WG Konzertberichte

Wise Guys – 21.05.2016 – Europahalle – Trier … mit dem neuen Bass Björn

Bei den Wise Guys war viel in Bewegung. Nicht nur, dass sie seit sechs Wochen einen neuen Bass – Björn – hatten, auch Eddi hatte neue Pläne für seine Zukunft. Bei dem ganzen Hin und Her hatte die Gruppe nach langen Überlegungen beschlossen, im Sommer des nächsten Jahres aufzuhören. „Meine“ Wise Guys würden aufhören, das war schon ein seltsames Gefühl. Ein gutes Jahr lang würden sie noch viele Konzerte geben und sich ab dem Spätsommer sogar mit einer Tour „Das Beste aus 25 Jahren“ verabschieden, aber dann war Schluss. Natürlich gingen seit dem Bekanntwerden der Meldung die Konzertkarten schnell weg, weil viele Leute sie nochmal live erleben wollten, und vermutlich war das Jahr aus Vorverkaufssicht eines der besten. Aus anderen Sichten nicht unbedingt.

In Trier hatte ich die Wise Guys schon in der großen Arena erlebt, aber jetzt waren sie in die kleinere, für ein Konzert besser geeignete Europahalle gekommen. Mit 1200 Sitzplätzen war es trotzdem kein Privatkonzert. Als der Soundcheck begann, konnte ich dabei sein, was nicht zur üblichen Nutzung der Eintrittskarte gehörte und dann doch fast so etwas wie ein Privatkonzert war. Allerdings war es nur sehr kurz und bestand aus einigen angesungenen und plötzlich abgebrochenen Liedern, völlig ohne jede Show.

Erst beim dritten Lied fiel mir auf, dass es mit Björn Sterzenbach doch einen neuen Bass gab, den ich mir unbedingt anhören wollte. Jetzt sang er die ganze Zeit schon mit und ich hatte gar nicht mehr daran gedacht. Mir war einfach nichts aufgefallen. Kein Basston in der Mischung, der komplett neu war, kein Brummen, das ich ungewohnt fand, keine explodierende, spuckende Rhythmusmaschine. Er sang einfach mit einem warmen, tiefen Bass mit, machte Dum-Dum-Bao, gab etwas Mouthpercussion dazu, war sehr präzise und fügte sich harmonisch und nahtlos ein. So als wäre er schon immer dabei gewesen. Dabei war er gerade erst im letzten Monat überraschend und nach extrem kurzer Probenzeit eingestiegen. Wow! Das sah nach Glücksgriff aus und hörte sich auch so an.  

Nach dem Soundcheck nutzte ich meine Eintrittskarte wieder so, wie sie geplant war, kam vorfreudig in den Saal, suchte meinen Sitzplatz und freute mich auf komplett zu Ende gesungene Lieder, eine Show mit passenden Choreografien und dem strahlendem Lächeln auf den Gesichtern der Wise Guys. Bei einem konzentrierten Soundcheck mit nur einer Zuschauerin sah es mit der großen Show in Richtung Publikum verständlicherweise etwas trübselig aus. Der Saal füllte sich, und kurz vor Konzertbeginn kamen zwei Jungen nach vorne, legten zwei sorgfältig eingerollte Blätter am Bühnenrand ab, schlugen sich zufrieden ab und verschwanden wieder.

Dann ging es los mit Dieter Nuhr vom Band. Seine Frauenversteher-Stimme – mich würde es ja wahnsinnig machen, zuhause immer so sanft und therapeutisch angesprochen zu werden – erklärte etwas zu Handys und zum Mitfilmen, und erstaunlicherweise fand ich es ganz witzig. Ich finde den als Person ja auch nicht unnett, aber ich fühl mich beim Anhören eben schnell wie in Behandlung. Aber diesmal ging es, und ich guckte auch nochmal schnell auf mein Handy, ob es wirklich ausgeschaltet war. War es. Im letzten Jahr hatte ich zwei Kirchenkonzerte und das Tanzbrunnenkonzert besucht – hatte es die Nuhr-Ansage dort auch gegeben? Ich konnte mich nicht erinnern, hatte sie aber vielleicht einfach nur verdrängt.

