Berichte

Rainald Grebe – Das Hongkong-Konzert – 02.05.2009 – Frankfurt

Höchst-Theater, Frankfurt

Das Tempo, in dem Rainald Grebe arbeitete, war fast atemberaubend. Ich war an seinen Programmen sehr interessiert und kam kaum noch hinterher. Im letzten Frühsommer hatte ich das damals neue “1968” gesehen, im Herbst dann die ganz frische “Klimarevue” und jetzt tourte er schon mit seinem neuen Programm, dem “Hongkong-Konzert”. Er brauchte Abwechslung. Zehn Jahre lang ein “Best-of” von ihm, vor Möbelhäusern gesungen, würde es nie geben, da war ich mir sicher. Andererseits würde er auch ein Best-of-vor-Möbelhäusern noch zu einem ungewöhnlichen und überraschenden Event machen, da war ich mir ebenfalls sicher.

Auch wenn ich mir Rainald Grebe gar nicht als Party-Alleinunterhalter am Keyboard vorstellen konnte und überhaupt nicht vor Möbelhäusern, ging es genau darum im Hongkong-Konzert. Eine der Grundlagen für das Programm war ein Engagement nach Hongkong, wo Rainald einen Abend vor deutschen Geschäftsleuten gespielt hatte. Da er immer ein aufmerksamer Beobachter seiner Umwelt war, kam er mit einem Kopf voll mit skurrilen Erlebnissen und Begegnungen zurück. Neben dem ungewöhnlichen Auftrittsort in einem Luxushotel, war auch der Auftritt unüblich für Rainald Grebe, denn er gab nicht als “Rainald Grebe” ein Solo-Programm, zu dem die Zuschauer gezielt gingen, sondern er war das Unterhaltungsprogramm für einen vom Hotel eingeladenen Kundenstamm. Das löste Gedanken aus. Wie ist es als Dienstleiter, der nicht mehr als Persönlichkeit zählt, sondern sich nach den Wünschen der Kunden richten muss?

Erstaunlicherweise überzeugte mich Rainald sofort, als er als Alleinunterhalter am Flügel saß und mit kleinem Orchesterplayback die großen Schmusehits spielte und sang. “Lady in red”, “You are so beautiful” mit Geigenbegleitung und sanfter Beleuchtung. Ich hätte nie gedacht, dass ich ihn so mal erleben würde, aber ich nahm es ihm ab, und er sah nicht mal unzufrieden dabei aus. Allerdings wirkte er dabei viel unpersönlicher als sonst. Fast übersehbar. Und zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass es unter dem Begriff “musikalischer Alleinunterhalter” verschiedene Sorten gab. Es gab die coolen Könner, die perlend jazzig am Flügel vor sich hin improvisierten, es gab schwitzende Typen mit Dauerwelle und engem Hemd, die grinsend die Partykracher mit dem immer gleichen Rhythmus ins Keyboard hämmerten, es gab Musiker, die den Job als B-Aufgabe und Notwendigkeit ansahen und welche, die ihn mit voller Überzeugung machten und glücklich waren, wenn sie den Kunden zufriedenstellten. Als Alleinunterhalter rückte man in die zweite Reihe und richtete sich nach den Wünschen des Auftraggebers.

Rainald spielte bei drehender Glitzer-Spiegelkugel die großen Hits, sagte zwischendurch im Alleinunterhalter- Partyton: “Den nächsten Superhit, den kennt ihr alle, den wollt ihr alle!”, und rief nach einer schmusigen Refrainzeile laut: “Und jetzt alle!!” Er war ein Alleinunterhalter, er gab sein Bestes und er war völlig überlastet, weil er immer unterwegs war. Es ging für ihn von der Gala zum Betriebsfest, zur Kaffeefahrt, zur Beerdigung und er spielte, was verlangt wurde. Egal ob Ballermann-Hits oder Chris-de-Burgh-Abend. Er war eine lebende Jukebox. Musikunterhalter Rainald Grebe betonte: “Ich spiel keine eigenen Lieder mehr, nur noch gute!” und fragte sich, wie man eigentlich einen Welthit schrieb. Ein Hit und er hätte ausgesorgt. Andere hatten es doch auch geschafft!

