Berichte

Hans-Hermann Thielke – Thielke kommt – 27.03.2015 – Eschweiler

Talbahnhof, Eschweiler

Es war nicht so, dass ich mich generell freute, wenn ich im täglichen Leben auf einen biederen, vorschriftentreuen Ex-Postschalterbeamten traf, aber bei Herrn Thielke war das etwas anderes. Dem blitzte die Begeisterung aus den Augen, und während er körperlich gefangen im engen Pullunder und seiner eigenen Anspannung war, ging sein Geist auf weite, manchmal etwas umständliche Reisen.

Ungewöhnlich für die korrekte Organisation seines Alltags war, dass mir der Titel seines Programmes nicht ganz klar wurde. „Thielke kommt“ hieß es im Internet, „Wir haben Sie leider nicht angetroffen!“ stand auf der Eintrittskarte, und das Plakat, das gleich vor dem Talbahnhof in Eschweiler hing, begrüßte mit: „Jetzt oder nie!“ Immerhin war Hans-Hermann Thielke bei jeder Version dabei, und da ich ihn noch nie live gesehen hatte, war mir im Prinzip egal, welches Programm er an dem Abend machte. Hauptsache, ich sah ihn endlich mal auf der Bühne. Es gab solche Künstler, die seit Jahren auf meiner Wunschliste standen, ohne dass ein Besuch klappte. Und Herr Thielke stand schon lange darauf.

Der Talbahnhof in Eschweiler war ein sympathischer, kleiner Veranstaltungsort, den ich gleich mochte. Und als Hans-Hermann Thielke dynamisch und trotzdem etwas steif auf die Bühne sprang und sofort mit seiner typischen Handbewegung die Brille zurecht rückte, grinste ich freudig. Da war er endlich. Gelber Pullunder zu brauner, kleinkarierter Hose, korrektes, weißes Hemd und sorgfältig gescheitelte, glatt angegelte Haare. Ein freudiges Lächeln im Gesicht, die Körperhaltung angespannt und bemüht. Locker war anders.

Dass er nicht gerne aus gewohnten Bahnen kam, betonte er gleich, denn er war extra für diesen Abend angereist, was bedeutete, dass er zwei Tage am Stück von Zuhause weg war. „Da gibt es viel zu bedenken, was man tun muss“, erklärte er und zählte auf, was er in der Wohnung alles aus- und abschalten musste. Nicht nur das Licht und den Fernseher, sondern auch alle 56 Fernsehprogramme.

So angespannt und bemüht wie seine Körperhaltung war auch seine Stimme. Er drückte das Kinn zurück, so dass die Sprache nicht mehr fließen konnte, sondern heraus gedrückt werden musste. Das Sprechen wurde dadurch so gebremst, dass es manchmal fast den Anschein hatte, als ob er beim Reden einatmete. Dazu machte er in den Sätzen immer wieder kleine Unterbrechungen, als müsse die Sprache einen neuen Anlauf nehmen, um durch einen Engpass zu kommen. Ich merkte, wie mir beim Zuhören die eigenen Stimmbänder verkrampften. Manchmal atmete ich schon gar nicht mehr gleichmäßig durch. Wunderbar, wie mich diese Anspannung auf der Bühne selber verspannte.

Hans-Hermann Thielke war eine Kunstfigur, wirkte dabei aber so echt, dass ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, dass er außerhalb der Bühne anders sein konnte. Helmut Hoffmann spielte ihn seit vielen Jahren, aber wenn ich mir überlegte, wie der wohl außerhalb der Rolle aussah, sah ich immer nur Herrn Thielke vor mir. Ich mochte es sehr, wenn eine Figur so rund und authentisch war, dass ich sie glaubte. Insgeheim vermutete ich, dass es gar keinen Unterschied zwischen Hoffmann und Thielke gab. Dass nur der Name wechselte, nicht aber Aussehen und Charakter.

Obwohl Hans-Hermann Thielke in ein Verhaltens-Korsett eingezwängt wirkte, war er doch sehr emotional. Mit großer Begeisterung und liebevollem Stolz berichtete er über einen Fisch in seinem Aquarium und dessen Energie: „Er schwamm jeden Morgen weit raus“, schränkte ein: „Im Rahmen seiner Möglichkeiten“, und sinnierte über die Wiedergeburt, bei der ein Fisch in einer höheren Lebensform wiederkommen konnte. „Nur im Buddhismus hat ein Tier nach dem Tod die Möglichkeit, höherer Beamter zu werden.“  

Es machte Spaß, ihm zuzuhören. Er wählte seine Worte sorgsam, formulierte umständlich, wollte es einfach machen und verstolperte sich immer wieder. Mal blitzten seine blauen Augen freudig hinter den Brillengläsern, mal blickte er betroffen oder sogar vorwurfsvoll. Seine Mimik zeigte immer ganz genau, was er gerade fühlte. Dass die Post ihn nach mehr als 30 Schalterjahren in die freie Wirtschaft geschickt hatte, war für ihn schwer, aber er begab sich tapfer in sein neues Leben und klammerte sich an Regeln, die ihm Halt boten. Nicht, dass er Neuem gegenüber nicht aufgeschlossen war, wenn es erforderlich war, begab er sich mit positiver Grundhaltung in die Situation, aber Flexibilität und Abenteuerlust waren nicht seine Stärken. Er war in seiner Kleinkariertheit gefangen und mit der wilden, schnellen Welt ziemlich überfordert. Er selber schien aber der Überzeugung zu sein, dass er alles gut meisterte. Dieser Unterschied in der Wahrnehmung brachte viel Komik.

