Otto Waalkes – Lesung – 01.06.2018 – Köln
Mayersche Buchhandlung, Köln
Was war in den Siebzigerjahren am Tag nach einer Otto-Show auf dem Schulhof los! Die am Vorabend gesehenen Gags wurden von allen Kindern hundertfach wiederholt und hundertfach belacht. „Kleinhirn an Großhirn, Kleinhirn an Großhirn …“ Auch nach der ewigsten Wiederholung wurden sie nicht unlustig. Vielleicht ging es in den Lehrerzimmern ähnlich zu. Es ist heute kaum noch vorstellbar, wie die Otto-Welle plötzlich über das Land rollte, anscheinend jeder ihn kannte, über seine Nummern lachte oder sie sogar exakt wort- und geräuschgetreu zitieren konnte. Ich kann mich erinnern, wie ich mal vor dem Spiegel stand, meine blonden Haare nach hinten strich, breit grinste und hoffte, ich sähe aus wie Otto.
Jetzt liest Otto Waalkes, der Humorheld meiner Jugend, aus seiner frisch erschienenen Biographie „Kleinhirn an alle!“. Er wird langsam älter, aber er veraltet nicht. Im Gegenteil. Auch alle nachfolgenden Generationen haben ihn entdeckt. Durch seine wundervollen Synchronisationen von Trickfiguren ist seine Stimme sehr präsent, er macht Filme und ist live zu sehen, und wenn er gequetscht: „Hallo, Freunde!“ ruft, schallt es sofort: „Hallo, Otto!“ zurück. Dass er auch mit fast 70 noch hyperaktiv über Bühnen wuselt, ist kein bisschen unpassend oder peinlich. So ist Otto, und es ist schön, dass er so bleibt.
Der Lesungsbereich in der oberen Etage der Mayerschen Buchhandlung ist sehr voll. Als pünktlich die Tür zum Büro- und Backstagebereich aufgeht und eine Person heraustritt, reißen die wartenden Fotografen die Apparate hoch. Durch den Raum läuft ein freudiges Raunen. Einen kurzen Moment später merken alle, dass es nicht Otto Waalkes ist, der zielstrebig auf den Lesetisch zugeht, und die Fotoapparate und Handys gehen sofort wieder nach unten. Der erste Lacher – noch ganz ohne Otto.
Am Tisch nimmt Bernd Eilert Platz, Schriftsteller und Herausgeber, der schon lange mit Otto arbeitet und auch bei diesem Buch mitgearbeitet hat. Er wirkt humorvoll, aber doch seriös. In seine ordentliche Anmoderation platzt die Stimme von Otto, der noch hinter der geschlossenen Tür steht und sein Head-Mikrofon testet. Zuerst ist nicht ganz klar, ob das geplante Einwürfe sind, die er als Reaktion auf die Anmoderation sagt. Da er aber anscheinend nicht zuhört und auch nicht mitbekommt, dass er im Saal zu hören ist, ruft Bernd Eilert laut: „Man kann dich hören!“ und erklärt: „Das ist Otto Waalkes.“ Ob das nur die Erklärung für die Zuschauer oder schon die Aufforderung zum Kommen ist, weiß ich nicht. Auf jeden Fall öffnet sich sofort die Tür, Otto kommt lächelnd raus und eilt unter viel Applaus zum Lesetisch.
Freundlich und in seiner typisch schnellen, etwas abgehackten Sprechweise – (er spricht immer … in so kleinen … Wort-Inseln) – erklärt er: „Dass jemand verlangt, dass ich ein Buch aufschlage und lese, das ist für mich neu. Darum habe ich mir extra für diesen Abend einen Experten ausgesucht, der mich dabei unterstützt.“ Kurze Pause, dann säuselt er: „Der konnte aber nicht, darum ist Bernd Eilert hier.“
Die Fotografen stehen währenddessen neben und vor dem Tisch, um Bilder zu machen. Vermutlich haben sie zwei Minuten Zeit bekommen. Otto fragt scheinbar erstaunt: „Was ist denn hier los?“ und stellt sich kurz in eine Pose. „Wirkt das gestellt?“, erkundigt er sich dabei grinsend, wechselt dann aber wieder in eine natürliche Haltung.
Als die Fotografen sich zurückziehen, übernimmt Bernd Eilert die Moderation und beginnt: „Ich hab mir diesen Autoren auch nicht ausgesucht.“ Lacher, auch von Otto, der sowieso locker und gut gelaunt wirkt. Aber auch abwartend und ungewohnt entschleunigt. Es ist zu merken, dass er die ihm noch nicht vertraute Lesung gerne von Bernd Eilert leiten lässt und sich willig seiner Führung überlässt. Zumindest am Anfang. Der Moderator fragt geduldig nach, wenn Otto bei einer Antwort abschweift und drängt auch immer mal wieder zum Lesen. Das ist gar nicht so einfach. Eilert: „Warum eine Autobiographie?“ Otto: „Das steht alles in dem Buch drin.“ Eilert: „Dann lies doch mal!“ „Was denn?“ Alles in der freundlichen, harmlosen, lustigen Otto-Art, die sofort an seine Shows erinnert, aber auch ein Teil seiner Persönlichkeit ist.