Er erzählte von Begegnungen in Hongkong und immer wieder gab es kleine Geschichten, bei denen nicht klar wurde, ob sie wahr oder erfunden waren. Inzwischen war ich recht Grebe-erfahren und überzeugt, dass die meisten stimmten und gerade die etwas zweifelhaften genau der Wahrheit entsprachen. Das echte Leben war oft sehr seltsam und in der Darstellung manchmal völlig überzogen und unglaubwürdig. Rainald Grebe sah nur genau hin.

Die Überbelastung des Alleinunterhalters fand sich wieder im Lied mit “Karoshi”, das japanisch den “Tod durch Überarbeitung” bezeichnet. Es war stressig und schnell gesungen, aber im Refrain sang Rainald Grebe das Wort “Karoshi” zart und sehnsuchtsvoll, wie einen flüsternden Lockruf. Der Tod als verführerische Möglichkeit dem Stress zu entkommen. Sehr eindrucksvoll und berührend.

Weit weg von der Realität und jeder Wirtschaftskrise war der Hauptdarsteller von “Auf dem Teppich geblieben”, eine Angeber-Aufzählung von jemandem, der es geschafft hatte. Aus “mein Haus, mein Auto, meine Frau” wurde ganz schnell “mein Harem, mein Gestüt, mein Taj Mahal” und über den ebenso richtigen wie unverschämten Satz “Vor Armut schützt Grundbesitz” lachte ich noch fünf Zeilen später. Sehr witzig. Auch erschreckend, aber das gehörte bei Rainald Grebe ja zusammen. Mit “Schöne Pause!” verabschiedete der sich danach lächelnd und ging ab.

Während der Pause lief sanft hingetupfte Unterhaltungsmusik, die perfekt zum Thema des Abends passte. Am Schluss war sogar etwas vermutlich Japanisches zu hören, was den Verdacht nahelegte, dass die Pausenmusik bewusst gewählt war und zum Programm gehörte. Aber ich habe nicht nachgefragt. Zu hören, dass es Zufall war, wäre enttäuschend gewesen.

Im zweiten Teil kam Rainald Grebe mit Mundschutz auf die Bühne, der ein typisch asiatisches Kleidungsstück als Schutz vor Ansteckung war. Er setzte eine goldene Katze mit pendelndem Winkearm auf den Flügel und startete ein Mitsingprogramm. “Wir lagen vor Madagaskar”, “Drei Chinesen mit dem Kontrabass”. Den Mundschutz dabei immer im Gesicht.

Es ging über zu Ballermann-Hits, und ein Teil des Publikums sang gut gelaunt und lautstark mit. Ich saß da und wunderte mich, dass so viele den Text kannten und dass es ihnen nicht mal peinlich war, dass sie ihn kannten. Die Stimmung war ausgelassen. Je primitiver es wurde, desto besser – das Konzept des Musik-Unterhalters funktionierte. Dass Rainald Grebe am Flügel saß und von “drei geilen Löchern” sang, fand ich dagegen gar nicht peinlich, sondern abgedreht und witzig, weil es überhaupt nicht in mein Bild von ihm passte. Es passte allerdings zum Alleinunterhalter, denn der erklärte danach, dass er flexibel ist und nicht nur alles spielt, was gewünscht wird, sondern auch für jeden Musik macht, der bezahlt. “Ich spiel auch für die Antifa. Hauptsache gutes Hotel mit Frühstück.”

Um eine “richtige Krise”, nämlich die Erderwärmung ging es im Sachsenlied. “Kennst du das Land, wo die Datteln wachsen – das ist Sachsen”. Es gab viel Gelächter im Publikum, besonders bei “Eine Finka in Grimma mit Olivenhain – so schön kann Sachsen sein.” Dass einige Lieder aus der Klima-Revue jetzt im Hongkong-Konzert auftauchen, freute mich übrigens sehr.

Das Programm blieb voll und abwechslungsreich, und ich war die ganze Zeit über gespannt, aufmerksam und freudig dabei. Rainald Grebe wechselte die Persönlichkeiten, war mal Alleinunterhalter, dann eine der Personen, die er in Hongkong getroffen hatte und immer wieder auch Rainald Grebe. Das Publikum war dann sein Ansprechpartner. Er weihte ein, verriet Hintergrunddetails und machte die Zuschauer zu Mitwissern, die das Gefühl bekamen, besser als die Gäste zu sein, für die er sonst gegen Bezahlung spielte. Wobei mir das Publikum in Frankfurt etwas seltsam vorkam. Oft sehr leise – es war allerdings auch ein Programm, bei dem man viel zuhören konnte -, in den spontanen Reaktionen ziemlich zurückhaltend, im Applaus aber oft jubelnd. Und leider gab es wieder einige Zwischenrufer, die sich immer wieder animiert fühlten, zum Programm beizutragen. So ein Zwischenruf kann nett und total witzig sein, aber wenn jemand denkt, er muss immer wieder auf Fragen von der Bühne antworten, nervt es dann doch. Rainald Grebe bremste das aber gut aus und machte prinzipiell nicht das, was verlangt wurde.