Die Zuschauer lachten über seine Erklärungen und Gedankengänge sehr vergnügt und zunehmend lauter. Es war nicht so, dass sie ihn auslachten, dazu war er viel zu menschlich und sympathisch, aber die Umständlichkeit, mit der er sich ausdrückte und das Leben erklärte, war einfach wunderbar. Ich hatte vor der Veranstaltung überlegt, ob Herr Thielke auch ohne seine Posttätigkeit genug Themen fand, aber das lief locker. Nicht nur, dass er zwischendurch immer mal wieder auf die Post zurückkam, sein Leben war auch so spannend genug und füllte problemlos den Abend.

Ob er nun über seine Bahnfahrt berichtete und die Frage, wie sich die „Gleisbauarbeiten“ für die englische Ansage übersetzen ließen, oder über den freilaufenden Marder, der in den Motorblock seines Autos eingezogen war, woraufhin der Tierschutzverein das Auto vorübergehend zum Naturschutzgebiet erklärt hatte, oder ob er immer wieder Bemerkungen über einen freien Stuhl vor der Bühne machte und überlegte, warum der Kartenbesitzer an diesem Abend nicht gekommen war – es war sehr witzig und löste immer wieder laute Lacher aus. 

Außerdem hatte er ein Buch geschrieben, „Wir haben Sie leider nicht angetroffen“, das eine Art Verständnisbrücke zwischen Postmitarbeitern und Postkunden sein sollte. Er las daraus vor, was beim „Postlexikon A-Z“ zwischendurch lustig, manchmal aber etwas zu trocken war, weil die kleinen Spitzfindigkeiten nicht immer sofort zu erkennen waren. Ganz anders bei der Geschichte „Gefangen in der JVA“, die ähnlich lebendig wie sein Erzählstil war und viel Gelächter auslöste. Typisch Herr Thielke merkte er vorwurfsvoll an, dass in der gesamten Justizvollzugsanstalt keine Fluchtwege ausgezeichnet waren.

Sogar als er nach einem sehr freudigen: „Jetzt passen Sie mal auf!“ kurze Witze erzählte, über die er selbst am meisten lachen musste, war das ein Vergnügen. Er grinste breit, wedelte die Arme vor Begeisterung nach vorne und hinten und rief mitreißend: „Ein Witz passt immer!“ Dann erklärte er aber auch sofort ernsthaft, dass der Beginn „Kommt ein Mann zum Arzt“ gleich den Witz erkennen ließe, denn im Unterschied dazu würde die Tagesschau so niemals anfangen.

Im Verlauf des Abends bekam ich immer mal wieder Schnappatmung vor Lachen. Bei der Schilderung, wie er sich mit dem Oberkörper in einer Tiefkühltruhe im Supermarkt verstecken musste, um aus dem Blickfeld zu kommen, und seiner anschaulichen Darstellung, wie er mit steifgefrorenen Haaren wieder auftauchte, bekam ich einen Lachanfall. Es war einfach zu komisch. Je ernsthafter und anklagender er über seine Erlebnisse berichtete, desto unkontrollierter wurde meine Atmung, die Mundwinkel zogen sich unaufhaltsam in Ohrrichtung und in meine Augen quetschten sich Lachtränen.

Auch ringsherum wurde laut gelacht. Manchmal schon vorfreudig, denn die Zuschauer sahen die Sackgasse, in die sich Hans-Hermann Thielke begab, schon vorher, während er noch munter erzählend hineinmarschierte. Großartig!

Ich hätte ihm noch lange zuhören können, aber da war das kurzweilige Programm schon am Ende. Es gab lauten Beifall und ich dachte verwundert, wie unerwartet spannend das Leben von Herrn Thielke doch war, dafür brauchte er gar keine Post. Jetzt würde ich gerne noch mehr von ihm erfahren, vor allem, was für Ergebnisse seine Heiratsanzeige bringt, von der er umständlich berichtete. Er ist mir ans Herz gewachsen, in seiner eingefahrenen, umständlichen und doch so positiven Art. Ein toller Abend! Den Herrn Thielke sehe ich mir sicher wieder an! 

Nebenbei weiß ich jetzt auch, dass bei Herrn Thielke und Herrn Hoffmann nicht nur der Name wechselt. Da gibt es auch charakterliche und optische Unterschiede. Das ist dann doch beruhigend.