Cover me 2009 – 29.11.2009 – Köln
Dirk Bach, Ross Antony, Katja Bellinghausen, Roger Cicero, Tommi Eckhart, Bernd von Fehrn, Nils Gessinger, Martina Hill, Bernhard Hoecker, Inga Humpe, Michael Kessler, Gregor Meyle, Monrose, Ralph Morgenstern, Wencke Myhre, Petra Nadolny, Susanne Pätzold, Ingrid Peters, Paul Reeves, Barbara Schöneberger, Juliette Schoppmann, Margarethe Schreinemakers, Mona Sharma, Gayle Tufts, Isabel Varell, Pe Werner.
Palladium, Köln
Das Kölner Palladium war knackevoll und das Publikum grummelte und pfiff vorfreudig. Gleich musste es los gehen! Innerhalb von sechs Stunden war die Veranstaltung ausverkauft gewesen, und es hätten noch viel mehr Karten verkauft werden können, wenn es mehr Platz geben würde. Was einmal als Geheimtipp begonnen hatte, war keiner mehr. Wer jetzt dabei war, freute sich über sein Glück. Auf der Leinwand im Bühnenhintergrund leuchtete schon seit einer Weile eine rote AIDS-Schleife auf gelbem Grund, und endlich kam aus dem Off Dirk Bachs überschnappende Stimme: „Es ist soweit! Hier ist Cover me zweitausend -neuuuuun!!“ Das Publikum reagierte mit lautem Jubel, in den sich anschwellend ein lauter, quetschiger Ton mischte.
Auf der Bühne wurde es hell, und die Rhine Power Pipe Band stand in exakter Formation und startete kraftvoll die ersten Dudelsäcke. Klar und durchdringend war eine schottisch anmutende Melodie zu hören, und ich dachte gerade, wie unglaublich laut und schrill so ein paar wenige Dudelsäcke sind, da setzten auch alle anderen Dudelsackspieler und dazu noch die Trommler ein, und es wurde ohrenbetäubend laut. Die Trommeln wurden mit wirbelnden Schlägern klar und akzentuiert geschlagen, die Dudelsacktöne kamen äußerst exakt, und ich fand es faszinierend, wie mitreißend und gleichzeitig auch ein wenig beängstigend diese Musik in solcher Lautstärke und Perfektion war. Dudelsackspieler wurden früher in Schlachten eingesetzt, um mit dem Klang die Feinde zu beeindrucken – mir war in diesem Moment klar, dass bei mir so ein durchdringender Ton, der hinter dem Hügel auf mich zukam, sofortige Fluchtgedanken ausgelöst hätte. Eine Flucht aus dem Palladium kam aber nicht in Frage, ich freute mich viel zu sehr, dass ich da war.
Allerdings versuchte die Pipe Band meine innere Kapitulation mit der bloßen Anwesenheit ihres Leiters zu erreichen, der bewegungslos in der Mitte der Bühne stand und ins Publikum starrte. Er war eine imposante Erscheinung mit hoher Bärenfellmütze auf dem Kopf, einem langen, karierten Umhang, der über die Schulter fiel, breiten Zierbändern über der Brust und schottischem Fell-Gebammel unter dem Bauch. Mit seinem langen Stab in der Hand und dem flauschigen Bart sah er etwa so aus, wie ich mir einen schottischen Nikolaus vorstelle, was ich aber nicht laut schreibe, denn dann wäre er bestimmt beleidigt und den möchte ich nicht mit bösem Blick vor meiner Tür stehen haben! Es war auf jeden Fall ein toller Anblick und eine grandiose Eröffnungsnummer, die zu Cover me, bei dem es immer Unerwartetes gab, passte.
Am Ende des Liedes jubelte das Publikum auf, der Leiter grüßte militärisch exakt, wobei sein Unterarm wie mit einem Federgelenk versehen nachwackelte – sehr faszinierend -, und ging zur Seite ab. Sofort übernahm die Cover-me-Band Begleitagentur, die Pipe Band Mitglieder machten Platz in der Bühnenmitte, und zu den Klängen von „Pokerface“ kamen Dirk Bach und Ingrid Peters, grellgelb gekleidet und mit weißen Lady-Gaga-Haaren, auf die Bühne.
Hinter ihnen folgten kurz darauf Gayle Tufts, Pe Werner und Juliette Schoppmann, alle ebenfalls gelb gekleidet, wobei der Overall von Gayle Tufts mich an ein Huhn erinnerte. Ich überlegte kurz, ob ein Huhn im „Pokerface“ vorkam, entschied dann aber, dass da wohl eher ein phantasiereicher Designer dran gewesen war.
Die vorher so steifen und ernsten Pipe Band Spieler wackelten zum Gaga-Lied im Takt mit den Knien oder bewegten lässig die Hüften, einige sangen sogar leise mit. Nur der Leiter stand unbeweglich an der Seite und starrte diesmal die Performer auf der Bühne an, was diese aber nicht einschüchterte. Sie sangen am Ende anstelle des Originaltextes „P-p-p-pokerface …“ „C-c-c-cover me …“, was perfekt zum Abend passte.
Unter großem Jubel (wann gab es bei Cover me eigentlich mal keinen großen Jubel nach Liedern?) gingen alle ab, nur Gayle blieb auf der Bühne, weil sie an diesem Cover me –Abend die Moderatorin war. „Guten Abend, everybody!“, begann sie gleich in ihrem typischen Denglish, dankte der Rhine Power-‚Pop‘-Band und rief: „Dudelsäcke sind in the house!!“ Sie erklärte freudig: „There are so many Sacks und es wird gedudelt hier, but never auf der Bühne bei Cover me!“
Aus den vorderen Reihen erschallte die Stimme von Hella von Sinnen, die dort als Zuschauerin saß, und Gayle nickte ihr zu und bestätigte dann dem Publikum, dass sie ein Kostüm von Hella trug. „Ein Traum geht in Erfüllung“, sagte sie, und drehte sich in dem Hühneroverall. War also wirklich nicht extra Gaga-designed, sondern tatsächlich ein Huhn. Vielleicht auch ein Papagei. Oder zumindest irgendwas Geflügeliges.
