Marius Jung - Singen können die alle - 19.02.2014 - Köln

Buchvorstellung mit Till Kersting - Atelier Colonia, Köln

Das Buchcover fällt auf. Vor knalligem Gelb steht ein gut gebauter, dunkelhäutiger Mann, der freundlich grinst und, bis auf eine dicke, rote Schleife, die er in Hüfthöhe trägt, unbekleidet ist. Kaum erkenne ich das Gesicht von Marius Jung, überlege ich: „Ist das wirklich sein echter Körper???“ (ja, das ist wirklich die erste Frage, die sich mir peinlicherweise stellt). Noch peinlicher dann die zweite Frage, die mir durch den Kopf schießt: “Muss die Schleife wirklich sooo groß sein?”, gefolgt von einem Augenverdrehen und breiten Grinsen “Ph! Männer!”.

Und dann die Überlegung: „Kann ich das Buch überhaupt in der Öffentlichkeit lesen, wenn andere Leute das Cover sehen könnten?“ Ist ja schon ein bisschen unangenehm, wenn jemand denken könnte, ich lese einen Roman, bei dem es um: „Der heiße schwarze Lover“ geht, oder einen „Ratgeber für ältere, weiße Frauen, die im Urlaub junge, knackige Afrikaner haben möchten“.

Und gleich bin ich mittendrin in den Vorurteilen. Der originale Buchtitel „Singen können die alle - Handbuch für Negerfreunde“ macht es nicht einfacher, denn bei dem hat schon meine Buchhändlerin kurz geschluckt, als ich das Buch vorbestellte, und sie schien nicht zu wissen, was sie von mir halten soll.

Aber die Provokation ist gewollt. Ein nackter Neger in Geschenkverpackung – das ist politisch so was von unkorrekt, dass es aufmerksam macht und zweimal hingucken lässt. Immerhin gibt es keine Negerküsse mehr, das alte Buch aus der Kinderzeit mit den zehn kleinen Negerlein liegt verschämt verborgen in der hintersten Schublade und das Wort Neger wird als rassistisch aus den Kindergeschichten entfernt. „Neger sagt man nicht!“, hat auch Marius Jung auf seinem T-Shirt stehen, als er mit seinem Bühnenpartner Till Kersting die Buchvorstellung im Atelier Colonia in Köln macht. Genüsslich liest er den Titel des Buches vor, und beim Wort „Negerfreunde“ geht reflexartig ein erschrecktes Lufteinziehen durchs Publikum. Oh je, darf man das überhaupt so sagen? Das ist ja Rassismus! Da haben wir doch alle nichts mit zu tun!

Ja, dachte ich auch, bevor ich das Buch gelesen hatte. Mir ist die Hautfarbe doch egal, und Marius ist, seitdem ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, für mich ein Kölner. Ein wenig dunkler in der Hautfarbe, die Haare kraus und schwarz, aber ich ging völlig selbstverständlich davon aus, dass er in der heutigen Zeit doch ganz bestimmt immer schon problemlos integriert war. Sein Vater war zwar schwarzer US-Soldat, aber er wuchs als Deutscher in Trier bei seiner weißen Mutter und einem weißen Vater auf. Wer ihn nur reden hört, käme überhaupt nicht auf die Idee, dass er anders als ein typisch weißer Deutscher aussehen könnte. So eine nette milchkaffeebraune Haut wird da ja wohl keinen großen Unterschied machen. Tja, Irrtum meinerseits.

Marius Jung beschreibt in seinem Buch meist locker und humorvoll, manchmal auch mit beißender Ironie, was er wegen seines Aussehens erlebte und auch jetzt noch erlebt. Dass ihm immer wieder wildfremde Frauen ungefragt durch die krausen Haare streichen, weil sie „mal wuscheln“ wollen, dass er für sein „gutes Deutsch“ gelobt wird, und dass er Filmrollen wegen seiner Hautfarbe nicht bekommen kann. Ein dunkelhäutiger Kleinkrimineller oder ein Musiker ist drin, aber schon beim Chefarzt wird es schwierig. Die Hauptrolle als großer Drogenboss geht gar nicht, denn so negativ dürfen Farbige aus Gründen der politischen Korrektheit im deutschen Fernsehen nicht dargestellt werden. Eine gut gemeinte Anti-Rassismus-Einstellung, die dann doch wieder total rassistisch ist und ausgrenzt.

Die Buchvorstellung startet mit Passagen aus dem Buch, die Marius Jung liest und zu denen Till Kersting an vielen Stellen leise Gitarrenmusik spielt. Die Geschichten sind lustig, das Publikum lacht oft auf, aber manchmal bleibt außerdem die erschreckende Erkenntnis, dass solche Dinge wirklich passieren. Und ich erkenne mich selber. Gehe ich bei dunkelhäutigen Leuten, die ich nicht reden höre, nicht auch meistens davon aus, dass die von irgendwoher nach Deutschland gekommen sind? Zöger ich nicht auch ausflüchtend, wenn ich über die Hautfarbe reden muss? Was ist denn da die korrekte Bezeichnung. Farbiger? Schwarzer? Dunkelhäutiger? Stehe ich vielleicht mit meinem sorgsam gewählten Ausdruck unabsichtlich mitten im Fettnapf der politischen Unkorrektheit?

