Die Wise Guys singen im Fußballstadion – 2003
Fotos: Anette Dewitz
10. Februar 2003 – Das war ja nun wirklich mal ein großer Veranstaltungsort, an dem ich die Wise Guys hören konnte: Ein Fußballstadion. Sie waren Teil des unterhaltenden Rahmenprogrammes eines Fußballspieles im Müngersdorfer Stadion in Köln, das seit einiger Zeit RheinEnergieStadion hieß. Es war – trotz des neuen Namens – noch im Umbau. Zwei Tribünenseiten waren neu und fertig, die dritte war alt und die vierte weg. Die neuen Teile ragten hoch hinauf, waren hell erleuchtet, blitzten und funkelten. Die alte Tribüne auf der Ostseite sah flach und altmodisch aus. Hinter dem Fußballtor der Nordseite gab es Trümmer, Sandhaufen und Bagger. Ein hohes Netz hinter dem Tor sollte verhindern, dass am Ziel vorbeigeschossene Bälle auf der Baustelle verlorengingen.
Das Rahmenprogramm zum Auftritt der Wise Guys war ein Fußballspiel des 1. FC Köln gegen Alemannia Aachen. Auf der neuen Südtribüne, die jetzt ganz gerade war und damit nicht mehr “Süd-KURVE” genannt werden konnte, saßen rot-weiß gekleidet die Kölner Fans. Sie stießen heisere Brüller und gemeinsame Gesänge aus, um die schwarz-gelben Aachener Fans, die ganz zusammengedrängt in einer Ecke der alten Tribüne saßen, einzuschüchtern.
Das gleißende Licht im Stadion täuschte einen hellen Sonnentag vor, dabei war es ein dunkler Winterabend. Optisch war es etwa 22 Grad warm, nach dem Thermometer lag die Temperatur um den Nullpunkt, die real gefühlte Temperatur: saukalt. Warum setzte ich mich an einem Februarabend drei Stunden lang im Freien auf einen eiskalten, roten Plastikstuhl? Mir war trotz dicker Jacke und doppelten T-Shirts schon vor dem Hinsetzen kalt und ich bibberte vor mich hin. Auf dem Rasen standen frierende Leute im Trainingsanzug, hatten die Hände in den Hosentaschen und bibberten auch. Waren das die Spieler? Sie wirkten sportlich, auch wenn sie gerade nichts machten, aber ich erkannte keinen, was aber nichts heißt, denn ich hatte keine Ahnung von Fußball und war nur wegen der Wise Guys da. Die hätte ich auch im Trainingsanzug erkannt. Vielleicht waren aber auch die Kabinen noch nicht fertig gebaut, und die Spieler mussten sich bis zum Anpfiff auf dem Rasen aufhalten?
Ein Moderator kündigte das Programm des Abends an: “Wir haben richtig was zum Schunkeln eingeladen. Außerdem ist das Dreigestirn hier, und eine Band, die hat gar keine Instrumente. Es sind die Wise Guys.” Zunächst begannen die Männer auf dem Rasen – es waren tatsächlich die Spieler – mit der Vorführung ihres Aufwärmprogrammes. Sie liefen ziemlich durcheinander, hatten keine erkennbare Choreographie und es gab zu viele Bälle. Am Spielfeldrand konnte ich in einer Menschenmenge lange Pfauenfedern erkennen, die sich wackelnd hin- und her bewegten. Der Karnevalsprinz war schon da. Musikalisch begann eine Gruppe, die sich wohl die “Stoßdämpfer” nannten und mit kölschem Text etwas sangen, das im halligen Refrain ungefähr wie “Isch bin eine Mülltonn” klang. Ich bezweifel sehr, dass das der Originaltext war, aber wir sangen einfach “In the navy” mit und das schien textlich und musikalisch zu passen.
Dann sagte der Prinz kurz etwas und dann kamen die Wise Guys auf den Rasen. Sie stellten sich vor die Fans der Südtribüne, vor ihnen bauten sich Fotografen und Kameraleute auf, und hinter ihnen kamen viele Cheerleader angelaufen und stellten sich in Position. Sie (die Mädels, nicht die Wise Guys) schwenkten ihre silbernen Puschel und machten Stimmung. Ein Konzert mit Cheerleadern, das hatte ich auch noch nicht erlebt.
