Geschwister Pfister - In der Klinik - 08.05.2009 - Köln

Gloria, Köln

”NOSCE TE IPSUM” stand groß auf einem Vorhang, der die Mitte der Bühne verdeckte. Wie schade, dass ich kein Latein gelernt und anscheinend auch zu wenig Allgemeinbildung hatte, um diesen Spruch zu kennen. “Veni, vidi, vici” kannte ich, “Quo vadis?” oder “Alea jacta est”, alles aus Asterix, aber von “ipsum” war nichts hängen geblieben. Mein heimlicher Übersetzungsversuch: “nosce könnte ‘unsere’ heißen, te ‘dich’ und ipsum ... äh ... ? ‘Unsere dich ipsum??” scheiterte kläglich. Naja, die Lösung würde schon kommen.

Das Gloria war rappelvoll, wie immer, wenn die Pfisters kamen. Es gab viel Stammpublikum, und auch mir waren sie inzwischen sehr vertraut. Ich freute mich auf jedes neue Programm der Brüder Toni und Ursli Pfister und Tonis Frau, Fräulein Schneider. Vor einigen Jahren hatte ich ihre glamouröse “Abschiedsgala” gesehen, vor zwei Jahren konnte ich bei “Home, sweet home” einen Blick in ihr erschreckendes Privatleben werfen, und inzwischen hatten sie eine Klink für Prominente aufgemacht. Eine Art Wellness-Esoterik- Beratungs- und Erholungsheim der Luxusklasse mit Heilanstalt- Zwangsjacken- Charakter. Da alle Prominenten mehr oder weniger durchgedreht waren, war dort jedem irgendwie zu helfen. Den Zuschauern wurde aber schnell klar, dass die drei exzentrischen Pfisters am besten in ihrer eigenen Klinik aufgehoben waren.

Toni Pfister nannte sich inzwischen Doktor Pfister und war ein charismatischer Guru, der oben schulterlange Haare und unten Sandalen an den nackten Füßen trug. Doktor Fräulein Schneider war die Psychologin der Klinik und Professor Ursli Pfister kümmerte sich um die Hygiene. Die drei Klinikbetreiber erzählten und lästerten über ihre prominenten Gäste, die sich angeblich im hinteren Bereich der Klinik aufhielten, und ließen gleichzeitig ihren eigenen Überspanntheiten freien Lauf.

Ursli Pfister war wunderbar abgedreht und hatte eine sehr sexy schwule Ausstrahlung, die besonders bei vielen Männern im Publikum gut ankam, aber auch mir als Frau sehr gefiel. Der war einfach süß. Fräulein Schneider lächelte mütterlich, sprach mit bulgarischem Akzent und sagte knallhart, wo es lang ging, und Toni Pfister mit seinem netten Schweizer Akzent war freundlich, zurückhaltend und der anscheinend fast normale Part in dieser seltsamen Konstellation. Drei völlig unterschiedliche Charaktere, die sich perfekt ergänzten und gerade im Kontrast so gut wirkten.

In der Bühnenecke befand sich das Jo Roloff Trio, das den tollen Gesang der Pfisters mit sehr guten Arrangements und toller Musik begleitete, und selbst wenn es funkig wurde, war der amerikanische Musikstil der 40er Jahre rauszuhören, was mich jedes Mal wieder entzückt. Ganz große Klasse!

Ich freute mich über jedes Lied, die tollen Stimmen, die besonders im mehrstimmigen Gesang so schön klangen und swingten, über die schönen Choreographien dazu und die vielen perfekt inszenierten Bühnenbilder und Szenen. Da blieb auch optisch nichts dem Zufall überlassen. Ich konnte gucken, hören, im Stuhl zurücksinken und genießen. Außerdem war es lustig. Ich lachte über Fräulein Schneiders Aussprachefehler im harten, bulgarischen Akzent, über jede Exzentrik von Ursli und über das gute Zusammenspiel der drei Pfisters, die in Wahrheit natürlich keine Brüder mit angeheiratetem Fräulein Schneider waren, was aber eine so überzeugende Geschichte war, dass ich gerne so tat, als würde ich sie glauben.

