Berichte

Alte Bekannte – Das Leben ist schön – 31.01.2020 – Bergheim

Bergheim, Medio

Die „Alte Bekannte“ traten im Bergheimer Medio auf, und da mir nicht nur die Alte Bekannte bekannt waren, sondern auch das Bergheimer Medio, wusste ich, wo man hinter dem Gebäude gut parken konnte, während die offizielle Navi-Adresse vor das Gebäude führte, wo es nur einige spärliche Parkbuchten und die Fußgängerzone gab. Ich kannte sogar den Künstlereingang, die Garderobe und die Bühne, fiel mir ein, als ich an den geparkten Autos mit dem großen Schriftzug „Alte Bekannte“ vorbei zum Haupteingang ging. Vor einigen Jahren wurde mein Theaterstück „Die Goldinsel“ im Medio gespielt, und dass ich in einem eigenen Stück auf derselben Bühne aufgetreten war, auf der ich jetzt die Alte Bekannte ansehen würde, fand ich gut. Das war zwar völlig egal, gefiel mir aber trotzdem.

Mit der eigenen Bühnenerfahrung im Medio war ich den meisten Zuschauern wohl voraus, bei der Kenntnis der aktuellen Show der Alte Bekannte war ich weit hinten. Nicht mal die neue, schon vor sechs Monaten erschiene CD „Das Leben ist schön“ hatte ich bisher gehört, weil ich die Lieder lieber zuerst live erleben wollte. Ein Konzertbesuch hatte aus terminlichen Gründen aber seit Monaten nicht geklappt. Jetzt war es endlich soweit. Ich war gespannt.

Die Bühne war mit geöffneten, weißen Regenschirmen dekoriert, die auf dem Boden lagen oder in der Luft hingen. Das sah gut aus, auch wenn mir die Bedeutung nicht ganz klar war. „Das Leben ist schön, auch wenn es regnet?“ Auch auf dem Cover der aktuellen CD gab es Schirme, die mich irritierten, weil sie über den Protagonisten schützend aufgeklappt waren, mit festem Griff im Sturmwind gehalten wurden oder weit oben durch die Luft flogen, während der Himmel ausgesprochen sommerlich und freundlich wirkte. Hatte da vor dem Shooting jemand gesagt: „Kommt, wir nehmen mal Schirme, das sieht cool aus!“- „Aber es ist gutes Wetter!“ – „Ach, egal!“, oder gab es eine tiefere Bedeutung, die ich einfach nicht erkannte? Eine weise Lebenserfahrungen wie: „Auch wenn die Sonne scheint, nimm lieber mal ‘nen Schirm mit?“   

Ehe ich ins Grübeln kam, kamen die Alte Bekannte auf die Bühne und begannen gleich mit Es macht Spaß, auch mal nett zu sein. Locker und flockig gesungen von Dän und ein bisschen so aufgebaut, wie auch ein Wise Guys Lied hätte sein können. Die fünf Sänger steckten in stilvollen, vermutlich dunkelgrauen Anzügen – so genau war die Grundfarbe im bunten Licht nicht zu bestimmen -, und trugen weiße, am Hals offene Hemden. Gestylt, aber trotzdem lässig und zudem bewegungsfreundlich. Die Regenschirme steckten auf Scheinwerfen, die bunt ihre Farben wechselten, und sehr angenehmes, schönes Licht machten.

Das Publikum applaudierte nach dem ersten Lied aufgeschlossen und freudig, und sofort ging es weiter mit Das Leben ist schön. Clemens sang mit seiner klaren Stimme, die Melodie gefiel mir, der Text – eine Aufzählung von schönen Dingen – im Prinzip auch, aber die Aufzählung ging mir zu schnell. Das war zu viel Input in zu wenig Zeit. Schon nach einigen Zeilen war ich hirnmäßig raus. „Kartenspielen, Meeresbrise, Kieselstein …. äh, Moment … Kieselstein? … äh, ja, doch, ist schön …“ und schon hatte ich den Anschluss verloren. Eigentlich schade, denn mit einer kurzen Pause hinter jedem Begriff, in der ich mir schnell hätte vorstellen können, was das ist und ob mir das ebenso wie dem Clemens gefällt, wäre ich gefühlsmäßig glücklicher gewesen. Andere Zuschauer, die schneller denken können, vermutlich nicht. Musikalisch wär’s mit vielen kleinen Pausen wohl auch nicht so der Hammer. Aber bei mir kamen die meisten der schönen Gedanken, die in den Text geflossen waren, wegen des Tempos gar nicht an. Wie bei einem Zug, der im Bahnhof vorbeirauscht und am Ende keine Bilder von den einzelnen Fenstern übrig lässt, sondern nur ein wirres Flackerbild.

