Wise Guys – 18.02.2017 – Schützenhalle – Fröndenberg … mit Wehmut
Fröndenberg im Sauerland war etwas Besonderes, denn 1995 hatten die Wise Guys dort ihr erstes Konzert außerhalb von Köln gegeben, das mit 40 Besuchern als respektabler Erfolg galt. Vor 12 Jahren, 2004, gaben die Wise Guys ihr letztes Konzert in Fröndenberg. Die Veranstaltungsorte dort waren zu klein geworden beziehungsweise sie waren gleich geblieben, während die Zuschauermenge der Wise Guys enorm gewachsen war. Als die Wise Guys vor zwei Jahren auf einer Kirchentour waren, gaben sie dann doch noch ein aller-letztes Konzert in einer Fröndenberger Kirche. Jetzt, im Februar 2016, waren sie auf ihrer Abschiedstour und gaben das aller-aller-letzte Konzert. Und weil der Andrang so groß war, gleich noch eins, das aller-aller-aller-letzte.
Innerhalb von 12 Jahren drei letzte Abschiedskonzerte der Wise Guys, eines davon sogar an zwei Tagen nacheinander, das konnte nicht jede Stadt vorweisen. Aber nicht jede Stadt hatte Frank Schröer, der für „Kultur für Uns“ schon vor 21 Jahren die Wise Guys für 40 Zuschauer geholt hatte und jetzt eine zweimal mit jeweils 700 Zuschauern ausverkaufte Schützenhalle präsentieren konnte.
„Ganz nah dran“ stand auf den Eintrittskarten, aber es wurde nicht erläutert, an was. Und so waren die Zuschauer in den letzten Reihen der großen Fröndenberger Schützenhalle eher ganz nah dran an der langen Theke, die fast über die gesamte Breite der Rückwand lief, dafür relativ weit weg von den Wise Guys. Vermutlich hielt Fröndenberg nicht nur den Rekord der häufigsten Wise Guys-Abschiedskonzerte, sondern auch den der längsten Theke. Überhaupt und weltweit. Oder zumindest in Schützenhallen. Ich fragte mich, ob die Größe der Theke den Ausmaßen der Schießanlage entsprach, oder ob es ganz klare Prioritäten gab, traute mich aber nicht, das zu fragen.
Da die Wise Guys schon am Vorabend das aller-aller-letzte Fröndenberg-Konzert in der Schützenhalle gegeben hatten, war der Soundcheck für das nun wirklich aller-aller-aller-letzte Samstagkonzert nur kurz. Ein bisschen ansingen, eine längere Stelle durchproben – fertig.
Unmittelbar danach konnte der Einlass beginnen, der trotz der freien Platzwahl auffällig ruhig und entspannt ablief. Die bodenständigen Sauerländer rannten nicht hektisch rein und drängelten um die besten Plätze, sie spazierten entspannt durch den Saal, guckten sich um, unterhielten sich und setzten sich dann irgendwo hin. Entweder saß man näher an den Wise Guys oder näher an der Theke, alles gut. Die Akustik sollte in der Mitte sowieso am besten sein.
Der Saal füllte sich stetig. Da sich ganz viele Leute kannten, gab es ein recht lautes Stimmengewirr, das voller Energie und guter Laune war. Und trotzdem war die Atmosphäre nicht nur übersprudelnd freudig, an allen Ecken waren Gesprächsfetzen zu hören, in denen es um den Abschied der Wise Guys ging, seit wie vielen Jahren man Konzerte besuchte und dass die Kinder damit groß geworden waren. Dass damit jetzt Schluss sein sollte, war schade und manchmal fast unverständlich.
In der Halle wurde es warm. Kurz vor Konzertbeginn hätten schon alle Fenster aufgerissen werden müssen, um mal frische Luft zu holen, aber es gab gar keine Fenster. Stattdessen kam Frank Schröer auf die Bühne und forderte die Zuschauer heraus: „Das lief gestern so gut, ich weiß nicht, ob das zu toppen ist!“ Na, das wollen wir doch mal sehen!, antwortete ein dicker Applaus.
Er erzählte kurz vom ersten Konzert 1995, fand es „schon ziemlich cool“, dass die Wise Guys ihn gefragt hatten, ob sie zur Abschiedstour nochmal in Fröndenberg vorbeikommen können und endete mit der Aufforderung an das Publikum: „Lasst alles raus! Zeigt ihnen, dass sie einen großen Fehler machen, dass sie jetzt aufhören!“ Am Applaus war zu hören, dass ihm zugestimmt wurde.