Im Saal blieb es hell, auf der Bühne wurde es dunkel, schemenhaft war zu erkennen, dass die Wise Guys auftraten, was mit lautem Geklatsche erfreut begrüßt wurde, dann wurde es auf der Bühne hell und im Saal dunkel. „Wir singen A-cappella„, sangen die Wise Guys, in graue Anzüge gekleidet, und ich freute mich, weil ich die vertrauten Stimmen hörte, und weil ich es mag, wenn Wise Guys Konzerte mit einem richtigen Opener beginnen. Sozusagen ein Einsteigerlied zum Kennenlernen, bevor das eigentliche Konzertprogramm beginnt.

Beim ersten Refrain wurde vom Publikum prima auf die 2 und die 4 geklatscht, beim zweiten Refrain war die Stimmung schon so übersprudelnd, dass die Energie bei der 1, 2, 3 UND der 4 raus musste. Trier war mit voller Energie und merklicher Freude dabei und applaudierte schon am Ende des Openers laut und heftig. Ohne Ansage ging es gleich mit Denglisch weiter. Überraschend für mich war, dass die Pyramide in der Choreografie nicht mehr dabei war. Sari war doch immer auf die angewinkelten Beine zweier Kollegen gestiegen und von dort herunter gesprungen. War was mit seinen Gelenken, hatte er inzwischen Höhenangst bekommen oder hatte er zugenommen und die Kollegen wollten ihn nicht mehr tragen? Fragen, auf die es keine Antworten gab.

Überraschend war auch, dass Björn, der nicht sehr groß war, einen überhaupt nicht zu seiner Figur passenden, volltönenden und kräftigen Bass sang. Wo brachte er seine langen Bass-Stimmbänder eigentlich unter? Völlig unaufgeregt und selbstsicher stand er da, bewegte seine Hand im Rhythmus und sang eine Bassstimme, die so perfekt in den Wise Guys Klang passte, dass sie mir nicht wie ein Fremdkörper, sondern völlig normal und vertraut vorkam. Darum war sie mir beim Soundcheck auch gar nicht sofort aufgefallen, ich akzeptierte sie unbewusst als genau richtig. Da ich sowieso einen warmen und klaren Bass bevorzugte und gar nicht so wild auf unentwegt knallende und hämmernde Mouthpercussion war, hörte ich mit zufriedenem Lächeln zu und dachte: „Gute Wahl!“ 

Der Applaus am Ende des Liedes konnte schon als großes Gejubel bezeichnet werden. „Das ist aber eine sehr freundliche Begrüßung!“, kommentierte Dän bescheiden und informierte: „Wir sind heute wieder hier – in Trier.“ Das war eine die Zuschauer vermutlich nicht überraschende Aussage, in ihrer Reimform aber gekonnt. Sein Blick fiel auf die gerollten Papiere am Bühnenrand. „Oh, da sind Bilder abgegeben worden für uns“, erkannte er sofort richtig, entrollte sie und betrachtete sie aufmerksam. Vermutlich waren gezeichnete Wise Guys drauf, denn er lobte: „Man kann die meisten erkennen“ und rief die beiden Jungen nach vorne, um ihnen eine CD zu schenken. Eine CD. Vor ihm standen zwei Jungen. „Seid ihr Brüder?“, fragte er und beantwortete seine eigene Frage sofort blitzgescheit mit: „Nee, ne?“ Auch die Jungs schüttelten die Köpfe. Zur Freude des Publikums schlug Dän verschwörerisch vor: „Vielleicht kann einer sie dem anderen brennen?“ 

Während ich noch dachte, dass es ja total einfach ist, umsonst eine CD zu bekommen, wenn man nur ein Bild auf die Bühne legt, bat Dän schnell: „Das soll sich jetzt aber nicht rumsprechen, weil wir sonst immer eine CD geben müssen, wenn jemand ein Bild malt!“ – OK, also nur lesen, nicht darüber sprechen und vor allem nicht nachmachen! Am besten sofort vergessen!

Weil gerade zeitgleich das Fußballpokalspiel Dortmund-München lief, versprach Dän, dass sie durchgeben würden, wenn was passierte. Wie eine Saal-Rundfrage ergab, interessierten sich die meisten Zuschauer aber gar nicht so sehr für Fußball. Vermutlich waren die, denen das Spiel wichtiger als das Konzert war, gar nicht erst gekommen.

