Berichte

Maybebop – Weihnachtskonzert – 07.12.2017 – Siegburg

Rhein-Sieg-Halle, Siegburg

Sie waren mutig, die vier Sänger von Maybebop, denn um ihre neue DVD zu finanzieren, stellten sie bei einer Crowdfunding-Aktion vorwiegend sich selber und ihre Zeit zur Verfügung. Neben den üblichen T-Shirts und DVDs gab es Joggingrunden mit Oliver, Basketball mit Lukas, Tennis mit Sebastian oder Golfen mit Jan zu erwerben. Auch Brettspielrunden mit allen Maybebops, ein gemeinsamer Kino- oder Bowlingabend waren zu haben, und sie kamen sogar nach Hause und kochten ein mehrgängiges Menu. Damit steckten sie nicht nur viel persönliche Freizeit in die Sache, sie gingen auch das Risiko ein, die Zeit mit nervigen, unsympathischen oder sogar unangenehmen Leuten verbringen zu müssen. Ich fand ihren persönlichen Einsatz imponierend, der immerhin dafür sorgte, dass sie die DVD-Produktion selber finanzieren und damit in den eigenen Händen behalten konnten. „Das muss ich unterstützen!“, dachte ich, wählte ein Meet and Greet, und die Maybebops mussten sich vor einem Konzert mit mir treffen und zum Soundcheck mitnehmen.

Die Aktion hatte etwas Witziges, denn wenn ich eines kannte, dann waren es Situationen vor Konzerten und Soundchecks. Wen ich nicht so gut kannte, war Maybebop. Natürlich wusste ich, wer Maybebop war, verfolgte sehr interessiert ihre Internetveröffentlichungen und hatte vor zwölf Jahren sogar ein Konzert von ihnen besucht, aber ich war kein richtiger Fan, der die „Endlich-mal-alleine-mit-ihnen“-Zeit genießen und für persönliche Fragen nutzen wollte. Trotzdem freute ich mich sehr auf den Termin. Kurz vorher guckte ich aber sicherheitshalber nach, ob ich zumindest die Namen der vier Maybebops kannte und richtig zuordnen konnte – konnte ich. Immerhin.

Zweieinhalb Stunden vor Konzertbeginn trafen wir uns in der Siegburger Rhein-Sieg-Halle. Die vier Maybebops kamen ins Foyer, ich wusste zweifelsfrei alle ihre Namen – hurra! – und der ein oder andere konnte sich auch noch erinnern, dass wir uns vor langer Zeit mal bei einem späten Afterglow mit den Wise Guys getroffen hatten. Der ein oder andere guckte beim Hinweis auf das frühere Treffen allerdings auch erstaunt und konnte sich gar nicht mehr erinnern. Es war aber wirklich schon lange her. Wir wählten Kaffee und Cappucchino, rückten Barhocker um einen hohen, runden Stehtisch, und ich stellte meine erste und einzige drängende Maybebop-Frage: „Heißt es MayBEbop oder MaybeBOP?“ MaybeBOP lernte ich, aber dass es eigentlich egal wäre. Prima, das war geklärt.

Die restliche Zeit verbrachten wir mit Plaudereien über Crowdfunding, Kinderbücher, Moderationen und den lachenden Elvis. Ich empfand die Zeit als locker und sehr entspannt, und dafür, dass wir uns gar nicht wirklich kannten, kamen mir die vier Maybebops schnell vertraut vor. Es war wirklich schön. Falls sie mich nervig, unsympathisch oder sogar unangenehm fanden, unterdrückten sie ihre Gefühle sehr gekonnt und waren vorbildliche Crowdfunding-Preis-Einlöser. Vermutlich waren aber die meisten Leute, die sich zur Einlösung ihrer Preise mit ihnen trafen, sowieso nett und brachten eher neue Anregungen und nette Gespräche als nerviges Zeitverbringen. Als ich auf die Uhr blickte, war ich erstaunt, wie schnell die Zeit vergegangen war.   

Es ging zum Soundcheck und ich setzte ich mich in den noch leeren Saal und hörte interessiert zu. Sie gingen die Konzertliste durch, indem sie alle Lieder kurz ansangen, während am Technikpult die passenden Lichter geschaltet wurden. Bei Bedarf sangen sie einzelne Stellen nochmal, wiederholten auch mal einen einzelnen Akkord oder erinnerten daran, wer beim nächsten Lied wo zu stehen hatte. Alles lief ruhig und konzentriert ab, und es war zu merken, dass sie ein eingespieltes Team waren, das gut miteinander arbeiten, aber auch gut miteinander lachen konnte. Und singen konnten sie sowieso. Ich wusste es ja, aber zu erleben, wie gut sich die Stimmen ineinanderfügten, wie lässig auch schwierige Akkorde gesungen wurden, war schon toll.