Mit Riesenjubel wurde die Wise Guys empfangen und starteten sofort mit Showtime. Ach, so ewig vertraut und dazu ein schöner Klang, super! Ich grinste von ganz alleine und freute mich. Die Liedauswahl für „Das Beste aus 25 Jahren“ war zwar traurig, weil es eine Zusammenstellung für die Abschiedstour war, aber auch schön, weil es so viele „Oldies“ gab, die früher, in meiner aktiven Zeit, die spannenden „neuen Songs“ waren.
‚Showtime‘ mochte ich schon immer sehr, und ich schreckte aus meinem wohligen Zuhören erst hoch, als von den „Fünf Autobahnmatrosen ohne Kapitän“ gesungen wurde: „Nils-Sari-Björn, Eddi und Dän …“ Ups! Ach ja, die Namen hatten sich geändert. Da war ich in meinen Gehirnspeichern noch in der alten Zeit. An der Textstelle „heut simma hier!“, an der ein Publikum normalerweise laut aufjubelte, blieb das vorher so motiviert erschienene Fröndenberg ruhig. Ein bisschen wie bei der Einlass-Situation. Erstmal gucken und nichts überstürzen!
Bei den Wise Guys ging es sofort mit Mädchen, lach doch mal weiter. Nils sang die Leadstimme, der Klang war sehr schön und voll, das Licht prima, das Publikum klatschte in den Refrains mit, und am Ende gab es großen Jubel. Na, also. Die Wise Guys grinsten breit und zufrieden.
„Voll freundlich“, kommentierte Dän und ich musste lachen, weil das eine für ihn ungewöhnliche Wortwahl war. „Das fängt sehr gut an, heute Abend. Der Begrüßungsapplaus war doppelt so lang wie gestern.“ Er blickte in Richtung der Theke am anderen Ende des Saales und freute sich: „Heute sind zwei Kühlschränke an, gestern war es nur einer“. Dann setzte er schnell in die gleiche Richtung hinterher: „Ruhig anlassen! Wir singen auch für Kühlschränke!“
„Es gibt viele Lieder heute, die trotz der Abschiedstour überwiegend heiterer Natur sind. Wir machen Schluss, aber mit lustig.“ Hach, was liebte ich diese Ansagen! Dän kündigte an, dass es im Programm zwei Lieder geben würde, von denen eines durch Zufall und das andere durch eine Abstimmung spontan gewählt werden würde. „Es gibt eine demokratische Wahl hier im Schützen… „, er stockte und ergänzte nach kurzem Überlegen: „…saal“, was fröhliches Gelächter in der Schützenhalle auslöste.
Bei Ruf doch mal an wurde vom Publikum mitgeklatscht und der Refrain mitgesungen. Die Stimmung war sehr gut, alle wollte ein letztes Mal die Wise Guys erleben und waren aufmerksam und freudig dabei. Am Ende wurde laut „Nananana …“ mitgesungen und dann kräftig applaudiert.
Björn kam nach vorne, guckte ernst und sagte mit seiner seriösen, wunderbaren Radiosprecherstimme: „Ich bin enttäuscht.“ Er wies auf die vorderen Reihen: „Gestern stand die erste Hälfte der linken Seite!“ Ui! Es schien, als wären die Zuschauer des Vorabends besser gewesen. Da musste also noch mehr Begeisterung gezeigt werden.
Die nächste Nummer wurde mithilfe des Zufallsgenerators ausgesucht. Nils brachte als Nummerngirl eine große Tafel mit sechs aufgelisteten Titeln und Björn las sie sorgfältig nacheinander vor. Kaum hatte er den letzten Titel gesagt, brüllte eine Männerstimme aus dem Saal: „Genau in DER Reihenfolge!“, was einen Applaussturm losbrechen ließ und die Wise Guys zum Lachen brachte.
