Berichte

Purple Schulz – So und nicht anders – 17.02.2013 – Duisburg

Purple Schulz & Schrader
Steinhof, Dusiburg

Es war mein erstes Konzert mit Schrader, dem neuen Duo-Partner von Purple Schulz, und ich fuhr sehr kurzfristig und auch für mich überraschend nach Duisburg, um dabei zu sein. Und nicht nur Schrader war neu, es gab auch endlich wieder eine neue CD von Purple. Und der Steinhof war neu, zumindest für Purple und Schrader, die dort noch nie gespielt hatten. Um es kurz zu machen: Konzert toll, Schrader toll, CD toll, Steinhof toll.

An diesem Konzertabend wurde natürlich die neue CD vorgestellt, die vielen Konzertbesuchern noch unbekannt war. Es begann mit Ich hab Feuer gemacht, und das Publikum stieg bei den afrikanisch anmutenden Rhythmen klatschend ein und ließ sich gut gelaunt mitnehmen. Auch Purple lachte während des Liedes unerwartet auf und erklärte danach, dass eines seiner Geräte, mit dem er Klänge und Mehrspurstimmen erzeugte, im Display plötzlich „too busy“ angab. Zu viel zu tun, dabei war es ja extra dabei, um die Zwei-Leute-Band musikalisch zu erweitern.

Mit Vorbei ist vorbei ging es weiter, und ich grinste zufrieden, denn Schrader als Duopartner war wirklich klasse. Er spielte sicher und souverän Gitarre und sang hin und wieder mit warmer Stimme den Background. Er und Purple wirkten so vertraut, als würden sie schon Jahre miteinander auf der Bühne sitzen und könnten sich voll aufeinander verlassen. Es war eine große Harmonie zu spüren, musikalisch wie auch persönlich. Sehr schön!

Sonst hatte ich Schrader als Gitarrist bei Guildo Horn gesehen, wo er deutlich bunter gekleidet die Bühnensau rauslassen und mit fliegenden Haaren herumspringen konnte. Jetzt saß er fast durchgehend fest auf einem Stuhl, was mir ungewohnt vorkam, jedoch gut zum Konzert passte. Ein ernstes berührendes Lied, Purple ruhig am Keyboard sitzend und Schrader auf einem Bein über die Bühne hüpfend, wäre zumindest gewöhnungsbedürftig gewesen. Er konnte jedenfalls beides souverän, flippig herumspringen und ruhiger, verlässlicher Musikpartner sein.

Uns kann nichts passieren, ein Lied über Leute, die sich der Verantwortung entziehen und damit auch immer gut durchkommen, kam nicht zuletzt wegen der witzigen szenischen Darstellung sehr gut an.

Als Purple anschließend während des Applauses die beim Lied verwendete Flöte wieder weg packte, rief ein Zuschauer aus der ersten Reihe laut: „Stimmt!“ Irritiert fragte Purple: „Die Flöte stinkt?“ „Stimmt!“ „Ich soll sie stimmen??“ „Nee, es stimmt, was du gesungen hast!!“ Purple sprang von seinem Platz hinter dem Keyboard auf, eilte an den Bühnenrand und reichte dem Mann die Hand. „Danke!“, freute er sich.

Nach drei Liedern von der neuen CD kündigte Purple „ein älteres Lied” an. Das Publikum jubelte freudig auf. „Ihr wisst gar nicht, ob ihr das kennt!“, bremste Purple und erklärte: „Wir singen nur alte Lieder, die keiner kennt.“ Schrader ergänzte sofort: „Das ist der Schwerpunkt dieser Show.“ Mit dem Rücken an der Wand war dann allerdings ein Lied, das doch viele Zuschauer leise mitsingen konnten. Anscheinend war ein Großteil von ihnen mit den frühen Sachen sehr vertraut. Und so wichtig es war, die neuen Lieder bekannt zu machen, einige alte, vertraute Stücke mussten unbedingt auch in ein Konzertprogramm.

Danach war auch wieder Aufmerksamkeit für die neue CD da, und das Thema Alzheimer im Lied Fragezeichen kam sehr gut an. Musikalisch gesehen staunte ich nur, wie viel Musik zwei Leute auf einer Bühne machen konnten. Auch wenn sie technisch mit Rhythmusgeräten und Keyboardklängen verstärkt wurden, war es doch live gemachte Musik, die ganz persönlich rüberkam. Im Gegensatz zu Josef Piek, der viele Jahre lang Purples Duopartner war und sehr schön filigran mit der Gitarre begleitet hatte, war Schrader kraftvoller und funkiger. Der Gesamtklang war anders, nicht besser oder schlechter – mir hat auch Josefs musikalische Begleitung immer sehr gut gefallen – aber es klang dynamisch und kraftvoll lebendig. Passend zu einer neuen CD und einem neuen Lebensabschnitt.