Da ich die Wise Guys von meinem Platz aus nur von hinten, und jetzt auch noch von silbernen Puscheln und Mädchen umgeben sah, war ich dankbar, dass ich, wenn ich mir den Hals schräg nach links hinten verrenkte, einen Blick auf die dort installierte Videoleinwand werfen konnte. Dort war alles wunderbar nah und von vorne zu erkennen, so dass ich meinen Kopf immerzu wendete, um links alles von vorne und rechts alles von hinten mitzubekommen.
Der Deutsche Meister schallte laut durch das Stadion. Wir schunkelten in unserer Gruppe fröhlich mit, aber die Kölner Fans auf der Südtribüne blieben doch eher ruhig. Wollten sie die Zeile “Ich will einmal im Leben deutscher Meister sein, aber wir sind nur ein Karnevalsverein” vielleicht nicht hören? Nach der 8:0- Niederlage gegen München in der letzten Woche waren sie vielleicht etwas empfindlich.
Nach einer kurzen Zwischenansage von Dän gab es als nächstes Lied Nein, nein, nein. Die Cheerleader puschelten mehr oder weniger im Takt mit, auf der Leinwand gab es schöne Großaufnahmen, und nach dem Lied winkten die Wise Guys und gingen über den Rasen weg, die Cheerleader drehten sich um und liefen in die andere Stadionecke.
Unter dem Jubel der Fans kamen die Spieler der beiden Mannschaften auf den Rasen. Die Puschelmädchen hatten geübt, um die Puschel beim Einlauf der Spieler abwechselnd rechts und links schwenken zu können, und sie machten das ganz prima. Darf man eigentlich nur mit langen Haaren Cheerleader werden? Als alle Spieler auf dem Feld waren, konnten die Mädchen gehen und sich irgendwo aufwärmen, während auf dem Rasen das Spiel begann.
Der Geißbock Hennes, das Maskottchen der Kölner Spieler stand frierend am Spielfeldrand und interessierte sich nicht wirklich für das Spiel. Eng an seinen Betreuer geschmiegt, holte er sich etwas Wärme, und manchmal stierte er lange auf die Wand, auch wenn nur wenige Meter von ihm entfernt der Kampf um den Ball tobte. War aber vielleicht Taktik, um den Gegner zu täuschen.
Ich hatte einen sehr guten Platz, denn ich war von vielen Privat-Trainern umgeben, die alle wussten, was die Spieler machen sollten. Wobei mir Zurufe wie “Na, macht doch mal was!” leicht undifferenziert erschienen. “Nach links abgeben, du Arsch!” war da schon genauer. Es ging hin und her, manchmal hatte der Kölner Torwart nichts zu tun, zog sich in Ruhe die Strümpfe hoch oder klappte seine übergroßen, comicartigen Torwarthandschuhe aneinander, um warme Hände zu bekommen. Die Fan-Masse auf der Südtribüne hüpfte zwischendurch auf und ab und sah dabei aus wie eine kochende, brodelnde Marmeladenmasse, die in einem großen Topf unregelmäßig waberte. Es war immer noch unglaublich kalt. Ich bibberte vor mich hin, meine Beine zitterten von ganz alleine und meine Zehen mussten abgefallen sein, denn ich spürte sie nicht mehr.
Die Privat-Trainer hinter mir riefen bei vielen Aktionen: “Scherz!”, und es dauerte etwas, bis ich kapierte, dass das der Name eines Spielers war. Ach so. Dass der Schiedsrichter auch “Blindsau” hieß, verstand ich dagegen sofort.
