Lars Reichow - Goldfinger - 21.02.2014 - Bonn

Pantheon, Bonn

Kaum lese ich das Wort „Goldfinger“, habe ich sofort Shirley Basseys katzige Stimme im Ohr, die kraftvoll und einprägsam für einen James-Bond-Film singt: „Gouuuld-fin-gaaaaaah!“ Und ich sehe eine komplett vergoldete, nackte Frau auf einem Bett liegen. Tot. Kann es einen Programmtitel geben, bei dem ich mit mehr vorher erzeugter Spannung in ein Kleinkunstprogramm gehe? „Goldfinger“ – da erwarte ich doch James Bond persönlich. Und tatsächlich sieht Lars Reichow einem souveränen Geheimagenten gar nicht so unähnlich, als er in seinem dunklen Anzug, sehr kultiviert und weltmännisch wirkend, auf die Bühne kommt. Dass er sich dann auch noch an den Flügel setzt und souverän spielen und singen kann, ist für einen James Bond ja nicht mal verwunderlich.

Die Musik des ersten Liedes - im Stil einer Bond-Titelmusik - stimmt perfekt auf den Abend ein. „Es gibt Gold“ - in Höhlen, auf Bergen, von Schiffen verloren, auf Inseln vergraben, an den Handgelenken von Tanten. Überall wird danach gesucht und wer es hat, hält sich für glücklich. Das Gold zieht sich als Hauptweg durch den ganzen Abend, auch wenn Lars Reichow immer wieder kleine Nebenwege betritt und aus dem familiären Bereich erzählt oder aktuell politische Ereignisse kommentiert. „Gold ist selten und knapp“, rechnet er vor, und erklärt: „FDP-Wähler sind auch selten, die werden dadurch aber nicht wertvoller.“ Dass Angela Merkel sich kurz zuvor beim Skilanglauf die Hüfte angebrochen hat, findet er erstaunlich. „Bei dem Tempo! Das ist wie beim Mau-Mau spielen die Hand brechen!“, und erläutert dem lachenden Publikum: „Sie hat dem Baum noch das Vertrauen erklärt und einfach abgewartet, ob sich das Problem auflöst.“

Die kleinere Ausgabe von Gold ist das Geld, und wer davon viel hat, kann sich etwas leisten. Wie zum Beispiel ein Nachbar, von dem Lars Reichow erzählt, der ein luxuriöses Ferienhaus besitzt und gleich „mehrere hunderttausend Bilder“ davon auf dem Laptop zeigt. Es ist wunderbar, wie die Sprechstimme von Lars Reichow beim Erzählen seine wechselnden Emotionen ausdrückt. Erst ist er etwas pikiert, dann sehr neidisch, gefolgt von schadenfroher Gehässigkeit und am Schluss einer kleinlauten Versöhnung. So werden Geschichten erzählt: Mit ausreichend Zeit, passendem Tonfall und Timingpausen, in denen das Publikum höchst gespannt und mucksmäuschenstill auf den nächsten Satz wartet.

Typisch für Lars Reichow sind auch schnelle Lieder mit viel Text, mit sehr, sehr viel Text, bei denen ich beim Zuhören leichte Panikgefühle bekomme, weil ich mich sorge, dass er mal einen Augenblick sprachlich stolpern und dann vier Takte hinterher hängen könnte. Tut er aber nicht, oder wenn doch, dann fängt er es geschickt auf und ich merke es nicht mal. Sein Bewerbungslied für die Aufnahmeprüfung in die Schweiz ist eines dieser schnellen Lieder, auch wenn er vorher erklärt: „Hier spiele ich es doppelt so schnell wie in der Schweiz!“. Es geht um die klare, saubere Schweiz, in der es wie im Bilderbuch aussieht und wo sich sehr gut Gold verstecken lässt.

Ob er vom pubertierenden Sohn erzählt, der seit Monaten seinen Sitzsack nicht verlässt, von Rentnern singt, die die „Mehrheit von morgen“ sind oder als Neureicher im goldenen Morgenmantel und mit Mainzer Dialekt von den drei Möpsen erzählt, die sich seine Frau Vanessa wünschte und die ein tragisches Schicksal ereilte, Lars Reichow ist immer ganz nah beim Publikum, plaudert anscheinend spontan, aber perfekt durchdacht, singt mit toller Stimme und trifft den Humorpunkt, der manchmal erstaunlich tiefgründig liegt. Nicht jeder Satz endet mit einer Pointe, aber gerade die anscheinend normalen Bemerkungen sind oft wunderbar komisch. Die Grenze zwischen Realität und Phantasie verschwimmt immer wieder – hat er das nun wirklich erlebt oder denkt er sich das aus? - , und Lars Reichow kann mit dem harmlosesten Gesicht größten Blödsinn erzählen, was umso lustiger ist, weil er durchgehend seriös wirkt.

Mit passender Untermalung am Flügel erzählt er eine rasante Geschichte, in der Bundeskanzlerin Merkel und diverse europäische Käse einen Goldschatz suchen, jongliert mit den Dialekten und Akzenten, hat für jede mitspielende Person und jeden mitspielenden Käse die passende Stimme und macht ein musikalisches Hörspiel daraus, das mindestens so spannend wie ein Bond-Film ist.

Aber er kann auch ganz sensibel und berührend sein. „Arme Leute“ ist so ein Lied, bei dem es ganz still wird. „Arme Leute sind ganz leise, arme Leute sind ganz still. Fallen gar nicht weiter auf, weil niemand was von ihnen will.“ Ich habe bei der schönen, leicht rauen Stimme von Lars Reichow sowieso schon einen niedrigen Schmelzfaktor, aber bei manchen Liedern kommt noch ein Sabberfaktor dazu. Dann höre ich so entspannt und hingerissen zu, dass mein Puls vermutlich auf unter zehn Schläge in der Minute sinkt und mein Unterkiefer ganz locker hängt. Dann kann ich von Glück sagen, wenn das Lied endet und ich durchatme und meine Körperspannung finde, bevor das Licht wieder heller und es für mich peinlich wird.

Nach Goldwegen und Goldirrwegen gibt es noch ein romantisches „Je t’aime“, das lieblich beginnt, in der Reichow-Version dann aber glucksendes Gelächter und fiepende Schnappatmer beim Publikum auslöst, und kaum sind die Lachtränen abgewischt, kommt als Abschluss „Glück für mich“. Ein kleines, sehr feines Lied über das persönliche Glück, in dem ich mich ganz genau wiederfinde. Am Ende des Gold-Abends steht leise und berührend, was wirklich wertvoll ist.

Obwohl ich den ganzen Abend hindurch ein durch den Goldfinger-Titel ausgelöstes James Bond Gefühl habe, zeigt sich doch der entscheidende Unterschied zu Sean Connery: Der kann nämlich ganz bestimmt nicht so wunderschön singen wie Lars Reichow, vom Klavier spielen und von Mainzer Mops-Erzählungen ganz zu schweigen. Was nützen mir versteckte Geheimwaffen in Kugelschreibern, wenn ich stattdessen eine solche Stimme hören kann? Am Ende des kurzweiligen und abwechslungsreichen Abends gibt es sehr viel lauten Applaus. Ein rundes, schönes Programm.