„Who wants to live forever“ wurde zu meinem Erstaunen mit festem Blick auf die Smartphones gesungen, auf denen anscheinend Text und Noten angezeigt wurden. Ich wunderte mich, dass sie Lieder, die sie vermutlich gleich singen würden, nicht auswendig konnten. Ihr Gesang hörte sich aber so sicher und sauber an, dass ich nicht wusste, ob sie sicherheitshalber nur nochmal alle Akkorde prüfen wollten oder ob das Lied wirklich neu war und sie vom Blatt, beziehungsweise Smartphone singen konnten. Ich wollte aber nicht nachfragen. Sie wirkten, als würden sie wissen, was sie tun.

Im Klang gab es viel Hall. Mir fast etwas ZU viel, aber es hörte sich immerhin weihnachtlich voluminös an. Hall war auf jeden Fall besser als ein zu trockener Klang, und so lange die Verständlichkeit nicht beeinträchtigt wurde, war alles in Ordnung. Ich überlegte noch, ob es nur VIEL Hall war oder ZU VIEL, da klangen festlich hallig und als breiter, schöner Klangteppich die ersten Töne meines Weihnachts-Lieblingsliedes durch den Raum: „Chestnuts roasting on an open fire …“ Mein Herzschlag setzte vor Freude kurz aus. Dann merkte ich, dass es auch noch eine jazzige Version war, mit wunderbaren, engen Harmonien, sehr amerikanisch. Ach, ich schmolz dahin, fand den Hall genau richtig, geradezu perfekt, lächelte verzückt und kippte langsam vom Stuhl. Nee, ich kippte nicht, aber ich hätte vermutlich erst beim Aufprall gemerkt, dass ich gekippt wäre. War das ein tolles Arrangement und so schön gesungen!    

Der Soundcheck war damit beendet, die Maybebops wünschten mir noch ein schönes Konzert und verschwanden in den Backstagebereich, und ich war nach den „Chestnuts“ schon hin und weg und konnte nicht aufhören zu lächeln. Manchmal ist es genau richtig, wenn man völlig unvorbereitet ist und von wunderbaren Sachen überrascht wird. Der Einlass begann und die große Halle füllte sich. Ich war sehr gut gelaunt und wusste, dass ich musikalisch viel erwarten durfte.

Als es im Saal dunkel wurde, klatschten die Zuschauer sofort los, auch wenn auf der Bühne erstmal gar nichts passierte. Kaum traten die Maybebops auf, gab es zum Geklatsche noch Gejubel. Ohne jede Ansage stellten sie sich auf und begannen mit … „Chestnuts roasting on an open fire“ – The Christmas Song. Ich war völlig überrascht, weil ich das erst gegen Konzertende als eine Art Höhepunkt erwartet hatte. Ach, wie schön! Diese jazzigen Harmonien! Wunderbar! Und diese schöne weiche Stimme von Jan, die fast schon ein wenig zu weich klang, beinahe kitschig wurde, aber trotzdem genau richtig für dieses Lied war. Ich schmolz noch mehr dahin als beim Soundcheck, was auch daran lag, dass das Lied diesmal nicht nur kurz angesungen wurde und darum länger dauerte. Noch mehr Zeit, um langsam hinzuschmelzen. Wie großartig!

Mit diesem Lied gleich zu Beginn des Konzertes konnte bei mir nichts mehr schief gehen. Als hätten die Maybebops gewusst, dass ich voll darauf abfahre. Selbst wenn der Rest des Konzertes grottig werden würde – wovon ich gar nicht ausging -, mit genau diesem Lied, diesem Arrangement und diesen Stimmen würden sie immer in meinem Kopf bleiben. Vermutlich lächelte ich das ganze Lied über debil vor mich hin und atmete kaum, aber wenn ich etwas so schön finde, kann ich nicht anders. Die 3-Sekunden-Pause, bevor der Applaus losging, zeigte, dass auch viele andere Zuschauer ähnlich fühlten.

Jan begrüßte: „Herzlich willkommen, Siegburg, zum Maybebop-Weihnachtsprogramm!“, und setzte hinterher: „Wir hoffen, es hilft UNS, in Weihnachtsstimmung zu kommen.“ Also ICH war schon ein bisschen drin. Mit Schlittenfahrt, einer deutschen Version der „Jingle bells“ ging es weiter, und es war locker-leicht, ein bisschen schmalzig, ein bisschen jazzig und einfach schön. Genau so geht Weihnachten.