Er liest kurze Passagen, was er sehr gut macht, aber ich habe das Gefühl, dass er froh ist, wenn der Abschnitt gelesen ist. Erzählen liegt ihm mehr. Das kann er zügig, kurzweilig und auf den Punkt kommend. Und wenn jemand wie Bernd Eilert neben ihm sitzt, die Fragen stellt und damit den Abend ordnet und zusammenhält, kann Otto ganz entspannt in die Geschichten tauchen. Ich finde das Erzählen gut. Lesen kann ich nachher selber.
Otto, wie er da sitzt, spricht, lacht und manchmal auch liest, ist mir seit den 70er-Jahren völlig vertraut. Seine Stimme, sein Gesicht – als würde ich ihn schon lange persönlich kennen. Tu ich aber gar nicht. Trotzdem ist er ein prägender Teil meines Lebens. Plötzlich war er damals da mit einer ganz neuen Art von Humor. Wortspiele, Geräusche und Körpereinsatz. Er war albern und unsinnig, konnte Musik machen und hatte das richtige Timing. Da stimmte alles. „Hallo, Köln!“ ruft er zwischendurch, so wie er auch früher schon in Shows gerufen hat, und „Hallo, Otto!“, ruft das Publikum sofort und in der vertrauten Weise wie schon in den Siebzigern zurück.
Jetzt sitzt er hier und erzählt aus seinem Leben. Von seiner ersten Erinnerung als er drei Jahre alt war und in einer Kindergarten-Aufführung den Puppendoktor spielte, vom Kasperletheater mit sechs, bei dem er mit Krokodil und Kasperle Timing und Dramaturgie erkannte und zwei Pfennig Eintritt nahm, und vom Gemeindeauftritt mit elf, als er mit einem Gedicht beeindruckte, das er auch sofort schnell und sicher vorträgt. Das Erzählen macht ihm sichtlich Spaß. Offen und fast wie in einem persönlichen Gespräch sprudelt es aus ihm heraus, und ich denke: „Er muss nicht groß überlegen. Er hat nichts zu verbergen.“
Er musste keine Biographie und Karriereplanung erfinden, an deren Geschichten er sich langhangeln müsste. Er wuchs behütet auf, hatte alles an Witz und Timing schon in sich, ging auf seinen Weg und es hat geklappt. Nicht von alleine, es steckt viel Arbeit und Energie dahinter, aber vielleicht kommt es ihm manchmal so vor, als hätte er gar nicht genug darum kämpfen müssen. Eins folgte dem anderen und plötzlich war er erfolgreich und bekannt. Er ist – so kommt es mir vor – bodenständig geblieben, authentisch und vor allem freundlich und sympathisch. Eigentlich zu nett fürs Showgeschäft. Vermutlich war es ein Glück, dass er früh einen Manager hatte.
Als während der Lesung das Head-Mikrofon von Bernd Eilert muckt, zeigt sich Otto sofort hilfreich und bittet freundlich zu irgendeinem unsichtbaren Team in den Raum: „Versucht doch mal, das Mikro einzustellen!“ Sanft säuselt er hinterher: „Es ist ja nicht so wichtig, aber er kann ja trotzdem was sagen.“ Als er merkt, dass kein Techniker vor Ort ist und die Buchhandlungs-Mitarbeiter anscheinend auch nicht wissen, was zu tun ist, will er seinen Kollegen erst mit in sein eigenes Head-Mikro sprechen lassen, sieht sich um und entdeckt ein für später bereitliegendes Handmikrofon. Das reicht er ihm rüber. Eine kleine Szene, die ungeplant ist und die zeigt, dass er sich kümmert und sorgt. Er achtet auf andere und ist nicht der Star, der zickt und herumscheucht.
Bernd Eilert versucht immer wieder, ihn zum Vorlesen zu bringen, doch quirlig und schnell weicht Otto in Erzählungen aus und ist schon wieder mitten in einer Geschichte. Es ist schön, ihm zuzuhören, auch wenn er zunehmend in kleine Nummern aus seinen Programmen rutscht. Die machen natürlich Spaß. Seltsamerweise wird bei den ganz alten Sachen, die viele der Zuschauer in Betonung und Timing genau mitsprechen könnten, am meisten gelacht. Die Witze veralten nicht, weil der Humor stimmt und das Timing perfekt ist. Ich weiß zwar, was gleich kommt, freue mich aber schon vorher darauf. Der eigentliche Gag ist gar nicht mehr wichtig, wenn der Rhythmus des Timings so präzise ist.
