Wise Guys – 02.09.2016 – Bergischer Löwe – Bergisch Gladbach … das Testkonzert
Das Konzert in Bergisch-Gladbach war nicht irgendein Konzert, es war das Testkonzert der neuen Tour. Zum ersten Mal würden die Wise Guys vor Live-Publikum ihr neues Programm singen und dabei merken, ob es funktionieren würde und wo es vielleicht Stellen gab, die nicht rund liefen, an denen der Übergang holperte oder an denen das Publikum im schlechtesten Falle die Aufmerksamkeit verlor. Dann konnte das Programm noch umgestellt und verbessert werden.
Das Testkonzert in Bergisch-Gladbach war aber nicht irgendein Testkonzert. Es war der Startschuss zur neuen Tour und gleichzeitig der Anfang vom Ende, denn es würde die letzte Tour der Wise Guys sein. Noch ein Jahr lang waren die Wise Guys unterwegs, im nächsten Sommer war Schluss. Die Wise Guys hörten auf. Ich wusste es, aber es war trotzdem unvorstellbar. Das neue und letzte Programm hieß „Das Beste aus 25 Jahren“, was etwas von einem Rückblick hatte und mich grundsätzlich schon erfreute, denn das versprach einige ältere Lieder, die nur noch selten live zu hören waren. Und ein Testkonzert fand ich grundsätzlich sehr interessant, auch im Hinblick auf eventuelle Änderungen bei der weiteren Tour.
Die Zuschauer freuten sich, als etwas verspätet das Licht ausging – das kurz vorher fordernde Klatschen hatte nichts gebracht und war darum schnell wieder aufgegeben worden – und eine sonore Radiosprecherstimme aus dem Off sprach die einleitenden Begrüßungsworte. Während ich noch überlegte, welchen Sprecher die Wise Guys dafür engagiert hatten, wurde mir klar, dass es Björn, der Radiosprecher aus den eigenen Reihen war. Wie praktisch! Da nimmt man sich einfach einen Radiosprecher, der auch Bass singen kann und hat wichtige Teilbereiche abgedeckt. Björn bat die Zuschauer, es „sich schön bequem zu machen“ und sprach über „das Kleingedruckte“. Währenddessen sangen die Kollegen halblaut im Background harmonische Pabadapas.
„Ich würde sagen, wir fangen einfach an“, war Björns Stimme zu hören, und die Wise Guys kamen auf die Bühne und starteten sofort mit Showtime. Ach, großartig! Wie lange hatte ich das schon nicht mehr gehört! Die Zuschauer klatschten sofort auf die 2 und die 4 mit, und die Stimmung war innerhalb von Sekunden von „auf die Show freuen“ auf „100“ gestiegen. „Wo wamma nomma am Montag? – Bonn am Rhein“, sangen die Wise Guys, und das Publikum sang mit. Bei „Heut simma hier!“ brach lauter Zuschauer-Jubel aus. Hach, ich mag es so sehr, wenn es am Anfang einen schönen Opener gibt. Nach dem letzten Ton gab es riesigen Applaus und lauten Jubel. Dän wollte mit dem Reden beginnen, musste aber warten, bis es endlich ruhiger wurde.
Die Zeit kann ich nutzen und schnell was zur neuen Bühnenkleidung schreiben: Bunte Anzüge. Also nicht flowerpowerbunt, sondern einfarbig bunt. Oder uni, wie man sagt, was aber nicht die Universität meint und darum auch nicht „uni“, sondern „üni“ ausgesprochen wird. Allerdings passten die Farben insgesamt nicht immer zueinander, besonders bei den Rottönen war es kritisch, so dass fünf ein- bis zweifarbige Wise Guys nebeneinander dann doch farblich etwas unharmonisch wirkten. Auch der knallrote Björn passte nicht in das Schema der gebrochenen Farben. Und so sehr ich es honorieren konnte, dass Nils tatsächlich von oben bis unten in grüne Farbtöne gekleidet war, – und ich befürchte, dass da auch noch die Unterhose farblich abgestimmt war, weiß es aber nicht -, musste ich wegen des vielen Grüns sofort an Wald und Robin Hood denken. Blöderweise trug Sari auch noch relativ viel Bart im Gesicht, der zwar farblich nicht auf seinen Anzug abgestimmt war, mich aber an den Sheriff von Nottingham erinnerte und damit auch an Robin Hood.
Insgesamt empfand ich das Farbkonzept eher gefangen in der Theorie als mutig, lässig und locker, wie es vermutlich gemeint war. Das war aber nicht wirklich schlimm. Außerdem saßen die Anzüge erstklassig und die Wise Guys sahen entspannt und gut darin aus. Vielleicht bin ich bei nicht perfekt passenden Farbtönen auch einfach zu empfindlich. Weiter im Konzertbericht.
Als es endlich ruhiger wurde, – zur Erinnerung: Das Publikum hatte nach dem Opener lange geklatscht, so dass Dän mit seinen ersten Worten abwarten musste, – sagte Dän freudig: „Vielen Dank für die total freundliche Begrüßung. Wir sind die Wise Guys, und wir sind heute Abend zum letzten Mal in Bergisch-Gladbach.“ Im Publikum gab es neben dem Klatschen auch „Ooooh!“ und „Buh!“ zu hören. „Das ist zwar traurig“, bestätigte Dän, „aber kein Grund, sentimental zu werden.“ Er erklärte, dass der Abend das Testkonzert für die Abschiedstour sei und die Eintrittskarten aus diesem Grund weniger als sonst gekostet hätten. „SIE haben weniger bezahlt, darum dürfen WIR mehr Fehler machen.“ Als er lässig sagte: „Wir haben keine Ahnung, wie lange das dauert, heute Abend“, reagierte das Publikum hocherfreut. Das wäre ja prima, wenn das Konzert drei, vier Stunden zu lang wäre und das erst am Ende auffallen würde!