Jan, Lukas, Oliver und Sebastian wirkten auf der Bühne nicht deutlich anders als vorher beim Meet and Greet, und kamen locker, nett und sehr natürlich rüber. Sympathisch normal. Im Gegensatz zum Gesang waren die choreografierten Bewegungen nicht exakt ausgefeilt, aber angenehm unanstrengend. Das hatte was. Natürlich war es überlegt und eingeübt, aber es wirkte wie mit Spaß und fast nebenher gemacht und war immer nur mal eine Zugabe zum Singen. Wenn man über rennende Pferdchen sang, konnte man auch eben mal ein bisschen über die Bühne hüpfen. Mir gefiel es.

Auch die Moderationen kamen ähnlich wie die Choreographien rüber. Nicht glatt gebügelt, sondern eher fröhlich spontan. Im Gespräch vor dem Konzert hatten die Maybebops etwas von Anarchie bei den Moderationen gesagt, und ich erlebte keine gezielt informativen und durchdachten Ansagen, sondern lockere Unterhaltungen, die auch mal ganz vom Thema wegspringen konnten. Es war schräg, kurz gehalten, ging hin und her und machte mir beim Zuhören Spaß. Auf der Bühne standen vier Leute, die sehr vertraut miteinander waren, auf kleine Vorgaben reagierten und nicht gleichzeitig, sondern tatsächlich abwechselnd Bemerkungen einwarfen, die das Gespräch immer wieder in andere Richtungen brachten. Ping-Pong-Reden, bei denen der Ball flitzte und nicht verloren ging.

Sebastian: „Wir sind mal wieder hier in der Gegend. Kommt ja auch nicht so oft vor.“
Oliver: „Wieso eigentlich? DU machst doch das Booking.“
Sebastian: „Ich weiß auch nicht.“
Publikum (lacht)
Lukas: „Das ist jetzt das vierte Weihnachtskonzert und jetzt wird’s endlich mit der Weihnachtsstimmung.“
Oliver (zum Publikum): „Habt ihr schon mit einem Glühwein vorgelegt?“
Aus dem Publikum: „Mit zwei!“ 

Beim nächsten Lied sollte das Publikum mitsingen und Oliver wollte die betreffende Refrainzeile vorher mit allen einüben. Als er schon Luft holte, um zu starten, stockte er, drehte sich nach hinten und fragte schnell nach: „Josef heißt er?“ „Nicht Jesus!“, kam von hinten amüsiert die Antwort, und während alle loslachten, grinste Oliver: „Wär mir fast passiert.“

„Josef, hilf mir wiegen!“, war die gesungene Zeile bei Josef, lieber Josef mein, die erst die Männer tief und dann die Frauen hoch sangen. Weil das beim Einüben so gut klappte, wurden Männer- und Frauenstimmen nochmal geteilt und es gab Sopran, Alt, Tenor und Bass. Bei der Übephase klangen die vier Publikumsstimmen voll und erstaunlich gut. Das ließ etwas nach, als dann zusammen mit den Maybebops gesungen wurde, weil es doch schwierig war, die Terz noch zu finden. Auf wen musste ich da nochmal hören? Auf Lukas? Aber was für einen Ton sang der gerade? Schnell reihte ich mich im Sopran ein, weil der Alt im Akkord verloren gegangen war. Auch der Tenor schwieg unsicher. Egal, es machte Spaß, auch zweistimmig.

Tochter Zion war wunderbar schön, mit engen Harmonien und sehr jazzig. Ach, wie toll! Schon wieder hörte ich andächtig auf zu atmen und dachte nur immer: „Wie schön! Oh, ist das klasse!“ Vermutlich atmete ich doch noch, aber nur das Nötigste. Dass Sebastian als Bass die Solo-Zeile „Hosianna in der Höhe“ als absteigende Tonleiter sang und immer tiefer wurde, obwohl das Hosianna doch oben in der Höhe war, war bestimmt kein Zufall. Wenn doch, hielt zumindest ich es für schlau ausgedacht. 

Sebastian sagte danach, er hätte das Publikum während des Liedes beobachtet, und gerade junge Leute hätten etwas angespannt gewirkt. Er überlegte laut: „Wie viel Jazz verträgt das Publikum? Wie viel Jazz verträgt ein Weihnachtskonzert?“ Ich dachte: „Wenn er genau SO ist, der Jazz im Weihnachtsprogramm, dann ist meine Antwort: VIEL!!“ Ich jedenfalls war völlig begeistert. Als Faustregel wurde von Maybebop – nicht ganz ernst gemeint – klargestellt: „Wenn es schief ist, ist es Jazz.“ Ich korrigierte innerlich, dass „schief“ von vielen gesungen werden konnte, dass das aber in den meisten Fällen kein Jazz war. Da musste man schon in den passenden Harmonien und sehr gekonnt schief singen.