Als es um die „Rustlers“ geht, die Band, die Otto Mitte der 60er-Jahre mit Klassenkameraden gegründet hatte, und die Auftritte in ganz Ostfriesland hatte, will er gerne etwas vorspielen. „Habt ihr eine Gitarre hier?“, fragt er, auch wenn das bereitliegende Hand-Mikrofon, das jetzt Bernd Eilert hält, und ein neben dem Tisch stehender Mikrofonständer schon darauf hinweisen. Ein Mitarbeiter kommt mit einer Gitarre.
Otto: „So ein Zufall! Woher kommen Sie?“
Mitarbeiter: „Von hier.“
Otto: (höflich, sich umblickend) „Schön haben Sie’s hier.“
Die Zuschauer dürfen sich etwas von den Beatles wünschen. Natürlich kommen die üblichen Titelvorschläge wie „Let it be“ und „Hey, Jude“. Otto spielt und singt, das Publikum singt lautstark mit, und nach dem letzten Refrain von „Yellow Submarine“ strahlt Otto erfreut: „Sauber! Dankeschön! Wow!“
Während sich Otto zu Beginn der Lesung noch etwas zurückhält, ungewohnt ruhig wirkt und recht folgsam den Aufforderungen von Bernd Eilert zum Erzählen und Lesen folgt, fährt er das Tempo im Verlauf der Lesung zunehmend hoch, übernimmt wieder selber und unterhält das Publikum. Dabei hilft, dass Bernd Eilert ihm bei den Liedern das Handmikrofon überlassen muss und dadurch nicht einfach unterbrechen kann. Ottos kleine Show-Einlagen machen Spaß und ich merke, dass er sich sicherer fühlt, aber es ist trotzdem schade, weil damit die leisen Töne des privaten Otto Waalkes kaum noch zu hören sind. Das freie Erzählen über seine Kindheit fand ich berührender als die lustigen Nummern, die er bringt, auch wenn die natürlich auch mich erfreuen und zum Lachen bringen.
Nur zwischendurch wird er wieder privater, so als er über seine Bekanntheit sagt: „Viele wollen sich befreunden mit dir. Und du weißt nicht, meinen Sie DICH oder den Prominenten.“ Da blitzt es ernst durch, doch auf die Frage, ob der Erfolg ihn verändert hat, wechselt er wieder auf die Bühne. „Ja. Ich war nach der ersten Fernsehshow, die damals etwa 35 Millionen Zuschauer gesehen haben, in Köln vor dem Dom. „Da ist Otto!“ rief jemand. Alle drehten sich um. Mir war das richtig peinlich. Ich hätte doch nicht so laut rufen sollen.“
Bernd Eilert versucht hin und wieder noch in eine Richtung zu leiten, kann aber meist nur abwarten. Otto zitiert alte Sachen, singt Hänsel-und-Gretel-Variationen und trägt Wortspielereien vor. Schnell, lächelnd, säuselnd, in seiner liebenswerten, übersprudelnden Hast. Das Publikum ist begeistert. Vermutlich fühlt er sich auf dem vertrauten Terrain besser, bei dem er weiß, dass die Zuschauer genau diesen öffentlichen Otto kennen und lieben. Dabei bin ich mir sicher, dass er einen ruhigen Lese- und Erzählabend mit seiner privaten Persönlichkeit, die warmherzig und humorvoll ist, sehr gut füllen kann. Das sollte er sich ruhig mal trauen. Ich wäre sehr gerne dabei. Aber wer weiß. Es gäbe vermutlich Zuschauer, die dann klagen, dass er gar nicht so witzig wie sonst gewesen sei. Das würde ihm nicht gefallen.
Am Ende der Lesung gibt Otto noch Autogramme in Bücher, auf CDs und LPs. Warum habe ich eigentlich meine allererste Otto-LP nicht mitgenommen? Sehr gut gelaunt und mit warmem Herzen fahre ich nach Hause. Was für ein schöner Abend! Es gab viel zu lachen, es gab viele Erinnerungen, es war vertraut und zwischendurch blitzte der private Otto Waalkes durch, was mir sehr gut gefiel. Vorher habe ich gedacht, dass Otto sympathisch, freundlich, witzig, herzlich und bodenständig ist. Ja. Ist er.
Nachtrag: Vor etwa 42 Jahren, Mitte der Siebziger, habe ich einen Brief mit frankiertem Rückumschlag losgeschickt und um ein Autogramm von Otto gebeten. So etwas hatte ich vorher noch nie gemacht. Als ich tatsächlich eine Karte per Post bekam, habe ich mich so sehr gefreut. Hätte ich damals gewusst, dass ich 2018 ein Buch kaufe und mir Otto einen Ottifanten reinmalt, hätte ich das damals gar nicht … nein. Diese Freude, als ich das Autogramm – von Otto! – aus dem Umschlag nahm, spüre ich heute noch. Er war eben immer in meinem Leben dabei.