Eine Freundin von Purple, Dania König, hatte Musik und Text von Auf dem Grund geschrieben, und sang das Lied auf der CD gemeinsam mit ihm. Jetzt musste Schrader ihren Part übernehmen und Purple kündigte an: „Ich sag nur eins: Er kommt nicht so hoch!“ Fiel aber gar nicht auf, denn das Lied war auch mit tieferer Zweitstimme passend. Danach kündigte Purple Die dünne Wand an, ein weiteres Lied der neuen CD, bei dem es um eine psychische Störung geht. Ich war sehr gespannt. Dieses Lied hatte ich ganz früh in einer ersten Studioversion hören dürfen und sollte danach ohne vorherige Erklärung von Purple sagen, um was es geht. Die Frage war, ob der Inhalt und die Problematik zu verstehen sind oder ob es mich verwirrt und in eine falsche Richtung führt. Ich fand das Lied schon in der damaligen Version sehr beeindruckend und großartig und habe es thematisch auch sofort richtig verstanden. Als ich später die CD zum ersten Mal hörte, stellte ich fest, dass sich bei diesem Lied zur ersten Version, die ich gehört hatte, gar nichts Grundlegendes geändert hatte. Aber wie würde es jetzt live sein? Das war doch kaum umzusetzen.

War es doch. Gewaltige Klänge wie Filmmusik kamen durch den Raum und ich fand alles sehr beeindruckend. Schräge Töne zeigten, wie jemand plötzlich aus seinem alltäglichen Leben gerissen wurde und die Wahrnehmung verrutschte. Ein ernsthaftes Thema, das Purple gut vermitteln und das ich nachvollziehen konnte. An den leisen Stellen hatte ich Gänsehaut.

Geheimnis von der neuen CD und das ein wenig ältere Wir haben alle was zu sagen folgten, dann verschwand Purple von der Bühne – also er entmaterialisierte sich nicht und war verschwunden, er ging einfach nach links durch den Vorhang ab – und Schrader kündigte einen Gast an, der das Programm aufpimpen sollte. Der kam dann auch, entzückte das Publikum mit Aufschnitt hol’n, gab dramatisch alles und das Gelächter war groß. Dann ging es in die Pause, für die Purple vorschlug: „Ihr habt jetzt Gelegenheit, euch die Band schön zu trinken!“

In der Pause gab es nicht nur die Gelegenheit die Band schön zu trinken,- ich war mit den beiden Darstellern im Übrigen sehr zufrieden und verzichtete dementsprechend auf harte Sachen -, es gab am Merchandisestand auch die neue CD, Poster und T-Shirts zu erwerben und Purples Frau Eri zu sehen, auf die er extra hingewiesen hatte. Der Steinhof hatte eine sehr gemütlich, fast familiäre Atmosphäre und es gab Getränke, warmes Essen, Snacks und eine Dame, die am Ende der Pause im Foyer herum ging und freundlich bat, den Saal wieder zu betreten, weil das Konzert in wenigen Minuten weiter gehen würde. Wenn der Steinhof nicht eine Stunde Fahrt von mir weg wäre, würde ich da wirklich oft hingehen. Tolle Atmosphäre, liebevolle Betreuung, tolles Programm. Da fühlt man sich einfach wohl.

Es ging weiter mit So macht das keinen Spaß, einem Lied über Kirche und Religion, das nicht nur mexikanisch eingekleidet war, sondern auch einen schnellen und wortreichen Refrain hatte, der das Publikum beim Mitsingen klar überforderte. „Hört sich einfacher an, als es ist!“, kommentierte Schrader und grinste. Dass zu Beginn ein Kabel bei Purple nicht eingesteckt war, ergab eine so schöne Szene, dass diese Panne idealerweise fest eingebaut werden sollte.

Bei Schöne Leute konnten die Zuschauer trotz des schnellen Textes mitsingen, was sie auch laut machten. Eine Zuschauerin, die ich zufällig im Blick hatte, war mir in der ersten Konzerthälfte schon aufgefallen, weil sie fast bewegungslos auf ihrem Platz saß und keine Miene verzog. Sie guckte zwar durchgehend auf die Bühne, erlaubte sich aber keine sichtbaren Emotionen. Spaßbremse? Zum Konzertbesuch gezwungen? Steuerfahndung? Oder einfach unfähig zur Lockerheit? Bei „Schöne Leute“ sah ich sie zum ersten Mal mitklatschen und ihr Gesicht wirkte plötzlich entspannter. Sie sah nach festen Regeln, blitzsauber geputzter Wohnung und Schondeckchen auf dem Sideboard aus, aber irgendwann einmal schien sie auch Purple-Schulz-Fan gewesen zu sein. Langsam kam das wieder hoch und kroch durch ihren Panzer. Beim nächsten Lied entspannte plötzlich ihr Unterkiefer und sie saß, intensiv zuhörend, mit halb offenem Mund und fast wie weggetreten da.