Backstage warten die Stars, „halbnackt und crazy“, versprach Gayle und erzählte, dass sie sich alle erst vorgestern zum Proben getroffen hatten. Klaus Tenner, der Leiter der Band, der seitlich am Flügel saß, schüttelte leicht den Kopf. Gayle korrigierte etwas unsicher in „so ungefähr.“ Sie guckte ihn an und betonte: „ICH bin vorgestern. Andere …“ Sie brach ab, ging auf ihn zu und fragte empört: „Waren die länger da??? Bin ich der Depp, der ganz am Ende kommt?“
Es ließ sich nicht zügig beantworten, darum kam sie zurück und versuchte dabei ihre Moderationskarten durchzusehen. „Ich hab sie kopiert von the computer und ich bin 49“, klagte sie und hielt die Karten mit ausgestrecktem Arm weit von sich, um sie ohne Brille lesen zu können. „I do not know what the hell I was thinking!“ Sie zeigte eine der Karten, die sie passend für sich mit großer Schrift ausgedruckt hatte: „Das ist Genever ….. 38, glaube ich.“
Dann zeigte sie eine andere, auf der ein ganz kleiner Textblock zu erkennen war. Sie jammerte: „Und das ist irgendwie New York Times 3.“ Mit weit ausgestrecktem Arm konnte sie dann aber doch einige Informationen ablesen und kündigte einen Künstler an, der zum ersten Mal bei Cover me war und den sie als Tontechniker kennengelernt hatte, ohne zu wissen, dass er „diese wahnsinnige Stimme“ hatte.
Gregor Meyle trat auf, sah weder glitzernd noch bunt aus, lächelte freundlich und wirkte völlig normal und unverkleidet. Bei Cover me war eben alles drin. Er hatte eine E-Gitarre dabei, stellte sich vor ein Standmikro und wurde von der Band begleitet. Sanft und balladig begann „Home“ von Michael Bublé, und die dann einsetzende Stimme war wirklich der Hammer. Ich verliebte mich sofort in sie. Rau, gefühlvoll und mit Unmengen von Energie, die oft nur untergründig zu erahnen war, aber manchmal mit Kraft rauskam. Wunderschön!
Gayle kam zurück, hatte das Huhn backstage gelassen und war nun Zirkusdirektorin mit Frack und Zylinder. Vielleicht auch Show-Stepperin bei “Chorus Line”, auf jeden Fall war es ein Kostüm, das – wie sie von Dirk Bach erfahren hatte – Hella von Sinnens Oma gehört hatte. Hella rief laut rein, dass diese Hedwig hieß und Gayle versicherte, dass sie das Kostüm für Hellas Familie mit Ehre trug.
Dann berichtete sie, dass es bei Cover me 2009 „kleine Disasters“ gegeben hatte und kurzfristig einige Leute absagen mussten. „Das macht keiner gerne, denn wir freuen uns alle, hier zu sein“, betonte sie. Einer der verhinderten Teilnehmer war Steffen Henssler, dessen Tochter krank geworden war, und der nun mit einer Videobotschaft eingeblendet wurde und versprach, im nächsten Jahr nicht nur eins, sondern zwei Lieder zu singen und sich auch noch auszuziehen. Das war doch ein guter Vorsatz! Gayle freute sich: „Ich komm nächstes Jahr, um das zu sehen!“ Ja, das hatte ich auch vor!
Anstelle von Steffen war Ralph Morgenstern kurzfristig eingesprungen und hatte zur Unterstützung schnell noch einen Chor bekommen, der aus Barbara Schöneberger, Ingrid Peters und Margarethe Schreinemakers bestand. Abwechselnd sangen sie die Strophen von „Aber bitte mit Sahne“, die Band spielte laut und der allen bekannte Klassiker machte gute Laune.
Neben den drei temperamentvollen Frauen ging Ralph Morgenstern fast ein bisschen unter, er wurde sozusagen vom Leadsänger zum Mitsänger, was ihn aber vermutlich nicht störte. Als einziger Mann auf der Bühne wurde er doch zum Hingucker. Wenigstens bei denen, die nicht auf die Frauen guckten.
Gayle stellte danach die My 4 Ladys vor, die als Streichquartett die Band an den passenden Stellen ergänzten. Auch bei „Bitte mit Sahne“ hatte es einen kleinen Musikteil gegeben, der perfekt für Geigen war. Schön, dass sie dabei waren!
Mit kurzem Blick ging Gayle ihre Moderationskarten durch und warf eine nach der anderen von der Bühne. „Das brauch ich nicht mehr … und das brauch ich nicht mehr…“, und die Karten segelten in die Zuschauerreihen. „Ebay!“, schlug sie vor, „Come on, kids in die erste Reihe!“ Dann sagte sie „Wouldn’t it be good“ an, und im langsamen Gleichschritt kamen Katja Bellinghausen, Ingrid Peters, Dirk Bach, Pe Werner und Juliette Schoppmann im Gänsemarsch auf die Bühne. Das Lied kannte jeder, aber in dieser Version war es – nun, etwas speziell. Die Band konnte es gut und wusste, was sie tat, aber im gesungenen Refrain gab es zunächst viele Zweit- und Nebenstimmen, aber keine durchdringende Hauptstimme. Die musste man sich irgendwie dazu denken. Vermutlich hatten die, die sie singen sollten, sich überraschend den Nebenstimmen angeschlossen. Oder das passende Mikrofon war nicht eingeschaltet.
Auch wann instrumentale Zwischenspiele eingeplant und wie lang die waren, schien nicht allen bekannt, und als das Lied endlich auch bei den Gesangsstimmen musikalisch gut erkennbar wurde, war ganz überraschend der Schluss da. Nun gut, es war originell und etwas anders als vertraut, weil Lieder ohne Hauptstimme nicht ganz falsch, aber eben unfertig klingen, auch wenn da tolle Stimmen am Werk sind. Aber es konnte ja nicht immer Sternstunden geben. So war zumindest die Latte nicht zu hoch für die folgenden Lieder gelegt.
„Für unseren nächsten Gast sollte es eigentlich rote Rosen regnen“, begann Gayle und betonte unter dem Gelächter der Zuschauer: „It’s not Hildegard Knef! Sie ist nicht zurück!“ Stattdessen begrüßte sie die „lovely and talented Isabel Varell!“, die seit Beginn bei jedem Cover me Jahr dabei war. Sie kam in einem langen Kleid auf die Bühne und sang mit warmer, leicht rauchiger Stimme „My way“.
Zunächst mit französischem Text, dann lauter und strahlender eine englische Strophe, zum Schluss eindringlich in Deutsch. Die letzten Zeilen waren wieder französisch, und während die Begleitagentur noch den langen Schluss des Arrangements spielte, klatschte das Publikum schon hingerissen und Isabel verbeugte sich.
