Nessi Tausendschön - 10.10.2008 - Perlen und Säue - Köln

Comedia, Köln

Kurze Ausschnitte mit Nessi Tausendschön hatte ich schon oft im Fernsehen gesehen und dabei immer interessiert geguckt. Warum ich mir noch keines ihrer Programme angesehen hatte, war mir ein Rätsel. Es wurde Zeit.

Nessi sah aus, wie ich mir eine Prinzessin mit dem poetischen Namen “Nessi Tausendschön” vorstellte. Grazil, süß und liebreizend, mit dunklen, lockigen Haaren und runden Knopfaugen. Dass sie auch eine andere Seite hatte, stellten die Zuschauer gleich zu Beginn des Programmes fest. Obwohl die Comedia an diesem Freitagabend fast voll war, war die erste Reihe weitgehend frei geblieben. Es traute sich keiner so recht, und im Zweifelsfall saß man in der zweiten Reihe sicherer vor irgendwelchen Mitmachaktionen. Ich fand es immer blöd für den Künstler, wenn der auf einige leere Stühle vor der Bühne schauen musste, war meinerseits aber auch nicht bereit, den sicheren Platz weiter hinten gegen einen in der ersten zu tauschen.

Nessi Tausendschön kam auf die Bühne, erblickte die erste Reihe mit den vielen leeren Stühlen und rief empört: “Ich will ‘ne erste Reihe haben!” Sie guckte die Zuschauer triumphierend an: “Wenn Sie denken, Sie könnten mich foppen!”, kam blitzschnell von der Bühne geklettert und räumte energisch die unbesetzten Stühle zur Seite. Schnell kamen von allen Seiten Helfer hinzu, weil man eine zarte Prinzessin ja nicht alleine arbeiten lassen konnte. In kurzer Zeit war alles weggeräumt und Nessi Tausendschön stellte sich vor die erhöhte Bühne und brüllte im Kommandoton: “Wo ist die Showtreppe??” Sofort sprang ein Zuschauer auf und machte eine Räuberleiter, über die sie elegant auf die Bühne kletterte. Das sehr amüsierte Publikum lachte fröhlich und applaudierte laut, und nicht nur mir war sofort klar, dass hinter der Fassade der anmutigen, sanften und lieblichen Königstochter ein selbstbewusstes, zornig stampfendes Rumpelstilzchen steckte.

Nur aus den kurzen Fernsehausschnitten hatte ich mir keine klare Vorstellung von einem Nessi-Tausendschön-Abend machen können. Als ich nun drin saß, wusste ich auch warum: Er war nicht einzuordnen. Auf der Bühne stand eine zierliche Frau, die zart und anrührend Lieder sang und diese plötzlich beendete, indem sie ihrem Pianisten deutlich vernehmbar zuraunte: “Die Leute gucken blöd, das hat gar keinen Zweck”. Sie ließ keine Gelegenheit aus, deutlich zu machen, dass die Auffassungsgabe des Publikums weit unter ihren Ansprüchen lag und sie selber eine “Konifere in allen Gebieten” war.

Ich kam mir beim Zugucken wie in einer anderen Welt vor. Als wäre ich auf einer Waldlichtung unvermutet auf eine niedliche Fee getroffen, die sanfte Lieder sang, kurz danach rumpöbelte, dann bezaubernd lächelte, federleicht auf der Wiese herumsprang und mit voller Energie ein immer wieder überraschendes und unvorhersehbares Unterhaltungsprogramm bot. Im Mittelpunkt stand ganz selbstbewusst - und manchmal ein wenig herrisch - sie, und ich war lächelnd gebannt, rührte mich nicht vom Fleck und beobachtete sie fasziniert. Lieb lächelte sie ins Publikum und fragte interessiert: “Sind Sie mit Kultur überhaupt schon mal in Berührung gekommen?”

Ob sie nun im langen Kleid mit wild wackelnden Tanzeinlagen oder im strengen Pepitakostüm auf der Bühne stand, als Gabi Pawelka auf Gattensuche war oder unter der hervorragenden Flügelbegleitung von Scharkus Minkel (eigentlich Markus Schinkel, aber sie fand die andere Namensvariante interessanter) mit wunderbarer Stimme Lieder sang, sie berührte mit ihrer Art. Immer wieder war sie mit einem Lächeln oder einer Geste ganz nah. Ein Highlight war ihr weinseliger Schutzengel mit Weinflasche und Weinkrampf, der die Zuschauer rührte und beim Abgang von der Bühne meinen Gatten erschüttert seufzen ließ: “Das war ja wohl der traurigste Engel, den ich je gesehen habe.”

Ich mochte Nessis manchmal fast altertümliche Sprache mit ungewohnten Redewendungen und ihren gewandten und sicheren Umgang damit. Außerdem konnte ich nicht erkennen, was im Programm geplant und was improvisiert war. Dass es immer wieder andere Richtungen nehmen und problemlos auch zwei Stunden verlängert werden konnte, war mir allerdings schnell klar. Nessi Tausendschön schien ein unerschöpfliches Repertoire zu haben und war so vielfältig, dass ich mich nicht gewundert hätte, wenn sie plötzlich ein Seil quer über die Bühne gespannt hätte und elegant darüber gelaufen wäre.

Es war ein poetischer, abgedrehter, kurzweiliger Abend, in dessen Verlauf mein Gatte mir einmal verwirrt, aber gut gelaunt zuflüsterte: “Was will sie??”, und Nessi Tausendschön, als hätte sie es geahnt, nur wenige Minuten später ins Publikum lächelte: “Ja, da kommt nicht mehr jeder mit. Da fragt sich mancher: Was will sie mir sagen?”

Einfach mal erleben und sich verzaubern lassen! Es ist wunderbar!