Bodo Wartke & Capital Dance Orchestra – 08.11.2014 – Bochum
Swingende Notwendigkeit.
RuhrCongress, Bochum
Schon auf den Plakaten lachte mich Bodo Wartke ganz ungewohnt in weißem Anzug und tanzender Haltung an. Im Hintergrund hielten sich Musiker und Showgirls auf, die – ebenso wie er – nicht aus dieser Zeit schienen. Als Bigband- und Swing-Fan hüpfte mir das Herz, und ich war gespannt, wie die Bodo-Texte mit Bläsersätzen und swingenden Tanzschritten zu verbinden waren.
Beim Betreten des großen Congress-Saales, der kalt und ungemütlich wirkte und in dem öde, lange Stuhlreihen auf pflegeleichtem Bodenbelag aufgereiht waren, dachte ich auf keinen Fall an Swing. Der übergroße Raum hatte den Charme einer Fabrikhalle, und die Bühne an der Stirnseite wirkte in dieser Umgebung viel zu klein und wie improvisiert aufgestellt. Ihre strahlende Scheinwerferbeleuchtung passte so gar nicht zur nüchternen Hallenatmosphäre. Aus der kahlen Trostlosigkeit holten mich plötzlich leise Töne: Ein Orchester stimmte im Hintergrund die Instrumente. Eigentlich kein akustischer Leckerbissen, aber ich hörte auf die durcheinander klingenden Töne von Bläsern und Streichern und lächelte vorfreudig.
Als das Hallenlicht erlosch, war nur noch die hell erleuchtete Bühne im Blick, auf der die Mitglieder des Orchesters erschienen und sofort los legten. Das Schlagzeug trommelte, die Bläser setzten knackig ein, es swingte und ich war sofort irgendwo in den 20er oder 30er Jahren. Dann erschien unter großem Beifall auch noch Bodo Wartke, wie auf dem Plakat stilsicher in weißem Anzug mit passendem Hut, und tanzte gekonnt in swingenden Schritten. Na, das war mal ein Auftakt! Singend stellte er sich und das Orchester vor, wobei alle Instrumentengruppen originelle kleine Einsätze hatten, um den Klang zu demonstrieren. Eines war sofort zu merken: Das Orchester war klasse! Was für ein sauberer, exakter Klang, der jazzig und swingend war und nach weit mehr Musikern klang, als dort zu sehen waren.
Mit „Ich trau mich nicht“, einem bewährten Bodo-Wartke-Klassiker, ging das reguläre Programm los. Ganz ungewohnt saß Bodo dabei nicht am Flügel – den hatte er dem Pianisten des Orchesters überlassen -, sondern wurde zum Solosänger mit Mikrofon. Während er sang, konnte er die Geschichte ausdrucksstark mit Bewegungen und Mimik untermalen und ab und zu ein paar Tanzschritte einlegen. Hinter ihm spielte das Orchester die Begleitung wie eine Filmmusik, wurde laut und leise, mit sanften Geigen und schmetternden Bläsern. Der Leiter David Canisius gab nicht nur die Einsätze, sondern spielte auch Geige, wobei er sich drehte, wendete, hüpfte und verbog. Auch wenn das Lied und Bodos Stimme vertraut waren, war es in dieser Filmmusik- Orchester- Version- mit- viel- zum- Gucken plötzlich ganz anders. Toll! Ich dachte spontan: „Ich will auch so ein Orchester haben!“
Das war natürlich ein unrealistischer Wunsch, aber er war da. Ich würde mich gar nicht vor das Orchester stellen und singen wollen, aber ich würde mir gerne zuhause bei öden Arbeiten etwas vorspielen lassen und dazu hin und wieder Swingschritte machen. Bodo schien ebenfalls großes Vergnügen an dieser musikalischen Begleitung zu haben, auch wenn es ihm nach der Eröffnungsnummer recht warm war: „Ich bin diese Art von körperlicher Ertüchtigung nicht gewohnt. Ich arbeite normalerweise im Sitzen“, erklärte er dem Publikum mit ernster Miene. Tja, da saß ja nun der Orchester-Pianist.
Bodo Wartke erklärte, dass er mit einem Orchester endlich mal das machen könne, was sonst nicht gehe. Neben Tanzen und Stagediving – er blinzelte der vorderen Reihe zu: „Wisst ihr Bescheid!“ -, auch mal in anderen musikalischen Genres zu spielen. Es würde im Verlauf des Abends zunehmend schwieriger werden, versprach er und wandte sich an das Orchester: „Wer sich vertut, darf nicht mehr mitmachen.“ Das Publikum lachte auf, und er setzte hinterher: „Das schließt mich ein.“ Das versprach ein spannender Abend zu werden! Wer würde am Schluss überhaupt noch auf der Bühne stehen?
