Gayle Tufts – Don’t stop the music – 29.04.2025 – Köln
Gloria, Köln
Als Gayle Tufts im ausverkauften Gloria auf die Bühne kommt, wird sie sogleich freudig begrüßt. Köln und Gayle – das passt schon seit vielen Jahren gut zusammen. In ihrem Programm „Don’t stop the music“ macht sie eine sehr persönliche Zeitreise durch sieben Dekaden ihres Lebens. Mit „From this moment on“, einem amerikanischen Lied aus den Fünfzigerjahren stimmt Gayle auf die erste Dekade ein, die in Amerika stattfand, wo sie 1960 in Brockton, Massachusetts geboren wurde. Es ist ein wunderbarer Cole Porter Song und sie singt ihn kraftvoll, mit Energie und so amerikanisch, wie ein alter amerikanischer Song gesungen werden muss.

Marian Lux, ihr langjähriger musikalischer Begleiter am Flügel, ist nicht nur ein hervorragender Musiker, sondern ein ganzes Orchester und die gesungene zweite Stimme. Hach, ich könnte einen ganzen Abend lang Gayle dabei zuhören, wie sie Cole Porter und amerikanische Klassiker singt.
„Kennt ihr Cole Porter“, fragt Gayle danach ins Publikum und sofort ertönen zustimmende Geräusche. Sie lacht zufrieden und lobt in ihrem typischen Denglish: „Köln, the Entertainment-Capital of Deutschland.“ Mit dem gleichen deutlich hörbaren Akzent erklärt sie: „Ich bin Amerrikanerrin – ich weiß, man hörrt das nicht mehr“, was Gelächter auslöst. Vermutlich will niemand Gayle in akzentfreiem Deutsch hören, denn ihre Aussprache ist sehr charmant und passt zu ihrer Persönlichkeit. Sie erzählt von der Ed-Sullivan-Show, in der sie als Vierjährige die „Surpremes“ sah und sofort begeistert war. Ihr inneres Showgirl war geweckt und sie dachte: „Ich sehe meine Zukunft!“ Mit der Haarbürste in der Hand und Omas Handtuch als Turban um den Kopf, spielte sie vierjährig die Choreographie nach und sang dazu. Das stellt sie jetzt auf der Bühne nach. Die Musik beginnt, und Gayle singt laut und textgemäß: „Stop!“, was vom Publikum sofort richtig mit einem leise gesungenen “ … in the name of love“ ergänzt wird. Gayle nickt lächelnd ins Kölner Publikum und bestätigt: „It’s the Entertain-Capital of Deutschland!“, ehe sie selber weitersingt. Mit was für einer Energie! Ich habe das Gefühl, sie wäre auch ohne Mikrofon bis in die letzte Reihe präsent.

Sehr witzig hängt sie noch eine kurze Cover-Version der deutschen Jakob-Sisters, inklusive „Pudels“ dran. „Was – hab‘ ich dir getan? Und was tust du mir an.“
Ihre nächste Lebensstation ist als Teenagerin der erste Discobesuch. Sie erzählt und spielt vor, wie sie von der Atmosphäre, den glitzernden, flackenden Lichtern und der Musik überwältigt war. Das war das Leben. Mit „I love the Nightlive“, glitzernden Discolichtern und einer wirbelnden, singenden Gayle ist für die Zuschauer die Discozeit problemlos mitzuerleben. Die Musik und der Gesang sind toll, Gayles Energie sowieso, und ihre Geschichten und Kommentare, die lustig sein können, manchmal aber auch sehr persönlich, machen ihr Programm so berührend.