Die Wortdoppelung in „Wie schön ist das Leben? Ganz schön schön“ hätte ich mich nicht getraut zu verwenden. Mit kam es wie eine Notlösung vor, um die Silbenlücke zu füllen. Vielleicht war „ganz schön schön“ aber inzwischen im Sprachgebrauch und ich war einfach zu konservativ. Ich „chillte“ ja auch nicht, ich „hing rum“. Der jazzige Mittelteil riss viel raus und gefiel mir sehr, und als ich gar nicht mehr zu versuchte, den Text im Originaltempo bewusst aufzunehmen, sondern nur noch einzelne Begriffe raushörte, blieb ein fröhliches, mitreißendes Lied übrig. Nebenbei hatte ich Zeit, zu bemerken, dass die Farbe der Einstecktücher zu den Socken passte. Ein dunkles Himbeer-Pink-Magenta. Vielleicht mit einer Spur Aubergine.

Es gab viel Applaus und Dän freute sich: „Wir sind seit langer Zeit mal wieder in einer der schönsten Städte des Erftkreises.“ Das brachte auch die Bergheimer zum Lachen. Dann bat er darum, dass während des Konzertes nicht mit dem Handy mitgefilmt werden solle. „Wir haben das Programm so unterhaltsam gemacht, dass man es live genießen kann und nicht Zuhause gucken muss.“ Für eine kurze 30-Sekunden-Fotorunde würden sie sich jetzt in Pose stellen, damit alle mal Fotos machen könnten. Kaum gesagt, starteten die 30 Sekunden schon, was ein hohes Tempo beim Aktivieren des Handys erforderte. Ich hatte meins gerade mal oben, da waren schon 20 Sekunden rum.

„Sie werden jetzt schon das befreiende, erlösende Gefühl merken, dass das erledigt ist“, lächelte Dän anschließend. Ich überlegte kurz, ob ich mich befreit und erlöst an einen Konzertbericht ohne Fotos setzen würde oder dann lieber gar keinen schrieb. Ohne Fotos mache ich keinen Bericht, wusste ich, weil mir das dann keinen Spaß macht. Ich entschied mich für einen Bericht und für „hin und wieder ein weiteres Foto“, weil es später für Archäologen und Geschichtsforscher schöner ist, wenn es zum Text zeitentsprechende Bilder gibt. Allgemein war es aber schon eine Erleichterung, dass nicht ständig mit minutenlang hochgehaltenen Handys mitgefilmt wurde.

Nils sang positiv und optimistisch Ich kann nicht klagen, was glaubhaft, aber nun schon das dritte flockig-lockere Lied war. Gerade schwebte der skeptische Gedanke: „Ist ja äußerst positiv alles“ durch meinen Kopf, da sagte Dän nach dem Applaus: „Es geht nicht so unerträglich heiter weiter.“ Nicht nur, dass ich die Wortkombination und den Rhythmus von „unerträglich heiter weiter“ sehr schön fand, ich war auch beruhigt. So sehr ich positive Lieder mag und gut gelaunt dabei war, ein ganzer Abend mit Alles-ist-schön-Liedern wäre mir dann doch zu gut gelaunt.

