Hörsturz und einer notwenigen Entfernung der Gallenblase lahm. Ein nicht nur im körperlichen Sinne einschneidendes Erlebnis. Kurzentschlossen und eher zufällig - oder war es doch ein Wink, als er in einer Buchhandlung ein Buch über den “Weg der Freude” sah?- macht sich Hape Kerkeling in der Erholungspause im Sommer 2001 auf den Weg. Auf den Jakobsweg, einen fast 800 Kilometer langer Pilgerweg durch Spanien. Er ist auf der Suche. Was er sucht, weiß er nicht, ob er etwas findet auch nicht, und ob er das Ziel erreicht, sowieso nicht. Aber in seinem Fall ist der Weg das Ziel.

Ausführlich führt er das erste Tagebuch seines Lebens, und so kann der Leser miterleben, was ihm passiert, wer ihm begegnet und welche Gedanken er sich macht. Und wer Hape Kerkeling in seinen Sendungen und Filmen etwas genauer beobachtet, weiß, dass er nicht nur witzig ist, sondern dass er gut beobachten kann, einen sehr feinen Humor hat und auch ein nachdenklicher, ruhiger Mensch ist.

Die Mayersche Buchhandlung hatte die Lesung organisiert, und beim Namen "Hape Kerkeling" war ich sofort dabei. Dass es sein erstes Buch und die erste Lesung war und dass es die einzige Lesung bleiben sollte, erfuhr ich erst am Veranstaltungsort. Daraufhin wunderte ich mich dann auch nicht mehr über die schätzungsweise 1000 Zuschauer im ausverkauften Tanzbrunnentheater und das hohe Presseaufgebot. Schon während der Wartezeit vor der Veranstaltung hatte ich begonnen das Buch zu lesen und war bis zum Beginn der Lesung bis auf Seite 71 gekommen. Ich hatte dabei liebevoll gegrinst, kurz aufgelacht, nachdenklich geguckt und mitleidend das Gesicht verzogen. Mir gefiel es sehr, ich mochte den persönlichen, unspektakulären, humorvollen Schreibstil und es war fast schade, dass Hape Kerkeling auf die Bühne kam und ich nicht weiterlesen konnte. Aber nur fast, denn ich freute mich doch, ihn zu sehen. Weiterlesen konnte ich ja auch zu Hause.

Die Kameras richteten sich sofort zur Bühne, und da alle Kameraleute unten standen und von dort filmten, bemerkte Hape Kerkeling gespielt genervt: “Wenn Sie mich SO abbilden, sehe ich noch dicker aus, als ich bin!”, was sofort Gelächter auslöste. Er erzählte kurz über die der Wanderung voran gegangenen Umstände, seinen plötzlichen Entschluss diesen Weg zu gehen, und dass er es nur wenigen Freunden vorher gesagt hatte, weil er selber nicht wusste, wie lange er durchhalten würde. “Ich war überhaupt nicht trainiert. Mein Urlaub sonst sind Cocktails am Meer.” Allerdings waren die Wanderschuhe schon eingelaufen und nicht nagelneu.

Für Hape Kerkeling war der Weg auch die Möglichkeit der Suche nach Gott, mit der gleichzeitigen Angst, ihn am Ende vielleicht nicht gefunden zu haben und vielleicht sogar mit dem Wissen, dass es Gott nicht gab, nach Hause kommen zu müssen. Trotz der ehrlichen und ernsthaften Einleitung gab es natürlich immer wieder Gelächter, weil Hape Kerkeling spontan humorvoll reagierte. Auf seine Frage in den großen Raum: “Können Sie mich hören?”, gab es nur wenige Antworten, vermutlich, weil es überhaupt keine Schwierigkeiten mit der Verständlichkeit gab. Er reagierte sofort: “Das waren die Wenigsten, aber die hören dann umso gespannter zu.” Interessiert fragte er eine Zuschauerin: “Wo kommen Sie her?” Sie antwortete nicht, und er stellte fest: “Wissen Sie nicht”, und ergänzte nach kurzer Pause: “Es geht in dem Buch ja auch um die Suche nach sich selbst.”