Ich hatte mich schon gewundert, dass es im Zuschauerbereich auch während der Lieder manchmal ungewöhnlich hell war, aber das war gewollt. Dän erklärte, dass es inzwischen bei einigen Mitgliedern der Gruppe Altersweitsichtigkeit gäbe und warnte: „Wir sehen alles scharf. Stimmen Sie Ihr Verhalten darauf ab!“ Um zu beweisen, wie gut alles von der Bühne aus zu sehen war, sang Eddi von einer tollen Frau, die er im Publikum gesehen hatte, die aber ein Problem hatte: Sie klatscht auf die Eins und die Drei. Das erfahrene Kenner-Publikum klatschte extra laut auf die 1 und die 3 mit, was passend war, mir aber etwas weh tat. Aua, ich kann das gar nicht. Björn sang eine schön tiefe Basswiederholung der Titelzeile, – aha, er konnte also auch gut Texte singen -, ich fand die Harmonien des Liedes toll, und nach der zweiten Strophe klatschte das Publikum, weil die Frau im Lied das jetzt auch machte, auf die 2 und die 4. Alles war gut.

„Eigentor von Mats Hummels!“, verkündete Dän danach, grinste und gab zu: „Nee. Falsch. Scherz.“ Er hatte die Fußballinformationsgewalt und nutzte seine Position aus. Empörend. Aber ich wusste nicht mal genau, in welcher Mannschaft Mats Hummels spielte. Eigentor hier oder dort – mir war’s egal.

Sari sang über seinen Selfie-Wahn, sprang über die Bühne, zückte fortwährend sein Handy und machte auch Fotos vom Publikum. Dort passten alle auf, gut auszusehen und freudig zu gucken, um nicht unangenehm aufzufallen. Aber die meisten guckten schon von ganz alleine freudig und hätten mehr Schwierigkeiten gehabt, plötzlich ernst gucken zu müssen.     

Es ging sofort mit Engel weiter, was von vielen Zuschauern mit glücklichen Ausrufen begrüßt wurde. Um mich herum konnte ich glückseliges, leises Singen vernehmen, es schien ein Lied zu sein, das viele Menschen bewegte. Ich hatte leider eine Engel-Phobie. Wenn es um Engel ging, wurde ich sofort widerspenstig und unleidlich, denn der ganze Engelboom nervte mich einfach. „Du musst den Text abstrakt sehen!“, forderte ich mich auf. „Es geht ja gar nicht um DIE Engel, sondern um den Engel in UNS“, aber es half nichts. Ich hörte „Engel“ und blockierte. Es war MEIN Problem, lag am Engelthema und nicht an der Musik. Vermutlich traf ich einfach zu häufig Leute, die auf der Sinnsuche waren und dabei auf Lichtwesen, höhere energetische Ebenen und weissagende Engelkarten vertrauten. Ich konnte es nicht mehr hören. Vielleicht war ich auch einfach zu unsensibel.

Ich versuchte möglichst nur auf die Melodie zu hören und die Engel auszublenden. Stattdessen konzentrierte ich mich auf Björn, der so sicher und souverän seine warme, sanfte Bassstimme sang. Der große Applaus nach dem Lied zeigte, dass ich eine verschwindend geringe Minderheit war, die sich von diesem Text nicht ansprechen lassen wollte. War aber völlig OK so.

Bei der Zuschauer-Umfrage zeigte sich, dass es sowohl Neuhörer gab, als auch Besucher, die schon vor vielen Jahren im kleinen Trierer Tufa-Saal ein Konzert miterlebt hatten. Dass es jetzt von der großen, modernen Arena zurück in die architektonisch biedere Europahalle gegangen war, schien von den Zuschauern freudig begrüßt zu werden. Akustisch und optisch ist in einem Konzertsaal eben alles näher als in einer Sportarena. Eine CD sollte an das jüngste Kind im Saal verschenkt werden, da es aber mehrere jüngste Kinder gab, fragte Dän nach einem Kind, das noch nicht geboren war. Die schnellste Schwangere – also im Aufzeigen, nicht im Rennen – holte sich strahlend ihre CD ab.

„Wir haben einen neuen Bass, und der kann sogar reden“, sagte Dän, und Björn kam nach vorne und redete. Schon bei seinen ersten Worten gab es staunendes, unruhiges Grummeln im Saal, denn er hatte eine wunderschöne Sprechstimme. Wie ein Radiosprecher, was er vorher auch mal war. Souverän plauderte er und erklärte, dass er Björn heiße, weil seine Mama ein ABBA-Fan war und ging humorvoll darauf ein, dass er altersmäßig U35 und größenmäßig U175 sei. „An alle kleinen Männer: Man kann es bis zu den Wise Guys schaffen. Gebt nie auf!“ Außerdem sei er der erste Wise Guy mit Migrationshintergrund, weil er aus den neuen Bundesländern käme. Das Publikum lachte gut gelaunt auf und freute sich über die schöne Moderation. Er war tatsächlich der erste Wise Guy Bass, der gerne und ausgesprochen gekonnt vor Publikum sprach.