Björn schüttelte vorwurfsvoll den Kopf: „Das hätte man sich verdienen müssen. Wenn die Hälfte gestanden hätte …“ Sofort sprangen viele Zuschauer auf, so dass tatsächlich etwa die Hälfte stand. Björn guckte streng: „Ihr seid ganz schöne Schleimer!“
Tourmanager Jan kam mit dem Zufallsgenerator auf die Bühne, der ein großer roter Würfel war und nach erstaunlich vielen Umdrehungen endlich liegen blieb und die 5 und damit das Sägewerk zeigte. Sofort wurde laut gejubelt, die Zufallswahl schien zu gefallen, auch wenn ich ja sehr auf die 3 mit den wunderbaren Comedian Harmonists gehofft hatte. Egal, Sägewerk war auch gut. Großartig von Nils, wie er den nicht einfachen, weil oft nur in Kleinigkeiten veränderten Text in hohem Tempo singen konnte, dazu eine witzige Choreografie, viele markige Uffs – ich fand es, wie immer, klasse. Fast so gut wie die Comedian Harmonists. Ich konnte mich nicht beklagen.
Nach dem lauten Endapplaus blickte Dän in den Saal und sagte: „Jetzt ist nur noch der rechte Kühlschrank an“, was, weil es so unerwartet kam, gleich wieder Gelächter auslöste. Er erzählte, dass Frank Schröer die Wise Guys damals in Köln kennengelernt und zu einem ersten Konzert geholt hatte. „Frank hat damals was bei uns gehört, das niemand sonst gehört hat.“ Er grinste: „Es ist vielleicht auch fehlende Musikalität gewesen.“
Dann berichtete er, dass sie in Fröndenberg im ‚Hotel am Park‘ übernachtet haben, neben dem gerade das ‚Neue Hotel am Park‘ gebaut wurde. „Gerüchten zufolge wird daneben demnächst das ‚Neueste Hotel am Park‘ gebaut.“ Außerdem beklagte er, dass neben dem Hotel morgens um 7 Uhr die Kirchenglocken „wie blöde“ klingeln würden. „Kein Wunder, wenn sich die jungen Menschen dem Islam zuwenden.“ Häh? Ich grübelte, ob dann nicht eine Moschee dort stehen und anstelle der Glocken ein Muezzin Krach machen würde. War ich zu blöd für den Witz oder war der Witz zu blöd?
Im Programm sollte es weitergehen mit „dem ersten Wise Guys Song, der auf Witz und Humor verzichtete“, wie Dän erklärte, woraufhin aus der zweiten Reihe ein ununterdrückbarer weiblicher Lachanfall zu hören war. Dän blickte in Richtung des Quiekens und Luftholens und sagte: „Oh je.“ Das Lachen ging weiter. Ich vermutete kurz, dass die junge Frau die Islam-Bemerkung als einzige verstanden hatte und die tatsächlich witzig war. Vielleicht hatte sie aber auch die Kirchenglocken geläutet. „Ist alles OK?“, fragte Dän besorgt und schlug vor: „Ich mach mal kurz Pause, es wird jetzt ernst.“ Alles lachte los und die junge Frau beruhigte sich zum Glück wieder.
Es folgte Wie kann es sein, das eines meiner Lieblingslieder war und vor Freude einen etwas schnelleren Herzschlag bei mir auslöste, auch wenn an diesem Abend die Harmonien nicht immer ganz sauber gesungen waren und alle Stimmen erst gegen Ende ein eng verwobenes Miteinander fanden. Hatte ich in den vergangenen Jahren schon schöner gehört, ich freute mich trotzdem sehr.
Gleich danach ging es mit Engel weiter, bei dem ich versuchte, mich nur auf die Musik zu konzentrieren, die mir sehr gefiel, und erfreut auf die manchmal wie Heiligenscheine strahlenden Scheinwerfer zu blicken. Mit dem Text und den Engeln habe ich meine persönlichen Probleme, die vielleicht Anstellerei sind, aber ist ja egal. Ist inhaltlich einfach nicht mein Lied. Ich fand zumindest schön, dass viele der Zuhörer sich angesprochen fühlten und in leichte Schunkelbewegungen versetzt wurden.
Sari machte eine Moderation und lobte Björn, der bei seinem Beginn bei den Wise Guys 30 Songs in 5 Wochen lernen musste. „Text musste er nicht viel lernen, aber in Tönen und Choreographien war er ganz groß“, sagte er und betonte dabei das „groß“, was im Gegensatz zu Björns eher kleinerer Körpergröße stand. Björn lachte gespielt und schlug sich mit vorgetäuschter Freude in Zeitlupe auf den Oberschenkel. Ha. Ha. Ha.