Die Anmeldungsformulare für die Klinik lagen angeblich im Theater-Foyer, was bei mir ein unheimliches Gefühl auslöste, denn bei dieser Klinikleitung hatte ich das Gefühl, in das Haus der Rocky Horror Picture Show zu kommen und den drei Pfisters hinter verschlossenen Türen hilflos ausgeliefert zu sein. Ein “Hotel California”, aus dem man nie wieder rauskam. Und dann musste ich bei Fräulein Schneider in einer Therapie mit Zahnstochern und Kastanien Tiere basteln, dem undurchschaubaren Dr. Toni Pfister begegnen und den überspannten Professor Ursli Pfister mit seinen herausfordernd lasziven Bewegungen den ganzen Tag um mich haben - es war spannend, reizvoll und entsetzlich zugleich.

Zur Feier des Klinikjubiläums wurde von der Klinikleitung ein “Räuberball mit Kostümen” vorbereitet. Zu den Klängen des wunderschönen Chaplin-Liedes “Smile” hängten die singend Girlanden auf und bereiteten das Buffet vor. Wunderbar eine Stelle, an der ein soeben aufgehängter roter Lampion sich löste und ungeplant auf den Boden fiel, und Toni Pfister, der gerade die Leiter weggenommen hatte, kurz mit den Schultern zuckte, sich wegdrehte und lächelnd das gerade passende Wort “Smile” sang. Eigentlich eine kleine Panne, aber so gut darauf reagiert, dass sie nicht besser hätte inszeniert werden können.

Zum Räuberball kamen dann ein dicken Räuber Hotzenplotz, ein unförmig aufgeblähter Panzerknacker, und, etwas verspätet, Ursli Pfister als schöne “Marie Antoinette”, der das Motto angeblich “versehentlich” falsch verstanden hatte.

Der Räuber Hotzenplatz sang mit sanfter, souliger Stimme und entledigte sich dabei mit unbeholfenen Räuber-Bewegungen seiner Kleidung, was in dieser Kombination sehr komisch war, und am Ende zeigten alle drei Klinikleiter ihre Charaktere deutlich als krallenausfahrende Katze, als zahmer, getrimmter Pudel und als sexy ... ja was? Zuerst dachte ich an ein Pferd, dann an einen Afghanen-Hund und dann an einen Affen. Vermutlich war es ein Affe, auf jeden Fall aber elegant und sexy.

Für jeden Zuschauer war an diesem Abend etwas dabei, jeder konnte sich seinen Lieblingscharakter aussuchen, aber den meisten ging es wohl wie mir: Die Pfisters waren alle toll und das genau in dieser Kombination. Es war ein sehr schöner Abend mit hervorragenden Musiknummern, viel Gelächter, starken Charakteren und einer guten Geschichte. Es war abwechslungsreich und gut inszeniert. Das etwas unheimliche Element, das Ausgeliefertsein an die Klinikleitung, hätte ich gerne noch etwas mehr betont gehabt, um das gruselige Gefühl zu erhöhen, aber auch so hatte ich wenig Lust, als Patientin zu diesen freundlichen, aber doch so gestörten Klinikbetreibern zu kommen.

Am Ende gab es sehr viel Applaus, und das Publikum klatschte sich laut und heftig zwei gesungene Zugaben heraus.

Im Stück trat kurz eine Patientin auf, die angeblich die Schauspielerin und Sängerin Cora Frost sein sollte und von Cora Frost selber gespielt wurde. Das empfand ich als nette Idee, die ich aber nicht gebraucht hätte. Für mich brach in diesen Szenen die Inszenierung auseinander und ich fand es überflüssig. Nichts gegen Cora Frost, sie spielte und sang gut, aber es brachte nichts für das Stück und ich hätte es sogar besser gefunden, bis zum Ende keinen der “Patienten” wirklich zu sehen. Die Pfisters drehten sich genug um sich selbst und das zu beobachten, war spannend genug. Mir jedenfalls reichte das völlig für einen Abend voller Vergnügen und Faszination. Eine Menge Promis hinter dem sichtbaren Kliniksaal zu vermuten, kam mir viel schöner vor, als einen von ihnen wirklich zu sehen.

Zuhause fragte ich meinen Lateiner-Sohn: “Was heißt ‘nosce te ipsum’?”. Er überlegte ganz kurz und sagte: “Müsste ‘Erkenne dich selbst’ sein.” So einfach ist das.