Meine heiße Liebe war ein Lied aus alten Zeiten, immer noch mitreißend. Im Tempo kam es mir etwas langsamer und chilliger als früher vor, was aber sehr gut passte und mir gefiel.

Für das nächste Lied hatte Nils von einer zerbrochenen Freundschaft erzählt und Dän hatte einen Liedtext darüber gemacht. Wo bist du hieß das Lied, und es war sehr kraftvoll und schön. Die Stimmen klangen durch den Saal, passten wunderbar zusammen, und ich dachte: „A cappella reicht, es muss kein Pop sein“. Mit knallendem Rhythmus würde es nicht schöner werden können, eher wieder verflachen. Allerdings fand ich Vocalpop schon immer überbewertet. Was die Wise Guys alleine beim Singen mit ihren Stimmen für Emotionen auslösen konnten, ganz besonders bei den balladigen Sachen, das war toll.   

Eddi machte die nächste Ansage und erzählte, dass er vor einigen Jahren einen Mehrfachstecker hatte, den er immer mit auf Tour nahm. Irgendwann war der weg. An diesem Tag hatte er ihn überraschend in der Garderobe der Europahalle wiedergefunden, immer noch deutlich mit den Initialen E.H. für Eddi Hüneke versehen. Ob er ihn jetzt wieder eingesteckt hatte, um ihn weiterhin mit auf Tour zu nehmen, sagte er allerdings nicht. Vermutlich schon. Ich hoffte, dass nicht ein Europahallen-Hausmeister mit den Initialen E.H. demnächst lange nach seinem Mehrfachstecker suchen würde.

Als das nächste Lied begann, setzte bei mir kurz der Herzschlag aus und ging danach etwas schneller weiter. Die ersten Töne von Sonnencremeküsse trafen tief in meine Seele. Ich saß lächelnd und völlig gerührt auf meinem Platz, sah auf die Bühne und versank in Sonne, Meer, Marionetten und alten Zeiten. Ach, wie schön! Dän sang leicht und lächelnd, ich hatte das Gefühl, dass eine warme Sonne auf die Bühne schien – was vermutlich am extra eingestellten Scheinwerferlicht lag, mir aber ganz egal war, – die Begleitstimmen waren sanft und harmonisch – alles toll.

Sonnig und meerig ging es mit Party unter Palmen weiter. Leider auch ein Lied, bei dem ich sofort blockierte. Nicht bei der mitreißenden Musik, sondern wegen des Textes. Also sorry, aber wenn man ein Schiffsunglück überlebt und die anderen Passagiere und Besatzungsmitglieder es anscheinend nicht geschafft haben, denkt man doch nicht an eine Party! Ich würde erstmal „Wasser, Hütte, Rettung, ich hab Hunger!“ denken. Eine Partynummer in dieser Situation war für mich völlig unglaubwürdig. Ich sah die Wise Guys feiernd über die Bühne laufen und dachte: „Wie wollt ihr denn eure doofe Kokosnusssuppe kochen, von der ihr gerade singt? Ist da eine Einbauküche mit angeschwemmt worden?“

Wieder so ein Beispiel für meine Widerspenstigkeit. Aber ich muss ein Lied nachvollziehen können, damit es mich trifft und berührt. An die Sonnencremeküsse glaube ich sofort und die kann und will ich miterleben, aber ein Schiffbruch-Insel-Partylied ist mir zu viel. Das glaube ich den Wise Guys einfach nicht. Die würden doch auch zuerst „Wasser, Hütte, Rettung und ich hab Hunger!“ rufen. Wenn sie bei der Nummer Hawaiihemden, Shorts und Flipflops tragen würden, kämen sie vielleicht etwas glaubhafter als in grauen Anzügen rüber. Vielleicht. Nee, ich glaube nicht. Immerhin stand ich wie alle anderen Zuschauer auf, klatschte mit und ließ mich durchaus gut gelaunt vom Rhythmus mitziehen, auch wenn ich ständig dachte: „Nee, das ist jetzt wirklich zu viel. Das glaubt euch doch keiner. Ihr hättet ja nicht mal Werkzeug, um die blöde Kokosnuss aufzumachen!“

Jetzt und Hier war auch ein Party-Feierlied, aber eines, das ich nachvollziehen konnte. Die Zuschauer blieben gleich stehen, und auch ich sang mit und hatte Spaß. Es schien ein bisschen mein Oldie-Tag zu sein, was mich freute, aber viele andere Zuschauer freuten sich darüber merklich auch.

