Bastian Pastewka & Komplizen – 13.03.2015 – Euskirchen
Live-Hörspiel: Paul Temple und der Fall Gregory.
Mit Bastian Pastewka, Janina Sachau, Edda Fischer, Alexis Kara, Kai Magnus Sting
Emil-Fischer-Gymnasium, Euskirchen
Ich war gerade voll in den Hörspielen drin. Im letzten Jahr hatte ich ein Theaterstück in ein Krimi-Hörspiel umgeschrieben und wir hatten es mehrfach live aufgeführt, und vor einer Woche hatte ich ein fast fünfstündiges Paul-Temple-Radio-Hörspiel von Francis Durbridge, das aus dem Jahr 1951 stammte, bei zwei langen Autofahrten angehört. Wenn jemand ein Live-Durbridge-Krimi-Hörspiel beurteilen konnte, dann ja wohl ich.
Bastian Pastewka war ein Liebhaber der alten Durbridge-Krimis. Die hatten keine Buchvorlagen, sondern wurden vor 60 Jahren als mehrteilige Hörspiele extra für das Radio produziert. „Paul Temple und der Fall Gregory“ war 1949 das erste in Deutschland produzierte Durbridge-Radio-Hörspiel, und es wurde nach der Ausstrahlung gelöscht. Auch das englische Original wurde gelöscht und nur eine deutsche Textfassung blieb erhalten. Die war nicht mal vollständig, konnte aber anhand einer wiedergefundenen norwegischen Fassung rekonstruiert werden.
Jetzt war Bastian Pastewka mit einigen Kollegen auf Tour, um den neu aufbereiteten „Fall Gregory“ im Stil der alten Radio-Hörspiele vor den Augen und Ohren der Zuhörer entstehen zu lassen. Ich war Hörspielfan, ich hatte Erfahrung im Inszenieren eines Live-Hörspiel-Krimis, ich kannte die Überlegungen, welche Geräusche unbedingt zu hören sein mussten und wie sie mit den vorhandenen Möglichkeiten am besten zu erzeugen waren, ich fand Bastian Pastewka klasse und mein eigener Sohn hieß auch Bastian. Alles Argumente, die schlüssig dazu führten, dass ich mir dieses Programm nicht entgehen lassen konnte.
Das Theater in Euskirchen war schon lange ausverkauft. Sanfte, im Klang altvertraute Unterhaltungsmusik waberte stimmungsvoll durch den Raum, und ich dachte beim Anblick der rümpeligen Bühne: „Ach, du meine Güte!“ Die fünf Stühle mit davor stehenden Notenständern für die Texte fielen kaum auf im Gewusel von Gläsern, Flaschen, Telefonen, Eimern, einer Tür, einem Kühlschrank und diversem Kram wie Glocken, Hüten, Kisten und sogar einem aufgepusteten Luftballon. Mein „Ach-du-meine-Güte“-Gedanke kam jedoch nicht, weil ich irgendwelche hausfrauliche Ordnungsgedanken hatte, sondern weil ich bei unserem Hörspiel Requisiteurin gewesen war und vor jeder Vorstellung mit einer Liste in der Hand überprüft hatte, ob die richtigen Requisiten auch griffbereit am richtigen Platz lagen. Der Requisiteur beim Gregory-Hörspiel hatte da deutlich mehr zu tun. Beim Anblick des Gerümpels hüpfte mein Hörspielherz und ich freute mich noch mehr auf den Abend und auf das, was ich zu hören bekommen sollte.
Ein kleiner akustischer Zusammenschnitt aus den alten Original-Radio-Durbridge-Hörspielen stimmte kurz auf den Abend ein, dann wallte weißer Bodennebel über die Bühne und im Gegenlicht erschienen die fünf Sprecher als schwarze Silhouetten. Was für ein großartiges Bild! Das war gleichzeitig Durbridge, Wallace und Bond. Es war fast schade, dass die Darsteller sich hinsetzten, von Scheinwerfern beleuchtet wurden und wieder bunt aussahen.
