Rainald Grebe – Das Elfenbeinkonzert – 27.04.2019 – Lantershofen
Im Saal des Winzervereins in Lantershofen, einer kleinen Gemeinde oberhalb des Ahrtal mit 1400 Einwohnern, rückten Ehrenamtler des örtlichen Kulturvereins Stühle, machten den Einlass und verkauften Getränke. Die Veranstaltung mit 250 Plätzen war total ausverkauft, und ich fühlte mich gefühlsmäßig zurückgeschleudert in die Zeit der frühen Rainald-Grebe-Konzerte, als die Veranstaltungsorte Platz für 70 oder auch 150 Zuschauer hatten und viele Besucher nie vorher etwas von Rainald Grebe gehört hatten. In Lantershofen waren die meisten Plätze für Abonnenten reserviert, die regelmäßig zu den Kulturveranstaltungen kamen und nach meiner Einschätzung wenig bis gar nichts von Rainald Grebe kannten. Aber ich konnte mich auch verschätzen. Es war spannend. Und schräg. Und schön.
2016 hatte Rainald das Goethe-Institut in Abidjan an der Elfenbeinküste besucht. Die dortige Leiterin, eine Bekannte von ihm, hatte gefragt, ob er einen Workshop zum Thema „Volksmusik“ machen könne. Im Elfenbein-Konzert ging es um die Frage, was denn eigentlich Volksmusik und deutsches Liedgut war. Was brachte man als Kulturbotschafter zu Afrikanern an die Elfenbeinküste? Wie immer bei Rainald, ergab sich aus der Frage ein assoziatives Wühlen, Suchen und Blicken in alle Richtungen.
Mit Hemd, Strickjacke und Jogginghose bekleidet und mit Indianerfedern geschmückt, kam er in den Saal des Winzervereins und wuchtete einen großen, alten Koffer auf die Bühne. Einige Zuschauer guckten befremdet. Das war der berühmte Künstler aus Berlin? Und der wollte jetzt ein Konzert geben? In schlabberigen Jogginghosen?
Das Programm war eine typische Rainald-Grebe-Zusammenstellung von Erzählungen, Liedern, Wortspielereien, Albernheiten, leisen, berührenden Szenen und lauten, hektischen Ausbrüchen. Auf der Leinwand wurden Texte, Videos, aber zwischendurch auch der Techniker Franz Schumacher eingeblendet, der hinten am Mischpult saß. Er kommentierte, wurde von Rainald nach verschiedensten Sachen oder seiner Meinung gefragt und bekam nach einem angeblichen Fehler sofort die Kündigung. Das schien ihm öfter zu passieren, denn er blieb gelassen. Sehr witzig war, wenn er gespielt gelangweilt den Kopf über Textbeiträge schüttelte, während Rainald, der die Leinwand hinter sich nicht im Blick hatte, munter erzählte.
Die Mitarbeiter der weltweiten Goethe-Institute würden je nach Gefahrenlage des Ortes unterschiedlich bezahlt, erklärte Rainald, und dass Abidjan zu den Orten mit der höchsten Gefährdungsstufe gehöre. Ihm sei jedoch versichert worden, dass es da recht friedlich und sicher sei. Die Einladung zum Baden und Strandaufenthalt hätte er allerdings wegen fehlender Zeit nicht annehmen können. Rainald grinste: „Für die Konflikte in der Welt sind wahrscheinlich die Mitarbeiter der Goethe-Institute verantwortlich, die finanziell nicht heruntergestuft werden wollen.“
Bei der Frage nach Kultur und Liedgut ging es über Goethe, die Brüder Grimm und den Struwwelpeter bis hin zum Hip Hop. Der deutsche Hip Hop hatte seit der geschmeidigen Texte von „Fanta Vier“ seine Endreime verloren, wie Rainald an verschiedenen Textbeispielen aufzeigte. Uah, was waren das für plumpe, dumme Wortkombinationen in aktuellen Rapsongs der Charts! Sie verursachten nicht nur bei mir schmerzhaftes Gestöhne. Galt das wirklich als kulturelles Liedgut, nur weil es in den Charts und dementsprechend oft gehört war?