„München-Dortmund Null zu Null“, informierte Dän danach, was aber wegen des unentschiedenen Spielstandes keine emotionalen Ausbrüche auslöste. Mir fiel auf – was wieder gar nicht zur Sache passte – dass es optisch schön war, wenn Dän in der Mitte der aufgereihten Wise Guys stand, weil sich damit ein harmonisches Bild ergab. Quasi die Pyramide, die bei „Denglisch“ gefehlt hatte. „Liebelein, ich glaub, du hast den Schuss nicht gehört“, war eine der Aussagen des folgenden Liedes, und vermutlich würde dieser Satz bei meinen seltsamen Gedanken und der Engel- und Insel-Anstellerei auch auf mich zutreffen. Ich registrierte es grinsend.

Bei Liebelein gab viel zu sehen und viel zu lachen, alle hatten Spaß, und am Ende marschierten die Wise Guys unter dem rhythmischen Klatschen der Zuschauer mit Karnevalsgruß von der Bühne ab und sofort in die Pause. Eine schnell vergangene, tolle erste Konzerthälfte.

Nach der Pause ging es dramatisch weiter. Also zumindest am Anfang, als Nils in einem langen Mantel ankam und sehr ernsthaft zu singen begann. Wie der Graf von „Unheilig“ sang er mit voller tiefer Stimme, allerdings nicht „Geboren, um zu leben“, sondern „Ich lebe, um zu bohren„. Ernsthaft blieb er auch bis zum Ende des Liedes, was einen schönen Kontrast zum laut lachenden und fröhlichen Publikum ergab. 

Als er seinen Mantel auszog und im markigen Unterhemd auf der Bühne stand, gab es lautes Gejubel aus vorwiegend weiblichen Kehlen. Es hatte was von einem Chippendale-Auftritt, auch wenn die Auszieherei an dieser Stelle schon beendet war. Sari und Eddi krönten Nils mit einem knallroten Schutzhelm und er griff nach einer schweren Hilti-Bohrmaschine. Großartig. Und sehr witzig. Und erstaunlicherweise dachte ich nicht, dass er ein A-cappella-Sänger war, der sich als Bauarbeiter verkleidete, sondern ich glaubte ihm den handwerklich geschickten Bauarbeiter, der auch singen konnte. 

Im jubelnden Endapplaus streckte Bauarbeiter-Nils selbstbewusst seine Hilti in die Luft und wurde gefeiert. Kaum war er abgegangen, sagte Dän: „Immer noch Null zu Null.“ Ach ja, das Fußballspiel. Als Nils korrekt als A-cappella-Sänger gekleidet zurückkam, erhielt er erneut jubelnden Applaus, was zeigte, dass er auch mit geschlossenem Oberhemd bei den Damen ankam. Das Farbkonzept der zweiten Hälfte war gedecktes Blau-Grau mit Rot und Weiß, was erstaunlich gut aussah. Björn trug zur roten Hose eine rote Fliege, was mir sehr gefiel. Aber natürlich sahen auch alle anderen Wise Guys total klasse aus. Selbstverständlich.

Mit Gaffen ging es weiter. Das hätte ich gerne inhaltlich böser gehabt. Oder viel zynischer. Mit der Choreografie machte es aber Spaß. Überhaupt war die Stimmung klasse, sowohl im Saal als auch auf der Bühne, und auch wenn ich mich bei einigen Liedern leicht anstellte, hatte ich großen Spaß. Bei der mitreißenden Liveshow der Wise Guys konnte ich zwar registrieren, was mir persönlich nicht so gefiel, ich blieb aber durchgehend gut unterhalten und gut gelaunt dabei. Während ich noch dachte, dass das Palmenlied inhaltlich ja total blöd war, klatschte ich mit, und sogar beim Engellied genoss ich die Harmonien und das wunderschöne Singen. Die Wise Guys waren live einfach unschlagbar und durch keine CD zu ersetzen. Da war es natürlich ziemlich blöd, dass sie aufhören würden.

