Berichte

Fatih Cevikkollu – Zoom – 05.10.2023 – Bochum

Bochum, Bahnhof Langendreer

Im Bahnhof Langendreer ist Fatih Cevikkollu angekündigt. Den Namen habe ich schon öfter gelesen, aber ich war noch nicht in seiner Vorstellung. Da ich gerade in der Gegend bin, könnte ich ihn mir doch mal ansehen. Aber was macht der denn so? Ich werfe einen kurzen Blick in ein Youtube-Video und empfinde ihn als ruhig und schlau, was mir gefällt. Na, dann hole ich mir doch eine Karte. Aber halt! Im Programmheft steht „Zoom“. Ist das ein gestreamter Online-Auftritt? Zoom-Konferenz, Zoom-Konzert – seit Corona ist das ja völlig normal. Vielleicht tritt Fatih Cevikkollu gar nicht mehr live auf, sondern nur noch gestreamt. Das wäre ja was, wenn ich mir online eine Karte kaufe und dann im Bahnhof Langendreer vor einer Leinwand sitze, oder – noch schlimmer – nach Hause gehen und es am Rechner gucken soll! Ach was, wird schon live sein, denke ich. Hoffe ich.

Es ist live. Und Fatih Cevikkollu ist ruhig und schlau und er hat eine schöne Stimme, eine sehr gute Ausdrucksweise und gute Gedanken. Er hält das Publikum bei sich, kommuniziert, ist nah und sympathisch. Außerdem kann er Kopfstand. Und rappen. Tatsächlich und richtig gut. Mit schnellen Texten, die ebenfalls gut sind. Als er eine kurze Shakespeare-Szene als Richard der Dritte spielt – er ist ausgebildeter Schauspieler von der Hochschule Ernst-Busch – bin ich völlig fasziniert, dass da plötzlich ein vermeintlich anderer Mensch auf der Bühne steht und sofort eine andere, sehr beeindruckende Atmosphäre entsteht. Die Frau neben mir versteht kein Wort von der verschachtelten altmodischen Ausdrucksweise der Bühnenfassung und giggelt vor sich hin, weil sie das für den Witz hält. Ich denke beeindruckt: „Diesen Richard, von Fatih Cevikkollu dargestellt, würde ich mir gerne ansehen!“ Dabei habe ich ebenfalls nicht alle Sätze sofort komplett verstanden und begriffen. Aber schon wie er sie spricht, macht mir große Freude.

Ich habe einen äußerst kurzweiligen und vergnüglichen Abend, der mir auch deshalb gefällt, weil es nicht um altbekannte Witze über Türken und Deutsche oder grundsätzliches Niedermachen von Politikern geht. Es geht um den Wert von Vielfalt, Miteinander und Akzeptanz. Dass die AfD brauner Müll ist und es bei Politikern auch durchaus kriminell zugehen kann, schließt sich dabei nicht aus. Aber generelle Vorurteile bringen uns nicht weiter. Außerdem: Können wir noch erkennen, wie gut es uns geht? Ist ständiges Wachstum wirklich so wichtig? Warum erfüllen wir so viele unserer Bedürfnisse und sind immer noch nicht zufrieden? Ernste Themen, die manchmal wie nebenbei erzählt werden, durch treffende und oft lustige Bemerkungen Lacher auslösen, aber auch das Hirn beschäftigen. Ich finde Fatih Cevikkollu und sein Programm sehr schnell richtig gut.

„Wisse um den Anderen“, betont er immer wieder eindringlich und meint, dass ich denen, die anders als ich sind, zuhöre, offen bin und erkenne, was ihre Werte sind und warum sie ihnen etwas bedeuten. Es gibt Unterschiede, die uns aber nicht trennen müssen. „Wir haben den Papst und Conchita Wurst gemeinsam am Tisch unserer Gesellschaft sitzen – ist das nicht toll?“, fragt Fatih Cevikkollu freudig. Klug und überlegt geht er an die Themen und regt zum Mit- und Nachdenken an, ohne dass es ein belehrender Vortrag wird.

Mit dem Namen „Zoom“, der mich an eine Online-Veranstaltung denken ließ, meint er, wie ich erfahre, das Ranzoomen an verschiedene Themen, um sie genauer zu betrachten. Das passt.

Nach der Veranstaltung nehme ich sein neues Buch „Kartonwand“ mit, das nicht von Comedy oder Kabarett handelt, sondern von den psychischen Problemen seiner Mutter als „Gastarbeiterin“ in Deutschland. Ein wenig hat er darüber schon auf der Bühne gesprochen. Auch da geht es um das Erkennen und das Wissen, warum es so ist. Ich bin sehr gespannt. Das Buch wird ruhig, klug und mit feinem Humor geschrieben sein.