Außerdem gab es eine Besonderheit, wie Dän erklärte. „Über Facebook können Sie bis zwanzig nach Neun noch ein Wunschlied wählen.“ Die Zuschauer, die jetzt im Bergischen Löwen saßen, lachten, aber Dän nickte bestätigend: „Sie können bis zum Ende der Pause eins von fünf Liedern wählen.“ Ich hatte mittags bei Facebook reingesehen und von den fünf Möglichkeiten sofort die „Philosoffen“ angeklickt, die, wie mir nach dem Klicken angezeigt wurde, da noch weit vorne lagen. Mal sehen, ob sie es schaffen würden.
Dän zeigte auf seinen Anzug: „Zum neuen Outfit: Wir sind sehr, sehr zufrieden. Nils besonders, denn er hat zum ersten Mal im Leben grüne Socken.“ Dass Nils über grüne Socken so erfreut war, fand ich verwunderlich. Noch verwunderlicher fand ich, dass er sich dann nie vorher welche gekauft hatte. Allerdings waren grüne Socken vermutlich eher selten, denn wer wollte die schon tragen, außer Robin Hood? Und natürlich Nils. Ach, egal. Ehrlich gesagt, guckte ich kaum noch auf die nicht immer zueinander passenden Farben, weil ich die Lieder und die Wise Guys viel spannender fand. „Wir singen jetzt zwei Lieder hintereinander, die wir hunderte Male gesungen haben, aber immer noch gerne singen“, kündigte Dän an, dann ging es sofort mit Mädchen, lach doch mal los.
Nils sang die Leadstimme, das Publikum war begeistert, sang bis zum Schluss laut mit, applaudierte jubelnd, und sofort ging es mit Ruf doch mal an weiter. Eddi sang: „Ruf doch mal an …“, und die Zuschauer setzten laut mit: „oder schreib mir ‘ne Karte!“ ein. Es wurde geklatscht, mitgesungen, und ich dachte: „Was für eine super Stimmung! Wie wollen sie diese Spannung halten? Das ist ja jetzt schon der Wahnsinn!“ Am Ende des Liedes gab es einen solchen Riesenjubel, wie es ihn sonst nur gegen Ende eines Konzertes gab.
Björn kam nach vorne und machte die nächste Moderation. Er war komplett in Rot gekleidet und vermutlich der einzige Mensch, dem tomatenrot gut stand. „Der Anzug ist 100% Polyester“, sagte er. „Er glänzt schön, aber man schwitzt wie ein Schwein. Quasi wie ein rotes Schwein.“ Seiner Stimme war dabei noch das Tempo und Rumgehopse von „Ruf doch mal an“ anzuhören. Er holte tief Luft und gab zu: „Man ist schon außer Atem, auch wenn man viel jünger ist als der Rest der Band“, woraufhin es Gelächter gab.
Dann rief er für den nächsten Programmpunkt Nils als Nummerngirl auf die Bühne, der ein Schild mit sechs Wise Guys Titeln hielt. Die waren: Lass die Sonne scheinen, Relativ, Comedian Harmonists, Dickes Ding, Antidepressivum und Liebelein. „Comedian Harmonists, Comedian Harmonists, Comedian Harmonists!“ wünschte ich mir lautlos, aber sehr intensiv und von Herzen. Björn sagte: „Wir haben mit Nils ein 1A-Modell fürs Präsentieren, jetzt brauchen wir noch einen 1A-Zufallsgenerator.“ „Nimm mich, nimm mich, nimm mich!“ dachten vermutlich einige weibliche Fans aus den ersten Reihen intensiv, aber es kam Tim, der Tourmanager auf die Bühne, der den perfekten Zufallsgenerator dabei hatte: Einen großen Stoffwürfel. Er würfelte die Fünf, die Antidepressivum bedeutete.
„Na na naaaa …“ startete das Lied mit dem Intro, und als Dän sang: „Du bist der Hammer“, sprang das Publikum aufgedreht von den Sitzen und klatschte sofort wieder mit. Die Stimmung hatte etwas von einer Totalnacht. Es ging ab, und natürlich gab es am Ende des Liedes schon wieder Riesenjubel. Dän sagte: „Wir schalten jetzt mal ein paar Gänge runter“, was ich sehr erleichternd fand. In diesem Tempo konnte es nicht bis zum Konzertende weitergehen, das hielten weder die Wise Guys noch das Publikum aus.
Dän erzählte danach, dass die Wise Guys an fast alle Auftrittsorte besondere Erinnerungen hatten. So war am 11. September 2001 ein Konzerttermin im Bergischen Löwen geplant, doch tagsüber hatte es die Anschläge in Amerika gegeben. Bei den Wise Guys gab es daraufhin eine kontroverse Diskussion, ob sie auftreten sollten oder nicht. Als sie am Abend noch unentschieden in Bergisch-Gladbach ankamen, winkte der Hausmeister ab und sagte, dass es kein Konzert geben würde, so dass ihnen die Entscheidung zu ihrer Erleichterung abgenommen worden war. „Ab dem nächsten Tag“, sagte Dän, „haben wir alle Konzerte wie geplant gemacht. Am nächsten Abend waren wir dann in einer nüchternen Turnhalle in Wesseling.“ Das wusste ich noch, denn ich war auch dort gewesen und hatte mitbekommen, wie sensibel Dän die Situation kommentiert hatte und welchen starken Eindruck das auf das Publikum gemacht hatte.
„Das nächste Lied ist ein wichtiges Lied in der Wise Guys Geschichte, denn es war der erste A-cappella-Song, der nicht lustig ist. Es ist eine Ballade. Wir haben gemerkt: Ein Lied kann auch gut sein, wenn es am Ende nicht lustig ist.“ Die Wise Guys stellten sich auf und begannen mit Wie kann es sein. Wunderbar! Eigentlich. Diesmal war der Anfang in den Harmonien etwas ungewohnt und ich schreckte auf. Ganz falsch war es nicht, aber auch nicht ganz richtig. Ich spürte die Anspannung der Wise Guys, die konzentriert und fest ihre Stimmen sangen, um sich wieder zu finden. Das funktionierte auch, aber die Stimmen blieben in ihrer Aufmerksamkeit auf die Harmonien weiterhin fest und waren damit zu hart für das Lied. Das muss mit sanfter Stimme, ohne hörbare Anspannung gesungen werden, damit die Traurigkeit und Fassungslosigkeit zu spüren sind. Erst gegen Ende konnten sie sich wieder sanft fallen lassen.