Alcopop hatte mir eine zu eindeutige, völlig unversteckte Botschaft, die ich mir auch im Erziehungskonzept der Unterstufe vorstellen konnte. Aber vermutlich war das in Verbindung mit der leichtgängigen Melodie so gewollt. Auf jeden Fall ging es musikalisch in die Beine und war schön flockig, locker und mitreißend gebracht. Mit ein paar Alcopops intus wäre mir der Text vermutlich auch völlig egal.  

Dän erwähnte danach, dass Karl Marx in Trier geboren wurde und ergänzte: „Ist für Björn“, was den loslachen ließ. In seiner weiteren Moderation erwähnte Dän einen Professor, der schwadronierte, und den Rest der Moderation verfolgte ich nicht weiter, weil ich so fasziniert vom Wort „schwadronieren“ war und sofort überlegte, ob sich das überhaupt heutzutage noch im Sprachgebrauch befand. Jedenfalls begann plötzlich das nächste Lied und ich wusste nicht, was Dän in der Vorbereitung dazu gesagt hatte. Mist. Dass ich mich auch immer so ablenken lasse!

Dän sang Teufelskreis schön sanft, und ich mochte es ja schon immer gerne, wenn ein bisschen rauhe Stimme in seinem sanften Singen zu hören war. Hach, wie schön. Das gab einen nicht nur leichten Schmelzfaktor bei mir. 

Beim Sägewerk in Bad Segeberg ging das erste Zuschauerlachen schon los, als in den ersten Takten quietschende Geräusche von Eddi zu hören waren. Auch das galt als A-cappella-Singen, wenn es sich auch nicht bühnenreif anhörte. War aber so gewollt. Bewundernswert war, dass Nils solch eine Wortmenge in rasendem Tempo und dazu noch die sehr ähnlichen Sätze in der richtigen Reihenfolge hinbekam. Erlen, Birken, Kiefern, Buchen, Eiben … er sang einen kompletten Wald in drei Minuten und vielen Strophen durch. Es war ein total albernes Lied, ziemlich unglaubwürdig, aber ich lachte mich weg und fand es klasse. Kapier mal einer meine Logik. Ich jedenfalls tu’s nicht. Allerdings war auch die Bühnenshow klasse und ich freute mich über jedes gerufene, männlich markante „How!“

Am Ende des Sägewerks war eine Brings-Schleife eingebaut. Die hieß wahrscheinlich nicht so, aber wer die Kölner Gruppe ‚Brings‘ kennt, weiß, was ich meine. Bei einer Brings-Schleife wird das Lied durchgesungen, dann kommt Applaus, dann startet der Refrain nochmal und nochmal und nochmal und wird dabei immer schneller. Während Brings das gefühlt wochenlang verlängern können, hörten die Wise Guys nach wenigen Sägewerk-Refrain-Schleifen auf, was auch gut war, denn beim Klatschen und Singen war fast schon Lichtgeschwindigkeit erreicht. Lachend und aufgedreht applaudierte das begeisterte Publikum laut und jubelte dazu. Klasse!

„Wir haben gerade von Holz und abgetrennten Fingern gesungen“, begann Dän sensibel die nächste Moderation und erzählte, dass Björn bei Ärger im Straßenverkehr ganz geschickt nicht mehr den kostenpflichtigen Mittelfinger zeigte, sondern lächelnd den Daumen. Björn blickte nach vorne und grinste. Dän grübelte: „Was heißt es dann, wenn er UNS den Daumen zeigt?“ Björn grinste und sagte nichts. 

Auch bei Ans Ende der Welt sang Nils die Leadstimme und das ganz anders als beim Sägewerk. Es gab kräftige Rhythmen im Lied, kurze Pausen, die fast einen eigenen Klang hatten, weil sie so präsent waren, und Nils sang ungewöhnlich druckvoll. Musikalisch wirkte es in den Strophen bedrohlich und heftig. Im Refrain löste sich dann alles auf und wurde klanglich hell und leuchtend. Wieder mal war es erstaunlich, was für ein Klang mit A-cappella-Singen zu erreichen war. Ganz groß! Und in dem Fall gefielen mir auch die kräftigen Rhythmusschläge extrem gut, weil sie etwas aussagten und wichtig waren.