„80% der Bandmitglieder wohnen in der Großstadt“, erläuterte Dän. „Clemens in Bonn … wobei da die Bezeichnung ‚Stadt‘ grenzwertig ist …, Björn kommt aus Berlin, Nils aus Kiel und ich lebe in Köln. Nur Ingo ist aus der Stadt raus und bewusst wieder in die Eifel gezogen.“ Es folgte auf die Melodie von „You’re in the Army now“  You’re in the Eifel now. Während der Eifler Ingo in der Mitte stand und viel „Ding ding ding ding“ im Background machte, sangen die anderen wechselnd von typischen Landproblemen, was sehr witzig war. Nicht nur, dass ich am Rand der Eifel wohne und sie sehr mag, ich erkannte auch alles Erzählte wieder und hatte Spaß. Toll gesungen, schöner Text – sehr klasse! Das Publikum sang den Refrain zum Teil lautstark mit und war insgesamt gut gelaunt. Die Stimmung im Saal war nicht tobend laut, aber doch sehr freudig und aufgeschlossen. Bergheim war nicht als Hochburg für ausflippendes und kreischendes Publikum bekannt, darum war alles gut.

Es ging weiter mit Mädchen, lach doch mal!, das Nils sang und bei dem einige Fans schnell aufsprangen, mitsangen und mitklatschten. Das ist zwar verständlich, aber auch ein bisschen seltsam, wenn bei einem Konzert der Alte Bekannte besonders gut mitgegangen wird, wenn es um ein Lied der Wise Guys geht. Natürlich haben beide Gruppen miteinander zu tun, und bei einem Lob für die Wise Guys Lieder ist ja auch Dän gemeint, aber die Begeisterung hat Haken. Immerhin war mir Nils‘ Stimme bei dem Lied vertraut und auch die Choreographie war noch wie früher, so dass ich keine Probleme hatte. Bei Wise Guys Liedern im Programm stört mich oft, dass sie wie von anderen Leuten gecovert klingen, weil die Stimmen anders sind. Ich möchte dann lieber das Original oder gar nichts hören. Da gibt es aber viele Fans, die das anders sehen. Oder hören.

„Das Lied wird im Mai 22 Jahre alt“, sagte Dän und fügte an, dass sie als Alte Bekannte Wise Guys-Lieder singen dürfen. „Ich habe den Komponisten gefragt“, grinste er. Mir fiel plötzlich auf, dass nicht nur die Sockenfarbe zur Einstecktuchfarbe passte, sondern auch die Anzüge, Hemden, Schuhe und Gürtel bei allen fünf Sängern genau die gleichen Modelle waren. Vermutlich alles im Fünferpack gekauft – vielleicht gab es da Prozente. Wobei sie natürlich verschiedene Konfektionsgrößen hatten, so dass der Fünferpack gar nicht in Frage kam. Ein bisschen interessierte mich, ob auch die Unterwäsche einer Normung unterlag und vor allem, ob sie farblich zu den Socken und Einstecktüchern passte. Vielleicht war es aber auch gut, dass man nicht alles erfuhr. Ich war mir nicht mal sicher, ob ich es wirklich wissen wollte.

Dän erzählte inzwischen von der hügeligen Eifel und der unerklärlichen Architektur der Häuser, die dort standen. Zum Beispiel das, in dem Ingos Studio war. „Vorne geht man ebenerdig rein, dann geht man innen eine Treppe runter zum Kellerstudio, und von dort geht es wieder ebenerdig in den Garten raus. Sehr verwirrend.“    

Vor Du bist wieder hier erläuterte Dän kurz und treffend: „Der Dreivierteltakt ist der, wo immer ein Schlag fehlt“. Das Lied war eine Art Schlaflied, richtete sich aber nicht generell an Kinder oder schlafbedürftige Personen, sondern war für jemanden geschrieben, der damals in der Phase einer Depression steckte. Es sollte den positiven Ausgang einer Behandlung versprechen, was sich, wie Dän andeutete, auch erfüllt hatte. Das Lied war sehr, sehr schön. Was für ein tolles Arrangement! Ich schmolz bei den nicht nur wunderbar geschriebenen, sondern auch wunderschön gesungenen Harmonien dahin. Puh, sehr klasse!