Frosty, der Schneemann war wieder leichter, wobei das „leicht“ bei Maybebop nie „simpel“ war. Das war schon raffiniert, was sie sangen und es waren immer wieder musikalische Überraschungen und Wendungen dabei. Ich stellte fest, dass mir ganz egal war, dass einige deutsch übersetzte Weihnachtslieder keine besonders tollen Texte hatten, wenn sie so gut gesungen wurden. Da war die Musik wichtiger und auch viel interessanter. Dabei stand ich doch sonst so auf gute Texte! Aber auf richtig guten A-cappella-Gesang, wenn er so gekonnt arrangiert und gesungen war, eben auch.

Der alte Mann war ein Lied mit ruhiger, ernster Atmosphäre. Sebastian sang es mit seiner schönen, klaren Bassstimme, die ganz weich, aber doch kräftig war. Es wurde von den anderen mit einem wunderbar getupften, glockigen Background begleitet. Sehr, sehr schön.

Oliver brachte danach zwei Schokoladen-Weihnachtsmänner und kündigte an, sie in den Saal zu werfen. „Achtung, die sind groß!“, warnte er noch, dann flogen sie weit links und rechts in den Zuschauerbereich. „Wo sind sie angekommen?“ fragte er interessiert. Freudig meldeten sich die beiden glücklichen Fängerinnen und wurden sofort aufgefordert: „Könnt ihr beide mal kurz auf die Bühne kommen?“ Der bis dahin höflich unterdrückte Neid der Zuschauer schlug sofort in hörbar lachende Schadenfreude um.

Die beiden bis eben noch glücklichen Weihnachtsmann-Besitzerinnen sollten in einem Quiz die Refrains alter Weihnachtslieder erkennen. Lukas und Sebastian knieten sich vor die Damen und wurden zu Buzzern, die ein Buzzergeräusch ausstießen, sobald eine Quizteilnehmerinnenhand auf ihren Kopf knallte. Es gab eine kurze Diskussion über die passenden Buzzer-Frequenzen, dann durfte Sebastian weiterhin seine tiefe, eher pupsähnliche Variante erzeugen. Natürlich mit dem Mund.

Damit die Raterunde nicht ganz so einfach war, wurde rückwärts gesungen. „Mjep suon monk …“ klang es. Nicht im Wortlaut, aber gefühlt. Der Refrain endete mit „Tran“. Ich schaltete blitzschnell. „Tran“ musste ich nur andersherum drehen, dann hatte ich das letzte Wort des Refrains, von dem aus ich auf das Weihnachtslied kommen konnte. Aber häh? Tran in rückwärts hieß: „Nart“. Während ich noch grübelte, stellte sich heraus, dass es nicht „Tran“, sondern „Tchan“ mit einem Rachen-CH war, also „Nacht“. Ehe ich von ganz hinten, der „Nacht“, bis nach vorne denken konnte, wurde schon gebuzzert und die „Stille Nacht“ genannt.

Zur Kontrolle wurde von der Technik sofort eine live mitgeschnittene Tonaufnahme rückwärts abgespielt – rückwärts gesungen plus rückwärts abgespielt ist wieder vorwärts, eine Regel, die es in der Mathematik ähnlich mit zwei Minusvorzeichen gibt, dann aber anders klingt – und es stimmte tatsächlich. Der jetzt wieder vorwärts gedrehte Gesang hörte sich zwar an, als ob Vietnamesen mit Akzent „Stille Nacht“ singen, aber es war doch schön und eindeutig zu erkennen. Auch der zweite rückwärts gesungene Refrain wurde nach einer Wiederholung und längerem Überlegen erkannt, und da es zwischen den Kandidatinnen 1 zu 1 stand, kam noch ein drittes Lied dran. Lukas: „Es lohnt sich, das dritte zu singen, weil wir das am längsten geübt haben.“ In der Notenfolge war eine schnelle Stelle zu hören, die im Publikum sofort eine Pantomime mit angedeutetem Klingeln eines Glöckchens auslöste. Lukas grinste in den Saal: „Ihr macht das toll!“, während auf der Bühne eine Kandidatin erst angestrengt ins Publikum starrte, dann dankbar nickte, auf den Lukas-Buzzer schlug und „Kling Glöckchen!“ rief. Für die gesamte Nummer gab es einen Riesenapplaus, denn auf so eine schräge Idee musste man erstmal kommen. Ganz abgesehen von der gelungenen Ausführung.

