Marius Jung – Schau einfach nicht hin – 17.07.2009 – Köln
Mit Till Kersting
Bauturm-Theater, Köln
Im Sommer 2001 hatte ich Marius Jung mit einem kurzen Auftritt beim Prix Pantheon gesehen. Ich fand ihn sehr gut und setzte ihn sofort auf meine interne “Da-muss-ich-unbedingt-mal-hin”-Liste. Sieben Jahre vergingen, in denen ich wusste, dass ich unbedingt mal zu Marius Jung wollte. Im Herbst 2008 sah ich ihn unerwartet bei einer Veranstaltung, wo er mit Till Kersting in einer Kurznummer auftrat, und ich fand die Beiden klasse. Und was mir seit dem Sommer 2001 klar war, schaffte ich endlich im Sommer 2009. OK, nicht unbedingt schnell, aber immerhin. Zum Glück hatte Marius Jung durchgehalten und einfach die ganzen Jahre lang viele Auftritte ohne mich gemacht. Ich konnte also fast nahtlos ansetzen und es fiel kaum auf.
Marius Jung war solo unterwegs, mit Band oder – wie an diesem Abend – im Duo mit Till Kersting. Locker und lächelnd kamen sie auf die einfache Bühne, und der rote Anzug von Marius war das einzig erkennbare Showelement. Eine unspektakuläre Gitarre, ein Verstärker auf einem Holzstuhl und ein Barhocker bildeten die Kulisse. Durch ein technisches Problem im Theater gab es an diesem Abend keine Lichtwechsel und ich muss gleich betonen, dass das überhaupt kein Problem war. Die beiden Musiker kamen ohne jeden Zusatz aus und mussten die passende Stimmung nicht durch eine Lightshow erreichen. Sie hatten eine Gitarre und zwei Stimmen, dazu unglaublich gute jazzige Akkorde und jede Menge Soul. Und Rhythm. Und Blues. Und Humor.
Unter dem Motto “Bossa geht immer”, legten sie eine südamerikanische Copacabana-Version von “Viva Colonia” hin, die mich verzückt und selig grinsen ließ. Einfach wunderbar! “Da simmer dabei, dat is pri-hi-maaaa” schmeichelte durch die sommerwarme Luft im Bauturm-Theater und ich dachte an Strand, Meer und Caipirinha, aber nicht an Kölner Karneval. In dieser Version hätte ich mir gerne das komplette Lied dreimal angehört. Leider blieb es bei einer gekürzten Version.
Marius Jung erzählte sehr witzig von den Vor- und Nachteilen seiner dunklen Hautfarbe und dem “Exoten-Bonus”. Seltsamerweise kam mir bei ihm nie der Satz: “Für seine dunkle Hautfarbe spricht er aber gut Deutsch” in den Kopf, sondern eher: “Für einen Kölner ist er ziemlich dunkel”. Er wirkte auf mich in Sprache und Gestik so selbstverständlich europäisch, dass ich manchmal das Gefühl hatte, die Außenhülle sei falsch. Marius Jung erklärte es mit “außen schwarz, innen weiß”, und ich grinste, weil er damit genau mein diffuses Gefühl getroffen hatte.
Der schwarz-weiß-Kontrast machte ihn aber auch genau zum Richtigen um “schwarze Lieder mit weißem Text” zu singen. Er hatte Rock-, Pop- Soul-Klassiker der 60er Jahre ausgewählt und trug sie mit dem originalen deutschen Text vor, mit dem sie damals von deutschen Sängern gecovert wurden. So wurde aus dem berührenden “When a man loves a woman” eine oberflächliche Beschreibung “Wenn es Nacht wird in Harlem”, mit der ergreifenden Textzeile: “Vor der Tür steh’n zwei Schäfchen, das eine schwarz, das andere weiss”. Unglaublich, aber wirklich der echte deutsche Text. Das schöne “Sitting on the dock of the bay” von Otis Redding wurde zu “Armer alter reicher Mann”, einem Lied über einen Mann, der stinkreich, aber einsam an der Reling seiner Yacht steht und so von Howard Carpendale besungen wurde.