Clemens lenkte auf ein neues Thema um: Die 80er-Jahre. Da gab es nicht nur Vokuhila-Frisuren, sondern auch das Beatboxen. „Wir haben drei Beatboxer hier“, wies er auf Dän, Björn und sich selber hin und versicherte, dass alle Töne auf der Bühne selber gemacht würden und nicht vom Band kämen. Zur Demonstration beatboxten sie zu dritt überzeugend gut los und ernteten Jubel und anerkennenden Applaus. „Die beiden anderen beatboxen zum Glück nur in der Garderobe und im Auto“, versicherte Clemens und guckte sich zu Nils und Ingo um, die abwartend und untätig auf einer Kiste saßen.

Zusammen starteten sie ein 80er-Jahre-Medley. Vertraute Ohrwürmer, schön gesungen, mitreißend. Ich fühlte mich wie in der Ü30-Disco, nee, dann doch wohl mindestens die Ü50-Disco. Obwohl es mir gefiel, sah ich das Medley etwas kritisch. Ich kam ja, um Alte Bekannte-Lieder zu hören, und nicht, um zu hören, wie Alte Bekannte die Hits von anderen Musikern möglichst toll nachsangen, was sie auch unbestritten machten. Es hörte sich super an, war aber eben kein eigenes Lied. Wenn es die eigene Interpretation eines gecoverten Liedes ist, gerne auch mit neuem Text, finde ich es meistens noch gut, aber da ich beim „80er-Medley“ keine wiedererkennbaren Eigenheiten der Alte Bekannte heraushören konnte, war mir das zu unpersönlich. Sehr gut gemacht, musikalisch toll, aber für mich verzichtbar. Dass ich von einigen Fans schon gehört hatte, dass das „Medley zu den besten Liedern der Alte Bekannte gehört“, war genau der Effekt, den ich ungünstig fand. 

Sofort ging es mit 30 Millionen weiter, was mein Gefühl für die Vermeidung von gut nachgesungene Hit-Medleys noch verstärkte. Der Kontrast zwischen den eingängigen 80er-Hits und den „30 Millionen“ kam mir dann doch ziemlich groß vor. Es kann aber auch daran liegen, dass mir das Lied nicht viel sagte. Weder der Text, in dem es diesmal die Aufzählung verschiedener Begriffe für ‚Geld‘ gab, noch die Musik sprachen mich an. Auch inhaltlich war ich weit vom Thema entfernt. Im Refrain wurde das Publikum animiert, den erhobenen Arm hin und her zu schwenken, was ich verweigerte. Ich kann ganz schön störrisch sein, wenn ich was nicht will. Den Doppelklatscher, den es kurz danach zum Mitklatschen gab, machte ich aber freudig mit. Ich kann auch ganz schön inkonsequent sein, wenn mir was gefällt.

Immerhin ließ mir meine Verweigerung Zeit, die Einstecktücher genauer anzusehen. Dabei stellte ich fest, dass sie keineswegs einheitlich gefaltet waren. Dän hatte einen schmalen Zipfel gerollt, der wie ein mageres Matterhorn aus der Brusttasche seiner Anzugjacke ragte. Ingo trug eine sorgfältig gefaltete Version, die mich an die „Bischofsmütze“ erinnerte, die für festliche Tafeln aus Stoffservietten gefaltet und auf dem Teller aufgestellt wurde. Clemens hatte den Stoff in undefinierbare, aber formschöne Wellen gelegt. Nils hatte einen gestopften breiten Zipfel und Björn gestopfte Wellen. Könnte man jetzt tiefenpsychologisch aufbereiten und interpretieren, könnte aber auch alles Zufall sein. Ein gemeinsames Seminar „So falte ich ein Einstecktuch“ hatten sie jedenfalls nicht besucht. Zum Glück war von den Socken zu wenig zu sehen, um auch dort Unterschiede zu erkennen.

Schöne neue Welt wurde von Björn gesungen. Seine Stimme war tief und trotzdem leicht – ganz wunderbar. Die groovige Musik ließ mich nicht ruhig sitzen und die schnell hoch und runter wandernden Basstöne fand ich klasse. Im Text gab es schon wieder kurz gereimte Sätze. „Montenegriner, Palästina, Diener…“ Die waren reizvoll und wirklich witzig, aber seltsamerweise stolperte ich darüber und dachte: „Schon wieder schnelle, kurze Reime?“, anstatt einfach nur zuzuhören. War es mir zu anstrengend, schon wieder so schnell mitzudenken? Saß mein Hirn noch an der Verarbeitung der vielen Begriffe aus „Das Leben ist schön“ und „30 Millionen“ und verweigerte weitere Wort-Annahmen? Die Musik war jedenfalls sehr eingängig, ich hatte Spaß daran und mochte sehr, wie Dän an seinem fiktiven Kontrabass stand und die Saiten zupfte, während er die Basstöne sang.