Wie schade. Es war trotzdem ein wunderschönes Lied, und ich freute mich sehr, dass ich es hörte, aber es gehörte zu meinen Lieblingsliedern und ich kannte es eben von vielen früheren Konzerten noch beeindruckender. Allerdings hatten die Karten am heutigen Abend ja weniger gekostet, damit Fehler gemacht werden durften. Ach, Mist, da hätte ich mir dann aber gerne die Lieder selber ausgesucht, bei denen das passieren durfte!
Auch das nächste Lied war am Ende nicht lustig und ging dem Publikum zu Herzen. Nicht mir, aber das lag nur am Engel im Text und war MEIN Problem. Seitdem so viele Frauen um mich herum plötzlich intensiv an Engel glaubten und überall Lichtgestalten fühlten und sahen, die ihr Leben beeinflussten, schreckte ich davor zurück. Die Mehrheit der Zuschauer stellte sich nicht so an und fand das komplette Lied mit allen Engeln sehr berührend und tröstend. Ich hörte vorwiegend auf die Musik, bei der in den ersten Takten noch eine hohe Konzentration zu bemerken war, – vermutlich, weil die Wise Guys nach „Wie kann es sein“ jetzt extrem aufmerksam waren -, aber es lief sofort gut und wurde leicht und schön. Zu meinem großen Entzücken gab es über der Bühne plötzlich kleine strahlende Punkte mit dünnen, aber kräftigen Sternenglanzstrahlen. Wie wunderschön! Und überhaupt nicht so kitschig, wie es sich liest. Ich war wirklich begeistert. Am Ende des Liedes gab es viel Applaus, das Lied berührte erwartungsgemäß die deutliche Mehrheit des Publikums sehr.
Sari kam in die Bühnenmitte, um zu moderieren und machte das sehr locker und gut. Er erzählte, dass die neue Tour nicht nur die Abschiedstour sei, sondern auch die Jubiläumstour, die schon lange vor der Entscheidung, dass die Wise Guys aufhören werden, geplant war. „Wie haben auch ausgewählt, was WIR singen wollen“, erklärte er. Es gäbe nicht nur alte Sachen zu hören, sondern jetzt auch etwas Neues, denn jeder Neue bei den Wise Guys hatte ein eigenes Lied bekommen, nur Björn noch nicht. Der war zu Beginn des Jahres so überraschend eingesprungen, dass keine Zeit dafür geblieben war. Sari kündigte zur Freude des Publikums an: „Ein Lied für unseren Bass!“ Dazu erklärte er: „Da geht es um die Qualitäten der jeweiligen Person. Bei Ferenc war es der Seemann. Bei Andrea, dass er kein Deutsch konnte.“ Im Publikum gab es leises Gelächter. Sari fuhr fort: „Björn hat so viele Qualitäten, dass es schwierig ist. Er singt jetzt über seine Hauptkompetenz.“ Das war spannend. Was meinte er nur? Als Sari nur noch knapp den Titel nannte: „Kleine Männer“, ging ein Lacher durch den Saal.
In der Art der Aufzählung erinnerte mich das Lied sehr an Randy Newmans „Short people“, das allerdings ironisch bissig war, während „Kleine Männer“ die Vorzüge des etwas sparsameren Wuchses aufzeigte. Björn sang es super. Seine Stimme war ja sowieso klasse, aber er zeigte auch noch eine so lässige Selbstsicherheit bei der Aufzählung der Vorteile, dass auch groß gewachsene Männer neidisch werden konnten. Es gab nach vielen Satz-Enden Gelächter, und als Björn sang: „Kleine Männer können sogar Bass der Wise Guys werden“, jubelten die Zuschauer laut und zustimmend auf. Björn wurde am Ende laut gefeiert, und Eddi stellte fest: „Dieser Song ist JETZT schon ein Klassiker. Bei der Premiere.“
In seiner folgenden Anmoderation erzählte Eddi kurz von einer jungen Frau, die mal aus der Zuschauermenge heraus gerufen hatte: „Sari, ich bin ein Kind von dir!“, bedauerte ansonsten aber, dass sie in den vielen Jahren wenig Unterwäsche, dafür aber viele Kekse auf die Bühne bekommen hatten. Das war die Ansage zu Chocolate Chip Cookies. Hey! Das war MEIN Abend! So viele Lieder aus meiner extrem aktiven Wise Guys Zeit, die ich so gerne mal wieder hören wollte!
Die CCC, wie die Chocolate Chip Cookies in Kennerkreisen hießen, gingen los, und die Bläsersätze waren sehr schön jazzig und kamen mir noch viel besser als früher vor. Toll! Nicht ganz so heiß und sexy wie früher kam die Performance rüber. Da hatte sonst immer die Luft gebrannt, diesmal war es dann doch mehr Keksrezept mit lasziven Bewegungen. Na, es war der Anfang der Tour, da ließ sich in den nächsten Wochen bestimmt noch an heißen Blicken und unausgesprochenen Versprechungen üben. Je mehr davon, desto schöner war es im Kontrast zum unspektakulären Text.
Sofort ging es mit Powerfrau weiter, und Sari flitzte über die Bühne und sah mit dem Bart viel erwachsener und ernster als früher aus. Wieso machte der Sheriff von Nottingham eigentlich seiner Frau den Haushalt und was für eine Karriere machte sie in der Zwischenzeit? Ich beantwortete mir diese blöden Fragen gar nicht erst selbst, sondern freute mich über das Lied.
Wieder ohne Ansage startete danach Wo der Pfeffer wächst. Ich sang leise mit, dachte: „Großartig! Was für ein sensationelles Programm!“ und grinste äußerst gut gelaunt und unaufhaltsam vor mich hin. Ein wunderbares Konzert!