Kleine Männer war Björns Lied. Das Publikum klatschte vorbildlich auf die 2 und die 4, Björn machte zwischen den gesungenen Zeilen lässige Zwischenbemerkungen, die Zuschauer lachten immer wieder auf, und ich dachte, wie fast immer, wenn ich Björn sah: „Coole Sau!“, was ein hohes Lob ist und nichts mit verfrorenem Borstenvieh zu tun hat. Manche Leute sind von Natur aus cool und müssen diese Lässigkeit nicht spielen, so was mochte ich. Als Björn die Zeile sang: „Kleine Männer können sogar Bass der Wise Guys werden“, gab es großen Jubel in der Schützenhalle, am Ende des Liedes dann sowieso.
Eddi verriet, dass Sari früher gerne zur Begeisterung des Publikums einen Hüftschwung gemacht hätte, den aber inzwischen nicht mehr machen wolle. Er nickte: „Das hat was Gutes, es sieht nämlich scheiße aus.“ Sofort begann die Powerfrau, Sari fegte über die Bühne, was ein Wortspiel war, denn er fegte gar nicht. Aber er warf sich dann tatsächlich nur in Pose, ohne die Hüften kreisen zu lassen. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass der Powermann etwas an Tempo verloren hatte. Er sprintete nicht mehr gehetzt über die Bühne, sondern ging alles etwas langsamer an. Andererseits, bei so langer Haushaltstätigkeit blieb nicht aus, dass der Schwung etwas verloren ging.
Ohne Ansage ging es mit Wo der Pfeffer wächst weiter, ein Lied, das ich immer schon klasse fand. An der Textstelle „Manchmal träum ich, du wärst hier …“ ergänzte Dän grinsend „Im Hotel am Park“, was mit Gelächter aufgenommen wurde.
Am Ende gab es großen Jubel und viel Applaus, und den nächsten Applaus sofort, als der folgende Titel genannt wurde: Die wahren Helden. Die Musik erinnerte sehr an James Bond, was gewollt war, und es klang klasse. Großartig!
Dän erzählte ein bisschen über die neue CD mit 40 besten Liedern, und außerdem viel über das Hilfsprojekt Misereor, dessen Projekte in Indien und Afrika und wie die unterstützt werden konnten. Am Ende zeigte er eine Jutetasche von Misereor, auf die auch ein Wise Guys Schriftzug gedruckt war, und versprach, dass es diese Tasche in der Pause am Misereorstand geben würde für die Leute, die sich als 2-Euro-Spender anmeldeten. „Da kann dann auch gleich die gekaufte CD rein“, schlug er grinsend vor, steckte die CD in die Jutetasche und warf beides einem Mädchen in der ersten Reihe zu. Die freute sich. Dän wechselte das Thema: „Wenn man morgens um 7 Uhr von Kirchenglocken geweckt wird, denkt man sich: Es ist nicht immer leicht.“
Damit war elegant der Bogen geschlagen zum nächsten Lied, das passend Es ist nicht immer leicht hieß. Sari sang, dass er gerne Brad Pitt mit Angelina wäre, und vermutlich dachte nicht nur ich: „Wer will jetzt noch Brad Pitt sein?“, wo doch gerade der Scheidungskrieg lief. Da hatte sich das Lied im Laufe der Zeit überholt. In zehn Jahren werden viele Zuhörer vermutlich denken: „Wer ist denn Brett Pit? Und was ist eine Anscheliena?“ Immerhin machte Sari plötzlich doch einen seiner legendären Hüftschwünge, aber der kam jetzt so unerwartet, dass er nur mittelgut bejohlt wurde. Die anderen Zuschauer überlegten vermutlich erstaunt: „Hatte Eddi nicht eben gesagt, dass er das nicht mehr machen will?“, und dann war es zu spät.
Nach dem Lied erklärte Björn mit seiner Stimme, die es immer sofort amtlich und seriös machte, was ein schöner Gegensatz zum Inhalt sein konnte: „Dän hat so schön und ausführlich über Misereor und den Misereorstand berichtet, und jetzt erfahren wir erst, dass heute keiner da ist.“ Dän guckte bedröppelt, das Publikum lachte fröhlich auf. „Wir werden bis zur Pause schon irgendetwas organisieren“, versprach Björn.