Gayle kam im roten Samt-Anzug zurück und grübelte, warum das Wort „Entertainer“ in Deutschland so schmutzig wirkte. Noch schlimmer wäre nur „Unterhalter“, und am allerschlimmsten „Alleinunterhalter“. „Aber Entertaining is a phantastic thing!“, rief sie aus, „Es ist eine Kunst! Die nächste Gruppe Leute ist eine ganze Gruppe von Entertainern.“ Sie stockte kurz, beugte ihren Oberkörper seitlich ins Licht und rief: „Huhu! HIER bin ich!“ Der Beleuchter am Verfolger hatte sie bei ihrem schnellen Hin- und Herlaufen verloren, was kein Wunder war bei der großen Bühne, ihrem schnellen Tempo und dem kleinen Durchmesser des Lichtkegels.
„Ich bin groß, du kannst mich nicht verpassen“, lachte Gayle trotzdem und flitzte mit schnellen Schritten über die Bühne. Inzwischen war sie bei einer der sich immer wieder abwechselnden Gebärdendolmetscherinnen angekommen und fragte neugierig, wie diese das abschließende Wort „So!“ zeigte. Es wäre nämlich ihr Lieblingswort. „The mighty german SO!“
Interessiert sah sie zu und schwärmte dann: „Es tut so gut. Nach einer Runde Putzen: SO! Schönes Saxophonsolo: SO! Nach einem Orgasmus: SO!“ Jedes Mal bekräftigte sie das SO! mit einer kräftigen Armbewegung. „Nach 18 Jahren Deutschland bin ich richtig deutsch geworden.“
Dann kam sie auf die Anmoderation und die Gruppe von Entertainern zurück und begrüßte das SWITCH-Ensemble, bestehend aus Martina Hill, Petra Nadolny, Susanne Pätzold, Mona Sharma, Bernhard Hoecker und Michael Kessler. Sie stimmten als singende Gruppe fröhlich die TV-Titelmelodie von Heidi an und hatten ein ganzes Medley aus TV-Serien auf Lager.
‚Sindbad‘, ‚Gute Zeiten – schlechte Zeiten‘ und ‚Verbotene Liebe‘, bei der sich Michael Kessler und Bernhard Hoecker ansagen und die Szene in einem langen, vom Publikum gefeierten Kuss endete. Es folgten ‚die Nanny‘, ‚der rosarote Panther‘ und ‚Tom und Jerry‘ – alles bekannt und vertraut aus Kindertagen. Das Publikum hatte Spaß.
Während die Switcher abgingen, spielte die Band mit dem nächsten Stück „Mercy“ los. Mit dem Rücken zum Publikum kamen Pe Werner und Juliette Schoppmann rein, soulten los und zeigten beim Umdrehen dicke Babybäuche. Sie mussten kurz vor der Geburt stehen, Pe vermutlich mit Drillingen. Allerdings waren sie dafür ungewöhnlich beweglich und ihre Wahnsinns-Stimmen klangen nicht nach sanften Kinderliedern, sondern nach Soul-Röhren. Die Duo Auftritte von Pe und Juliette bei Cover me waren inzwischen schon legendär, weil es immer unglaublich abging.
Plötzlich sprang ein Mann zwischen sie, der optisch klar erkennbar ein Mundharmonika-Solo spielte. Es war vermutlich toll und soulig, aber leider wegen eines nicht funktionierenden Mikros zunächst nicht zu hören. Vermutlich kollabierte die Mann am Mischpult bei der hektischen Suche nach dem richtigen Kanal in diesem Moment beinahe, aber er schaffte es immerhin, das Solo gegen Ende hörbar zu machen. Es war wirklich super gespielt und äußerst schade, dass so viel davon verloren gegangen war.
Aber Cover me war eine chaotische, riesige Live-Veranstaltung, und es war schon unglaublich, was alles KLAPPTE. So viele Leute setzten sich mit ungeheurer Energie ein, viele Mikrofone wurden hin und her gereicht, sich da über einzelne, mal nicht perfekte Mikroeinstellungen aufzuregen, wäre wirklich völlig daneben. Die Techniker an Licht und Ton machten eine super Arbeit! Auf der Bühne ging es kräftig und temperamentvoll ab. Kurz vor dem Ende hätte es fast noch eine Spontangeburt gegeben, denn Pes dicker Schwangerschaftsbauch lockerte sich beim Springen und sie zog schnell und lachend den Rock mit dem Gummibund nach oben und hielt ihn fest, damit alles am Platz blieb.
Gayle beruhigte danach: „Die sind nicht really schwanger!“ Sie kündigte als nächsten Programmpunkt Margarethe Schreinemakers an. „Eine Powerfrau. Sie ist hier, to share her Lebensfreude with us.“ Powerful, wie versprochen, hüpfte Margarethe gummiballähnlich über die Bühne, was perfekt zum Lied „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ von Nena passte, denn die hatte auch immer Gummiball-Choreographien. Margarethe war wie ein jugendlicher Wirbelwind auf der Bühne und strahlte große Energie und Freude aus. Tolle Nummer!
Nach einem Hinweis auf die Tombola, bei der es unter anderem eine weihnachtliche Kieztour mit Olivia Jones auf der Reeperbahn zu gewinnen gab, versprach Gayle Tufts weitere Frauenpower. Monrose, bestehend aus Senna, Bahar und Mandy, kamen auf die Bühne. Hinter ihnen eilten Pe und Juliette, in 50er-Jahre-Oma-Mäntel gehüllt und entsprechende Perücken tragend, zu zwei Backstagemikros. Zusammen sangen sie „On the radio“.
Während die Monrose-Frauen möglichst schön und sexy sangen, immer auch auf die Optik und Popstar-Gesten bedacht, blieben Pe und Juliette unauffällig im Hintergrund und sangen einfach. In ihren Mänteln sahen sie dabei total schräg aus, es fehlten nur noch die übergroßen Handtaschen. Sie starteten eine spontane Schrittkombination, in die auch die Monroses sofort einfielen, was klasse aussah.
Kaum waren die Monrosen unter lautem Applaus abgegangen, wurde es auf der Bühne halbdunkel. Nicht dunkel genug, um zu erkennen, dass sich Pe und Juliette, die stehen geblieben waren, aus ihren Mänteln schälten und darunter sommerliche Strandkleidung trugen. Die Musik setzte ein und weitere Strandgäste eilten auf die Bühne. Vorneweg Dirk Bach, bauchfrei, in langer Badehose und mit aufgeblasenem Schwimm-Hai im Arm. Hinter ihm Ingrid Peters, Gayle Tufts und Bernd von Fehrn, mal mehr, mal weniger bekleidet. Die Intromusik war schnell als „Rotes Gummiboot“ zu erkennen, womit auch die Kleidung erklärt wurde. Ich war sofort entzückt. Was für ein schönes Bild! Dies war eine typische Cover-me-Nummer, die wunderbar schräg war und mit viel Liebe gebracht wurde. Großartig!