Danach war Nils mit der Moderation dran und begann mit einem langen: „Jaaaaaa“, dem „Hallo, erstmal von hier“ folgte. Das war zumindest originell und brach das Eis, von dem sowieso nichts vorhanden war. „Björn und ich sind die Jüngsten der Band“, sagte er. „Wir wollen die Gehirne der Älteren fit halten.“ Darum gab es jetzt eines von drei Liedern, bei denen Nils die Leadstimme sang, und er entschied spontan, welches es sein sollte. Seine Spontanwahl fiel auf Ich kann nur den Refrain, und sofort wurde der Ton angegeben und es ging los. Die älteren Jahrgänge der Wise Guys zeigten keine auffälligen Probleme in der Reaktionszeit. Das Publikum, das zu großen Teilen vermutlich nur den Refrain konnte, setzte genau bei diesem fröhlich ein und sang lautstark mit: „Ich kann nur den Refrain.“
„Super!“ lobte Nils danach. Das Publikum war begeistert, wenigstens so lange, bis Dän verriet, dass die beiden Alternativen „Ikea“ oder „Ans Ende der Welt“ gewesen wären. „Ooooh“, machten da viele Zuschauer enttäuscht. Dän konnte das nicht berücksichtigen, denn er war schon beim nächsten Programmpunkt. „Welchen Song würde ICH jemandem vorstellen, der die Wise Guys nicht kennt? Das wäre der: Es ist nicht immer leicht.“ Sari begann zu singen, die anderen machten mit, und ich dachte: „Echt? Nur wegen der inhaltlichen Aussage des Titels oder tatsächlich musikalisch gesehen? DAS ist für Dän ein typischer Wise Guys Song? Warum?“
Ich war also grübelnd beschäftigt und stellte nur plötzlich fest, dass Sari einen Hüftschwung machte und nicht so dolle gejubelt wurde. Was war los? Grübelten die anderen Zuschauer auch noch, oder lag es am Nottingham-Bart? Zumindest ich war reaktionsschnell und hatte zum Hüftschwung kurz und passend aufgejubelt. Robin Hood hin oder her, war mir doch egal! Dann blieb mein Blick an Eddi hängen, der während des Refrains unauffällig, aber recht lange auf seine Uhr guckte, soweit man das singend und auf der Bühne stehend unauffällig tun kann. Vermutlich richteten auch alle anderen Zuschauer ihre Blicke auf ihn, als er choreografisch auffällig seinen Arm hob und darauf starrte. Während alle Blicke auf Eddi lagen, hatte Dän vermutlich wesentlich unbeobachteter auf SEINE Uhr geguckt, denn er sagte nach dem Applaus: „Letzter Song vor der Pause. Das heißt, der erste Teil ist zu kurz.“ Das Publikum seufzte enttäuscht: „Oooooooh!“, denn damit war es wohl nichts mit dem überlangen Konzert, das erst in den Morgenstunden zu Ende wäre. „Besser zu kurz als zu lang“, stellte Dän zufrieden fest, was das Publikum eher anders sah.
Aber noch war der erste Teil nicht beendet, denn Dän wies auf MISEREOR hin, die demnächst ohne die Unterstützung der Wise Guys arbeiten würden und bat, dass noch möglichst viele Leute 2-Euro-Spender werden sollten. Damit die Stimmung nicht traurig wurde, betonte er aufmunternd: „Es wird nach den Wise Guys noch ein Leben geben, das hoffen wir alle Fünf sehr stark.“ Er erklärte: „Der Sari macht den Hausmann, Eddi will selber was zu seinen Plänen sagen und Björn, Nils und ich haben Bock weiter A-cappella zu machen.“ Die Aussage wurde freudig jubelnd beklatscht. „Wir haben auch schon einen Namen. Den sagen wir aber noch nicht.“ Leicht empörtes Lachen. „Es werden zwei Herren dazu kommen. Das sind aber nicht Eddi und Sari.“ Gelächter. Ich überlegte, dass es vielleicht eine gute Lösung wäre, jetzt großartig das Ende der Band zu verkünden, zu dritt übrig zu bleiben, dann Eddi und Sari als beste Wahl für die beiden noch zu besetzenden Stimmen hinzustellen und unter dem Namen „Wise Guys“ die neue Band zu machen. Eine Idee, die der ein oder andere Wise Guy vielleicht auch schon hatte, die aber vermutlich Lücken im Gedankengang hatte.
Eddi trat nach vorne, um selber etwas zu seinen Zukunftsplänen zu sagen. „Für mich wird’s emotional“, sagte er, was an seiner etwas belegten Stimme schon deutlich zu hören war. Er sprach von den Erinnerungen, die er hatte, den 70.000 Zuschauern beim Kirchentag auf den Poller Wiesen und erklärte, dass er aufhörte, weil es für ihn Zeit für etwas Neues war. Er hatte nicht gedacht, dass dann auch die anderen aufhören werden. Außerdem machte er Werbung für seine zukünftige Solokarriere. Das war etwas unwirklich. Die Wise Guys standen gemeinsam auf der Bühne, und Eddi sprach eindringlich davon, wie lustig, emotional und abwechslungsreich seine Solokonzerte werden würden. Was ging den anderen dabei durch den Kopf? „Das kann nicht wahr sein! Was passiert hier gerade?“ vielleicht?
Eddi sagte das letzte Lied vor der Pause an: „Viele Jahre wurde es lauthals vom Publikum gefordert: Der Ohrwurm!“ Ich dachte: „Och, nee!“ und die meisten Zuschauer jubelten los und sangen auch sofort freudig mit. Mein Problem bei diesem Lied war, dass es von vielen Leuten für ein typisches Wise Guys Lied gehalten wurde, was mir dann immer sehr peinlich war. Da hatten die Wise Guys eine große Kiste voll mit wunderbaren, tollen Liedern und wurden doch ständig auf dieses eher einfache und nicht besonders intelligente Lied reduziert. Die tragischen Momente einer großen Karriere. Außerdem hatte sich in den letzten Jahren der „Fluch des Ohrwurms“ gezeigt, denn zuerst hatte Clemens die Leadstimme gesungen und danach die Band verlassen, dann hatte Ferenc sie übernommen und war auch gegangen. Jetzt sangen sie die Strophen abwechselnd, aber da sie alle aufhörten, war es auch egal. Beziehungsweise es passte.