Dann sprach er über die Pläne der Mitglieder, nach dem Ende der Wise Guys. Ich fand es sehr geschickt, dass er es stellvertretend für alle übernahm, denn er war der „Neue“ und darum relativ neutral und seine ruhige Stimme vermittelte eine seriöse Distanz, die etwas von der Emotionalität nahm, die hinter den Erklärungen lag. Eine kluge Lösung, trotzdem eine für mich gar nicht angenehme Situation.
Ich war völlig realistisch, aber ich wollte nicht hören, dass sie sich trennten und auf verschiedenen Wegen weitergingen. Vor allem nicht schon jetzt. Ich wusste es, das reichte mir. Am liebsten hätte ich bis zum Sommer die Wise Guys gehabt, dann ein Abschiedskonzert, bis zu Beginn des neuen Jahres Ruhe und ab dann eben völlig neue Sachen. Aus markttechnischer Sicht wäre das natürlich total blöd, aber es war auch nicht schön zu merken, dass sie zwar noch Wise Guys waren, parallel dazu aber schon in den neuen Richtungen aktiv waren. Das war wie ein Arbeitskollege, der gekündigt hatte, zurzeit noch nebenan am Schreibtisch saß und davon erzählte, was er demnächst bei der neuen Stelle machen würde. Ich mochte dieses Gefühl nicht, wenn jemand nicht mehr hundertprozentig bei einer Sache schien, sondern schon auf die nächste guckte. Aber wer weiß, vielleicht war genau dieses unangenehme Gefühl für mich wichtig, um zu erfassen, dass es nicht wie bisher weitergehen würde, sondern ein endgültiger Abschluss der Zeit mit den Wise Guys bevorstand. Aber es tat unerwartet weh.
Björn erläuterte die Pläne nach dem Ende der Wise Guys und begann: „Was passiert nach dem 16. Juli 2017? Das Leben geht weiter.“ Das Publikum klatschte freudig zustimmend über diese positive Aussage und Björn zog die Augenbraue hoch und kommentierte freundlich: „Danke, aber davon sind wir sowieso ausgegangen.“ Dann erklärte er, dass Sari zunächst Hausmann und Vater sein würde und seiner Frau, die ihm 25 Jahre lang den Rücken frei gehalten hatte, jetzt auch mal den Rücken frei hielte. „Eddi hat keine Lust zum Staubwischen und kehrt zurück zur Bühne. Er hat dann eine Gitarre, eventuell ein Keyboard, einen Flügel und eine Loopstation. Ganz konfus, aber total schön.“
„Die anderen drei“, damit meinte er sich, Nils und Dän, „sind ab Januar 2018 als A-cappella-Quintett unterwegs, also fast genau so wie die Wise Guys, heißen aber Alte Bekannte.“ Er gab die neuen Webseiten von Eddi und den Alten Bekannten durch, und ich dachte: „Und Sari? Er hat dann keine Hausmann-Seite?“ Es tat mir plötzlich weh, die vier anderen Wise Guys so stumm, ernst und abwartend auf der Bühne stehen zu sehen. Die Zukunft war offen, was spannend sein konnte, aber auch Ängste auslöste. Wer würde seine Fans mitnehmen können, würden sich die Pläne als erfolgreich erweisen, war das Ende der Wise Guys der Anfang für etwas schönes Neues?
Es war ja nicht so, dass sie einen lockeren Karrieresprung in eine noch erfolgreichere Band machten, sondern sie begannen neue Projekte, die erstmal aufgebaut werden mussten. Die Trennung, die Auflösung einer erfolgreichen Gruppe nach so vielen Jahren und die ungewisse Zukunft machte ihnen allen zu schaffen, das war zu sehen. Einzig Björn, der für ein Jahr mit den Wise Guys seinen vorherigen Job aufgegeben hatte und jetzt doch eine Verlängerung vor sich hatte, konnte sich locker freuen.
Dän übernahm die Anmoderation. „Der nächste Song stand lange auf der schwarzen Liste.“ Es war der Ohrwurm, und zuerst sang Clemens die Leadstimme und verließ etwas später die Wise Guys, danach geschah das Gleiche mit Ferenc. „Auf diesem Lied liegt ein Fluch“, sagte Dän, „darum singt jetzt jeder einen Teil der Melodie.“ Die Zuschauer jubelten vorfreudig und ich dachte: „Och, nö“, weil ich den Ohrwurm noch nie ganz toll fand. Schon witzig, aber er wird so oft als typisches Wise Guys Lied genannt und dafür ist er mir echt zu simpel.