Adventskalender im September war sehr madrigalisch mit sauberer, hoher Countertenorstimme von Jan, wandelte sich zwischendurch zu einer Metalversion und hatte am Ende noch einen James Bond Anklang drin. Super.

Das nächste Stück begann mit vibrierenden Tönen, die lauter wurden, bis sie ein intensives Schwingungsnetz waren. Wie ein Obertongesang. Vielleicht war es sogar einer, damit kenne ich mich zu wenig aus. Jedenfalls war es ein Kehlgesang, bei dem ich fast schon die gelben Gebetsfahnen in Tibet flattern sah. Der tiefe Bass setzte ein und ich war total fasziniert. Was für ein Klang! Es ist ein Ros entsprungen in einer ganz ungewöhnlichen Version. Als der letzte Ton leise verklang, dachte ich beeindruckt: „Puh!“ und holte endlich wieder Luft. Große Klasse! Dass ein andächtiges Weihnachtslied in so einer ungewöhnlichen Ausführung nichts von seiner Andächtigkeit verlor, sondern eher noch intensiver wurde, fand ich erstaunlich, aber es war so.

Beim nächsten Lied ging es um die Weihnachtsgeschichte. Die hatte als Basis Mary’s Boy Child der Boney M.-Version und wurde von Maybebop als Reggae gebracht, inklusive Joint, Englisch mit Jamaika-Akzent und gelb-rot-grüner Reggae-Beleuchtung.

Die Vier zogen abwechselnd an dem vermeintlichen Joint, waren sehr bekifft und sehr entspannt. „Ey, Olli, chill mal!“ Zwischendurch gab es eine kurze Ganga-Style-Einlage und alles war lustig und machte viel Spaß.

Die Endzeile „Because of christmas day …“ sollte das Publikum wieder mitsingen, was es auch fröhlich in mehrfacher Wiederholung tat. Dann sollten nur die Männer singen – es schallte tief und voll zurück -, dann nur die Frauen – es war laut und eine Oktave höher -, dann die Brillenträger – es wurde mager -, und bei den Gebissträgern, bei denen ich schon auf „Bikoosch of Krischmäsch däi“ wartete, blieb es stumm. Vermutlich konnten sie nicht singen, weil sie lachen mussten.

Es gab viel Applaus, die freundliche Aufforderung, jetzt doch mal zu chillen, und die Maybebops gingen ab in die Pause. „Das war ja mal sehr kurzweilig“, dachte ich und war sehr beeindruckt von der Qualität des Singens und den ständig wechselnden Stilen. Was die für kreative Ideen hatten! Und wie großartig sie singen konnten! Wow!

Die zweite Hälfte begann mit dunkler Bühne, auf der sich eine Lichterinsel bewegte, die hin und her flitzte, während sie durchgehend ein technisches „Miep-miep, miep-miep …“ piepte. Es stellte sich bei Licht als Jan mit Lichterreif auf dem Kopf heraus, der außerirdisch wirkte, aber irgendetwas mit Weihnachten zu tun haben musste. Als die andern drei Maybebops eng hintereinander auf die Bühne geschlurft kamen, erkannte ich es sofort: Das waren die Drei Heiligen Könige, die dem Stern folgten. Die Könige wirkten ermüdet, jammerten singend herum und ich lachte über Sätze wie: „Balthasar, wann sind wir da?“

Weise aus dem Morgenland war der passende Liedtitel, und während der Stern fröhlich winkte und gut gelaunt von einer Bühnenseite zur anderen sprang, sangen die Könige orientalisch und fragten sich, wohin es überhaupt gehen solle und wer das mit dem Stern eigentlich gesagt hatte. „Du kannst ja gerade mal Algebra!“, warf einer dem anderen vor, und der konterte: „Ich kann auch interstellar!“ „Bis wir da sind, ist längst Januar!“, nölten sie und das Publikum hatte Spaß.

Das rock’n’rollig gesungene Gans oder gar nix ging um ein Weihnachtsgans-Rezept und war textlich – nun ja, sperrig. Ich dachte mehrfach, dass sich solche Rezeptangaben nicht unbedingt geschmeidig in eine Liedzeile fügen, aber es war trotzdem lustig und musikalisch leicht und schön gebracht. Jan und Lukas sprangen einmal mit Anlauf hoch und mit den Oberkörpern gegeneinander, was für eine Weihnachtsstimmung etwas unüblich war, aber doch gerade zum Rhythmus passte. Das war „Pogo“ wurde nachher erklärt. Vermutlich machten die Maybebops das beim Gänsebraten immer so. Zwischendrin mal Pogo tanzen. Traditionell.