Mit dem Publikum zusammen wurden die letzten Ohrwurmzeilen gesungen, es gab großen Applaus, die Wise Guys lächelten zufrieden ins Publikum und gingen ab. Pause.
Die zweite Hälfte startete im Dunkeln, aber das aufgeweckte Publikum merkte, dass sich Gestalten auf die Bühne begaben und klatschte freudig. Als zu erkennen war, dass „Aggro Hürth“ dabei war, gab es begeisterte Pfiffe und Geschrei. Nils und Sari rappten den Hamlet, und erstaunlicherweise wirkten die beiden Rapper optisch deutlich echter als die echten Wise Guys, die im Hintergrund die Begleitung sangen. Besonders Björn sah mit Hemd und Fliege wie ein Fremdkörper im Rapper-Bild aus.
Am Ende gab es riesigen Applaus, und Mc Deutschmakk und Soulsprotte eilten von der Bühne. Das schwer begeisterte Publikum klatschte noch laut hinterher, dann brach der Applaus erstaunlich schnell ab. In die eingetretene Stille kehrte Mc Deutschmakk laut rufend auf die Bühne zurück, seinen Kumpel Soulsprotte im Kielwasser, und rief: „Scheiß drauf! Ich hab doch gewusst, dass ihr noch was hören wollt!“ Das war superwitzig, denn daran hatte das Publikum gar nicht gedacht. Nicht aus Desinteresse, sondern weil vermutlich alle davon ausgegangen waren, dass es bei einem Best of der letzten 25 Jahre nicht zwei aufeinander folgende Aggro-Hürth-Songs geben würden, die sich dann doch sehr ähnlich waren. Ich lachte vergnügt über die schräge Situation und die grandiose Art, wie Sari den zweiten Auftritt gerettet hatte. Sari plauderte in etwas einfältiger Hürth-Rapper-Art: „Macht was mit die Zukunft, hat die Oma von Soulsprotte immer gesagt. Macht was mit Kartoffeln!“ Darum hätten die beiden vor zwei Jahren Pommes gepflanzt. „Als Bauer brauchste Geduld“, schloss Sari optimistisch und Nils grunzte ein: „Jou!“ hinterher. Sehr cool!
Das zweite Aggro-Hürth-Lied war Nur für dich, oder besser gesagt Nur für disch und wurde ebenfalls vom Publikum bejubelt. Diesmal war der Abschlussapplaus deutlich länger, es gab sogar Zugaberufe, aber es war zu spät, denn es war nichts Rappiges mehr vorgesehen. Dän versuchte in die Zugaberufe hinein zu reden und beruhigte das Publikum mit dämpfenden Handbewegungen: „Die Jungs hör’n das und freu’n sich total!“
Dän erzählte, dass Björn extra für dieses Programm 27 Lieder neu gelernt hatte. Wahnsinn! Außerdem verriet er, dass Mc Deutschmakk und Soulsprotte in Wirklichkeit Sari und Nils waren. Das wäre bei einigen Konzerten von manchen Zuschauern nicht immer erkannt worden. Die hätten dann gefragt, warum es denn Rapper im Programm gab und warum die so alt wären. Dän betonte in geduldigem Tonfall: „Wir haben sehr viele ganz, ganz intelligente Fans“, stoppte sich aber selber mit: „Ich bin jetzt besser ruhig.“
Inzwischen standen fünf Barhocker auf der Bühne. „Finden Sie die Barhocker auch total hässlich?“, fragte Dän. Es konnte zwischen „Ja“, „Nein“ und „Ist mir total egal“ entschieden werden, und den meisten Zuschauern ging es anscheinend an diesem Abend nicht um Barhocker. Auf den Lead-Barhocker setzte sich Nils und sang wunderschön leicht Mit besten Grüßen. Von oben strahlten kräftige Lichtkegel nach unten, die toll aussahen und auf dem Boden helle Lichtkreise bildeten, in denen die harten Schatten der Wise Guys zu sehen waren. Vom tieferen Parkett aus waren die Schatten vermutlich nicht zu sehen, von oben sahen sie äußerst gut aus.
In den Lichtkegeln um die Wise Guys herum bewegten sich feine Nebelschwaden. Das wirkte, als ob sie beim Singen leicht dampften, dabei hatten sie die 100% Polyester Anzüge gar nicht mehr an. Stattdessen trugen sie jetzt alle das neue Outfit der zweiten Konzerthälfte und das sah wirklich klasse aus. Sehr locker und abwechslungsreich, mit einem gelungenen Farbkonzept aus gebrochenen Blau-, Grau- und Schwarztönen, kombiniert mit Weiß. Nachdem meine Augen über die Outfit-Farben der ersten Hälfte immer wieder empfindlich gestolpert waren, lehnten sie sich jetzt entspannt und zufrieden lächelnd zurück. Keine Ahnung wie sie das machten, aber ich spürte es. Es gab optisch nichts, über das ich stolpern konnte, es war ein rundum schönes Bild mit der Bühnenkleidung und dem Licht, und außerdem ein sehr, sehr schön gesungenes Lied.