Erstaunlicherweise tupften die Akkorde wunderschön leicht durch den Saal, alles klang luftig und schön, und plötzlich hatte ich Spaß. War doch gar nicht so schlimm. Und weil die Wise Guys im Endapplaus zur Pause abgingen, wurde auch gar nicht erst in lauten Publikums-Chören der Refrain gesungen. Was für ein Glück!
Die Pause endete mit dem Erlöschen des Saallichtes und überraschte damit einige Zuschauer, die noch gar nicht wieder auf ihren Plätzen saßen. Auf der Bühne rappten „Aggro Hürth“ den Hamlet, und ich fand es optisch total nett, dass im Hintergrund Björn mit hellem Hemd und Fliege stand. Das war so schön unpassend, dass es einen hohen Komikfaktor hatte. Als wäre ein Musterschüler plötzlich in die Bronx geraten.
Das Publikum ging begeistert mit und klatschte am Ende laut los als Soulsprotte rief: „Macht ma Läääärm!“ MC Deutschmakk, der eine ganz leichte Ähnlichkeit mit Sari aufwies, erzählte, dass sie „vollkommen weg vom Fensterbrett“ gewesen seien und berichtete über ihren Pommes-Anbau in einem „Strebergarten“. „Lach nisch!“, rief er ins Publikum, das Spaß hatte. Dann sagte er das zweite Lied des Aggropella-Duos an: „Es geht um was ganz ähnliches wie die Kartoffel. Es geht um die Liebe“. Es gab Nur für Disch mit ausgeprägtem rheinischen SCH. Der korrekt fliegenbekleidete Björn machte einen korrekten Bassrhythmus dazu.
Während MC Deutschmakk und Soulsprotte kurz verschwanden und wenig später Sari und Nils wiederkamen, wurden Hocker auf die Bühne gestellt, die nach Däns Aussage zum Groove der folgenden Ballade passten, aber auch zu Björn, der „unbedingt einen Song mit uns auf Augenhöhe singen möchte.“
Es gab Mit besten Grüßen, das sehr, sehr schön war. Es war ein schönes Bild, wie die Fünf dort saßen, es gab schönes Licht, das kegelig von oben strahlte und sie sangen klasse. Nils kam ganz weit hoch und sang dort strahlend und sauber. Ach, wunderschön! Und nachdem das ganze Lied schon so klasse war, setzte der wunderschöne Endakkord noch eins drauf. Ein Genuss!
Eddi startete die demokratische Umfrage zum nächsten Lied. Drei Songs standen zur Auswahl, zuerst „Buddy Bieber“. Das Publikum klatschte zustimmend. Dann „Am Ende des Tages“. Das Publikum klatschte zustimmend. Als dritte Wahlmöglichkeit „King of the road“, und das Publikum klatschte sehr, sehr laut und sehr zustimmend. Das war eindeutig.
Björn startete mit King of the road, und ich dachte daran, dass ich vor einigen Monaten beim Testkonzert Schwierigkeiten hatte, weil es für mich so sehr ein Ferenc-Lied war und Björn es für meinen Geschmack zu brav gesungen hatte. Seltsamerweise störte mich jetzt nichts mehr. Ein bisschen macho-rotziger gesungen hätte mir gefallen, aber das war nicht Björns Stil. Der war eben souverän und lässig. Und jetzt gefiel mir das plötzlich. Vermutlich hatte ich nicht einfach meine Meinung geändert, sondern er sang es inzwischen auch überzeugender, weil es nicht mehr neu für ihn war. „Coole Sau!“, dachte ich mal wieder liebevoll und wunderte mich, wie so eine dunkle, volle Stimme in einen so schmalen Körper passen konnte. Die Stimme war mindestens 1,95 groß, aber irgendwie passte sie ja rein.
Ohne Ansage ging es mit Schiller weiter. Es war schön unheimlich und spannend, auch wenn die synchronen Bewegungen manchmal versetzt synchron waren. Alternativ synchron, wie man es jetzt nennt. Das fiel besonders auf, als vier Wise Guys abwechselnd erst rechts und dann links das Bein streckten, und ein einzelner Wise Guys, den ich nur kurz S. nenne, gegengleich zuerst mit links begann.