Für die Karaokerunde hatte sich Rabea beworben und kam groß und schlank auf die Bühne. Oliver, der zunächst neben ihr stand, bat Sebastian, den Platz mit ihm zu tauschen, sah danach aber nicht größer aus. Who wants to live forever wollte Rabea mit den Maybebos zusammen singen, und jetzt wusste ich, warum die beim Soundcheck mit ihren Smartphones in der Hand die Backgroundstimmen geübt hatten. Ui, das war schon eine riskante Sache, mit so einem Lied, einer unbekannten Leadsängerin und ohne gemeinsame Probe auf eine Bühne zu gehen. Aber risikobereit waren die Vier ja, und es klappte auch sehr gut. Rabea hatte eine warme, kräftige Stimme, und kleine nervöse Unsicherheiten wurden übersungen. Sie wurde am Ende bejubelt und mit viel Applaus verabschiedet.

Das Weihnachtswunder wurde danach leicht und schön gesungen und wirkte auf mich wie die Untermalung zu einem Film. Wie weich die Stimmen sich ineinanderfügten! Ich war nicht nur beeindruckt von der Qualität, sondern auch sehr begeistert vom Klang und den vielen abwechslungsreichen Arrangements. Gut, ich war mit hohen Erwartungen gekommen, die waren beim Soundcheck noch gesteigert worden, aber jetzt war alles noch viel besser und toller als ich mir das gewünscht hatte. 

Ohne Ansage begannen einige türkische Töne, und das Publikum jauchzte los. Es war Gummibaum, bei dem Jan mit türkisch-deutschem Akzent über seine Eindrücke vom fremdartigen Weihnachtsfest sang. „Was geht ab? Ganze Stadt sieht krrass verrränderrrt aus!“ Von gesungenen Viertel- und Achteltönen, über den Akzent, bis hin zum Hüftschwung stimmte alles. Was für ein Spaß! Am Ende gab es großen Jubel und ich merkte, dass ich breit grinste und gar nicht mehr aufhören konnte.

Beim nächsten Lied war das Publikum wieder gefordert. Sogar ziemlich viel, denn es wurde als Peter Alexander und als Knabenchor gebraucht. Schnee fällt war ein Lied von Peter Alexander auf der Langspielplatte „Wunderschöne Weihnachtszeit“. Jetzt übernahmen die männlichen Zuschauer den Teil von Peter Alexander, während die Frauen und anverwandte Stimmlagen zum Knabenchor wurden. Den Text gab es per Smartphone aus dem Internet, aber er war auch ohne diese Unterstützung einfach mitzusingen. Außerdem kannte ich das Lied seit Kindertagen und konnte es erstaunlicherweise noch auswendig.

„Schnee fällt, Schnee fällt …“, sang der Knabenchor und die Herren fragten in kräftigem Bass: „Was machen wir da?“, woraufhin die Knaben schrill wussten: „Eine Schlittenfahrt!“ Die Maybebops leiteten an, und die Zuschauer sangen laut und unerwartet gut mit, auch wenn einige nicht genau wussten, zu welchem Chor sie gehörten und somit der Knabenchor einige tiefe Bassstimmen und Peter Alexander einige hohe Sopranstimmen bekam. Am Ende der Zeilen lachten die Knaben ein herzliches, total unechtes Knabenchorlachen. Es gab mehrere Durchläufe, die immer schneller wurden und es war eine süße und herzerwärmende Mitmachidee. Danach war ich tatsächlich noch mehr in Weihnachtsstimmung.

Ganz anders war Der kleine Trommelmann. Es gab sparsames Licht, Jan und Oliver standen links und rechts unter gelbem Kegellicht, Lukas gab eine durchgehende, mittellaute Trommler-Mouthpercussion und lief dabei unablässig einen Kreis, in dessen Mitte Sebastian stand und die Leadstimme sang. Aus „The little drummerboy“ mit dem vertrauten „Parapapampam … “ wurde eine eindringliche, fast mystische Rhythmusnummer. Klasse.

Bei der Impro wurden vom Publikum zu verwendende Wörter vorgeschlagen und eine musikalische Richtung gewünscht. Bei der Frage: „Welche musikalisch Rich… ?“, ertönte aus einer Saalecke sofort laut und mehrstimmig: „POLKA!!“ Jan lachte: „Hab ich was verpasst?“ und wirkte amüsiert. Der Polka wurde aber zugestimmt. Bei der Impronummer waren bei vielen Konzerten schon legendäre Spontanlieder entstanden. Ich freute mich sehr auf diesen Programmpunkt, bei dem es diesmal um die GroKo (Große Koalition), Glühwein, Leberwurst, Poledance und Tagezeitung gehen sollte. Alles spontan getextet und als Polka gesungen.