Eddi verkündete das Ergebnis der Internet-Abstimmung. Die Philosoffen waren immer noch vorne und hatten es geschafft, hurra! Das Lied war von Tom van Hasselt, und ich hatte es schon sehr lange nicht mehr auf der Bühne gehört. Kaum hatten die Wise Guys begonnen, fiel ich ins Jahr 2001 und lächelte sentimental vor mich hin. Wie schön! Sie hatten das nicht einfache Lied gut geübt und sangen so souverän, als hätten sie es schon immer in dieser Kombination von fünf Wise Guys gesungen. Ich musste mal wieder staunen, wie problemlos Björn in die Gruppe geflutscht war und seine Bassstimme, obwohl er anders als Ferenc und ganz anders als Andrea sang, einfach passte. Wie ein Puzzleteil, das auf die Lücke gelegt wird, reinrutscht und sofort sitzt. Eddi hatte einen ganz kleinen Texthänger, der einfach weggelacht wurde. Es war Anfang der Tour, das Lied klappte so super, was machte da eine kurze Denkpause aus? Die konnte man als philosophisch gelten lassen.
Im großen Applaus danach wurde das Licht mysteriös, die ersten Rhythmen erklangen, und Eddi guckte sich furchtsam um. Das Publikum jubelte auf, denn es erkannte sofort Schiller und klatschte rhythmisch drängend mit. Während Eddi im Intro verängstigt blickte, verkrampften sich seine Kollegen und holperten langsam, mit versteiften Beinen und erhobenen Krallenhänden auf ihn zu. Sie zombierten, um einen nicht geläufigen, weil gerade spontan von mir erfundenen Fachausdruck zu verwenden.
Kaum fing Eddi mit dem Singen an, hörte das Mitklatschen des Publikums auf, denn alle wollten den Text verstehen. Es war toll! Eddi war klasse, Björn sang einen super Bass, kompakte Lichtstrahler gingen vom unteren Bühnenrand nach oben und standen wie Lichtschranken im Weg, das Bühnenlicht war geheimnisvoll, Nebel zog herum – was für eine Show! Kein Wunder, dass es danach Riesenjubel mit Pfiffen und Johlen vom begeisterten Publikum gab.
Ohne Ansage ging es in King of the road. Björn sang lässig einen sehr tiefen, vollen Bass, es klang alles gut, und trotzdem war ich zwiegespalten. Das war für mich so sehr ein Ferenc-Lied, dass ich plötzlich dessen markante Stimme vermisste und es mir von Björn im ersten Moment wie nachgesungen vorkam. Viele sagen zwar, dass der „Seemann“ das Ferenc-Lied ist, da muss ich dann aber anmerken, dass auch „Ich bin der Bass“ für mich ein Ferenc-Lied ist und „King of he road“ anscheinend auch. Ich wunderte mich selber. Warum hatte ich kein Problem, als Nils plötzlich Clemens-Lieder sang, fühlte mich jetzt beim Björn-King-of-the-road aber wie im falschen Konzert? An Björn lag es nicht, den mochte ich gerne und er sang klasse. Vielleicht nahm ich einfach Ferenc den Autorüpel-Macho mehr ab, während mir Björn zu nett erschien? Wer ein weißes Hemd mit Fliege trägt, macht üblicherweise nicht auf dicke Eier.
„King of the road“ war eines der Lieder, die Björn neu gelernt hatte. Während des Autofahrens zu singen und den Text erst gerade drauf zu haben, war dann etwas viel, und er hatte zwei etwas längere Texthänger. Total souverän ging er damit um und wirkte lässig, aber am Ende des Liedes verzog er das Gesicht, weil es ihn doch ärgerte, dass ihm das passiert war. „Kein Problem“, munterte Dän ihn auf und erklärte dem Publikum: „Er ist noch so jung. Da lässt in späten Stunden die Konzentration schon mal nach.“
Ein Block mit sechs Liedern im Fünf-Jahres-Abstand sollte folgen. Während Dän noch erzählte, entdeckte er ein Etikett an seinem Ärmel. „Was ist das denn?“, fragte er und zog daran. Die Kleidung war eben noch sehr neu, wie damit zu sehen war. Nils half beim Entfernen, das Publikum hatte Spaß. Den behielt es, denn Dän erklärte zum ersten Lied: „Es ist in kölscher Sprache. Nils und Björn haben es noch nicht verstanden.“
Rollbrett war gemeint, und damit jetzt mal alle wussten, um was es inhaltlich ging, übersetzte Dän die wichtigen Begriffe und erläuterte normative Wandel. Den Begriff „normative Wandel“ benutze ich sonst gar nicht, aber er heißt ungefähr: „Das ist, wenn sich gesellschaftlich und sozial Sachen ändern und etwas, was früher normal war, heute altmodisch ist“, was mir aber zu lang war und außerdem unsouverän klingt. Ein „Rollbrett“ war damals ganz modern und wäre heutzutage ein Skateboard, ein Longboard oder auch ein Wakeboard, sagte Dän und verriet, dass das alles Begriffe waren, die ihm sein Sohn erklärt hatte. Die Kindernamen Dieter und Claudia kommentierte Dän mit: „Das Lied ist so alt, dass die Kinder noch so genannt wurden“, und dass ein Vater auf die Frage, ob das Kind ein Rollbrett, also ein Skateboard haben dürfe, damals mit „Nein!“ geantwortet hatte, hielt Dän gespielt entrüstet für „Unvorstellbar!“ Das Argument des Vaters, der Sohn hätte doch schon ein Kettcar und eine Carrerabahn hieße heute, dass sie sozial ganz unten wären. Seine Bemerkungen waren total lustig und es gab viel spontanes Gelächter.
Rollbrett von 1991 war klasse, auch wenn es einen Tick schneller hätte sein können. Aber wenn Nils und Björn jetzt erst wussten, was sie da sangen, war es kein Wunder, dass die Gruppe es ihnen etwas einfacher machen wollte. Das Tempo war auch so schon sehr schnell für eine Fremdsprache. Sofort danach kam der Tekkno von 1996 mit dem berühmten Ruf: „Entchen? Who the fuck ist Entchen?“, den meine damals noch nicht des Englischen mächtigen Kinder durchaus logisch als: „Entchen? Vollgekacktes Entchen!“ erkannten und laut mitsangen.