Björn übernahm die undankbare Aufgabe, die Werbeartikel und die CD anzupreisen. Er seufzte: „Weil ich der Jüngste bin“, und warb damit, dass „Bergheim“ auf der Rückseite des Tour-Shirts eine ganz besondere Position habe. „Leicht über der Mitte. Da, wo man sofort hinsieht“, sagte er und zeigte es in der langen Reihe der aufgelisteten Konzertorte. Das war natürlich sehr überzeugend. Wer eine der kostenlosen Postkarten am Merchandisestand hole und sie beschriftet nach dem Konzert vorzeige, bekäme eine Briefmarke dazu, versprach er.

Um auf das nächste Lied vorzubereiten, erwähnte er „Ballermann“ und „abgefüllt“, was die Einstimmung auf Partykracher war. Es knallte musikalisch, was ich ganz OK fand, wobei ich sowieso nicht der Fan knallender Partylieder bin. Das ist aber reine Geschmackssache. Dass aber Herren in Anzügen, mit weißen Hemden und himbeer-pink-magenta-farbenen Einstecktüchern davon singen, dass sie Partys krachen lassen, kommt nur bedingt glaubwürdig rüber. Dann allerdings stand Björn am Bühnenrand, bewegte lasziv die Hüften und zog langsam die Anzugjacke über die Schulter herunter. Das Mikro hatte er, um die Hände frei zu haben, im Mund stecken, was bei einer Videoproduktion vermutlich Probleme mit der Jugendfreigabe gebracht hätte. Zum Glück war das Lied bis dahin fast fertig gesungen und während der letzten Töne verließen sie zu fünft die Bühne. Wer weiß, zu welchen Exzessen Björn sonst noch fähig gewesen wäre. Das Publikum klatschte sehr erfreut und laut zum Abschluss der ersten Hälfte.

* * *  PAUSE  * * *

Nach der Pause wurden die Alte Bekannte vom immer noch sehr gut gelaunten Publikum freudig begrüßt. Diesmal waren die fünf Herren unterschiedlich und eher privat gekleidet, hielten sich aber streng an ein Farbkonzept mit viel Schwarz, etwas Weiß und ein wenig gebrochenem Blau. Ich mag die Idee von Farbkonzepten für die Bühne, und hier funktionierte sie.

Mit Ich habe kein Tattoo ging es los, und beim ersten Refrain gab es lautes Gelächter von den Zuschauern, die das Lied noch nicht kannten. Der Text war sehr schön und Ingo brachte seine Leadstimme überzeugend. Ich mag sehr, dass die Musik zwischendrin in einigen Tonfolgen an James Bond erinnert, obwohl vielleicht keiner der vielen Bonds ein Tattoo hatte. Nach dieser Darbietung ging ich selbstverständlich davon aus, dass auch Ingo kein Tattoo hatte. Dabei war das Quatsch. Er würde ja nicht im Refrain „Ich HABE ein Tattoo“ singen und damit den Sinn des Liedes ändern, nur weil er vielleicht wirklich eins hatte. Oder schon im Vorfeld die Leadstimme ablehnen: „Tut mir leid, ich kann das Lied nicht singen, dann auf der linken Wade habe ich ein kleines Häschen tätowiert.“

Dän ging auf das Bühnenoutfit der zweiten Konzerthälfte ein. „Nach dem uniformierten Äußeren im ersten Teil, für den wir uns extra bei einem Herrenausstatter haben einkleiden lassen, setzen wir im zweiten Teil auf Individualismus. Björn, der sich modisch am besten auskennt, hat ein Konzept vorgegeben: Locker in Schwarz, mit Weiß und einem dezenten blauen Akzent.“ Kleine blaue Farbtöne waren überall vorbildlich eingesetzt, nur Nils trug eine Weste mit glänzend blauer Oberfläche. Beim Erwähnen des „dezenten, blauen Akzents“ blickten die vier anderen zu Nils und im Publikum gab es fröhliches Gelächter.

