Kurt Krömer – Der nackte Wahnsinn – 13.05.2011 – Gelsenkirchen
Kaue, Gelsenkirchen
Zwischen Kurt Krömer und mir besteht seit vielen Jahren eine liebevolle Verbindung. Von der weiß Herr Krömer gar nichts. Aber vor zehn Jahren hat er sich beim Prix Pantheon in mein Herz gebrannt und ist immer noch drin. Ich freute mich, dass er nach großen Hallen mal wieder eine Club-Tour machte. Es gab zur Vorpremiere 350 Plätze in der ausverkauften Gelsenkirchener Kaue – wie schön überschaubar – und ich setzte mich in die zweite Reihe. “Jetzt wirst du wohl komplett wahnsinnig!”, flüsterte ich mir zu, aber eher innerlich, also unhörbar, damit ich nicht auch auf die anderen Zuschauer wahnsinnig wirkte.
Zweite Reihe bei Kurt Krömer, der wenig Hemmungen hatte, sein Publikum in die Show einzubinden, das war riskant. Aber irgendwie brauchte ich Kurt Krömer mal ganz nah. So mit jeder Regung im Augenwinkel. Außerdem hatte mein Leben gerade viel Schwung und ich ging freudig Risiken ein. Mich hinter eine sichere Säule zu setzen, hätte nicht gepasst. Allerdings hatte ich keine Lust, dass ich oder mein Notizblock auf der Bühne landen würden, darum war die Herausforderung auch: Nicht auffallen.
Der Abend war eine Vorpremiere und ich werde jetzt nicht das Konzept des Abends verraten. Das liegt allerdings vor allem daran, dass ich kein Konzept entdeckt habe. Und außerdem, weil ich nicht weiß, wie ich den Begriff “Vorpremiere” einordnen soll, wenn Kurt Krömer mit dieser Vorstellung schon mehr als 20 Auftritte hatte. Gehört der Begriff “Vorpremiere” einfach zum Titel? Coole Idee. Oder war es doch ein Ausprobieren, was später im endgültigen Programm für die großen Hallen verwendet werden könnte? Eine wichtige Frage, auf die ich keine Antwort habe.
Kurt Krömer war an dem Abend genau so, wie ich ihn kannte und wie ich ihn erwartet hatte. Vielleicht nicht mehr ganz so gespielt schüchtern wie vor einigen Jahren, der Anzug nicht mehr voll daneben, sondern fast OK und die Haare nicht mehr brav zum Seitenscheitel geklatscht, sondern ansehbar über der Stirn hochgestrichen. Frech war er immer noch und unverschämt bis zur Beleidigung. Und das Publikum liebte ihn dafür. Er war der Verlierer, der lieber mal zuerst verbal austeilte, ehe er wieder untergebuttert wurde. Bei all seiner Rüpelhaftigkeit hatte er doch immer auch den Charme des netten Nachbarjungen.
Nähe und Liebenswürdigkeit wechselten ständig mit verbalen Schienbeintritten. So blickte er einmal auf, stöhnte über die heißen Scheinwerfer und sagte total nett: “So’n schönes Wetter draußen und wir sitzen hier in der Miefbude. Woll’n wir rausgehen?” Das Publikum stimmte spontan zu, und er winkte ab, als wären alle total verblödet: “Geht mal vor! Ich komm dann …”
Ganz sicher hatte er einen wenigstens ungefähren Ablauf des Abends, aber durch jeden Zuruf ließ er sich von der Linie abbringen, reagierte spontan und improvisierte. Als genau vor einer Pointe ein Handy im Saal klingelte, brach er ab, sprang von der Bühne und suchte den Besitzer im Zuschauerraum. “Wer war es? Denunzieren ist auch erlaubt!” Triumphierend kam er mit dem Handy zurück, rief den Anrufer zurück, ließ das Gespräch zur Freude des Publikums über sein Mikro mithören und packte das Handy danach ein. Ein junger Mann, der unmittelbar vor ihm in der ersten Reihe saß und einige Bemerkungen losließ, wurd eimmer wieder angepöbelt.
Eine junge Frau wurde auf die Bühne geholt und anzüglich angemacht, was sie aber lachend mitmachte. Sie zog aber auch ganz klare Grenzen, wenn Kurt Krömer zu nahe kam, was dieser sofort akzeptierte. Aber er testete natürlich aus, wie weit er gehen konnte. Er wäre ja gerade auf “Spritztour”, erklärte er, unter dem lachenden Gequieke des Publikums.
Immer wieder vermittelte er den Eindruck ganz privat auf der Bühne zu sitzen und die Zeit rumkriegen zu müssen. “Wat machen wa?”, fragte er, blätterte in seinen Papieren, strich “erledigte” Gags ab und forderte Zurufe des Publikums. Es war alles sehr nah, blieb spannend und es war völlig unvorhersehbar, was gleich passieren würde. In einem Augenblick tat er mir leid, weil er so ein Verlierer war, im nächsten Moment dachte ich grinsend “du Sauhund!”, weil er wieder irgendeine Unverschämtheit losgelassen hatte.