Es war dann nett, aber nicht der Knaller. Einzig Frau Merkel, die an der Stange tanzte, um Schulz zu beeindrucken, brachte spontan ein gutes Bild in den Kopf. Die Impro hatte es also schon besser gegeben, aber ich fand das nicht tragisch. Nicht bei jedem Konzert konnte sie knallermäßig ausfallen und nach einigen textlichen Sensationen lag die Latte auch viel zu hoch. Damit mir zu GroKo, Glühwein und Poledance etwas eingefallen wäre, hätte meine spontane Reaktionszeit vermutlich mehrere Stunden betragen müssen. Und da wäre dann noch keine Polka dabei gewesen.

Damit der weihnachtliche Teil im Weihnachtskonzert nicht zu kurz kam, schlugen die Maybebops vor, alle restlichen Weihnachtslieder in fünf Minuten zu singen. Schon alleine diese Idee fand meine sofortige Zustimmung. Es wurde ein wunderbares Weihnachtslieder-Medley daraus, bei dem die schönen und auch stilistisch sehr abwechslungsreichen Stimmen gut zum Ausdruck kamen. „Aaah!“, seufzte das Publikum immer wieder erfreut auf, wenn ein weiteres, vertrautes Lied zu hören war. Also quasi alle zwanzig Sekunden. Sogar „Last christmas“ war dabei, und ich gehöre zu den wenigen Menschen, die sich immer noch freuen, wenn es im Dezember im Supermarkt gedudelt wird. Ehrlich.

Beim im Medley angesungenen „White christmas“ schlängelte sich Oliver schmachtend an Lukas herankam, der zuerst skeptisch guckte und dann lachen musste, als ihm Oliver die Basecap vom Kopf zog. Das ganze Medley war schön und lustig und dazu auch noch herzberührend. Alles zusammen großes Kino!

Ich überlegte kurz, ob es möglich wäre, die vier Maybebops zum Singen unter meinem heimischen Weihnachtsbaum zu buchen, wo sie dann ein einstündiges Weihnachtslieder-Medley und mehrfach die „Chestnuts“ singen konnten, vermutete aber, dass das nur gegen die gesamte Kostenübernahme einer kompletten DVD-Produktion möglich wäre. Hach, schade, es wäre einfach zu schön!

Als Rap kam Morgen, Kinder, wird’s was geben daher und war der Hammer. Kurzzeitig konnte man glauben, dass das Lied schon immer ein Rap gewesen war und erst später ein Weihnachtslied wurde. Im gerappten Text hieß es: „Morgen, Kinder, wird’s was geben, Dicka!“ und „Morgen werden wir uns freu’n, yeah!“ Lässig und punktgenau gebracht. 

„Wir sind aktuell im letzten Stück des Abends“, sagte Jan und das Publikum reagierte vorbildlich mit einem Enttäuschung ausdrückenden, langen: „Oooooh!“ Er tröstete: „Ihr werdet das schon unnötig zu verlängern wissen“, und sah einem einzelnen, hellen Papierschnipsel nach, der sich über der Bühne gelöst hatte und nun langsam zu Boden schwebte. Er war wie eine einsame Schneeflocke und passte perfekt zum Weihnachtsprogramm. Alle verfolgten den Fall der kleinen Flocke und wurden ein wenig besinnlich. Aber mit der Ruhe war es gleich wieder vorbei, denn es gab viel Gescratche von Jan und Lukas, die das auch ohne Platte und Scratchpult täuschend echt konnten. Mit Quietschen, Knarzen und Rückwärtsscratchen. Super.

Einschub: In meinen Notizen steht kein Wort darüber, welchen Titel „das Lied mit dem Scratchen“ hatte. Laut Songlist gab es da nicht mal ein Lied. Eventuell gehörte der Teil dann doch noch zu „Morgen, Kinder, wird’s was geben“. Oder ich habe mir das Scratchen eingebildet, weil ich den Maybebops in meiner Begeisterung inzwischen alles zutraute.

„Und jetzt alle aufstehen!“, wurde das Publikum gegen Ende des Liedes aufgefordert, sprang von den Sitzen und bewegte sich im Rhythmus mit. „Geil! Alle stehen“, rief Lukas am Schluss, mit Blick auf die stehenden und applaudierenden Zuschauer, erfreut aus.

Unter dem jubelnden Klatschen der Zuschauer verbeugten sich die Mabebops und gingen ab. Natürlich blieben sie nicht lange weg, sondern wurden vom lauten Klatschen und Pfeifen des begeisterten Publikums zurückgeholt.