Wenn’s nach mir ging war ein kleines Weltverbesserungslied mit schöner Melodie und gutem Text, lächelnd und federleicht gesungen von Dän. Ich mochte es sehr.

‚Runde Geburtstage‘ waren in der folgenden Moderation das Thema von Björn. Ach, diese volle, tiefe Stimme! Mir war fast egal, was er sagte, Hauptsache, er sprach. Mit 30 sollte man fertig mit dem Studium oder der Ausbildung sein, sagte er und fügte an, dass das drei der Bandmitglieder nicht geschafft hätten. Mit 40 sollte man eine Familie gegründet und möglichst zwei Kinder haben, was zwei der Mitglieder verfehlt hätten. Mit 50 sei man froh, wenn man noch aufwache und lebe. Die vielen älteren Zuschauer im Publikum lachten ein dumpfes: „Ho ho ho!“ und dachten: „Komm du mal in mein Alter, dann siehst du das anders!“ „Für mich ist die 50 noch zwei Sprünge weit weg“, winkte Björn lässig ab und wandte sich zu Dän, der dem runden Fünfergeburtstag inzwischen schon recht nah rückte. „Mal sehen, ob Dän beim nächsten Mal in Bergheim noch dabei ist“, sagte Björn, woraufhin das Publikum einen aufrichtig empörten Unterton in das dumpfe „Ho ho ho!“ mischte.    

Clemens sang Erober deine Welt, und ich merkte, dass ich es sehr mag, wenn es bei den Liedern auch mal langsamer und balladiger zugeht. Musikalisch ist das oft ein Gewinn, denn es sind viele Feinheiten zu hören, die bei schnellen Nummern gerne mal überbeatboxt und überklatscht werden. Im Hintergrund stand Ingo auf einem Brett, das das leichte Stampfen seiner Füße als dumpfen Basston übertrug. Später schlug er zusätzlich mit den flachen Händen auf seine Oberschenkel, was ein weiteres Rhythmusgeräusch gab. Eine sehr schöne Bodypercussion und überhaupt ein sehr harmonisches, tolles Lied.  

Sofort ging es mit Der perfekte Mann weiter, den Björn besang. Im Text geht es um einen so perfekten Mann, dass es mir schon in der zweiten Strophe unglaubwürdig vorkam und ich nicht mehr richtig zuhören wollte. Am Ende drehte sich der Text natürlich, aber das war mir zu spät. So viel Gesülze konnte ich mir bis dahin nicht anhören. Es war aber egal, denn Björn hat eine so schöne Stimme und sang nicht nur toll im tiefen Bereich, sondern sehr souverän auch erstaunlich weit oben, so dass ich mich einfach auf die Musik und den Gesang konzentrierte. Etwas im Hintergrund standen Dän, Ingo und Nils als Dreiergruppe und erinnerten mich mit ihren lässig synchronen Bewegungen stark an eine Gruppe USA-Backgroundsängerinnen bei einem großen Konzert. Klar, sie trugen keine Glitzerkleider und sie waren nicht dunkelhäutig, aber sie waren mit ihrer souveränen Art nah dran. Alles sehr cool! 

„Einen tragischen Einzelschicksalsfall in der spanischen Hotelbranche“ kündigte Dän an, und Ingo sang Ladislav schon wieder, ein Cover auf Madonnas „La isla bonita“. Clemens und Björn standen rechts und links von ihm und schwangen spanisch beeinflusst die Hüften – wow! Wobei Clemens noch geschmeidiger und wower als Björn war. „Salsa-Clemens“, dachte ich anerkennend, und: „Das sieht man ihm so gar nicht an.“ Aber schon beim Besuch des ersten Testkonzertes hatte ich gedacht, dass in Clemens viel mehr drin steckt, als er nach außen zeigen will. Understatement gefällt mir. Harmlos aussehen und dann – wow!