Die erste Szene begann. Zwei Männer fuhren mit einem Motorboot zum Fischen aufs Meer. Sie unterhielten sich, ein Handmixer in einer Wasserschüssel gab das Geräusch des Außenbordmotors, Sand wurde in einer Pergamentschale regelmäßig von einer Seite zur anderen gerutscht und hörte sich dabei wie Wellen an, und eine der Darstellerinnen krächzte mit völlig ernstem Gesicht wie eine vorbeifliegende Möwe. Atmosphärisch wunderbar! Natürlich waren die beiden Herren keine zwei Minuten in ihrem Boot unterwegs, da fanden sie schon eine junge Frau tot im Wasser. Ein Fall für den Hobbydetektiv Paul Temple.
Es ging spannend los und blieb spannend. Die zwei Sprecherinnen und drei Sprecher sprachen sehr gekonnt und mit großem mimischen Einsatz, zum Teil in völlig anderen Tonlagen, wenn sie andere Rollen zu spielen hatten. Wenn sie nicht selber sprachen, blickten sie konzentriert auf ihre Textblätter, um rechtzeitig mit Gläsern zu klirren, an Türen zu hämmern und auch mal eine dünne Holzkiste einzutreten, was die jeweilige Szene akustisch perfekt untermalte.
Der Kontrast zwischen dem Hören mit geschlossenen Augen und dem Hingucken war verblüffend. Mit geschlossenen Augen „sah“ ich Paul Temple und seine Frau Steve entspannt am Frühstückstisch sitzen, er las die Zeitung und sie goss ihm eine Tasse Kaffee ein und strich anschließend Butter auf ihren frischen Toast. Mit geöffneten Augen sah ich die beiden Sprecher ihren Text ablesen und Handbewegungen ins Nichts machen. Links von ihnen wurde Wasser laut plätschernd in ein Gefäß gegossen, daneben wurde raschelnd mit einer Zeitung geblättert und der Buttertoast war ein Stück Schmirgelpapier, über das mit einem Stäbchen gekratzt wurde. Ich war entzückt.
Der gut aussehende, intelligente, lässige Gentleman-Detektiv Paul Temple war natürlich Bastian Pastewka. Er schlüpfte mit Inbrunst in die Figur hinein, blieb dabei aber immer noch ein bisschen Bastian Pastewka, was er vielleicht gar nicht so wollte, was aber sehr liebenswert war. Egal wie ernst und seriös er als Paul Temple guckte, er blieb Bastian Pastewka, der jeden Augenblick wieder aus der Rolle fallen konnte. Und das tat er auch.
Immer wieder gab es Unterbrechungen, in denen sich Bastian Pastewka an die Zuschauer wandte und ihnen begeistert weitere Details zu Durbridge und seinen Krimis erzählte, bis die Kollegen ihn und seine sprudelnden Besserwisser-Infos genervt unterbrachen. Oder es wurde über die Rollen diskutiert, weil Janina Sachau als Temples Ehefrau Steve die „schöne“ Rolle hatte, während Edda Fischer widerwillig alle möglichen Sergeants und unangenehme Typen sprechen musste. Alexis Kara war zurückhaltend und spielte klaglos und überzeugend diverse Charaktere, Kai Magnus Sting wurde durchgehend gemobbt, ordnete sich aber auch immer widerspruchslos unter. Diese Einwürfe lockerten auf und waren witzig, allerdings störte mich, dass sie einstudiert geschauspielert wirkten. Da stimmten dann zwar Tempo und Timing, aber die Illusion von „spontan“ kam bei mir nicht auf. Schade.