Sag die Wahrheit war eines der älteren Lieder und kam durch die Schrader-Begleitung kraftvoller und funkig rüber. Das machte es fast noch eindringlicher. Es war jetzt Oldie-Zeit, die unbedingt zu einem Purple-Schulz-Konzert gehört. Auch die neuen Lieder werden mal vertraute Oldies sein, aber bis dahin möchte ich unbedingt auch immer einige der schönen alten Sachen hören, die von dieser wunderbaren Purple-Schulz-Stimme gesungen werden. Und von dieser schönen, warmen Schrader-Stimme begleitet werden, was ich nur nochmal kurz erwähnen möchte. Nur mit dir brachte die Zuschauer wieder zum lauten, fröhlichen Mitsingen, und bei Ich will raus wurde der Text vom Publikum leise, aber sehr intensiv fast mitgeflüstert. Als am Ende der verzweifelt gebrüllte Schrei von Purple endlich kam, hatte ich wieder Gänsehaut. Ich kenne das Lied, ich weiß genau, was kommt, aber es nimmt mich jedes Mal wieder mit.

Verliebte Jungs brachte jubelnde Stimmung, obwohl ich bei der Zeile „ Verliebte Jungs können es nicht lassen, die Frauen manchmal anzufassen“ überlegte, ob das in Zeiten der Sexismus-Debatte schon als Belästigung galt und abgeändert werden müsste. Zum Beispiel in: „Verliebte Jungs gucken gerne hin, doch Frauen anzufassen ist nicht drin.“ Na gut, lieber nicht. Bei Du hast mir gerade noch gefehlt riss es das Publikum von den Stühlen und die Duisburger zeigten sich als begeisterte Mitklatscher. Leider auf die 1 und die 3, was mir einfach unmöglich ist. Volksmusik und Karneval gehen sehr gut mit 1 und 3, aber alles, was grooven soll, nicht. Auch wenn alle Umstehenden vermutlich dachten, dass die blonde Frau kein Gefühl hat und immer falsch klatscht, blieb ich hartnäckig bei 2 und 4. Es gibt Sachen, die kann ich nicht und die will ich auch nicht lernen.

Purple verließ anschließend schon wieder die Bühne – was nicht am falschen Klatschen lag -, und Schrader seufzte: „Dä! Schon wieder allein.“ Das lag natürlich an einem weiteren Stargast, der kurz darauf die Bühne bereicherte und mit roter Clownsnase und Luftschlangen geschmückt Brauchtum schmetterte. So kurz nach Karneval noch ein rheinischer Ausläufer, der viel Spaß machte und im Saal gesungenes „Kölle Alaaf!“ auslöste. Eine Dame im Publikum weigerte sich allerdings, den Hauptdarsteller auf den Bauch zu küssen, egal, ob das nun Brauchtum war oder nicht. „Ihr seid der schönste Saal von Duisburg!“ schmetterte Purple ins Publikum und erhielt am Ende Riesenjubel und rhythmisches Klatschen.

Ohne Luftschlangen und Pappnase kam sofort danach Der letzte Koffer. Ein ernstes Lied über das Sterben. Von „Verliebte Jungs“ über „Brauchtum“ zum „letzten Koffer“ zu gehen, war mehr als abwechslungsreich, das schien mir fast schon riskant. Aber ein Purple konnte das. Und er nahm das Publikum mit. Mit seiner Nähe und der sehr persönlichen Art, in der er sprach und erklärte, war er so menschlich und facettenreich wie das Leben. Und dass es übermütige Liebe genauso wie Krisen und am Ende sogar den Tod gibt, konnte er glaubhaft vermitteln. Es wurde ruhig im Saal, aber nicht, weil die Stimmung weg ging, sondern weil es sehr berührend war. Mit Immer nur leben gab es einen tröstlichen und sehr positiven Schluss, bei dem ich bei den ersten zarten Akkorden Tränen in die Augen bekam, weil ich das Lied so wunderschön finde und es mir viel bedeutet.

Als Purple und Schrader sich verbeugten, gab es Standing Ovation und sehr lauten Applaus. Das Publikum war begeistert. „Das muss belohnt werden!“, freute sich Purple über die Zuschauerreaktion, eilte an das Keyboard, Schrader holte sich die Gitarre und es gab noch Kleine Seen hinterher. Auch ein Klassiker, den fast alle kannten.

Unter großem Beifall gingen Purple und Schrader danach ab, und Purple hatte versprochen, im Foyer noch alles zu signieren, was ihm hingehalten wurde. Au weia, das konnte ja was werden!

Als ich ins Foyer kam, lief gerade die emotionslose Frau leicht lächelnd und in zügigem Schritt auf Purple zu. In der Hand hielt sie seine neue CD zum Signieren. Irgendwie freute ich mich, dass sie ein bisschen lockerer geworden war und plötzlich so viel eigenen Elan zeigte.

Ein emotionales Konzert, und Schrader als neue Duo-Hälfte, die perfekt passt, menschlich wie musikalisch.