Berichte

Tino Selbach – Macho Man – 14.06.2019 – Köln

Köln, Bürgerhaus Stollwerck

Das Buch „Macho Man“ von Moritz Netenjakob war vor zehn Jahren ein Bestseller und ging damals völlig an mir vorbei. Auch von dem sechs Jahre später produzierten Film „Macho Man“ habe ich nichts mitbekommen. Mit knappen zehn Jahren Verspätung lese ich giggelnd und lachend den „Macho Man“, einen Roman über einen sensiblen, schüchternen Frauenversteher, der sich in eine attraktive Türkin verliebt und versucht, sich in einen Macho zu verwandeln. Die Grundlage des Romans sind eigene Erfahrungen von Moritz Netenjakob, der sich in eine türkische Frau verliebte und bis heute mit ihr verheiratet ist. Die Schilderungen skurriler Szenen, Handlungen und Personen sind sehr humorvoll, bleiben dabei aber immer respekt- und liebevoll, was mir sehr gefällt.

Gerade habe ich das Buch gelesen, da wird die Premiere des „Macho Man“ als Ein-Mann-Musical angekündigt, gespielt von Tino Selbach, dem Schwager von Moritz Netenjakob. Das klingt spannend. Ich hole mir sofort eine Karte und gucke erst zwei Tage später kurz im Internet, wer Tino Selbach überhaupt ist. Mir wird ein singender Tenor im Kölner Karneval angezeigt. Oh je.

Nichts gegen Tenöre im Karneval, aber wie passen die zur liebevollen Geschichte des Macho Man? Ich befürchte Schlimmes. Wird er das Buch knödelnd in Opernarien nachsingen? Wird er durchgehend kölsch sprechen und zwischendurch Herrensitzungswitze machen? Hat Moritz Netenjakob den Kontakt zu seinem Schwager schon vor Jahren abgebrochen und führt der aus Rache jetzt dessen Bücher auf?

Das kleine Theater 509 im Kölner Bürgerhaus Stollwerck ist komplett ausverkauft und die Premiere des Ein-Mann-Musicals „Macho Man“ steht an. Auf der Bühne steht nicht viel rum. Ein Keyboard, ein Koffer, ein Hocker. Ich habe immer noch ein bisschen Angst. Habe ich eigentlich Angst vor dem Tenor oder dass jemand die schöne Geschichte kaputt machen könnte? Ist es überhaupt möglich, dem Buch in einem Ein-Mann-Stück gerecht zu werden?

Tino Selbach kommt auf die Bühne, sieht total nett aus, guckt sanft mit großen Augen, trägt ein hochgeschlossenes, sehr blumiges Hemd und startet sofort mit einer kurzen Szene aus der Mitte der Geschichte. Von dort aus springt er zurück an den Anfang und beginnt von vorne. Ein spannender Einstieg, der mich sofort mitnimmt. Ich mag Tino Selbach auf der Stelle. Ich mag seine zurückhaltende Art, sein Timing und seine Mimik – und meine Angst ist weg. Naja, fast. Erstmal abwarten, bis er singt. Ich habe gelesen, dass er ausgebildeter Tenor ist, aber das heißt ja nichts. Da gibt es solche und solche.

Kurz danach ist das erste Lied dran, „She“ von Elvis Costello. Die Musik kommt vom Band, ich erkenne die ersten Takte und halte besorgt die Luft an. Dann setzt Tino Selbach ein – und singt ganz wunderbar. Eine sanfte Tenorstimme, die natürlich klingt, sehr gefühlvoll ist, strahlen kann und überhaupt nicht knödelt. Schööön. Ich schmelze sanft dahin.

Tino Selbach erzählt und spielt die Geschichte berührend und trifft die Atmosphäre des Buches punktgenau. Er spielt klar erkennbar verschiedene Rollen, singt an den richtigen Stellen die richtigen Lieder, das Timing und die Mimik sind perfekt, die Inszenierung stimmt von vorne bis hinten, und ich sitze verzaubert davor, lache, gucke berührt und habe zwischendurch Gänsehaut, weil es so schön ist. Die Diskrepanz zwischen meinen ängstlichen Erwartungen und dem Erlebnis voller Herz und Seele könnte nicht größer sein.

Im Verlauf der Geschichte, die stark gekürzt ist, aber alles Wesentliche zeigt, wird aus dem überzeugend sanften Hauptdarsteller ein Macho. Tino Selbach zieht ein Disco-Jackett über, gelt sich die Haare zurück, nimmt eine andere Haltung ein und tanzt lässig zu türkischer Musik. Zum ersten Mal guckt er die Frauen im Publikum bewusst an, zwinkert, flirtet und ist plötzlich ein selbstbewusster Frauenaufreißer. Verblüffend und sehr klasse. Das Publikum johlt, klatscht und ist sehr begeistert.

Gesanglich gibt es sanfte Hits, Oper, türkischen Pop und Fußballhymne, was immer passend zur Situation ist, sich immer klasse anhört und mir immer gefällt. Wieso kam ich eigentlich auf den Gedanken, dass ein Tenor immer nur Arien singt? Gegen Ende begleitet Tino Selbach, beziehungsweise der Hauptdarsteller Daniel Hagenberger, sich selber am Keyboard und singt dazu das „Liebeslied“ von Bodo Wartke. Nie hat es besser zu einer Situation gepasst, noch nie habe ich es so sanft und berührend gehört und nie wurde die türkische Strophe schöner und schmeichelnder gesungen. Wunderbar.

Am Ende des Stücks gibt es viel Applaus und Standing Ovation. Tino Selbach holt seine Frau Selda Selbach auf die Bühne, die mit ihm als Schauspielerin und Regisseurin an der Inszenierung gearbeitet hat. Moritz Netenjakob sitzt im Publikum und sieht gerührt aus, seine Frau Hülya Doğan-Netenjakob ist auch da und bei mir mischen sich Daniel Hagenberger, seine Frau Aylin, der Schwager, der Autor und einfach alles zu einem emotionalen, wunderschönen Abend, der mir lange im Gedächtnis bleiben wird.

Klasse! Ein feines, wunderschönes Sahnestückchen, dessen Besuch sich sehr lohnt!