Tim Fischer – Georg Kreisler – 02.11.2009 – Bonn, Pantheon
Georg Kreislers gnadenlose Abrechnung
Pantheon, Bonn
In meinem Leben gibt es unerklärliche Sachen. Warum, zum Beispiel, hatte ich vorher nie ein Programm von Tim Fischer besucht? Ich hatte ihn vor Jahren schon im Fernsehen gesehen und war seitdem fasziniert von diesem zarten, androgynen, elfenhaften Wesen, das mit unglaublicher Präsenz und völliger Hingabe sang. Tim Fischer schien nicht aus der Jetzt-Zeit zu sein, sondern nur zufällig heute zu leben. Eigentlich gehörte er in die 30er-Jahre in Berlin. Oder in eine ganz andere Welt. So kam es mir jedenfalls vor.
Zufällig sah ich Tim Fischer im letzten Jahr mit zwei Liedern bei der “Cover me”-Show, und es war keine Überraschung für mich, dass ich es großartig fand. Ich hatte seit Jahren gewusst, dass ich seine Art und seinen Stil sehr mochte.
Im Bonner Pantheon sang Tim Fischer an diesem Abend Kreisler-Lieder. Ja, Georg Kreisler war genau der mit dem “Tauben vergiften im Park”. Seine Texte oft bissig, bitterböse, zynisch, die Melodien meist eingängig, und manchmal gab es Wiener Schmäh im Walzertakt mit Boshaftigkeit. Der 86jährige Georg Kreisler hatte das Programm aus alten und neuen Liedern speziell für Tim Fischer zusammengestellt.
Die erste Überraschung gab es, als Tim Fischer die Bühne betrat. Kein bisschen paradiesvogelig, keine tiefroten Lippen, kein hautenges Kostüm. Stattdessen ein unauffälliger dunkler Anzug mit grauem Hemd, der farblich zum schwarzen Vorhang, dem schwarzen Flügel und dem schwarz befrackten Pianisten passte. Bunte Farben fehlten im Bild. Wie überhaupt jegliche Deko. Es gab nicht mal eine bunte Lichtshow. Das Licht war weiß und entweder ganz an oder fast aus.
Die Beschränkung auf das Wesentliche passte. Die Konzentration des Publikums blieb bei den oft schnellen Texten und alle blickten gebannt auf das Gesicht von Tim Fischer, das mit der ausgeprägten Mimik der einzig wirklich bewegliche und sich immer wieder verändernde Hingucker auf der Bühne war. Rüdiger Mühleisen, der sehr souverän und ausgezeichnet am Flügel begleitete, wurde mitsamt des großen Instrumentes fast übersehen. Zumindest von mir. Das tat mir leid, denn ich registrierte durchaus, wie gut er spielte, aber ich guckte fast durchgehend auf Tim Fischer, der bei aller Farb- und Bewegungs-Sparsamkeit extrem präsent war und bei dem es dann schon gewaltig und spannend wirkte, wenn er passend und gezielt eingesetzt, eine Geste mit den Armen machte.
Tim Fischer sah aus wie ein Chansonier und Conférencier vergangener Tage, lächelte freundlich und charmant und trug in sehr deutlicher Artikulation und mit rollendem R Kreisler-Lieder vor. Erstaunlicherweise wirkten sie wie Tim-Fischer-Lieder. Sie passten zu ihm, wie auf den Leib geschneidert, und ich fühlte mich wie in einem kleinen Theater in den 30er-Jahren. Der Stolperstein war, dass Georg Kreisler auch neue Lieder geschrieben hatte, in denen Begriffe wie Kernreaktor, Fernsehen und der Euro vorkamen. Das holte mich immer mal wieder in die Realität zurück. Unsanft, wie ich zugeben muss.
Natürlich war es richtig, dass Georg Kreisler heute Texte schrieb, die textlich der jetzigen Zeit angepasst waren, auch wenn die Musik dazu wie von früher klang. Dass ich die nicht hören wollte, war mein Problem. Ich wollte lieber in alter Form über ewig aktuelle Spießer, ungeliebte Eheweiber und verlorene Lieben hören, als ins aktuelle Tagesgeschehen zu kommen. Wenn es also – nicht sehr häufig – aktuelle Begriffe gab, hörte ich in der mir eigenen Selektivwahrnehmung einfach darüber hinweg. Ich tat so, als hätte ich mich verhört. Umso mehr ließ ich mich dann auch in die wirklich älteren Texte fallen, genoss Kreislers souveräne Spiel mit der Sprache und die großartige Darstellung und Interpretation von Tim Fischer.
Bei manchen Liedern, wie “Ein Haus am grünen Bach” oder dem zärtlichen “Fehlt dir was”, saß ich weltentrückt und völlig entspannt auf meinem Stuhl und schmolz in der sanften Stimmung vor mich hin, bei “Zuhause ist der Tod”, womit das Eheleben gemeint war, lachte ich vergnügt und bei anderen blieb mir vor atemloser Spannung fast die Luft weg. Bei “Mein Weib will mich verlassen – Gott sei Dank!” lachte mein Gatte, dem solche Lieder sehr gefallen, glücklich, und auch Tim Fischer auf der Bühne freute sich über die passenden Reaktionen und über das oft gebannte, atemlose Lauschen des Publikums.
Die Lieder waren meistens schnell, manchmal langsam, aber immer präzise, mit sehr guter Intonation und vollem Einsatz gebracht, und die Spannung blieb den ganzen Abend über erhalten. Gar nicht so einfach bei einem kabarettistischen Liederabend mit wirklich sehr viel Text, auf den aufmerksam gehört werden musste. Und alles ohne Farb- und Lichtkinkerlitzchen. Von Tim Fischer aber mühelos und anscheinend locker und leicht gemeistert. Großartig.
Am Ende gab es sehr viel Beifall, das begeisterte Publikum erklatschte sich Zugaben, und ich wusste, dass das nur der Anfang meiner Besuche bei Tim Fischer Programmen war.