Und wer hatte eigentlich gedacht, dass es nur Swingmusik geben würde? Zu jedem Lied wurde der passende Musikstil zwischen Bodo und David Canisisus diskutiert oder auch mal mit Schnick- Schnack- Schnuck entschieden, und dann brachte das Capital Dance Orchestra vom Bigbandklang über Tango und Salsa alles gleichermaßen hervorragend und souverän. Es gab die Bodo-Klassiker in passenden Genres zu hören. “Claudia” als geigenbetonte Filmmusik, “Regen” als Reggae, “Moderne Architektur” als Marsch, “Ja, Schatz!” als hüpfende Polka. Dazu kamen jazzige Saxophon-Soli, ein Flügelhorn-Solo, das so traumhaft schön war, dass ich es mir nicht besser vorstellen konnte, und sogar eine Hardrock-Gitarre, die an der passenden Stelle durch den Saal jaulte. Das Publikum ging begeistert mit, war aufmerksam und blieb an ruhigen Stellen mucksmäuschenstill. Am Ende jeden Liedes gab es lauten Applaus.
Bodo sang und brachte dazu immer mal wieder kurze Tanzeinlagen, die angesichts seiner Körpergröße und seiner korrekten Haltung erstaunlich beweglich und lässig waren. Der war ja auch ein begeisterter und guter Tänzer, das konnte man sonst, wenn er am Klavier saß, gar nicht so gut erkennen! Von mir aus hätte er gerade in der ersten Hälfte auch noch öfter mal lostanzen können. Das übermittelte den Swing und die Lockerheit so schön und machte Spaß beim Zusehen.
Erstaunlicherweise blieben die Lieder auch in der Orchesterversion typische Bodo- Wartke- Lieder. Oft musikalisch anders und sehr ungewohnt umgesetzt, aber mit Bodos Stimme im Vordergrund sofort wiedererkennbar. Allerdings stellte ich fest, dass die textlichen Spitzfindigkeiten, die so typisch für seine Texte sind, schnell mal im orchestrierten Gesamtpaket zu überhören waren. Wenn er sonst alleine am Flügel saß, hörte ich genauer hin, während ich mich jetzt auch einfach mal von der tollen, sehr abwechslungsreichen Instrumentalmusik mitnehmen ließ. Die Texte gerieten etwas in den Hintergrund. Tempowechsel und Pausen waren im Arrangement genau und sehr gelungen eingeplant, trotzdem konnte es nicht so spontan und persönlich rüberkommen wie bei einer eigenen Klavierbegleitung.
Der singende Bodo Wartke war trotz seines auffälligen, weißen Anzugs und seiner Rolle als Solosänger zum Teil eines Orchesters geworden, das aus vielen Teilen bestand, die ebenfalls Aufmerksamkeit bekamen. Das war nicht wirklich schlimm, ich kannte die Texte und fand es ungeheuer interessant die Lieder in den neuen Versionen zu erleben, aber Neuhörer könnten es vielleicht etwas schwerer haben, alle Wortspielereien zwischen schmelzenden Geigen und klaren Bläsersätzen zu erkennen und aufzunehmen. Aber vielleicht hörten die Neuhörer aufmerksamer hin, weil sie die Texte noch nicht kannten?
Die Unterhaltungen und Diskussionen zwischen Bodo und dem Orchesterleiter waren lustig, hatten aber den kleinen Nachteil, das Publikum zu Zuschauern zu machen, die informiert, aber meistens nicht mehr direkt angesprochen wurden. Das war ein wenig schade, denn bei Bodos Konzerten war es immer sehr schön, dass er selbst großen Zuschauermengen ein Gefühl der persönlichen Ansprache vermitteln konnte. Jetzt unterhielt er sich vorwiegend mit dem Orchesterleiter, drehte sich zu ihm hin und ging damit ungewollt ein wenig auf Distanz zum Publikum. Aber natürlich gab es gerade wegen des Orchesters auch einige wunderbare, nie vorher erlebte Szenen. Großartig die Stelle, an der bei “Ja, Schatz!” sanfte Geigenklänge und ein romantisches Filmorchester erklangen, die Schweinwerfer von oben breite Lichtkegel auf die Bühne warfen, Herr Canisius mit weichen Bewegungen seinen Körper geigend hin und her schwang und Bodo mit zärtlicher Stimme davon sang, wie er mit der Axt eine Kluft zwischen Luft- und Speiseröhre trieb. Dieser Kontrast! Wunderbar!
Als sich Bodo später dann aber doch mal an den Flügel setzte, brandete in der Halle freudiger Applaus auf. Vermutlich hatten da doch einige der Zuschauer das Gefühl, dass die Texte und das Bodo-Gefühl noch intensiver auf die bewährte Art zu erleben waren. Wobei überhaupt nichts gegen die Arrangements und das wirklich erstklassige Orchester zu sagen war. Die waren wirklich außerordentlich gut und mussten natürlich unbedingt bei den “Swingenden Notwendigkeiten” dabei sein. Ansonsten wäre es ja “Bodo am Klavier”.