Nach der Schule geht es in der nächsten Dekade mit einem Stipendium nach New York. Sie erzählt anschaulich, wie ihre Mutter und ihre Schwester sie mit dem Auto hinbringen, sich nervös durch den New Yorker Verkehr wagen, sie schnell absetzen und sofort wieder fahren. Das Lied „Ausgesetzt“ lässt ihre Situation – plötzlich ganz alleine in New York an der Straße rausgelassen – nachfühlen. Es ist leise, langsam und wunderschön. „Ich bin ausgesetzt – I’m on my own. Ausgesetzt – I’m far from home.“ Die Zaghaftigkeit, die Angst und das Gefühl von Alleinsein sind zu spüren und in ihrer Darstellung auch zu sehen. Gayle blickt sich gequält um, wirkt unsicher und ist anscheinend hin- und hergerissen zwischen dem Verlorensein und der Ahnung, dass jetzt und hier ihre Zukunft beginnt. Immer freudiger blickt sie nach oben und ich glaube die Wolkenkratzer neben und über ihr zu sehen. Es ist sehr berührend. Die Musik hat Marian Lux geschrieben. Großes Kino.
New York ist wild und Gayle nimmt die Zuschauer mit in die Zeit großer Lebensfreude, experimentellen Tanztheaters, wenig Geld, dem spannenden Nachtleben und Leuten, die sie kennenlernt.

Marian Lux bleibt aufmerksam bei ihr und reagiert schnell. Das muss er bei der temperamentvollen Gayle, aber es wirkt nicht so, als käme er nicht mit. Im Gegenteil. Er hat alles im Blick und ist zuverlässig da, wo sie ankommt. Der Mittelpunkt der Bühne ist allerdings sie. Beziehungsweise der Mittelpunkt der Bühne ist immer da, wo sie ist. Ihre Augen blitzen und sie strahlt. Den Weg auf die Bühne, den sie als Vierjährige vor sich gesehen hat, ist sie wildentschlossen losgegangen und jetzt lebt sie ihren Traum. Bei ihr heißt es nicht nur: „Don’t stop the music“, sondern auch: „You can’t stop Gayle.“

In den Achtzigerjahren kommt Gayle zum ersten Mal nach Deutschland, zu Beginn der Neunziger zieht sie nach Berlin und wird in Deutschland zum amerikanischen Showgirl. Seitdem ist sie Sängerin, Comedian, Moderatorin und Buchautorin, auf der einen Seite typisch amerikanisch, auf der anderen mit großer Liebe zu Deutschland. Seit vielen Jahren ist „der Bremer“ an ihrer Seite, seit einigen Jahren hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Nicht zuletzt wegen Donald Trump, über den sie nicht mal mehr Witze machen möchte, weil er so unsäglich schlimm ist. Gespielt distanziert sie sich immer mal wieder von „Ihr fucking Deutsche!“ und macht sich über typisch deutsches Verhalten lustig, aber es ist zu merken, dass sie es mit Wärme und Liebe macht.

Die Art, wie Gayle passende Lieder zur und aus der Lebensdekade singt und ihre persönlichen Erzählungen dazu, sind treffend. Es ist oft lustig, aber auch berührend und sehr authentisch. Dazu trägt ihre lockere, natürliche Art bei. Als würde sie bei einem privaten Treffen aus ihrem Leben erzählen. Mir gefällt das Programm, das ein logisches Gerüst hat, sehr. Das Publikum wird immer mal wieder angesprochen – „Das kennt ihr doch auch, oder? Kommt! Ihr kennt es!“ -, lacht bei den humorvollen Erzählungen los, hört bei den Liedern hingerissen zu und applaudiert viel. Gayles Energie wird nicht weniger, es kommt mir vor, als würde sie im Verlauf des Abends immer mehr. Wahnsinn!

Gegen Ende des Abends sagt sie: „Heute ist ein besonderer Tag. Wir werden niemals wieder alle zusammenkommen“, und fordert das Publikum auf: „Seht euch um! Na, los! Blickt euch um, was für nette Leute da sitzen!“ Sie betont, wie wichtig Love ist, aber auch Demokratie und Vielfalt. In einer Stadt wie Köln muss sie das Publikum davon nicht mühsam überzeugen.
Natürlich denkt sie auch an Dirk Bach, der für sie in Köln immer präsent ist und den sie liebevoll mit einem Blick an die Decke des Gloria grüßt. „Gebt beim Rausgehen etwas für die Aidshilfe in die Dose, wenn ihr könnt. Macht es für Dirk!“, bittet sie nett.

Es gibt am Ende Standing Ovation und viel Beifall. Für Gayle, für Marian und für das schöne Programm.