Das Publikum applaudierte am Ende laut und begeistert, und Dän sagte: „Sie hätten das mal sehen sollen, wenn alle Schritte in dieselbe Richtung gehen!“ Ach, war doch nicht so schlimm.
Die Wise Guys hatten aus den letzten 25 Jahren im Fünf-Jahres-Abstand jeweils ein Lied ausgesucht, das für diese Zeit stand. Das erste war von 1995, war von den Bläck Fööss und hieß Rollbrett. Vor dem ersten Ton erklärte Dän, um was es in dem kölschen Lied ging, übersetzte das antiquierte „Rollbrett“ mit „Skateboard“ und wies auf die damalige Rollenverteilung von Mutter (einkaufen und bügeln) und Vater (erziehen) hin.
Kaum war das Rollbrett mit begeisterter Zuschauerbeteiligung über die Bühne gerast, ging es mit dem Techno (Entchen) weiter, der genauso umjubelt wurde.
Bei Jetzt ist Sommer standen dann endlich mal alle, sangen mit und klatschten. Der Jubel am Ende war riesig, und die fünf Wise Guys strahlten freudig ins Publikum. Im Jahr 2006 war die Romanze der Song des Jahres, die damals perfekt zum wissenschaftlichen Clemens passte, jetzt aber auch wunderschön von Nils gesungen wurde. Oh, wie schön klang das! Fein perlend und tupfend im Hintergrund, und in der Leadstimme der sanfte, klare Nils. Die vielen Lacher am Ende der letzten Zeile zeigten, dass ein Teil der Zuschauer das Ende nicht kannte oder vergessen hatte.
Das Ende des Fünf-Jahres-Plans machte die Deutsche Bahn. Sehr lustiger Text und Sari machte das klasse, auch wenn es nach seiner kurzen Steptanzeinlage, bei der sonst üblicherweise gejubelt wurde, komplett still blieb. Das fand ich schon wieder sehr witzig. Er hampelte kurz rum und es blieb totenstill, alle beobachteten ihn nur freundlich. Dafür sangen dann alle Zuschauer die letzten beiden Worte „Deutsche Bahn“ lachend mit.
Dän dankte den vielen Helfern des Abends und dem Schützenverein. „Danke an alle, die den Saal so aufgebaut haben, wie er jetzt aussieht!“ Etwas leiser setzte er hinterher: „Ich weiß nicht, wie er vorher aussah“, was der Wahrheit entsprach, aber trotzdem freudig belacht wurde. Außerdem gab er eine klare Stellungnahme ab und drängte: „Im September ist Bundestagswahl. Gehen Sie wählen! Machen Sie ihr Kreuz bei einer demokratischen Partei, denn wer mit der Angst arbeitet, ist KEINE Alternative für Deutschland!“ Es gab dafür heftigen und deutlich zustimmenden Applaus. Ich finde, dass Politik gar nichts bei einem A-cappella-Konzert zu suchen hat, aber in dieser Zeit, wo die Pöbler, Schreier und Hetzer laut werden und die Demokratie durch die Dummheit und Angst vieler Menschen in Gefahr kommen kann, ist es wichtig und richtig, laut dagegen zu sein und das durchaus auch von der Bühne während eines A-cappella-Konzertes zu sagen. Klasse!
Mit Wir werden euch vermissen wurde der offizielle Konzertteil beendet. Ach, herrje, das war so traurig. Der Abschied kam doch sowieso immer näher und dieses Lied, so schön es auch war, machte es immer schwerer. Es nicht zu singen, wäre aber auch schade gewesen. Im Refrain begannen einige Zuschauer mitzuklatschen, hörten zum Glück aber wieder auf. Das passte ja nun mal gar nicht.
Am Ende wurde das mehrfach wiederholte „Wir werden euch vermissen“ immer leiser und hörte dann auf. In diesen Moment rief eine Frau: „Wir euch auch!“ War nett gemeint, machte aber die bewegenden Sekunden nach dem letzten, verklungenen Schlusston kaputt. Ein bisschen schade. Ich dachte: „Och, nö, muss doch nicht sein!“, war damit aber zumindest abgelenkt und nicht mehr so traurig.