Dramaturgisch völlig unpassend waren nur die Feuerfontänen, die ab und zu am Bühnenrand hochzischten und vielleicht warmes Sonnenwetter darstellen sollten. Aus Zuschauersicht wirkten sie aber eher gefährlich bei so viel nackter Haut auf der Bühne. Aber immerhin kamen sie immer zum richtigen musikalischen Augenblick und unterstützten den „Knall“, den der Gummibootfahrer ganz eindeutig hatten. Und kleine Wasserfontänen oder ein Schwimmbecken mit Wellengang wären vermutlich zu aufwändig geworden, wo doch die Feuerfontänen schon da waren.
Ingrid Peters röhrte unerwartet temperamentvoll, Gayle und Bernd ruderten die ganze Zeit, ohne von der Stelle zu kommen, und witzig wurde es auch, als Gayle in ihrer Strophe nicht so textsicher war. Sie begann ganz normal, verhaspelte sich kurz und sang in der richtigen Melodie weiter: „… and I don’t realy know the Text of this song.“ Die nächste Zeile startete sie richtig, ertrank aber auch wieder im textlichen Wellengang und sang munter weiter: „Aber er war süß … und I’ll buy äh … everthing, und am Ende, ich weiß, er sagt Ahoi!“
Winkend zogen sie am Ende in einer Polonaise über die Bühne, Dirk immer mit seinem großen Hai im Arm. Es hatte was von einer Karnevalsparty am Stimmungshöhepunkt. Toll! Das Publikum schien ebenso begeistert wie ich, klatschte am Ende wild und pfiff dazu. Und mir war klar, dass das wieder mal eine der Cover me Nummern war, an die ich mich wohl mein Leben lang erinnern werde.
„Und warum haben wir das gemacht?“, fragte Dirk im Applaus, und stand dabei wie ein kleiner, verlorener Junge mit seinem Hai vor Gayle. Die begann: „Ich sage, warum wir das gemacht haben…“, aber Dirk drehte sich schon um und rief beim Abgehen schnell: „Weil ich mich ausziehen wollte!“ Er marschierte weiter raus, Gayle blickte hinter ihm her und lobte: „So einen Knackarsch hast du, Wahnsinn!“ „Dankeee“, säuselte Dirk lässig, der gerade an den Musikern vorbei zum Ausgang ging, und drehte sich nicht mal mehr um, so als ob er das zehnmal am Tag hörte. Sehr witzig.
Gayle sagte endlich, warum das Lied gesungen wurde: „Als tribute an unsere nächste guest“, und sie verriet, dass sie beim Soundcheck schon dreimal geheult hatte, weil es so schön war. „Please welcome Wencke Myhre!”, rief Gayle, und ging ganz selbstverständlich davon aus, dass jeder Zuschauer wusste, dass Wencke das „Gummiboot“ früher selber gesungen hatte. Vermutlich aber ohne Badelatschen und Plastikhai. Witzigerweise kam nach der Ankündigung zuerst die Gebärdendolmetscherin um die Ecke, die dadurch laut jubelnd begrüßt wurde. Aber gleich dahinter kam Wencke Myhre, die vom Publikum umjubelt wurde und gar nicht mit dem Singen beginnen konnte, weil die begeisterte Begrüßung eher lauter als leiser wurde. Das war mal ein Empfang!
Wencke freute sich sehr, verbeugte sich gerührt und rief „Dankeschön!“ und endlich wurde es leiser. „Dankeschön, dass ich heute Abend eingeladen bin“, begann sie, und ich fand, es passte zu ihr, dass sie sich nicht als großen Star des Abends empfand, sondern so freundlich und bescheiden blieb.
Mit sanfter Stimme erzählte sie, dass sie ein Lied mitgebracht hatte, dass sehr gut in die Zeit passte. Die Welt raste, alles sollte immer schneller werden, und sie erklärte: „Wenn du Wencke Myhre googelst, bekommst du 12.700 Treffs in 0,34 Sekunden. Wenn du MICH fragst, kriegst du EINE persönliche Antwort.“ Es gab zustimmendes Klatschen und sie ergänzte: „Das ist vielleicht das, was wir ab und zu vermissen.“ Warmherzig sagte sie, dass man in schwierigen Situationen einen Menschen braucht, mit dem man reden kann, eine Hand zum Halten, einen, der einem Trost gibt. Sofort spielte das Keyboard ein balladiges Intro, und Wencke sang „Über’n Regenbogen“, die deutsche Version von „Bridge over troubled water“. Die Geigen konnten oft einsetzen, der Backgroundchor sang, und ganz wunderbar klang die Stimme von Wencke Myhre durch den ganzen Raum. Sanft und mit sehr viel Gefühl, aber dann auch kräftig und strahlend. Wencke Myhre eben.
Beim letzten langen Ton begann der Applaus und die Zuschauer erhoben sich jubelnd von den Plätzen. Standing Ovations. Wencke Myhre freute sich sehr, winkte, bedankte sich und ging lächelnd ab.
Neu gestylt, diesmal in einem ärmellosen, schwarzen Kleid mit glitzernder Halskette, kam Gayle Tufts zurück und behauptete: „I wore this Outfit to show you how much Gänsehaut I have!“ Außerdem wolle sie zeigen, dass Frauen über vierzig ärmellose Kleider tragen dürfen. Dabei streckte sie einen Arm aua und schüttelte ihn, so dass die Haut am unteren Teil des Oberarmes wackelte. Im Publikum war zustimmendes und auch befreiendes Lachen aus vielen Damenkehlen zu hören und es wurde fröhlich geklatscht.
Damit Zweifler, die nicht glaubten, dass das Cover me Programm wirklich in nur wenigen Tagen eingeprobt wurde, sich von der Wahrheit überzeugen konnten, gab es einen kleinen Einspielfilm, den ich an den beiden vorherigen Tagen im Probestudio gemacht und den Dirk Bach kommentiert hatte. Ein Blick hinter die Kulissen, der zeigte, dass die Vorbereitungen aus viel Spaß, aber auch intensiver Arbeit bestanden.
Su Kramer war ebenfalls erkrankt und hatte einen Brief geschickt, den Gayle vorlas, und schon wieder sprang Ralph Morgenstern als Programmpunkt ein und sang „Einmal um die Welt“ von Mary Roos. Viele Zuschauer sangen mit, das Lied war ein Klassiker und Mary Roos von Vielen im Publikum sehr geliebt.
Unmittelbar danach ging es in die große Endnummer des ersten Konzert-Teils. Ein Hair-Medley stand an, das bedeutete nicht nur wallende Haare und Hippiekostüme, sondern auch singende Künstler in wechselnden Konstellationen. Los ging es mit Gayle Tufts, die jetzt blonde Locken, ein Stirnband und ein wallendes Gewand trug und mit „Aquarius“ begann.