Als amerikanisches Countrylied gab es Oma wurd‘ gerammt von einem Rentier. Nicht nur das Intro stimmte mit einer Art Mollversion von „Jingle Bells“ weihnachtlich ein, auch das Wort „Rentier“ brachte in der ersten gesungenen Zeile sofortigen Bezug zu Weihnachten. Dass die Oma brutal gerammt wurde, konnte dabei glatt überhört werden. In lässiger Cowboyhaltung, die Hand am imaginären Gürtel, sang Lukas die Leadstimme und hatte dabei leichte Country-Schluchzer drin. Die hätten von mir aus gerne noch ausgeprägter sein können. Auch hin und wieder ein kräftiges „Yiehaaa!“ im Hintergrund hätte mich erfreut, aber zusammen mit den Linedance-Schritten war es klasse und ich fühlte mich wie im weihnachtlichen Texas. Oder eben so, wie ich mir Weihnachten in Texas vorstellte.

Es gab langen Applaus, und ich dachte, dass das Programm bald vorbei sein würde und ich nicht ein Mal das Gefühl gehabt hatte, etwas doppelt zu hören. Was für eine Bandbreite! Vermutlich gab es einen großen Ehrgeiz, immer wieder etwas Neues und Unerwartetes zu machen. Sehr klasse!

Der musikalische Jahresrückblick, den die Maybebops seit einigen Jahren machten und der ein Medley mit kurzen Ausschnitten aus den Charthits des Jahres war, hieß nicht mehr „Musikalischer Jahresrückblick“, sondern zeitgemäßer Flashback 2017. Das Publikum wurde gebeten: „Lasst es uns wissen, wenn ihr das Lied erkennt!“ Einschränkend wurde gewarnt: „Es ist schwer für Über-Dreißigjährige“, was von den Zuschauern mit empörtem Grummeln kommentiert wurde. Der Hinweis: „Nicht melden wie in der Schule, sondern macht was Flippiges! Überrascht uns!“, wurde aber befolgt, indem bei jedem neu angesungenen Lied kurzes Gekreische oder freudiges Juchzen kam.

Es war so klasse! Völlige Stilwechsel, ganz andere Stimmfarben, großartig gesungen. Ich kannte jedes Lied, hätte aber bei kaum einem sagen können, wie es hieß oder wer es im Original sang. Das lag aber an mir und nicht an Maybebop, die es einfach toll machten. Ich war noch mehr beeindruckt als vorher, auch wenn mir das kaum möglich schien.

Als das Medley mit dem letzten Ton ausklang, dachte ich sofort, dass ich das noch hundert Chartausschnitte länger hätte hören können. Mit größtem Vergnügen. Diesmal sprangen die Zuschauer ohne „Steht alle auf!“-Aufforderung von alleine hoch und gaben echte Standing Ovation.   

„Eins haben wir noch“, sagte Sebastian und setzte hinterher: „Ist aber nicht so bumsfallera.“ Ein neues Weihnachtslied hieß es und war ohne Tanz und Mouthpercussion ein wunderschöner, vierstimmiger A-cappella-Gesang. Die Zeile „Ein neues Weihnachtslied, das ein unfassbares Gefühl in schlichte Worte fasst“, gefiel mir besonders. Weihnachten. Normalerweise packte mich das nicht, aber ein unbestimmtes Gefühl war am Ende des Konzertes tief in mir und ich hatte so etwas wie Weihnachtsstimmung. Friedlich, warm, lächelnd. Wie schön! Was für ein wunderbares Konzert!

Im vollen Foyer sangen die Maybebops noch Ich seh dich, auch sehr berührend und schön.

Als ich nach Hause fuhr, hatte ich zwei DVDs, eine Weihnachts-CD, ein beständiges Lächeln und eine große innere Freude dabei. Vor zwölf Jahren hatte ich ein Maybebopkonzert besucht und da hatte mir bei manchen Liedern eine fünfte Stimme gefehlt. An diesem Abend hatte sie mir nie gefehlt, ich fand es immer genau richtig. Es war ein total schönes und unbedingt lohnenswertes Konzert. Und es bleiben nicht nur die „Chestnuts“ im Herzen. Die aber ganz besonders.

The Christmas Song
Lustige Schlittenfahrt
Josef, lieber Josef mein
Tochter Zion
Frosty, der Schneemann
Der alte Mann
Adventskalender im September
Es ist ein Ros entsprungen
Mary’s Boy Child

Weise aus dem Morgenland
Gans oder gar nix
Weihnachtswunder
Gummibaum
Schnee fällt
Der kleine Trommelmann
Weihnachtslieder-Medley
Morgen, Kinder, wird’s was geben
Oma wurd‘ gerammt von einem Rentier
Flashback 2017
Ein neues Weihnachtslied

Ich seh dich