Oldiezeit! Mit Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf ging Sari in Konkurrenz zum Sägewerk-Nils in der Sparte: „Möglichst viele Silben in einem Takt unterbringen“. Ich konnte den Text immer noch auswendig und war genauso schnell. Alleine auf der Bühne hätte ich aber vermutlich komplett versagt, denn bei Sari mitzusingen und den nächsten Satzanfang bei ihm zu erahnen, war deutlich einfacher als alles alleine aus dem Hirn zu kramen.

Dass der Rock ’n‘ Roll tot ist, bewies Eddi stilsicher, temperamentvoll und unlogisch mit einem gesungenen Rock ’n‘ Roll. Er, Nils und Sari hüpften rockig über die Bühne, und Nils legte ein großartiges E-Gitarren-Solo hin, ganz ohne E-Gitarre. Yeah!

Das Publikum war kurz vorm Toben. Björn zeigte Eddi einen hochgestreckten Daumen und nickte anerkennend, die Zuschauer lachten auf.

Dän sprach danach von drei Vegetariern in der Gruppe, von denen zwei Teilzeit-Vegetarier waren. Das war die geschickte Überleitung vom Vegetarismus zum Fleisch und damit zum Lied Lass die Sau raus. Bei den ersten Takten sprangen schon wieder alle Zuschauer von den Sitzen und feierten mit.

Abgesehen davon, dass ich bei „Lass die Sau raus“ sofort überlegte, ob die Formulierung noch im allgemeinen Sprachgebrauch oder schon völlig veraltet war, war sie in meinem Sprachgebrauch nie vorgekommen. Aber ich musste nicht viel über den Text nachdenken, weil der bei der Feier-Lautstärke ringsherum und dem allgemeinen Mitgeklatsche sowieso nur schwer zu verstehen war. Ich wippte im Rhythmus mit und dachte, dass die Wise Guys schon ziemlich viel feiern und Party machen. Erst auf einer einsamen Insel, dann im Jetzt und Hier und nun auch noch auf einem Bauernhof, wo sie die Schweine laufen lassen. 

Weil alle Zuschauer standen, konnte es gleich klatschend und sich bewegend mit Antidepressivum weitergehen, das die Stimmung weiter hoch hielt. Danach war kurze Partypause, weil Dän eine Moderation machte und einigen Leuten dankte. Dass er der „freiwilligen Berufsfeuerwehr“ dankte, fand ich noch Minuten später lustig – auf so was stehe ich. Er wies außerdem auf die Abschiedstour hin. „Die Wise Guys lösen sich auf. Also nicht einzeln. Wir machen noch eine Abschiedstour ‚Das Beste aus 25 Jahren‘, also alles, was wir nicht üben müssen.“ Er setzte trocken hinterher: „Außer Björn.“

Die ersten Töne von Sing mal wieder erklangen, und natürlich sprangen die Zuschauer sofort wieder von ihren Sitzen. In früheren Konzerten hatte immer nur Eddi vorgesungen, was das Publikum nachsingen sollte, inzwischen sang jeder der fünf Wise Guys einige Takte vor. Björn sang einen tiefen Bass, der dem weiblichen Teil des Publikums dumpfes Gebrumme entlockte, und Dän überforderte mit wilder Mouthpercussion, aber alles machte viel Spaß.

Unter Riesenjubel, Geschrei und Pfiffen gingen die Wise Guys ab und waren gerade aus den Blicken verschwunden, als schon laute, gleichmäßige Zugaberufe durch den ganzen Saal hallten. Die riefen die Wise Guys auch sehr schnell zu einer Zugabe zurück. Diesmal gingen sie aber über die Bühne und von dort hinunter in den Saal und stellten sich in den Gang. Dän erklärte, dass sie im letzten Jahr während eines Konzertes in Saarbrücken einen Stromausfall hatten und dort zur Überbrückung ohne Tonverstärkung gesungen hatten. Das war sehr gut angekommen und hatte ihnen auch selber gefallen. Ich machte schnell noch ein Vorher-Foto, weil ich nicht während des Liedes mit einem Auslöse-Klick stören wollte, und dann holten sie auch schon Luft und sangen los.     

Es wurde ganz leise im großen Saal und es war toll, die Wise Guys unverstärkt mit Try von ‚Pink‘ zu hören. Die einzelnen Stimmen waren klar herauszuhören, der Gesamtklang war zart, aber trotzdem erstaunlich kräftig. Wie schön sie ohne jede Verstärkung klangen – wunderbar! Als sie unter viel Applaus zurück auf die Bühne kamen, lag dort ein Slip. Sie lachten amüsiert los und Björn nutzte ihn kurz als Stirnband. Im Design passte der Slip genau ins Farbkonzept der zweiten Hälfte, da konnte man nicht meckern.