Ingrid Peters, Katja Bellinghausen und Margarethe Schreinemakers kamen passend gekleidet dazu, dann kam Juliette und übernahm den nächsten Part. Pe kam dazu, auf der Bühne war alles bunt, flatterig, langhaarig, entspannt, um nicht bekifft zu sagen. Aber es war tatsächlich eine weiche, traumhafte Atmosphäre da, die perfekt zu Hair-Stimmung passte.
Auch Bernd, Dirk, Susanne Pätzold, Barbara Schöneberger und Ralph Morgenstern waren inzwischen da. Die Arme wedelten mit weichen Bewegungen in der Luft, und alle zusammen sangen „Let the sunshine in“, bei dem der afrobehaarte Dirk die Zwischeneinwürfe sang.
Es war ein wunderschöner, entspannter Abschluss des ersten Teils. Gayle rief: „Wie machen jetzt 20 Minuten Kifferpause!“ und: „Finden Sie sich zurück, bitte!“ und: „Love each other!“
Nach der Pause ging es sofort mit Musik und Tanz weiter. Zwei knackige Tänzer des Michael Douglas Kollektivs, die oben noch etwas dichter, unten sportlich-luftig gekleidet waren, wirbelten mit lasziven Bewegungen herum und gaben die optische Begleitung zu Gayle Tufts gesungenem „Hot stuff“. Show-Flammen von der Bühnenkante machten alles noch heißer, so dass die Jungs schließlich zumindest die Jacketts auszogen und in T-Shirts weitertanzten.
Gayle, inzwischen im blau glitzernden Hosenanzug – sie musste einen ganzen Überseekoffer mit Kleidungsstücken dabei haben – hatte sichtlich Spaß zwischen ihnen. Zum letzten Refrain kamen die Monrose-Frauen dazu und alle tanzten mit gleicher Partyschrittfolge in einer Reihe.
Ein gelungener Auftakt zum zweiten Teil, der die Ruhe der Pause beendete. Wobei es Ruhe in der Pause bei Cover me nicht wirklich gab, denn dann wuselten viele Leute lachend, erzählend und rufend durcheinander oder standen in dichten Gruppen vor dem Tombolastand, um die Gewinne abzuholen. Die Stimmung blieb aufgedreht und wirbelig.
Gayle stellte nach der Hot-stuff-Nummer die Backgroundsänger vor: „These four young singers working their asses off tonight, singing for everybody!“ Sie nannte Lisa Ruland, Michèl Felgner, Than Mai und Lisa Ruland. Zwei Lisa Rulands? Darüber wunderten sich auch die Backgroundstars grinsend, korrigierten aber nichts.
Danach war „the hottest women in the Universe“ dran, wie Gayle versprach, und Pe Werner und Juliette Schoppmann traten auf. Juliette war die Leadsängerin, sang kraftvoll und fegte im knappen Kleid über die Bühne, während Pe im Hintergrund Background sang. Einen musikalischen Zwischenteil nutzen die beiden, indem Pe zu Juliette eilte, sich vor ihr hinkniete und ihr wie ein Lover sanft über den Körper strich. Dazu passte, dass Pe einen Hosenanzug und einen Hut trug. Solche Szenen waren bei Cover me immer richtig und kamen gut an. In diesem Fall verdeutlichten sie sogar noch den Text: „Burning for your touch“.
Gayle eilte auf die Bühne, sagte: „I have to say a big Entschuldigung!“, und rief Nina nach vorne. Das war die zweite Background-Lisa, die eben nicht Lisa hieß. „I’m such an idiot!“, rief Gayle entschuldigend, schob alles auf ihre Wechseljahre, die ihr Gehirn löcherig machten, und stellte Nina Klopschinski vor, die nicht nur den Background sang, sondern auch alle Backgroundvocals arrangiert hatte.
Danach lief Gayle aufgedreht zum Flügel und begrüßte Nils Gessinger, der den nächsten Gast begleitete. Sie freute sich: „I like a man who knows, that Frauen regieren die Welt“. In ihrem wunderbaren Denglish kündigte sie an: „Er ist ein Vollblut-Entertainer, he brings class and style and Freude and Können whenever he auftreten.“ Gayle strahlte freudig, als sie ihn ankündigte: „Please welcome, ladies and gentleman, – es freut mich so sehr, das zu sagen -, Roger Cicero!!“
Der kam lässig auf die Bühne, in Anzug und mit Hut, so wie es Frank Sinatra früher auch gerne gemacht hat. Großer Jubel empfing ihn, und er lachte überrascht auf. Manche Künstler, die das erste Mal bei Cover me sind, wissen nicht, was für ein Publikum sie erwartet, da es ja nicht vorwiegend aus den eigenen Fans besteht, sondern bunt zusammengewürfelt ist, und die meisten sind überrascht, dass sie so einen herzlichen Empfang bekommen.
Bevor Roger Cicero mit dem Singen begann, erzählte er kurz, dass der Titel, den er ausgesucht hatte, von Rio Reiser war, der an diesem Abend bestimmt auch gerne dabei gewesen wäre. Dann kam „König von Deutschland“, in einer Cicero-Version, nur am Flügel begleitet, sehr swingig und leicht jazzig gesungen – wunderbar!! Ich liebe so was ja!
Auch das Publikum konnte sängerische Qualitäten zeigen, es gab eine Art Wettbewerb zwischen den Männern und den Frauen im Zuschauerraum. Die Herren sangen laut „König von Deutschland“ und die Damen sangen sofort rein: „Oder Königin!“ Es war für einige Schlagerfans rhythmisch etwas schwierig, weil die Frauenstimmen schon auf dem letzten Schlag der Männerstimmen einsetzen mussten und nicht erst ordentlich und übersichtlich bei der nächsten Eins starteten.
Gerade kam das einigermaßen rüber, die Männer begannen, die Frauen ergänzten, da sang Roger Cicero jazzige Einwürfe dazu, klatschte auf die Zwei und die Vier, und das wackelige Grundgerüst brach zusammen. Nur einige Männer blieben bei ihrem „König- vohon- Deutsch- land“, das problemlos von der Eins bis zur Vier gesungen wurde. Egal, das Publikum war begeistert und tobte am Ende klatschend und pfeifend los. „The german Soul“, nannte ihn Gayle, als Roger Cicero die Bühne verließ und verriet: „I’ve got Gänsehaut!“
Elfi Scho-Antwerpes, Vorstand bei der AIDS-Hilfe in Köln, bedankte sich bei allen Helfern, Künstlern und Unterstützern und erzählte, was die AIDS-Hilfe alles macht, was das Lebenshaus ist und dass jedes bisschen Geld gebraucht wird. In ihrer bedächtigen Redeweise holte sie ziemlich aus und erklärte viel. Als sie abging, wollte Gayle die nächste Nummer ankündigen, da kam Elfi Scho-Antwerpes zurück. „Elfi, you’re back?“, reagierte Gayle überrascht. „Ich hab mich zwar nicht umgezogen, aber ich hab jetzt eine neue Rolle“, erklärte Elfi mystisch. „Ach!“, machte Gayle, guckte mit großen Augen und verstand nichts.