Am Flügel sitzend spielte und sang Bodo “Bei schönen Frauen bin ich kompromissbereit” und das Orchester spielte dazu. Das war auch eine schöne Variante, obwohl dann natürlich die zwischendurch eingebrachten Swingschritte fehlten, die mir ja auch so sehr gut gefielen. Bodo am Flügel, singend, mit dem Publikum kommunizierend, Swing tanzend und mit Orchester – das ging eben nicht alles gleichzeitig.
Als er sich etwas später versang und einen kurzen Textaussetzer hatte, dem eine ganze Liedzeile zum Opfer fiel, blickte er nach dem Lied den Orchesterleiter ernst an: „Sie wissen, was das bedeutet!“ Das Publikum kicherte gespannt los. David Canisius befahl mit fester Stimme: „SIE bleiben auf jeden Fall hier!“, und betonte, dass ER bestimme, was ein Fehler sei. Na, zum Glück! So ohne Bodo hätte mir dann doch was Wichtiges gefehlt.
Im zweiten Teil wurde deutlich mehr getanzt, was mich sehr erfreute. Anita Haupt und Lucy Flournoy waren nicht nur süße, rotbekleidete Backgroundsängerinnen, sondern auch Tänzerinnen, die temperamentvoll mit Bodo über die Bühne swingten. Auch von solchen Tanzeinlagen hätte es gerne noch mehr geben können. Das war Show, das hatte Charme, das warf mich in frühe musikalische Zeiten zurück, die ich nicht erlebt habe, die mich aber immer schon faszinierten. Auch als einer der Saxophonisten nach vorne eilte und kurzzeitig mittanzte, und auch Herr Canisius seine Geige weg legte, um mit Bodo eine Runde zu drehen, fand ich es klasse.
Am Ende des Programmes gab es vom begeisterten Publikum sofortige Standing Ovation, lautes Geklatsche, sehr großen Jubel und grollendes Fußgetrampel, das bei den hinteren Sitzreihen startete und sich vorne schon wie ein Bochumer Erdbeben anhörte.
Natürlich gab es eine Zugabe. Bodo erschien mit Zylinder und Stock und grinste: „Bin ich froh, dass es zu dieser Zugabe kommt, da kann ich den Krempel mal anziehen!“ Es gab eine klackernde Stepeinlage bei “Das letzte Stück”, und anschließend noch “Believe in Steve” mit einem Gospelchor, der aus beiden Backgrounddamen bestand. Bodo gebärdete sich wie ein Prediger, die Gospeldamen sangen den Backgroundchor und die gerade nicht musizierenden Orchestermusiker klatschten knallend den Takt.
Das Publikum war begeistert. Nach der letzten großen Verbeugung strahlte Bodo: „Ich könnte mir meinen Job nicht schöner vorstellen“, und betonte, dass es ihm ein Vergnügen und eine Ehre sei, mit dem Capital Dance Orchestra unterwegs zu sein. Allerdings gäbe es auch weiterhin seine Klavierkonzerte und Ödipus-Vorstellungen. Das war schön. Ich fand alle Arten von Bodo-Programmen sehr gut und erfrischend unterschiedlich. Toll, dass er nicht in Bewährtem stehen blieb, sondern auch in anderen Richtungen, die ihm persönlich gefielen, unterwegs war. Und wenn er etwas machte, dann immer richtig und mit vollem Einsatz, so dass das Ergebnis überzeugte. Er strahlte Unabhängigkeit aus und eine große Freude an seiner Arbeit, das gefiel mir sehr.
Ganz zum Schluss, als letzte Zugabe, gab es das „Liebeslied“. Und da wurde Bodo Wartke wieder zu dem Bodo ohne Orchester, der locker mit dem Publikum plauderte, nach gewünschten Sprachen fragte und mit einem geistreichen Vortrag über die elbische Sprache, der unerwartet lange dauerte – aber auf keinen Fall zu lang war -, viel Spaß machte. „Welcher Dialekt darf es denn sein? Sindarin oder Quenya?” Er empfahl Sindarin. “Altelbisch wird heute in Mittelerde gar nicht mehr gesprochen. Das ist quasi eine tote Sprache.“ Estnisch konnte er zu seinem großen Bedauern gerade nicht auswendig, fragte, ob es für den Abend auch litauisch sein könne und versprach, dass er die estnische Strophe bis morgen könne, wenn der Besucher dann wieder zum Konzert käme. Zusammen mit Bayerisch waren drei Sprachen gefunden, die er zum großen Vergnügen des Publikums am Klavier brachte.
Zum Abschluss gab es noch einmal viel Applaus, Bodo verbeugte sich lächelnd, ging ab, das Hallenlicht ging an, und ein sehr musikalischer, wunderschöner, swingender Abend war vorbei.