Nach der Pause erklärte er, dass er gerade 20 Minuten lang mit der Porno-Hotline telefoniert hätte und schob feixend hinterher: “Mit MEINEM Handy hätte ich das nie gemacht!” Dann spielte er mit dem Headset bis es kaputt war und fragte die Techniker: “Und was machen wir jetzt?” “Auswechseln”, war die Antwort und einer der Herren eilte mit einem Ersatzgerät auf die Bühne. Ein Zuschauer schlug als Unterhaltungsnummer während der Wartezeit vor: “Du kannst ja deinen Namen tanzen!”, woraufhin Kurt Krömer ihn sauer anbrüllte: “Ich kann dir auch’n Spaten an den Hals klatschen!”, was neue Lachanfälle im Publikum hervorrief. Als der Techniker nach vollbrachtem Headset-Tausch mit schnellem Schritt die Bühne verließ, rief Kurt Krömer hinter ihm her: “Und was sagt man?” Der Techniker lief mal lieber ohne Antwort weiter und bekam: “Danke!” hinterhergebrüllt.
Im Publikum gab es Lachanfälle, und besonders eine Frau konnte sich kaum noch beruhigen. “Lachen Sie oder ersticken Sie gerade?”, fragte Kurt Krömer auf die Empore und erhielt als Antwort einen neuen Lachanfall. Nur wenige Sekunden später lachte eine Frau auf der anderen Seite der Empore in der gleichen Tonlage und er fragte verblüfft: “Haste dich umgesetzt?”
Ich lachte viel, hatte Spaß und mochte es besonders, wenn Kurt Krömer seine Geschichten vorlas und dabei die Stimme verstellte. Da lachte ich dann nicht mehr über Kurt Krömer, sondern über den Inhalt der Geschichte und wie er sie präsentierte. Ich glaube, es bekommen nicht alle Zuschauer mit, wie gut er sich dabei in andere Charaktere versetzen kann und was für eine schöne, warme Sprechstimme er hat. Ganz seriös und richtig gut. Ich höre immer ganz fasziniert zu, wenn er damit redet. Als Kurt Krömer ist die Stimme genau so eng und klein, wie er sich dabei darstellt.
Es ist natürlich klar, dass das Publikum Kurt Krömer als pöbelnden Verlierer sehen und erleben will – ich ja auch mit großem Vergnügen -, aber ich würde ihn auch gerne mal ganz anders in einem Hörspiel hören oder sogar als Schauspieler auf der Bühne sehen. Ganz seriös, in einer Rolle, die gar nichts mit dem Bühnen-Kurt-Krömer zu tun hat. Ich bin überzeugt, dass er das gut kann. Und wenn man nur wenig genauer hinguckt, sieht er richtig gut und kein bisschen blöd aus, was er nur prima hinter der Haltung und Mimik des Kurt Krömer- Bühnencharakters verbergen kann.
Plötzlich war der Schluss da. Was? Schon? Herr Krömer verabschiedete sich und vermisste den Knaller am Ende, bei dem das Publikum tosend applaudierte und der Künstler abging, gab aber selber zu, dass er keinen Knaller hätte. Leise aufkeimenden Applaus unterbrach er sofort: “Nee, das ist Mitleid!”, ging ab, kam zurück und zeigte dann tatsächlich noch den im Titel versprochenen nackten Wahnsinn. Wahnsinn hatte es bis dahin sowieso schon eine Menge gegeben und “nackt” wurde er dann auch noch. Also ein bisschen. Ich verrat da aber jetzt nicht mehr.
Trotzdem war das Ende ein wenig unbefriedigend, denn es blieb zuerst unklar, ob Herr Krömer noch einmal zu einer letzten Zugabe rauskommen würde und ob er das eher bei tosendem Applaus oder bei großer Stille machen würde. Er war eben nicht einzuschätzen. Zuerst wurde geklatscht, dann wurde es still, dann wurden sogar die Geräusche gemacht, die ihn vorher immer zu Reaktionen herausgefordert hatten. Aber in die erwartungsvolle Stille hinein begann die Saal-Dudelmusik, und die Zuschauer erhoben sich etwas enttäuscht von den Plätzen. Schade, er hatte es so spannend gemacht und alle erwarteten noch ein allerletztes Zeichen, da hätte wenigstens noch ein gebrülltes: “Raus mit euch!” kommen können. So als Abschiedsgruß. Einfach wegbleiben war irgendwie blöd.
Ich ging nach der Vorstellung raus, wischte mir die letzten Lachtränen weg und dachte: “Um was ging es jetzt eigentlich?” Ich hatte kein Konzept entdeckt, keinen roten Faden und keine Anzeichen einer Vorpremiere. Aber ich hatte einen sehr lustigen, kurzweiligen Abend erlebt, bei dem ich nicht weiß, ob ich mit einem Konzept mehr gelacht hätte. Also was soll’s? Vielleicht ist ein Konzept gar nicht so wichtig, oder das Konzept hieß: “Durch den Abend kommen und gucken was passiert”. Und gerade bei unvorhergesehenen Sachen ist Kurt Krömer genau in seinem Element.