Björn und Clemens sangen danach zusammen die Leadstimme von Verboten. Text, Musik, Stimmen, Performance – alles cool, cool, cool!

Die nächste Moderation übernahm Clemens, der von Tagen sprach, an denen man aufwacht und sofort weiß, dass es ein guter Tag wird, an dem alles klappt. Als er davon sprach, dass man dann „Kanarienvögel aus brennenden Häusern rettet“, musste ich sehr vergnügt lachen. Kurz und witzig erklärte er die wichtigen Eigenschaften jedes Bandmitgliedes. Dass Dän sich mit Wörtern auskennt, Björn der Social Media Experte ist und Ingo der Produzent. Dann deutete er auf Nils und sagte: „Und das ist Heute-ist-mein-Tag-Nils!“

Der immer positiv wirkende Nils sang schön und optimistisch Heute ist mein Tag, und ich war froh, denn ich hatte seine Leadstimme schon vermisst und mich gewundert, dass er so wenig zu hören war. Nils strahlte beim Singen glücklich und kam überzeugend rüber, erzählte mir mit dem Lied persönlich aber nichts Neues, denn ich stehe jeden Tag auf und denke: „Heute ist mein Tag!“ Da waren wir also einer positiven Meinung. Das Ende des Lieds war unerwartet und plötzlich da. Fertig. Ups.

Dän erklärte, dass er zu den Kreativblocks seine geschriebenen Texte mitbringt, von denen sich die Kollegen dann einige aussuchen und möglichst passende Musik dazu machen. „Bei Ingo ist das anders. Egal, welchen Text er nimmt, er macht immer Dancefloor draus.“ Diesmal habe er Ingo extra einen traurigen Text gegeben, und was habe er daraus gemacht? Dancefloor! Viel zu verliebt war sehr mitreißend, da konnte ich gar nicht ruhig sitzenbleiben, und ich dachte gut gelaunt: „Sentimentaler Text und Dancefloor – geht doch!“

Sofort ging es weiter mit Wo der Pfeffer wächst. Die ersten Takte ertönten, das Publikum jubelte, Dän sang los … und das Licht auf der Bühne ging nicht an. Nur von einigen Seitenscheinwerfen partiell erhellt, lief Dän singend im Halbdunkel über die Bühne und man hörte zwischendurch sein Lachen, weil er es selber witzig fand. Dann ging auch noch das große Saallicht an, so dass die Zuschauer hell beleuchtet waren, während der Hauptsänger weiterhin im Dunkeln herumlief. Singend kam Dän bis an den Bühnenrand und versuchte sich weit nach vorne zu beugen, um ein bisschen Saallicht abzubekommen. Es war schade, dass das eigentliche Lied in den Hintergrund rückte, aber es war schon eine sehr witzige Situation. Große Heiterkeit im Publikum und auf der Bühne, und dann strahlte tatsächlich für den Rest des Liedes noch das Bühnenlicht auf und das Saallicht verlosch.

„Das ist tatsächlich ein sehr, sehr dunkler Song“, erklärte Dän danach mit einem letzten Lacher in der Stimme. „Wo der Pfeffer wächst“ gehörte zu den wenigen Wise Guys Liedern, die ich von den Alte Bekannte gesungen gut hören konnte, weil es mit Dän in der Leadstimme weitgehend wie früher, also nicht fremd klang.

Sie ist perfekt, gesungen von Ingo, groovte sehr. Allerdings fiel mir auf, dass es schon wieder kurz gereimte Aufzählungen gab. „Menge – Gedränge – Länge – Enge“. Für jedes Lied einzeln ist so eine Reimerei völlig in Ordnung, wenn ich das beim Konzert aber in verschiedenen Ausführungen mehrfach höre, ist es mir tatsächlich zu viel. Mit sentimentaler Freude entdeckte ich nebenbei, dass mich „Sie ist perfekt“ an „Wenn sie tanzt“ von den Wise Guys erinnerte. Inhaltlich hatten sie Ähnlichkeiten, in der Ausführung war das eine fetzig und mitreißend, das andere romantisch und verträumt. Beide schön. – Ein gutes Beispiel für meine Inkonsequenz, denn auch bei „Wenn sie tanzt“ gibt es kurze, gereimte Zeilen, die mir dort allerdings sehr gefallen. Tja, vielleicht ist es wirklich nur eine Frage der Häufigkeit. 