Dann kam ihr blitzartig der Gedanke, dass die nächste Moderation von Elfi gemacht werden sollte: „Aaaah! You’re supposed to do this, because I have a Kostümwechsel!“, aber das wurde verneint. Ausführlich sprach Elfi Scho-Antwerpes von ihrer neuen Rolle und dem eigenen Mikrofon dafür – und Gayle schien zu vermuten, dass sie einen Programmpunkt verwechselt hatte. Freundlich wollte sie Platz machen und die Bühne verlassen, bekam aber als Antwort: „Nee, bleib hier!“ Gayle blieb verwirrt stehen und las mit fliegenden Blicken ihre Infokarten ab, um irgendwo Hilfe zu finden, was denn jetzt eigentlich dran war. Währenddessen kündigte Elfi die nächste Künstlerin an: „Ingrid Peters, die heute zum dritten, vierten Mal hier auftritt, großartig finde ich sie, und ich glaube, ihr alle auch, begrüßt sie mit einem riesen Applaus – Ingrid Peters!“ In das letzte ‘Ingrid Peters!’ fiel Gayle laut und erleichtert ein und verließ dann mit Elfi zusammen die Bühne. Vermutlich immer noch mit einem großen Fragezeichen im Kopf.
Ingrid Peters , oben wie eine Bardame in einem Westernsaloon gekleidet, unten mit viel Lack, viel Rock, viel Bein und viel Stiefel, sah in der Körperhaltung nach Durchsetzungskraft und festem Willen aus. Kraftvoll und mit viel Energie verkündete sie „You’re the voice“ und wirkte dabei so entschlossen, als würde sie gleich auf die Barrikaden klettern. Zwei Dudelsackspieler spielten ein Solo dazu, was als Grundidee des antreibendes Kriegsgetön sehr gut zu den Barrikaden passte, in diesem Fall für pfeifende Dudelsäcke aber erstaunlich sanft und harmonisch und kein bisschen furchteinflößend war. Dudelsäcke als Melodie-Instrumente in einem Rock-Popsong, das ging tatsächlich.
Am Ende brüllte die Zuschauermenge begeistert auf, und Ingrid Peters machte das Peacezeichen und zeigte damit, dass sie es gar nicht so hart und gefährlich meinte, wie sie rübergekommen war.
Fröhlich locker ging es weiter mit „Making your Mind up“, dem Eurovisions-Siegertitel von 1981 der Gruppe „Bucks Fizz“. Pe Werner, Juliette Schoppmann, Gayle Tufts und Bernd von Fehrn stürmten auf die Bühne und legten bewegungs- und singfreudig los. Juliette und Bernd als Frauen gekleidet, Pe und Gayle als die männlichen Parts.
Die Röcke schwangen hin und her, passende, synchrone Armbewegungen und kleine Tanzschritte zeigten die dazu vertraute Choreographie, nur als die beiden Damen den Herren die Röcke mit einem kurzen Handgriff entfernen wollten, klemmten diese etwas und mussten mehrfach gezerrt werden, bis sie herab fielen. Das brachte die Choreographie kurz aus dem Takt, aber schnell waren alle wieder drin. Eine bunte, mitreißende Nummer! Toll!
Dirk kam in schwarzem Glitzeranzug und mit schrecklicher Perücke auf die Bühne, nannte alle vier Darsteller göttlich und lachte: „Irgendwo sitzt ein original Bucks Fizz und weint.“ Während die vier nicht-originalen Bucks Fizze von der Bühne eilten, verriet Dirk: „Das Schöne an dieser Nummer ist, dass Bernd von Fehrn seit dem Grand Prix damals die Choreographie in seiner Kammer geübt hat. Es war wirklich das Original.“
Er wandte sich ans Publikum und seine bauschige Perücke, die seinen Kopf viel zu groß erscheinen ließ, war noch besser zu sehen. „Böse Zungen behaupten ja, es gäbe Cover me nur, damit ich absurde Perücken tragen kann.“ Er nickte grinsend: „Das stimmt!“, und die Zuschauer lachten. Dann guckte er liebevoll und sagte bewegt: „Ich spüre viel Liebe im Raum und so soll es auch sein. Das war das, was wir uns gedacht haben. Dankeschön.“ Plötzlich wirkte er richtig gerührt. Er erzählte kurz, dass vor acht Jahren vierhundert Leute in einer ganz kleinen Halle vierzig Minuten Programm hatten und inzwischen diese große Familie daraus geworden war. Und ohne diese Familie ginge es nicht.
Auch die vielen Kostüme waren wichtig, die oft ganz kurzfristig besorgt werden mussten. Dirk erklärte: „Und dann rufen wir Hazy an und sagen: Ja, wir wissen, es ist morgen, aber wir brauchen noch fünfzehn Nuttenkostüme. Und Hazy Hartlieb macht das dann.“ Der kam stilvoll in einem goldenen, besticken Seidenanzug auf die Bühne, wurde laut beklatscht und Dirk sagte anerkennend: „Der Mann kommt mit einem Laster und dann verpackt er Künstler von Juliettes Größe bis zu meiner – und alles passt!“
Über Gayle, die vermutlich irgendwo hinter der Bühne im nächsten Kostümwechsel steckte, sagte Dirk herzlich: „Irgendwie bringt sie schon alles so mit, wie wir es brauchen. Sie hat die Gedanken dieses Abends im Herzen und das ist wunderbar!“ Danach kündigte er eine Kollegin der ersten Stunde an, die immer mit dabei war und rief mit überschnappender Stimme: „Meine Barbara! Meine Schöneberger! Komm, mein Engel und sing!!“, und Barbara Schöneberger eilte lachend auf die Bühne, auf dem Kopf stark gelockt, am Körper grün-blau glitzernd wie mit den Schuppen einer Meerjungfrau bedeckt. Das Publikum jubelte so laut, dass die Band erstmal abwartete.