Unter viel Beifall verbeugten sich die Wise Guys und gingen ab, kamen aber kurz danach wieder und gingen in den Mittelgang der Halle. „Wir sind jetzt in der Schützenhallenmitte angekommen“, erklärte Dän, damit Zuschauer, die das nicht mitbekommen hatten und suchend umherblickten, wussten, wo die Wise Guys zu finden waren. Ganz ohne Mikrofonverstärkung sangen sie Try von Pink, und es war so schön. A-cappella gesungen, ganz ohne Technik, und der Klang war harmonisch und beeindruckend. Das Publikum war zunächst ganz leise, so dass alles gut zu hören war, aber dann begannen einige Leute im Saal verteilt leise mitzuschnippen, was schon wieder nett gemeint, aber doch zu viel war. Bei jedem Schnipper, und das waren ja immer zwei pro Takt, war der Gesang von einem Fingerschnalzen überlagert, was ich sehr schade fand. Ja, manchmal stelle ich mich an, aber ich hätte es eben gerne optimal.
Du kannst nicht alles haben, hieß zur Situation passend das nächste Lied, und das Publikum klatschte begeistert mit, so dass auch an der Stelle, an der NICHT geklatscht werden sollte, ziemlich viele Hände im Schwung aufeinander trafen.
Es gab schon wieder lauten Endapplaus, und diesmal standen viele Zuschauer dazu auf und riefen nach Zugabe. Ich war etwas skeptisch, ob das reichte, um den Vorabend in der Zuschauerbewertung noch zu toppen. Bei „Try“ schnippen, falsch klatschen, nicht vom Sitz aufspringen, wenn es erwartet wurde und bei Saris Hüftkreisen nicht kollabieren – das versprach keinen rauschenden Erfolg.
Anscheinend konnte die Begeisterung, die inzwischen lautstark gezeigt wurde, einiges rausreißen, denn die Wise Guys kamen wieder und sangen Antidepressivum. Sie sprangen auf der Bühne rum, das Publikum blieb gleich stehen und klatschte laut mit. Wer den Text kannte, sang auch den Refrain mit. Was für eine Stimmung!
Gleich danach gab es Jetzt und Hier, und das hielt ich für einen schönen, passenden Abschluss. Egal, wo es uns alle hintreibt, egal, was wird, wir sind Jetzt und Hier zusammen und genießen die Zeit. Früher habe ich das Lied eher als inhaltlich leichtes Partylied für Schulabschlussklassen empfunden, aber wenn solche Entscheidungen wie bei den Wise Guys anstehen, hat es erstaunlichen Tiefgang. Hatte es vielleicht immer schon, aber den habe ich erst beim Testkonzert im letzten Jahr entdeckt.
Mit Gejubel und Geschrei wurde nach einem mitgefeierten und mitgesungenen Lied die Schlusspose beklatscht und die Wise Guys verbeugten sich unter lautem Applaus erst einzeln und dann gemeinsam. Sie lachten zufrieden und freuten sich über das erfolgreiche Konzert.
Dann gingen sie ab. Eddi als letzter, so als ob er jeden Augenblick auf der großen Bühne ausnutzen und die Atmosphäre mitnehmen wollte.
Die stehenden Zuschauer klatschten weiter, um die Wise Guys zu einer weiteren Zugabe zu bekommen, aber da begann schon leichte Dudelmusik, das Saallicht ging an und aus den Standing Ovation wurde ein Umdrehen zur Stuhllehne und der Griff nach Jacken und Taschen.
Sowohl von Veranstalter-, als auch von Künstlerseite kam danach die Bestätigung, dass das Samstagskonzert noch besser als das schon tolle Freitagskonzert gewesen sei. Vielleicht war es auch nur nett gesagt, allerdings kam es mir überzeugend vor. Es war ein schönes Konzert mit toller Stimmung, und ich fuhr wehmütig lächelnd nach Hause.
Showtime
Mädchen, lach doch mal
Ruf doch mal an
Sägewerk
Wie kann es sein
Engel
Kleine Männer
Powerfrau
Wo der Pfeffer wächst
Die wahren Helden
Es ist nicht immer leicht
Ohrwurm
Hamlet
Nur für disch
Mit besten Grüßen
King of the road
Schiller
Rollbrett
Techno
Jetzt ist Sommer
Romanze
Deutsche Bahn
Wir werden euch vermissen
Try
Du kannst nicht alles haben
Antidepressivum
Jetzt und Hier