Das Publikum kam gar nicht mehr raus aus der Jubelei, denn sofort startete Jetzt ist Sommer aus dem Jahr 2001. Alle sprangen von den Sitzen und sangen mit. Wow! Was für eine Stimmung! Was für ein Konzert! Dän war so erfreut, dass er anstelle „Wir lassen uns geh’n“ flüssig und mitreißend: „Wir lassen euch geh’n“ sang, woraufhin er grinsend den Kopf schüttelte und sein eigenes Lachen über diesen Fehler beim Singen noch zwei Sätze lang zu hören war. Im Hintergrund der Bühne fiel mir plötzlich eine überdimensionierte Ausgabe des ganz frühen Schatten-Logos auf. Wie toll! War das vorher schon zu sehen gewesen und ich hatte zu viel auf die Herren auf der Bühne gestarrt? Auf jeden Fall berührte es mich sehr und löste sentimentale Gefühle aus. Ach, war das schön, dass hier das Jetzt und das Früher zusammenkamen!
Dän wies nach dem Lied auf das Hintergrundbild hin und erzählte kurz, dass sie dafür damals bei großer Hitze auf einer Kuhweide stehen mussten, damit das Foto gemacht werden konnte. Tja, der Weg zum Ruhm kann über Kuhweiden führen.
Das Erfolgslied aus dem Jahr 2006 war die Romanze. Nils stand dabei unter einem wunderschönen Strahlersternenlichtbühnenhimmel und sang soooo schön. Ich mochte die „Romanze“ auch von Clemens sehr, aber Nils sang sie weicher und sie wurde noch romantischer und herzschmelzender. Beim letzten Satz „… und dann ging sie ohne ihn nach Haus“, gab es spontanes Gelächter. Ach, da gab es also tatsächlich recht viele Besucher, die das Lied nicht kannten.
Wieder ohne Ansage ging die Deutsche Bahn los. Sofort wurde im Publikum textsicher mitgesungen, und ich dachte endlich deutlich, was ich bis dahin nur undeutlich gefühlt hatte: Ich vermisste Moderationen von Dän. Sie waren für diese Tour etwas reduziert worden, um mehr Platz für Lieder zu schaffen, aber mir fehlten sie. Däns Moderationen und spontane Bemerkungen waren immer ein wichtiger Teil der Wise Guys Konzerte gewesen, und dass die ausgerechnet bei der letzten Tour weniger sein sollten, gefiel mir nicht. Na gut, er sprach zwischendurch, und dass die vier anderen Wise Guys auch mal anmoderierten war klasse, aber gerade die witzige Ansage vor dem Rollbrett hatte mir anscheinend deutlich gemacht, dass es davon zu wenig gab.
Sari war inzwischen bei der letzten Strophe des Bahnliedes angelangt, die immer mal aktuell angefügt wurde. Sofort wurde das Publikum ganz leise, um den neuen Text zu verstehen, der so neu war, dass Sari einen Zettel zum Ablesen hatte. Inhaltlich war es eher allgemein, weil es wohl kein aktuelles Bahnerlebnis gegeben hatte. Die letzte Zeile begann Sari: „Sänk ju for träweling wiss …“ und das Publikum setzte laut und sicher ein: „Deutsche Bahn!“ Beeindruckend!
„Das war die ‚Deutsche Bahn‘ von 2011“, sagte Dän und legte erstmal eine Dankesrunde an Helfer, Organisatoren und Technikcrew ein. Dann ging es zum letzten Lied des 5-Jahres-Blocks. „Wir wollen noch das Jahr 2016 abdecken. Den Song kennt ihr noch nicht, und damit wollen wir uns verabschieden.“ Nein! Ich wollte das gar nicht hören mit dem Verabschieden, auch wenn damit in erster Linie der Konzertabend gemeint war. Das Lied war eine Zusammenfassung der Wise Guys Karriere. Abwechselnd sangen sie über die Anfänge der Gruppe in Schulzeiten bis zum momentanen Stand, und der Refrain war eine Botschaft an die Zuschauer: „Wir werden euch vermissen.“ Es war so schön und so wehmütig und so liebevoll und genau richtig.
Als Zuschauer wurde man lächelnd traurig, schwebte zwischen Tränen und gerührtem Lachen, ganz so, wie es sein musste. Herzberührend. Zwischendrin war bei Dän der Text weg, und während er hilflos lächelnd mit den Schultern zuckte, sangen die Background-Guys zuverlässig ihre Akkorde weiter, die ohne die Leadstimme etwas seltsam klangen, aber das Gefühl brachten, dass es weiterhin ein haltbares Fundament und keine wirkliche Lücke gab. Björn lächelte Dän dabei liebevoll zu und war kein bisschen hämisch. Auch das war schön und passte zur Stimmung. Am Ende wurde die Hauptzeile „Wir werden euch vermissen“ mehrfach wiederholt und dabei immer leiser bis sie weg war. Hach. Herzschmelz. Wunderbar.
Es gab Standing Ovation. Die Wise Guys verbeugten sich, in ihren Gesichtern war zu erkennen, dass sie gerührt waren. Ich holte einmal tief Luft und sah ihnen nach, wie sie abgingen. Haaaaach. Im Publikum ging der Applaus in lautes, rhythmisches Klatschen über. Was machten die Wise Guys jetzt gerade hinter der Bühne? Lief eine Träne, waren sie selber berührt oder polierten sie ganz professionell die Schuhe und zählten die Sekunden runter bis zum perfekten Wiederauftritt?
Ich hatte das Gefühl, es dauerte ein wenig länger als sonst, bis sie wiederkamen, aber das konnte natürlich auch völlig andere Gründe haben. Sie stellten sich auf und begannen mit Radio. Wie schön! Ich freute mich. Schon wieder. Aber es waren ja auch MEINE Zeit und MEIN Konzert. Das Bild auf der Bühne vermischte sich in meinem Kopf immer wieder mit Dän, der im Cabrio saß, die Musik wurde lauter, drängender und symbolisierte die Freiheit, in die es ging. Wirklich toll!