Jetzt ist Sommer wurde im Refrain laut mitgesungen, und ich wippte vor mich hin, klatschte in den Refrains auf die 2 und die 4 und hatte viel Spaß. Dass die Wise Guys in einem guten Jahr aufhören würden, konnte ich mir so überhaupt nicht vorstellen. Das war völlig unglaubwürdig!

Viel mehr Lautstärke im Applaus und bei den Jubelrufen wäre kaum möglich gewesen. Das Trierer Publikum war sehr begeistert und auch die Wise Guys freuten sich über den Erfolg und lachten gut gelaunt.

Gemeinsame Verbeugung, Jubel, Pfiffe, Begeisterung, Abgang, Zugaberufe, Auftritt, Deutsche Bahn. Ein lässig swingendes, sehr lustiges Lied, bei dem der Schlusssatz jeweils lautstark mitgesungen wurde.

Es ging ohne Moderation sofort weiter mit Mädchen, lach doch mal, der Stimmungszeiger war ganz weit oben. Um mich herum wurde laut und manchmal schräg mitgesungen, die Laune war prächtig. Es war mir klar, dass das leider schon der Zugabeteil war, aber gefühlt rechnete ich mit mindestens noch acht Liedern.

Schrille Pfiffe, Geschrei, lautes Geklatsche – die Wise Guys verbeugten sich lachend und strahlend nach diesem gelungenen Abend, winkten nochmal und gingen unter Riesenapplaus ab.

Sofort starteten im Saal Ohrwurmgesänge. „Halloo, halloooo, ich bin dein Oooohrwuuuurm, dein Ooohrwuuurm.“ Oh, nein!! Ich war fast entsetzt, dass dieses Lied so penetrant mit dem Wise Guys Repertoire verbunden blieb. Leise setzte im Saal Dudelmusik ein und es wurde langsam zur Gewissheit, dass die Wise Guys nicht mehr kommen würden. Richtig so. Strafe musste sein! Bei lauten Zugaberufen wären sie wieder auf die Bühne geschossen und hätten bis zu 10 oder sogar 20 weitere Zugaben gesungen. Aber beim Ohrwurm war unerbittlich Schluss. Dass auf ihrer Liederliste nach „Zugabe 4 – Mädchen, lach doch mal“ gar kein weiteres Lied stand, stelle ich mal als völlig unerheblich hin.

Beim anschließenden Afterglow im Foyer war es ziemlich voll. Die Wise Guys sangen Love is all around und ein schöner Klang zog durch den Raum. Auch wenn er leise war, kam er bis zu mir nach hinten und ließ mich verzückt lächeln.

Danach verteilten sich die Wise Guys strategisch im Raum und wurden jeweils von Leuten umstellt, die Autogramm und Fotos haben wollten. Mütter schubsten orientierungslose Kinder, die nur auf Hüften und Bäuche guckten, vorwärts und dirigierten sie „Hier lang. Da vorne ist er!“ zu jedem der fünf Wise Guys. Erstaunlich schnell wurde es leerer. Ich war sehr gut gelaunt, freute mich über das erlebte, schöne Wise Guys Konzert, über so viele schöne Lieder, die gute Stimmung und überhaupt. Was für ein guter Abend!

Außerdem lachte ich noch vergnügt vor mich hin beim Gedanken an eine gewaltige Afro-Frisur, die beim Afterglow-Lied den Sichtbereich für die dahinter stehenden Zuschauer stark eingeschränkt hatte. Spontan hatte ich an eine Nummer der versteckten Kamera gedacht. Das war ja völlig unglaubwürdig!

A-Cappella
Denglisch
Sie klatscht auf die Eins und auf die Drei
Selfie
Ein Engel
Meine heiße Liebe
Wo bist du
Sonnencremeküsse
Party unter Palmen
Jetzt und Hier
Liebelein

Bohren
Gaffen
Alcopop
Teufelskreis
Sägewerk
Ans Ende der Welt
Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf
Rock ’n Roll
Lass die Sau raus
Antidepressivum
Sing mal wieder
Try
Jetzt ist Sommer
Deutsche Bahn
Mädchen lach doch mal

Love is all around