Die erste Halbzeit war ohne Tor fast schon vorbei, die Aachener Fans skandierten hämisch: “Acht zu Null! Acht zu Null! Acht zu Null!”, hinter mir rief jemand verzweifelt: “Die sind ja heute wieder zu doof für alles!”, da stürmten die Kölner plötzlich auf das Aachener Tor zu. Alle Trainer in meiner Umgebung brüllten Anweisungen: “So nicht!” “Nach oben!” “Fott domit!” (Übersetzung: Weg damit!), der Ball knallte ins Tor, die Zuschauer sprangen von den Sitzen, und hinter mir kamen die zufriedenen Ausrufe: “Jaaaaaaa, Toooooor!” “Jawoll!” und “SO geht das!” Zehn Sekunden vor der Pause hatte Lottner das 1:0 für Köln gemacht. Beim unmittelbar danach folgenden Schlusspfiff der ersten Halbzeit sagte jemand hinter mir: “Scheiß Spiel, aber sie haben endlich mal das Tor getroffen.”
In der Pause hopsten die Zuschauer wippend herum, rieben die behandschuhten Hände und froren wie blöd. Minustemperaturen in einem Stadion. Boah, war mir kalt! In der zweiten Halbzeit schossen die Kölner ganz schnell ein zweites Tor. Der Kölner Fanblock rief mehrfach laut im Chor: “Ed äx zwohol”. Irgendetwas mussten sie damit meinen, und sie waren sich auch einig, was ich an der perfekten Synchronität erkennen konnte, aber es blieb mir trotzdem unverständlich. Das Spiel wurde aber spannender. Es stand 3:0 für Köln, als die Aachener ihr erstes Tor schossen. Die schwarz-gelben Fans jubelten, der Kölner Fanblock skandierte trotzig: “Scheißegal! Scheißegal! Scheißegal!”
Einmal landete der Ball tatsächlich im Sand der Baustelle, wurde aber von einer dunkel gekleideten Gestalt, die wartend auf einem Bagger gesessen hatte, zurückgeworfen. Durch den Ausruf eines der Trainer hinter mir erfuhr ich, dass der Schiedsrichter einen Sockenschuss hatte. Der Arme. Aber immerhin konnte er noch pfeifen, wenn auch anscheinend aus sich selber heraus, denn die Trainer um mich herum wussten: “Ist das eine Pfeife! Mann, Mann, Mann.”
In der 82. Minute machte Aachen das 2:3 klar, in der 89. das 3:3. “Die können nix!” riefen die Trainer hinter mir und guckten sauer zu den Kölner Spielern. Der Schlusspfiff kam, die Aachener Fan-Ecke jubelte, als hätten sie gewonnen, und die Kölner Fans guckten ernst und ruhig. Mir waren nach den Zehen auch die Finger abgefallen und ich spürte deutlich, dass meine Knochen anfingen einzufrieren. Meine innere Kälte hatte eine Minustemperatur erreicht, die nun auch wieder nach außen abstrahlte und die Umgebung kälter machte.
Der Prinz schwenkte einen gelb-schwarzen Schal, stürmte zu den Aachener Spielern und freute sich, was mich zunächst wunderte, bis ich merkte, dass es der Aachener Prinz war. Ein Kölner Prinz mit diesem Verhalten hätte sofort abdanken müssen. Wahrscheinlich wäre er noch im Stadion abgedankt WORDEN.
Zusammen mit den etwa 27.500 anderen Zuschauern verließ ich den Stadionbereich und traf – ohne die etwa 27.499 anderen Zuschauer – vier der Wise Guys im Eingangsbereich. Der fünfte war nicht erfroren, sondern schon nach Hause gefahren, die anderen hatten das Spiel gut überstanden. Ich habe gar nicht gefragt, aber ich vermute, dass sie die Zeit in einem warmen Bereich verbracht hatten. Memmen! Wahrscheinlich mit lecker Kölsch in einem geheizten Raum vor dem Fernseher. Egal, auch dort war das Spiel 3:3 ausgegangen.
Und dann kam das dritte Lied der Wise Guys. Ohne Mikros, ohne Scheinwerfer, ohne Puschelmädchen stellten sie sich im unverputzten Baustellen-Außenbereich zu viert um ein Handy, wählten eine Nummer und sangen einen Geburtstagsgruß. Der galt zwar nicht mir, aber das galt durchaus als Lied. Ich grinste und bibberte dabei vor Kälte vor mich hin. Ein höchst interessanter Abend, aber ich würde die Wise Guys im Stadion lieber nur noch im Sommer ansehen.
Deutscher Meister
Nein, nein, nein
Happy birthday