Trotzdem war das kurze Ankommen in der Gegenwart durch die Unterbrechungen gut, denn der manchmal etwa verwirrende Durbridge-Krimi mit den vielen Namen und Personen konnte geordnet und etwas übersichtlicher gemacht werden. Außerdem konnte augenzwinkernd über das damalige Rollenbild in Durbridge-Krimis mit dem smarten, intelligenten Paul Temple und seiner reizenden, aber manchmal etwas einfältigen Ehefrau gesprochen werden. Bastian Pastewka kommentierte: „Der Mörder war niemals eine Frau. Frauen kochen, sehen gut aus und stellen keine Fragen.“ Er setzte hinterher: „Eine schöne Tradition“, woraufhin es lachend-empörte Frauenproteste aus dem Publikum gab.
Es gab großartige Szenen. Ein Sturz mit einem Auto von einer Brücke in einen Fluss, der laut, dramatisch und sogar richtig nass war, Zeitlupen und Zeitraffer, und der bei Durbridge unvermeidliche Nachtclub mit vielen Menschen, halblauten Unterhaltungen und Gläserklirren, für den die Darsteller sogar live das Lied „Maria aus Bahia“ sangen, um die Atmosphäre ganz genau darzustellen. Manchmal waren die Szenen lustig, manchmal augenzwinkernd übertrieben, dann wieder so spannend, dass ich eine Gänsehaut hatte. Langweilig war es keine Minute. Und erstaunlicherweise behielt ich sogar ziemlich gut den Überblick, was an den bewusst sehr unterschiedlichen Sprecharten für die verschiedenen Rollen lag und an der textlichen Bearbeitung, bei der das Original vermutlich stark gekürzt und damit überschaubarer wurde. Sehr klasse waren auch die kurzen, oft dramatisch-spannenden Musikeinspieler, die am Ende der Szenen kamen und die genau wie in den alten Hörspielen waren. Das ganze Hörspiel war liebevoll und sorgfältig gemacht, ohne eine genau Kopie zu sein.
Es gab einige Pannen, bei denen ich vermute, dass sie alle eingebaut und keine davon unerwartet war, aber sie ergaben viel Gelächter im Publikum und die Darsteller auf der Bühne waren locker und mit Freude dabei. Bastian Pastewka war mit vollem Einsatz Paul Temple und hatte das Geschehen im Griff, und Janina Sachau war eine reizende Steve, die mit ihrem perlenden Lachen und ihrer süßen Art genau so spielte, wie sie es in der Rolle sein musste. Die anderen drei wechselten gekonnt und lässig zwischen mehreren Rollen hin und her, und Kai Magnus Sting hatte als Norweger einen ziemlich niederländischen Akzent, was einen eigenen Witz hatte. Es war wunderbar, wie sie zu fünft auf der Bühne ein großes, mitreißendes Hörspiel zauberten.
Alexis Kara, Edda Fischer, Bastian Pastewka, Janina Sachau, Kai Magnus Sting
Der Abend war von vorne bis hinten kurzweilig, hatte Spannung, machte Spaß und verbreitete tatsächlich das Flair eines alten Radio-Hörspiels. Und Bastian Pastewka war gewohnt charmant, witzig und sehr schlagfertig. Es war schnell zu spüren, mit wie viel Liebe, Leidenschaft und Sachverstand er mit den alten Hörspielen umging. Am Ende gab es Standing Ovation, schrilles Pfeifen und lautes Gejubel vom sehr begeisterten Publikum. Was für eine tolle Vorstellung!
Als Zugabe gab es eine nochmal gesungene und getanzte „Maria aus Bahia“, die für weitere Begeisterung sorgte. Ein letztes „Auf Wiedersehen!“, dann war Schluss. Schade. Ich hätte noch weiter hören können.
Zum Hören auf zwei CDs – und in dieser Form dann wirklich als Hörspiel ohne Bild – gibt es den Fall Gregory so, wie er auf der Bühne gespielt wird, inklusive der Unterbrechungen und Zusatzinformationen. Liebevoll gemacht und hörenswert. Und auch da kann Bastian Pastewka auf dem Titel bei allem guten Willen nicht wirklich seriös und gefährlich gucken. Wie schön.