„Ja, Freunde, lasst uns anfangen!“, sagte Barbara schließlich, ein paar kurze Töne erklangen, und sie setzte sofort ein. Erst wirkte es balladig, aber dann kam das Schlagzeug dazu und es wurde zum rhythmisch drängenden „Ich weiß was ich will!“ Die Bläser konnten einsetze, die Streicher waren gefragt, es war großes Gala-Show-Orchester und Barbara mittendrin. Tolle Nummer, die Zuschauer hielt es nicht auf den Sitzen.
Gayle kam auf die Bühne und stellte jetzt auch die Band vor. „Es ist ganz selten, that you get a bunch of musicians of this Kaliber and Qualität. It’s also been so much fun hinter der Bühne and we’re all beflügelt from their musikalische Können.“
Sie stellte einzeln vor: Josef Kirschgen (Schlagzeug), Eberhard Schröder (Bass), Mirko Rum, (Gitarre), Gerold Körner (Keyboards), Thorsten Heitzmann (Posaune), Christoph Fischer (Trompete), Felix Petry (Saxophon) und als den musikalischen Leiter, der auch die Arrangements geschrieben und alles unter Kontrolle hatte, Klaus Tenner. Eine wirklich großartige Band mit Spitzenmusikern, die einfach alles musikalisch begleiten konnten. Wobei “begleiten” zu wenig gesagt ist. Sie gaben ein verlässliches Fundament und selbst den sängerisch unerfahrenen Künstlern, die sich mutig bei Cover me auf die Bühne wagten, einen sicheren Halt. Und nicht zuletzt hörten sie sich sehr gut an und ich staunte immer wieder, was für großartige Klänge von dieser kleinen Gruppe Musiker kamen. Da waren Profis am Werk, die nicht nur Liebe und Engagement, sondern auch großes Können mitbrachten.
Für den nächsten Programmpunkt erwartete Gayle „zwei lovely british men“. Ein begeisterter Frauenschrei war zu hören und Gayle lachte: „Me too! British men: Aaaaaaah!“ Dann überlegte sie laut: „Bei britische Männer weiß man nie, sind die schwul oder sind die nur Briten“, was großes Gelächter gab. Die beiden Männer, die auf die Bühne kamen, waren beides, schwul und britisch, außerdem aus verschiedenen musikalischen Gebieten und auch noch miteinander verheiratet: Ross Antony, Musicaldarsteller und frischer Dschungelkönig, und Paul Reeves, Opernsänger. Sie sangen gemeinsam „Tragedy“, Ross die Pop-Hauptstimme und Paul dazu den Background mit Opernstimme. Eine ungewöhnliche, aber sehr reizvolle Kombination. Ross hopste herum, wackelte mit den Hüften und bewegte sich fast durchgehend, während Paul mit seinem Mikrofon stand und dem Auftritt die ruhige, seriöse Note gab. Ein sehr sympathisches Paar!
„Ihr seid super!“, freute sich Ross, als das Publikum am Ende laut klatschte und pfiff. Er wandte sich an Paul und fragte wie ein Kind auf dem Spielplatz: „Müssen wir wieder runtergehen?“ „So sorry!“, meinte Paul entschuldigend zum Publikum und schob seinen aufgedrehten Mann von der Bühne ab.
Gitarre, leichtes Schlagzeug und eine Querflöte waren die musikalische Begleitung zu „Fields of gold“. Pe Werner, Juliette Schoppmann und Ingrid Peters saßen singend auf Barhockern, und besser hätte die musikalische Konstellation nicht sein können. Drei Wahnsinns-Stimmen, die aus dem Lied ein intensives, dreistimmiges Erlebnis machten. Großartig! Dazu die Querflöte und ein wunderschönes Flötensolo von Klaus Tenner – ganz große Klasse!
Gayle kam ganz gerührt auf die Bühne zurück. „Oh, war das toll! Ich schmelze!“ Sie fand den Abend toll, ebenso wie sie alle Leute hinter der Bühne toll fand und auch das Publikum. „You are the best fucking Publikum ever!“, lobte sie, und das best fucking Publikum freute sich laut. Vor mehr als 25 Jahren hatte Gayle als Schauspielstudentin in New York eine „incredible Frau“ kennen gelernt. „Wild, deutsch, blonde Haare – sie hieß Annette Humpe und war Musikerin.“ Das Publikum jubelte auf. Stolz berichtete Gayle: „Ich war das erste Rockgirl in New York mit meiner eigenen IDEAL-Platte! Ich war so cool! Keine Ahnung, was sie gesungen haben, aber ich habe immer mitgegrooved.“
Später in Berlin hatte sie dann die Schwester von Annette kennengelernt, Inga Humpe. Die war jetzt zusammen mit Tommi Eckart da, als Duo 2raumwohnung, und sang „Berlin“ von IDEAL. Vertraute Klänge, und auch die Backgroundsänger konnten kräftig mit: „Ich steh auf Berlin!!!“ losbrüllen.
„Vielen Dank!“, freute sich Inga Humpe anschließend über den Applaus und lächelte: „Meine Schwester hätte sich nie träumen lassen, dass ich dieses Lied mal singe! Sie lässt euch herzlich grüßen.“
Da Cover me 2009 nicht ohne ein Tribute für den im Juni verstorbenen Michael Jackson stattfinden konnte, ging Gayle zum Gitarristen Mirko Rum und bat um etwas Liebevolles, das er sofort mit sanftem Gitarrenspiel lieferte.
Mit „Ben“ begann ein Medley von Jackson-Liedern, das die Backgroundstars mit „Don’t stop ’til you get enough“, weiterführten, dann kamen Ross, Pe und Juliette mit „Thriller“.
Ingrid Peters und Barbara Schöneberger glitzerten um die Wette als sie einen Ausschnitt aus „Billie Jean“ sangen, das Switch- Ensemble, schwarz-weiß gekleidet, sang – farblich passend – „Black or white“.
Danach begannen Juliette und Pe mit der ersten Strophe zu „Man in the mirror“, und Dirk, Gayle und Bernd kamen zum Refrain dazu.
In den letzten Tönen, das Publikum war gerade schön sentimental gestimmt, der Applaus brandete auf, rief Gayle laut: „Das war Cover me 2009!“ und sie rief alle anderen Künstler auf die Bühne, indem sie von einem Zettel laut die vielen Namen ablas.
Sie hatte schon mehr als zehn Namen von ihrem Zettel runtergelesen, das Publikum applaudierte laut, aber es rührte sich nichts und niemand kam zu der kleinen Gruppe des letzten Jackson-Liedes dazu. Gayle las einfach weiter, und zumindest Ross Antony und Paul Reeves kamen nach einer Weile etwas verloren auf die Bühne und gesellten sich dazu. Etwa zehn Namen später hatte es sich hinter der Bühne herumgesprochen, dass alle nach vorne gerufen wurden und die Mitmacher tröpfelten immer schneller ein. Zuerst versuchten sie noch in einer Reihe zu stehen, aber es wurden mehr und mehr Leute, so dass eine zweite und dann eine dritte Reihe aufgemacht werden musste.
