Guildo Horn – Doppel-Ich – 01.09.2022 – Erftstadt
Doppel-Ich – Die andere Seite des Horst Köhler
Lesung, Geske-Haus, Erftstadt-Liblar
Guildo Horn ist der ist der buntgekleidete Schlager-Hippie, der mit zippeligen Haaren, einem freundlichen Wesen und seinem vollen Einsatz beim Musikmachen auffällt. Außerdem hat er die Nussecken wieder auf die Teller gebracht. Aber Guildo Horn ist auch Horst Köhler, wie er bürgerlich heißt, und an diesem Abend liest er im örtlichen Kulturhaus aus seiner Biographie „Doppel-Ich – Die andere Seite des Horst Köhler“, die einen anderen Teil seiner Persönlichkeit zeigen soll. Das Buch ist allerdings schon 2008 erschienen und inzwischen nur noch gebraucht zu bekommen, so dass der Abend keine typische Neuveröffentlichungs-Verkaufstour ist, sondern tatsächlich eine Lesungs-Veranstaltung. Dass im Vorfeld mit dem Namen „Guildo Horn“ geworben wurde, ist schlau, denn ansonsten würden einige Zuhörer vermutlich eine Biographie des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler erwarten und wären irritiert. Wieso hat denn der Herr Köhler plötzlich so lange Haare und trägt Plateauschuhe? Der war doch immer so unauffällig und seriös.
Weil derAutor des Abends ein Doppel-Ich hat, läuft vor der Veranstaltung ein ziemlich normal und eher lässig gekleideter Horst Köhler durchs Treppenhaus, tritt auf der Bühne aber bunt als Guildo Horn auf. Das ist in Ordnung. Zum einen erwartet das Publikum einen bunten Horn-Auftritt, zum anderen kann er damit vermutlich gut sein Privat- von seinem Bühnenleben trennen. Er begrüßt das Publikum, erzählt kurz über das Buch und kündigt an, dass er so lange lesen würde, bis der Letzte vom Stuhl kippt. Das Publikum freut sich.
Mal auf einem Sessel sitzend, mal stehend oder herumlaufend, erzählt und liest Guildo Horn sehr begeistert und schwungvoll von seiner Horst-Köhler-Zeit, in der er ein soziales Jahr in einer Trierer Werkstatt für geistig Behinderte machte. Das hat sein weiteres Leben und seine Persönlichkeit geprägt.
Das Buch ist von ihm lebendig und lustig geschrieben, er selber ist locker und witzig, so dass viel gelacht und geschmunzelt wird. Trotzdem kommen die Ernsthaftigkeit, seine klare Einstellung, die Offenheit und sein liebevoller Respekt vor geistig behinderten Menschen sehr deutlich rüber. So spaßig und bunt er aussieht – er ist auch ein ernsthafter und konzentrierter Musiker und spielt den schrägen Typen mehr, als er es ist. Er liest gut vor, hat eine angenehme Stimme, macht Zwischenbemerkungen, um zu ergänzen, zu verdeutlichen oder schnell eine Story einzuschieben, hat Kontakt mit dem Publikum, und es macht Spaß, ihm zuzuhören.
Wer vorher vielleicht noch dachte, dass Guildo Horn schräg und oberflächlich ist, merkt schnell, dass er nachdenkt, bewusst handelt und über sein Leben gerne selber bestimmt. Wenn er sich in eine Schublade legt, wie zum Beispiel in die bunte Guildo-Horn-Schublade, dann hat er sie selber gezimmert. Ich mag das sehr.
Die Arbeit mit geistig behinderten Menschen, die Hürden und Vorurteile, die ihnen begegnen, aber auch die vielen liebevollen, ganz ehrlichen Momente, schildert er in ruhigem, humorvollen Grundton. Er wird nicht belehrend, er weckt Verständnis und Interesse. Ob Guildo Horn oder Horst Köhler – der freundliche Mensch, der nicht anklagt, sondern immer positiv bleibt und für ein offenes Miteinander wirbt, macht in beiden Persönlichkeiten den Charakter aus. Im Publikum wird viel gelacht und sehr wahrscheinlich auch öfter mal nachgedacht.
Zwischendurch greift Guildo sogar zur Gitarre und das Publikum macht willig bei einem Bewegungs-Mitmachlied mit und beugt die Körper brav nach vorne, nach hinten und zur Seite. Rock’n’roll und Gelächter im seriösen Geske-Saal.
Vermutlich hat Guildo Horn vorher nicht mehr probeweise gelesen, wie lange die markierten Buchstellen dauern. Oder er erzählt zu viel. Nach zwei Stunden schaut er auf die Uhr und ist erstaunt, dass die vorgesehene Zeit schon überschritten ist und immer noch einige Marker an weiteren Buchseiten kleben. Unter viel Beifall hört er auf, obwohl noch gar keiner vom Stuhl gekippt ist. Stattdessen haben alle sehr aufmerksam zugehört und hatten keinen Gedanken übrig, den Stuhl zu verlassen. Es war viel zu spannend und interessant. Es gibt viel Beifall.
Am Ende fragt eine Frau, ob er Bücher dabeihat, die er unterschreiben kann. Bedauernd muss Guildo Horn auf den Gebrauchtbüchermarkt verweisen. Es ist eben tatsächlich eine Lesung, keine Buchvorstellung.
Zuhause erstehe ich im Internet sofort ein gebrauchtes Buchexemplar, um auch die Stellen zu lesen, die mir nicht vom Autor vorgelesen wurden. Dicke Empfehlung: Ein warmherziges, lustiges, ehrliches und verbindendes Buch. Sehr klasse.