Bei “Ich bin Ihr Kandidat. Wählen Sie mich!” blickte er irr ins Publikum und weckte mit seiner Aggressivität wenig Vertrauen, bei “Schönes neues Jahr” war er ein so sanfter, liebevoll melancholischer Beobachter, dass ich wieder mal leicht vor mich hinschmolz. Wunderschön. Der Text stand dabei oft im Gegensatz zur sanften Musik. Leicht lächelnd sang er zu fast romantischer Melodie: “sie reihert im Garten”, und das war so unpassend und gleichzeitig so nett und liebevoll, dass ich es total gut fand. Die Freunde und Bekannten um einen herum mit allen Macken und Nervigkeiten einfach hinnehmen, das war es.

Ganz wunderschön fand ich dann auch “Ich bin verliebt”. Sehr berührend und ganz intensiv. Und obwohl lustige Zeilen darin vorkamen und ich immer wieder lächeln musste, war es doch ganz ernsthaft und ging richtig tief. Sehr, sehr schön. Vier junge Mädchen in der Reihe vor mir, die bis dahin sehr “hibbelisch” und aufgedreht waren, sich in der Pause dick mit Parfumspray eingenebelt und über das gute Aussehen von Rainald Grebe geredet hatten, wurden während des Liedes sichtlich ruhiger und blieben es ab da. Das sah mir sehr nach zerplatzten Hoffnungen aus.

Am Ende des Programmes kam Rainald Grebe auf die Hitfrage zurück. Als Alleinunterhalter spielte er immer Hits und wenn er nur EINEN selber schreiben würde, hätte er ausgesorgt. “Ich kann tausend schöne Lieder, aber keines ist von mir!” sang er und ging in ein Hit-Medley über. Er endete mit dem ‘Hotel California’ der Eagles und der Zeile: “You can check-out any time you like, but you can never leave!” Du kommst nicht raus. Und auf dem Flügel winkten unermüdlich mit leise klappernden Armen Winkekatzen und glitzerten golden im Scheinwerferlicht.

Ein sehr schöner Abend mit einem flexiblen, anpassungsfähigen Alleinunterhalter in der Mitte, der auf den ersten Blick konturlos wirkte und sich gegen Bezahlung musikalisch auf alles einließ, der aber doch eine Persönlichkeit hatte und die Anpassung als Stärke sah. Ergeben ließ er sich auf ein stressiges Unterhalterleben ein, immer mit der Hoffnung, mal selber einen Hit zu schreiben und dann ausgesorgt zu haben. Was für eine schöne Grundidee, die nicht nur in Hongkong passte.

Als Zugaben gab es die “Neunziger Jahre”, “Bernd”, “Sometimes I feel so overfordert”, “Seit ich nicht mehr rauche” und “Pia”. Dabei genoss Rainald Grebe einen nicht ganz so leckeren Rotwein “Uaaahh, was ist das denn???” und eine Zigarette “Aaaaah, ist das lecker!” und sang die Titel, die laut fordernd reingerufen wurden, nicht.

Am Ende sagte er dem Beleuchter des Abends, der wunschgemäß und zuverlässig gearbeitet hatte, lächelnd: “Dienstleistung ist keine Schande.”

Viel Applaus, begeistertes Publikum und eine Anette, die das Programm berührend, witzig und sehr schön fand. Es war rund, gut aufeinander aufgebaut, mit überraschenden Einlagen, und am Ende schloss sich der Kreis. Ich möchte es mir unbedingt nochmal ansehen, bevor die nächste Rainald Grebe Premiere mit dem nächsten Programm ist. Viel Zeit darf ich mir damit wahrscheinlich nicht lassen. Die Problematik von Stress und Überlastung bei den Fans, durch zu schnell aufeinanderfolgende Programme, wurde vermutlich noch nicht bedacht. Aber so richtiger Stress ist es dann doch nicht, sondern großes Vergnügen.