Meistens sang Marius Jung die Originalversion kurz an, so dass die Zuschauer wussten, um welches Lied es sich handelte. Seine Stimme war der Hammer. Ich bedauerte richtig, dass er nicht die kompletten Lieder sang. Er sang sehr soulig, manchmal ganz weich, dann wieder rau und immer mit hohem Schmelzfaktor für mich. Till Kersting begleitete ihn auf der Gitarre und sang manchmal die Zweitstimme dazu. Wobei “begleitete ihn auf der Gitarre” schlicht untertrieben war. Er spielte supergut, griff schräge Jazzakkorde, war präzise und hochmusikalisch und holte verblüffend viele Töne und Rhythmusbegleitung aus einer einzelnen Gitarre.
Entgegen ihrer Absicht, denn sie wollten die deutschen Versionen natürlich etwas lächerlich machen, schmolz ich auch bei denen dahin, wenn auch manchmal lachend. Aber die Stimme von Marius Jung war einfach so toll, dass kein noch so blöder Text ein Lied wirklich kaputt machen konnte. Die deutsche Version von “Killing me softly” sangen sie dann auch endlich mal komplett und es war wunderschön. Die Zuhörer im Bauturm-Theater hörten gebannt zu. In diesem Fall war der deutsche Text “Etwas in mir wurde traurig” sogar recht nah am Original, aber die wunderbare Stimme von Marius Jung und die tolle Begleitung von Till Kersting machten es zu einem Erlebnis. Ich dachte, dass ich die beiden gerne einen kompletten Abend lang nur ernsthaft in Coverversionen der 60er Jahre hören würde. Selbst wenn die alle deutsche Texte hätten. Egal, die Musik, die Marius Jung und Till Kersting machten, war grandios und allein schon hörenswert.
Aber nicht nur die Lieder oder angespielten Stücke waren klasse, auch die lockeren Moderationen und das Eingehen auf das Publikum. Da wurde gerne mal eine Dame angesungen oder ein junger Mann, der zu ernst guckte, mit einem Extrawitz bedacht. Alles locker, ungefährlich und Spaß machend. Die beiden Darsteller auf der Bühne raunten sich auch mal etwas zu oder machten eine kurze Bemerkung, auf die beide sofort loslachten, was zeigte, dass sie sich gut verstanden und Spaß am gemeinsamen Auftritt hatten.
Für ein Lied brauchten sie Begriffe aus dem Publikum und bei der Frage nach einem “lustigen Gegenstand” kam der Zuruf “Schneckenkorn”. Das brachte im Saal und auf der Bühne Heiterkeit, besonders als Till Kersting zugab, dass er nicht wusste, dass das Schneckengift war. “Ich hätt’s getrunken”, gab er lachend zu. Das Wort war im anschließenden Lied dann auch nur schwer einzubauen und brachte weitere Lacher.
Gegen Ende kam das Titellied, also das Lied, das dem Programm seinen Namen gegeben hat. “Schau einfach nicht hin”. Politisch völlig unkorrekt, bitterböse und total gut. Es ging um Betroffenheit und die Probleme in der Welt und – man kann es sich denken – den Umgang damit. Völlig daneben und damit richtig gut. Die Zuschauer klatschten im Takt mit, sangen im Refrain fröhlich “Schau einfach nicht hin!” und hatten großen Spaß.
In welche Schublade Marius Jung zu packen ist, weiß ich nicht. Ich würde für ihn eine neue aufmachen. “Soul-Comedy” stand in einem Flyer, was ganz nett ist, es aber auch nicht ganz trifft. Den Schwerpunkt “souliger Gesang” könnte er von mir aus gerne noch weiter ausbauen, auch wenn die Comedy-Moderationen und seine lockeren biographischen Erzählungen sehr gut sind. Aber Comedy ohne saugute Soulmusik gibt es schon häufig. Und hin und wieder ein ernsthaft gesungenes Lied würde mir auch gefallen, weil es einfach so wunderschön ist, wenn er singt. Er kann es eben.
Als Zugabe gab es ein Stück aus dem neuen Programm, das im Herbst starten wird, und da zeigte sich, dass auch eigene Lieder mit selbstgemachten Texten sehr gut funktionieren. Marius Jung steht jetzt auf meiner internen “Da-geh-ich-bald-nochmal-hin”-Liste und ich bin sicher, dass das nicht acht Jahre dauern wird!