Beim anschließenden starken Applaus gab es Standing Ovation vom Publikum. Die von Beginn an gute Stimmung war immer weiter gestiegen, und sowohl auf, als auch vor der Bühne war die Atmosphäre locker und gut gelaunt. Die Alte Bekannte gingen ab, kamen aber schnell zurück und sangen Sonnenschein, wieder ein Wise Guys Lied. Das Arrangement war deutlich verfeinert, was ich gut fand. Mir fiel auf, dass ich das Lied schon zu Wise Guys Zeiten sehr süß fand und außerdem schon vor zehn Jahren angemerkt hatte, dass es so unerwartet endet und keinen richtigen Schluss hat. Das war immer noch so. Ein letztes, etwas verlangsamtes und tiefer gesungenes „Sonnenschein …“ und die Töne versickerten schnell im Bühnenboden.

Mit Jetzt und Hier ging es nochmal fetzig in alte Wise Guys Zeiten. Das Publikum stand, bewegte sich im Rhythmus und klatschte begeistert mit. Und ich sang aus vollem Herzen und mit liebevollem Lächeln Zeilen, die so gut passten: „Die Zeit war genial. Ziemlich sentimental schau’n wir darauf zurück: Das war wohl so was wie „Glück“. Und völlig egal, was passiert und was ist: Es war eine Zeit, die man niemals vergisst.“

Ich fand es schön „Jetzt und Hier“ dabei zu sein. Da hatten sie mich sogar noch mit einem alten Wise Guys Song gekriegt, obwohl ich die doch eigentlich von den Alte Bekannte nicht hören wollte. Diesmal hatte es mich aber gar nicht gestört.

Wieder gab es begeisterten Jubel (Publikum), Abgang und erneuter Auftritt (Künstler). „Bleiben Sie gleich stehen!“, bat Dän, als er kam, und es gab zum Abschluss Wir sind da. Passender als letztes Lied wäre „Wir sind gleich weg“ gewesen, aber das gab es vermutlich noch nicht. Vielleicht könnte man Ingo mal einen traurigen Text über einen unmittelbar bevorstehenden Abschied vorlegen, damit er einen groovigen Dancefloor daraus macht.

Nils sang die Leadstimme und war für die Zuschauer der Vorsänger im Mitsingteil. Alles sehr einfache Tonfolgen, die keine Probleme machten und fast zu wenig herausfordernd waren, aber dann setzte er zu einem langen Ton an, der gefühlt drei Minuten dauerte. Beim langen Nachsingen pfuschte ich, indem ich immer mal kurz aufhörte und Luft holte, während meine Nachbarn weitersangen, so dass es gar nicht auffiel. War aber auch egal und interessierte niemanden.

Es gab nochmal großen Jubel und lauten Applaus, dann gingen die Alte Bekannte endgültig ab und die Zuschauer wanderten ins Foyer, wo der Afterglow angekündigt war. Der war allerdings nicht mehr sehr voll, weil viele Bergheimer, als sie ihre Jacken von der Garderobe geholt hatten, dann auch sofort gingen. Für die Restgemeinde gab es noch das Geburtstagsständchen zu hören, Autogramme und Selfies wurden gewünscht und erledigt, dann war recht schnell Schluss. Ich fuhr hellwach, gut gelaunt und vor mich hin grinsend nach Hause. Das war ein schöner Abend!


Es macht Spaß auch mal nett zu sein
Das Leben ist schön

Ich kann nicht klagen
You’re in the Eifel now
Mädchen lach doch mal!
Du bist wieder hier
Medley 80er
30 Millionen
Schöne neue Welt
Partykracher

Ich habe kein Tattoo
Wenn’s nach mir ging
Erober deine Welt
Der perfekte Mann
Ladislav schon wieder
Verboten
Heute ist mein Tag
 
Viel zu verliebt
Wo der Pfeffer wächst
Sie ist perfekt
Sonnenschein
Jetzt und hier
Wir sind da