An einem Stehpult las er längere Passagen aus dem Buch. Die erste kannte ich, denn sie war noch vor Seite 71, und mir fiel auf, dass ich sie gerne selber gelesen hatte, dass ich sie mir gerne von Hape vorlesen ließ, aber dass ich die anderen Zuhörer nicht dazu haben musste. Die lachten nämlich manchmal zu laut an Stellen, die eigentlich nur ein Schmunzeln auslösen mussten. Es war humorvoll und lustig geschrieben, aber es war kein Comedybuch. Da waren einige der Zuschauer wohl doch mit anderen Erwartungen gekommen und hielten jetzt am Vorsatz des lustigen Abends fest. Wobei ich natürlich zugeben muss, dass Hape Kerkeling manchmal beim Lesen eine so distanzierte Haltung annahm, als ob er sich selber über diesen wandernden Typen wundern würde, dass das schon eine Komik an sich hatte.

An einer Stelle, die mir vorher beim Lesen nur ein liebevolles Grinsen ausgelöst hatte, weil die Geschehnisse so skurril und passend zur Situation waren, lachten viele Zuschauer laut los, und Hape Kerkeling guckte verwundert hoch und bemerkte: “Ich wusste nicht, dass das so lustig ist. Das war ganz dramatisch!” Und das meinte er ernst, auch wenn es lustig klang.

Zwischen den gelesenen Teilen konnten die Zuschauer Fragen stellen, was sie auch gerne machten. Es war sehr interessant, denn die Fragen schwankten von “Hatten Sie Bargeld dabei?” bis zu “Haben Sie Gott gefunden?” Hape Kerkeling hatte Zeit, beantwortete ernsthaft und gut, und man merkte, dass ihm das Thema am Herzen lag und die Zeit auf dem Jakobsweg sehr wichtig für ihn gewesen war. Auf die Frage: “Merken Ihre Freunde, dass Sie sich verändert haben?”, nickte er nur ein fröhliches: ”Ja!”, was irgendwie Antwort genug war. Ob seine Bühnenfigur ‘Horst Schlämmer’ während des Pilgerns entwickelt wurde, verneinte Hape Kerkeling zunächst spontan, überlegte dann aber sichtlich überrascht und schloss es nicht mehr aus. Vielleicht hatten die Langsamkeit und Ruhe der Reise dann doch Einfluss auf den langsamen, in sich ruhenden und in seinen Lebensvorstellungen fest verankerten Herrn Schlämmer gehabt.

Vor dem letzten gelesenen Teil erklärte Hape Kerkeling: “Ich lese Ihnen jetzt nicht das Ende des Buches vor, denn 1. würde ich es dann verraten und 2. würde ich dann heulen.” “Oooooh!” machten viele Zuschauer gespielt mitleidig, aber er bekräftigte ernst: “Wirklich!” Ich glaubte ihm das sofort. Er erzählte vor dem Lesen von den Freundschaften, die er geschlossen hatte, und dass er den Weg ohne diese Freunde nicht geschafft hätte. Und von der Furcht vor dem Ankommen. Im Ziel ankommen hieß gleichzeitig den Weg und den Lebensabschnitt zu beenden. Ich war sehr berührt beim Zuhören, weil zu spüren war, wie ernst ihm alles war und wie emotional er noch in dieser Zeit steckte. Er teilte etwas davon mit den Lesern seines Buches, die trotzdem nur kleine Bereiche sahen und nur erahnen konnten, wie ihn diese sechs Wochen beeinflusst hatten.

Am Ende wurde ihm die Frage gestellt: “Haben Sie vergleichbare Projekte vor?” Er grinste, sagte zunächst nichts und flüsterte dann geheimnisvoll: “Ich sage nur: Mount Everest!”, was diesmal erwünscht lautes Gelächter brachte.

Beim späteren Warten in der Schlange vor dem Signiertisch, an dem Hape Kerkeling freundlich, aber angesichts der Menschenmasse dann doch fließbandähnlich seine Unterschrift in die vorher von Mitarbeiterinnen passend aufgeschlagenen Bücher setzte, hatte ich Zeit bis zur Seite 107 vorzudringen. Ich las mich richtig rein und war nur äußerlich noch im Theaterfoyer. Am liebsten hätte ich das Buch am Stück durchgelesen.

Es ist humorvoll, nachdenklich, berührend, mit genauer Beobachtungsgabe und der ausgeprägten Fähigkeit über sich selbst zu lachen geschrieben, mit Situationen, die fast erfunden wirken, aber wahr sind, so wie das Leben eben seltsam und manchmal völlig unreal sein kann. Es kann aber auch ganz normal sein und aus schmerzenden Füßen und Einsamkeit bestehen. Hape Kerkeling sagte vorher: “Bei aller Komik, ich bilde mir ein, dass das Buch die ein oder andere Erkenntnis parat hat.” Ja, das denke ich sicher.