Dirk lachte: „Es werden immer mehr und mehr!“ Er dankte zuerst einmal den Ehrenamtlern der AIDS-Hilfe: „Eure Gesichter kennen wir nicht. WIR machen das einmal im Jahr, ihr macht es JEDEN Tag! Vielen, vielen, vielen, vielen Dank!“ Er wandte sich um und ging auf Bernd von Fehrn zu. „Und dann muss ich auch den Mann nach vorne zerren, der nie nach vorne will …“ Er zog Bernd, der nicht hochmotiviert aber brav mitging, in die Bühnenmitte und grinste ins Publikum: „Weil – ich bin ja nur das schöne Gesicht auf dem Plakat. Die Konzeption und Organisation liegt allein in den zarten Händen dieser zarten Person.“
Es gab großes Gejubel, nicht nur vom Publikum, auch sehr heftig von den Künstlern auf der Bühne, die genau wussten, wie wichtig Bernd war. Der verbeugte sich, wies danach aber natürlich sofort mit ausgestrecktem Arm rechts und links auf die vielen Mitmacher hin, um nicht alleine im Mittelpunkt zu stehen. „Ohne den geht gar nix!“, kommentierte Dirk knapp und richtig, während Bernd sich schnell zurück in die Künstlermassen stürzte.
Dirk sah sich um: „Wo ist denn Gayle?“, entdeckte sie und holte sie ebenfalls nach vorne, wo sie sofort laut bejubelt wurde. Sie hatte den Abend wunderbar moderiert, auf typische Gayle-Art: Professionell, liebevoll, witzig, nah und warmherzig.
Dirk freute sich: „Kinder, es ist wirklich ein Hammer. Es entwickelt sich Jahr für Jahr, es wird immer mehr …“ Er zeigte auf Ingrid Peters: „Ingrid ist zum ersten Mal da, und waren es neun oder achtzehn Titel, bei denen du drin warst?? Ich weiß es nicht.“ Das Publikum jubelte immer weiter, und Dirk sagte: „Was für ein Abend!“ Gerührt schaute er sich um und schluchzte theatralisch, aber hörbar bewegt: „Ach, Gott, ich könnte …“ Er sah Wencke Myhre und rief erstickt: „Wencke!“
Hinter sich sah er die vielen Künstler an, und als ihm plötzlich ein Strauß Blumen gereicht wurde, freute er sich mit gerührt gequetschter Stimme: „Mein Gott, Blümchen. BLÜÜÜÜMCHEN!“ Gayle übernahm. Sie sagte, dass Bernd das Herz und die Seele sei, Dirk warf ein: „Ich hab das alles schon erzählt!“, aber Gayle war noch nicht fertig. „Aber es gibt jemand, der hat das ganze Ding angefangen,… “ „Ach, nein!“, wehrte Dirk bescheiden ab, aber Gayle erklärte dem Publikum liebevoll: „No one says ‚no‘ when he calls, only because we love him so much! Dirk Bach, meine Damen und Herren!“
Dirk war zu Tränen gerührt und gab Gayle einen Kuss. Im lauten Jubel und Applaus begann er plötzlich zu lachen, sah sich um und rief vergnügt: „Ist es nicht cool, so viele Freunde zu haben?“
„Kinder, ham wir noch eins?“, rief Dirk laut und Gayle antwortete: „Zufälligerweise!“ Na klar gab es zufällig noch ein großes Finallied. Die Zuschauer riefen schon laut nach Zugabe, da stoppte sie Dirk, indem er seinen Blumenstrauß mit Schwung ins Publikum warf, woraufhin freudige Schreie ertönten. Gayle blickte sich suchend um: „I can only do it with the Unterstützung von Gregor“, und in diesem Moment kam schon Gregor Meyle um die Ecke und stellte sich neben sie. „You are not alone“ begann als wunderbares Schlusslied eines wunderbaren Cover mes.
Auch der Ablauf des Finalliedes war so wunderlich wie immer. Es war – wie immer – nicht ganz klar, wer gerade singen sollte, Mikros wurden zu spät eingeschaltet, falsch weitergereicht, Pe wurde rechts angekündigt, während links Wencke sang – alles war leicht chaotisch, aber fröhlich und sehr liebenswert. Wer wollte schon ein perfekt einstudiertes Finallied, wenn er so einen bunt gemischten Haufen selig singender, feiernder, unkomplizierter Cover-me-Familie haben konnte? Ich nicht!
Oben im Saal knallte es, und eine Unmenge von silbernen Schnipseln schwebte flatternd und wirbelnd herunter. Das Publikum stand schon lange vor den Sitzen, ließ sich silbern berieseln, sang mit und klatschte.
Gayle rief nach den letzten Tönen: „Ihr seid nicht allein! Wir sind zusammen! See you next year!!“ Das Publikum rief nach Zugabe, aber die Musik blieb stumm, das Bühnenlicht gedimmt, die Reihen auf der Bühne lichteten sich schon stark und viele der Künstler winkten noch einmal und begaben sich dann langsam in den Backstagebereich. Aber um den Flügel mit Klaus Tenner herum blieb es wirbelig, und schnell wurde noch etwas abgesprochen.
Plötzlich setzte die Band nochmal kurz vor dem Refrain ein und die verbliebenen Sänger stimmten ein. Zuerst sehr schräg, es war eben doch etwas überraschend – ähm, welche Tonlage war’s eigentlich? -, das Bühnenlicht strahlte wieder auf, und Dirk flitzte hochvergnügt lachend quer über die Bühne zu den verbliebenen Sängern, um einzusteigen.
Gayle, Juliette, Pe, Ingrid, Roger Cicero und Ross legten nochmal richtig los und brachten soulige Einwürfe, während die anderen, die zum Teil aus dem Backstagebereich zurückeilten, beim vertrauten Refrain blieben. Irgendwie blieb es chaotisch, aber es war auch toll. Free Jam Session zu “You are not alone”, das machte Spaß.
„Passt aufeinander auf!“ rief Gayle am Ende, dann war endgültig Schluss. Das Bühnenlicht wurde langsam runter gefahren, nach und nach gingen alle mit ruhigen Schritten ab, die Party war zu Ende und die Zuschauer hatten wieder mal ein unglaubliches, wahnsinniges, wunderbares Cover me erlebt.