Rainald setzte ein eigenes Lied über „unsaubere Endreime“ drauf, und das Publikum sang den Refrain: „Palmöl aus Malmö“ laut mit. Tat ein bisschen weh, ging aber.
Ebenfalls inhaltlich oft daneben waren reale Städteslogans. Von „Bochum macht jung“ über „Chemnitz – Stadt der Moderne“ bis zu „Lohne lohnt sich“. „Dafür bekommen Werbeagenturen viel Geld!“, wunderte sich Rainald. Unter seiner Anleitung wurden die platten Sprüche laut mitskandiert und machten in ihrer Sinnlosigkeit, angefeuert von Rainalds großer Begeisterung, viel Spaß.
Im Elfenbeinkonzert reihten sich vermeintlich Sinnloses mit sehr schönen Liedern, Faktenvermittlung und durchgedrehtem Blödsinn aneinander. Mal sang Rainald sanft, mal plauderte er lächelnd, dann brüllte er so explosiv los, dass mir fast die Luft wegblieb. Bei mir musste ich mir keine Sorgen machen, ich mochte das sehr, aber auch im Saal war die Stimmung unerwartet klasse. Einige wenige Besucher guckten emotionslos, die anderen lachten, klatschten, hörten zu und nahmen es gut gelaunt bis schwer begeistert an. Zwischendrin saßen auch einige Fans und mehrere Leute, die zumindest ein oder mehrere Lieder kannten. Die jungen Frauen in meiner Nähe zum Beispiel „Dörte“, und sie quietschten entzückt los, als Rainald es kurz ansang.
Die untersuchte Kultur reichte über „Mittelaltermärkte“, „Morgenland und Abendland“, Selfies und Snapchat bis hin zum Darknet, das Rainald anschaulich auf großer Leinwand per Computer anklickte und dort zur teils glucksenden Freude, teils fassungslosen Verblüffung mal eben Drogen an die Adresse des Winzervereins bestellte. „So, die kommen dann nächste Woche an“, kommentierte er und schloss die Seite.
Ein Videoeinspieler zeigte, wie gut und sauber die ivorischen Schüler am Goethe-Institut deutsche Volkslieder einstudiert hatten. Sogar „Brandenburg“ von Rainald Grebe konnten sie singen. Dann zeigte ein weiterer Einspieler, wie Rainald Grebe mit ihnen zusammen „Atemlos“ von Helene Fischer sang, zweifelsfrei ein heutiges Volks-Liedgut. Scheinbar peinlich berührt saß Rainald währenddessen am Flügel und hielt die Hände vors Gesicht. Rainald Grebe, der „Atemlos durch die Nacht“ sang – das hätte ich mir vor einigen Jahren nicht vorstellen können. Aber da war er schmerzfrei. Rein wissenschaftlich natürlich.
Gegen Ende erzählte er fast beiläufig, dass die Gefahrenzulage in Abidjan schon berechtigt sei, denn Henrike, seine Bekannte, die Leiterin des Goethe-Instituts an der Elfenbeinküste, sei kurz nach seinem Besuch bei einem Attentat ermordet worden. Islamisten hätten sie und fünfzehn andere am Strand brutal erschossen.
Es war ganz still im Saal und ich dachte daran, wie Rainald vorher nett geplaudert hatte, dass er bei seinem Aufenthalt keine Zeit für einen Strandbesuch gehabt hatte. Zack, das hatte gesessen. Während alle noch betroffen schwiegen, machte er einfach weiter und wurde wieder ganz lustig. Emotionen rauf und runter. Das war das Leben. Am Ende gab es für Rainald einen „Wein aus der Gegend“ und für das Publikum mehrere Zugaben. Die Zuschauer waren sichtlich begeistert und klatschten sehr laut und anhaltend. Eventuell nicht so begeisterte Abonnenten blieben unauffällig.
Rainald verriet noch, warum er nach Lantershofen gekommen war, das wirklich ungewöhnlich klein und sehr untypisch für seine jetzigen Auftrittsorte war. Für sein Projekt am Kölner Schauspielhaus über den 1.FC Köln hatte er zur Recherche mit dem Club-Archivar zusammengearbeitet, der in Lantershofen wohnte und als Gegenleistung sehr geschickt einen Auftritt im örtlichen Kulturverein verlangt hatte. Wie schön!