Noch während des großen Endapplauses wurde im Dunkeln ein Barhocker auf die Bühne gebracht. Oh, das sah nach „Paris“ aus, wie klasse! Ich freute mich gerade, da setzte sich Sari darauf, was mich enttäuschte. Aber nur, weil damit nicht „Paris“ auf dem Programmzettel stand, denn dann hätte sich Dän hingesetzt. Und richtig, es kam Nur für dich. Die Zuschauer sangen laut mit, es war großartige Stimmung, und am Ende gab es schon wieder Standing Ovation.
Die Wise Guys gingen ab, das Publikum reagierte mit rhythmischem Klatschen, Trampeln, Johlen, Jubel – die Begeisterung war groß und stieg nochmal hörbar, als die Wise Guys zurückkamen. Sie stellten sich nebeneinander auf, und als sie ihre Hände in Position brachten und dabei einige Finger nach innen abgeknickt waren, gab es erneuten Jubel, denn das war das Sägewerk, und die Finger waren natürlich nicht abgeknickt, sondern abgesägt. Ich mag dieses Lied sehr, obwohl es eher albern ist und ich doch sonst so auf Balladen stehe, die das Herz berühren. In diesem Fall beeindruckt mich besonders die Fülle des Waldes, die Nils in schnellem Tempo klassifizieren und verarbeiten kann, und außerdem das männlich-markige „Uh!“, das Eddi und Sari im Refrain ausstoßen. Ach, alles witzig und gelungen.
Am Ende starrten alle fünf auf den abgetrennten Daumen, der fiktiv vor ihnen lag, dann holte Nils mit dem Fuß kurz aus und kickte ihn in den Zuschauerraum. Großes Kino! Abschließend gab es noch eine zunehmend schneller werdende Wiederholschleife, und als das Tempo zum Abheben erreicht war, war Schluss.
Kaum war das abschließende, hohe Jubelniveau bei den Zuschauern erreicht, ging Jetzt und Hier los. Dabei wurde sowieso immer stehend mitgeklatscht und gesungen, aber diesmal berührte mich der Text weit mehr als sonst. Was bisher eher als Partylied galt, passte plötzlich unerwartet gut zur Situation der Wise Guys.
Die Zeit war genial.
Ziemlich sentimental
schau’n wir darauf zurück:
Das war wohl so was wie „Glück“.
Und völlig egal,
was passiert und was ist:
Es war eine Zeit,
die man niemals vergisst.
Es ist doch ganz klar,
das nix so bleibt wie es war,
und keiner weiß, wie es wird,
doch wir sind unbeirrt:
Denn heute lacht
uns das Leben ins Gesicht,
komm, wir lachen zurück,
denn oft passiert so was nicht.
Das Wichtigste sind wir
das Jetzt und Hier,
und dass wir alle hier zusammen sind!
Ganz egal, ob das so bleibt
oder auseinandertreibt:
Es zählt jetzt nur, dass wir zusammen sind!
Peng! Das saß. Aber wie! Schon wieder war ich sehr gerührt und lächelte traurig-sentimental vor mich hin. Was für ein Text in dieser Situation! Das wäre das perfekt passende Lied für den Schluss des Programmes. Allerdings hatte es zur Folge, dass die Zuschauer danach auf 200 waren und nicht einfach in den Feierabend entlassen werden konnten. Dän tröstete: „Wir machen noch über 100 Konzerte, ehe wir den Löffel abgeben – musikalisch gesehen.“ OK, in Bergisch-Gladbach war das noch ein Trost, aber was würde 90 Konzerte später sein? Oder beim 99sten? Nein, ich wollte es mir nicht vorstellen. „Es hat uns sehr viel Freude gemacht, unser Konzert hier ausprobieren dürfen“, bedankte sich Dän, und das nun wirklich allerletzte Lied des Abends begann.
Am Ende des Tages passte inhaltlich sehr schön und war auch gewünscht ruhig, ich hätte mir trotzdem etwas anderes gewünscht. Das lag aber nur an der Text- und Silbenverteilung, die mir an einigen Stellen nicht gefiel, weil sie nach meinem Gefühl stolperte und bremste. Etwas sanft Fließendes wär’s gewesen. „Träum vom Meer“ zum Beispiel oder, von mir aus, ein extrem gechilltes, karibisches „Jetzt ist Sommer“, das ganz, ganz langsam ausklang. Aber egal. Nach diesem tollen Konzert konnte ich nicht über solche Kleinigkeiten jammern. Für andere Zuschauer war das Lied vielleicht genau der perfekte Abschluss.
Es gab Standing Ovation, die Wise Guys verbeugten sich, lächelten, aber es schien ihnen bewusst zu sein, dass es trotz des umjubelten Anfangs doch auf ein Ende zuging. Die große Freude über das gelungene Testkonzert war etwas gedämpft.
Erst als Dän leicht in die Knie ging, um sich Björns Größe anzupassen, wurde die Stimmung auf der Bühne deutlich lockerer und fröhlich. Die Wise Guys gingen umjubelt ab und es war Schluss.
Es war der sehr gelungene Anfang einer Tour, mit viel mehr alten Liedern als ich erwartet hatte, was mich äußerst erfreute. Bei aller Stimmung und guten Laune würde es im nächsten Jahr wohl zunehmend emotionaler und trauriger werden. Aber es war toll, die Wise Guys nochmal bewusst bei Konzerten zu erleben und intensive Eindrücke in die eigene Erinnerungskiste zu packen.
Liederliste:
Showtime
Mädchen, lach doch mal
Ruf doch mal an
Antidepressivum
Wie kann es sein
Engel
Kleine Männer
Chocolate Chip Cookies
Powerfrau
Wo der Pfeffer wächst
Es ist nicht immer leicht
Ohrwurm
Hamlet
Nur für disch
Mit besten Grüßen
Philosoffen
Schiller
King of the road
Rollbrett
Tekkno
Jetzt ist Sommer
Romanze
Deutsche Bahn
Wir werden euch vermissen
Radio
Nur für dich
Sägewerk
Jetzt und Hier
Am Ende des Tages