Marius Jung weiß selber nicht so genau, was korrekt ist, rät aber von „Negroide“ ab und lacht: „Da denke ich, ich bin in Startrek. Eine fremde Lebensform: Negroide!” „Schwarzer ist eine gute Bezeichnung", erklärt er und nennt sich selber so, was mir trotzdem nicht behagt, denn er ist ja gerade mal mittelbraun. Da kommen „Weiße“ aus dem Maledivenurlaub dunkler zurück, werden aber nur als „braun“ bezeichnet.

 

Das Rezept von Marius Jung ist die Leichtigkeit. Er klagt nicht verbittert über den alltäglichen Rassismus, sondern setzt Humor und Ironie ein. Besonders seine im Buch geschilderten eigenen Erlebnisse gefallen mir sehr gut und bringen die absurden Situationen nahe. Manchmal wird es sehr berührend und hinter der lockeren Erzählung ist die Ernsthaftigkeit zu spüren; gerade dann wirkt das Buch am stärksten. Über die „auflockernden“ Tabellen und Tipps habe ich eher schnell und quer gelesen, weil die Auflösungen so klischeehaft und vorhersehbar sind, allerdings musste ich manchmal trotzdem lachen. Die Mischung ist wohl doch ganz gut.

Auch bei der Lesung gibt es Spaß. Als sich Marius über den breiten Oberlippenbart von Till Kersting lustig macht und diesen als „Pornobalken“ bezeichnet, wehrt der sich: „Du hast mir ja verboten, dass ich ihn links und rechts abrasiere!“ Bei der Vorstellung eines kleinen Nazibärtchens zieht das Publikum schon wieder erschreckt die Luft ein. Darf man da lachen? Aber Marius grinst breit: „Das wäre es doch gewesen: Ein Neger und ein Nazi auf Lesetour!“ Lautes und erleichtertes Gelächter.

Kurz danach bricht einer der beiden schon etwas älteren Bühnenstühle zusammen und Marius fällt mit ihm um. Zum Glück passiert ihm nichts, er springt hoch und erklärt strahlend: „Das ist eine Buchvorstellung mit kleinen Varieté-Einlagen.“ „Warum braucht ein Neger überhaupt einen Stuhl?“, fragt er anscheinend schicksalsergeben, da schiebt ihm der Kollege seinen rüber, stellt danach aber selber klagend fest: „Jetzt muss der Weiße stehen.“ Vertauschte Rollen, die lustig sind, aber in ihrer Komik auch erschreckend zeigen, wie selbstverständlich es in den Köpfen ist, dass der Weiße sich in der höheren Position sieht. Warum würden wir sonst alle so lachen, wenn sich die Positionen mal umdrehen? Das kann man ja nicht alles mit einem früheren Weltbild und Onkel Toms Hütte erklären.

Um dem Klischee und Buchtitel „Singen können die alle!“ gerecht zu werden, singt Marius Jung zwischendurch kurze Refrains thematisch passender Lieder. „Ebony und Ivory“, „Black and white“ und sogar die „Zehn kleinen Negerlein“, bei denen er die „Neger“ durch Bezeichnungen wie „kleine Menschen mit dunkler Hautfarbe“ ersetzt und damit den Textrahmen sprengt.

Um ein dickes Vorurteil widerlegen zu können, wäre es prima, wenn Marius Jung gar nicht singen könnte, aber leider entspricht er da komplett dem Klischee. Er hat eine wunderbare schwarze Stimme voller Soul, die ich total gerne höre. Dass sich die Gene in den Stimmbändern auch bemerkbar machen, wenn man in Trier aufwächst, ist verwunderlich, scheint aber zu funktionieren. Das ist keine deutsche-Volkslieder-Stimme, das ist schwarzer-Gospel-Soul.

Als es an die „Negerwitze“ geht, denen das Buch ein Kapitel widmet, hat das Publikum die Hemmung vor dem an diesem Abend so oft gehörten Neger-Wort verloren und lacht laut über Witze, die manchmal hammerhart sind. Aber eben witzig. Und wenn der dunkelhäutige Marius sie erzählt, hat man als Publikum ja so was wie ein offizielles OK zum unverkrampften Lachen. Natürlich bleiben die Witze unkorrekt, aber es geht Marius Jung darum, dass nicht das Wort „Neger“ rassistisch ist. Der alltägliche Rassismus verschwinde nichtt, wenn das Wort nicht mehr gesagt wird, sondern nur, wenn sich Verhalten und Einstellungen ändern.

Nach dem Lesen des Buches und dem vergnügten Lachen bleibt bei mir etwas zurück. Verwunderung, warum mir vieles vorher nicht klar war, und offenere Augen für den täglichen Rassismus, dem ich so gut wie nie ausgesetzt bin, mit dem andere Menschen aber ein Leben lang zu tun haben. Ich habe allerdings immer noch Hemmungen alle Menschen mit etwas dunklerer Hautfarbe als „Schwarze“ zu bezeichnen und werde peinlicherweise weiterhin rumdrucksen und Formulierungen wählen wie: „Der ist Schwarzer, also, nicht ganz, eher so braun, äh, ...“

Ein sehr empfehlenswertes Buch!