Purple Schulz, Josef Piek, Heinz Rudolf Kunze – 16.08.2008 – Erftstadt
Purple Schulz und Josef Piek machen Gemeinsame Sache mit Heinz Rudolf Kunze & Wolfgang Stute.
Gasthof zum Schwan, Erftstadt-Liblar
Im Dezember 2006 war ich bei der “Gemeinsamen Sache”, bei der Purple Schulz und Josef Piek mit Heinz Rudolf Kunze und Wolfgang Stute Musik machten. Es war ihr erster gemeinsamer Abend, es sollte der einzige dieser Art sein und ich hatte es damals keine Zeit, einen Bericht darüber zu schreiben.
Praktischerweise hatten beide Duos an diesem Abend so viel Spaß, dass noch weitere gemeinsame Abende folgten. Für mich die Chance, zwanzig Monate später doch nochmal dabeizusein und anschließend etwas schreiben zu können.
August 2008. Biergartenwetter. Ein sonniger, angenehm warmer Abend, wie es ihn in diesem Sommer bisher viel zu selten gab. Und ein gemütlicher Biergarten in Erftstadt-Liblar, in dem eine kleine Bühne stand, auf der die Gemeinsame Sache stattfand. Für Konzerte war der Biergarten vom “Schwan” eigentlich viel zu klein, aber trotzdem traten dort immer wieder Künstler auf, die woanders weit größere Säle füllten, und genossen mit dem Publikum die kleine, fast private Atmosphäre.
Purple Schulz und Josef Piek kamen zunächst als Duo auf die Bühne und begannen mit Bis ans Ende der Welt. Keyboard, Gitarre, Gesang – alles schön kräftig und mit vollem Einsatz gebracht. Der Ton war voll und deutlich zu hören – und das Publikum war sofort überzeugt. Schon in den letzten Akkorden begann der Applaus und Freude und Begeisterung waren zu spüren. Das fing schon richtig gut an.
“Schön, dass ihr da seid!”, begrüßte Purple die Besucher und fragte gleich hinterher, wer beim Purple-Schulz- Duo-Konzert vor zwei Jahren im Schwan gewesen sei. Einige Finger hoben sich und er freute sich: “Das sind nicht viele. Dann kann ich die gleichen Ansagen wiederholen.” Er erklärte kurz die Idee der “Gemeinsamen Sache”. Josef Piek und er würden notleidende Künstler auf die Bühne holen und mit ihnen gemeinsam auftreten. Das wären Leute wie Tommy Engel, Stoppok, Pe Werner und auch die Wise Guys. Die Wise Guys würden zum Beispiel auf den Rheinwiesen spielen müssen, am Poller Ufer. (Die Wise Guys gaben 2007 im Rahmen des Kirchentages ein Konzert auf den Poller Wiesen, zu dem 70.000 Zuschauer kamen.) Ich grinste breit und fand es toll, dass die Gemeinsame Sache auch ein so soziales Werk war.
Dann begrüßte Purple “das Wunder der niedersächsischen Polyrhythmik” und Wolfgang Stute kam auf die Bühne. Er setzte sich auf seinen Cajon-Kasten, ein aus Südamerika stammendes Schlaginstrument, das wie eine Holzkiste aussieht und übersetzt “Holzkiste” heißt. Zum Glück gibt es weitaus bessere Klänge von sich als eine normale Holzkiste. “Ein Stück aus dem letzten Jahrtausend”, kündigte Purple an und grinste: “Wenn ich mich umgucke, kennen das noch viele.” Die Zuschauer wussten nicht, ob sie entrüstet aufschreien sollten, weil sie sich plötzlich so alt fühlten oder lachen sollten und taten beides, während es auf der Bühne sofort mit Nur mit dir los ging. Purple Schulz am Keyboard, Josef Piek an der Gitarre und Wolfgang Stute auf dem Cajon.
Sanfte Klänge, verzückte Gesichter im Publikum, weil nun doch Erinnerungen an das letzte Jahrtausend hochkamen und leise mitgesungene Refrainzeilen. Sehr schön. Danach die Programmänderung, das Lied über die “Sendung mit der Maus”, das auch die in Verzückung versunkenen Zuschauer wieder zum lauten Lachen brachte. Erstaunlicherweise zog Purple zur Steppeinlage die Schuhe aus und klackerte auf Socken, was den Verdacht nahelegte, dass er da irgendwie pfuschte.
Nach dem Lied fragte Purple seine beiden Kollegen etwas genervt: “Wir wollten doch zu viert auftreten, aber wo steckt der?” Er beschloß, mal nach dem fehlenden Musiker zu sehen und machte Anstalten zu gehen. Wolfgang Stute schlug vor: “Josef, spiel mal Klavier!” und Purple rief: “Ach du lieber Himmel! Da trifft es sich ja gut, dass ich gehe!”, und verließ fluchtartig die Bühne. Josef ging zum Keyboard, setzte sich hin und schraubte den Hocker nach unten. “Erstmal auf Normalmaß”, erklärte er mit Blick hinter dem kleineren Purple her und das Publikum lachte freudig.
Er begann am Keyboard ein Intro zu spielen, wiederholte es und sagte dann, während er wieder von vorne spielte, trocken: “Jetzt könnte er anfangen zu singen”. Und das tat er auch. “Er” war Purple, der singend quer durch den Biergarten auf die Bühne zukam und zur Freude des Publikums Aufschnitt sang, ein Lied, in dem er in jammeriger Xavier-Naidoo- Manier die Schließung eines Fleischerei-Fachgeschäftes beklagte. “Und ich wollte noch Aufschnitt nehmen, und nicht diese Tofucreme …”
Das Publikum zeigte sich freudig überrascht, lachte fröhlich und gab zwischendurch Szenenapplaus. Nach dem dicken Endapplaus guckte Wolfgang Stute Purple an und sagte in gespielter Bewunderung: “Sa-gen-haft!”, und Josef warf trocken “Super!” hinterher. Die Zuschauer lachten los und Purple ging ab, um sich umzuziehen.
Als er wiederkam, hatte er den fehlenden Kollegen immer noch nicht gefunden. “Da hinten ist er nicht,” sagte er. “Vielleicht steht er am Tresen? Er trinkt ja gerne”, woraufhin das Publikum schon wieder loslachte und dabei einen empörten Unterton über diese freche Bemerkung hatte. “Für das nächste Lied muss es eigentlich dunkler werden”, sagte Purple in der Ansage. “Bitte nicht mitgrölen! Das könnt ihr nachher machen, wenn der Kunze kommt!” Er griff zur Mundharmonika und die Zuschauer, die nicht ganz wussten, ob es eine spaßige Aufforderung gewesen war, merkten schnell, dass es ganz ernst gemeint war. Sehnsucht war dran, das Hammerlied mit dem Schrei. Schon das Mundharmonika-Intro war sehr emotional und berührend. Danach gab es ganz spartanisch, aber völlig ausreichend, nur die Gitarre von Josef und den Gesang von Purple.
Es war unglaublich intensiv. Ich habe keine Ahnung, woher Purple in solchen Momenten die Verzweiflung bekommt, die er nicht vorspielt, sondern lebt. Das Publikum war gebannt. Zuerst ließ Purple den erwarteten Schrei einfach aus und die Stille in diesen Momenten war fast noch beklemmender. Als er endlich sein verzweifeltes “Ich will raus!!” schrie, gab es von einigen Zuschauern spontanen Applaus, den ich zwar verstand, aber völlig unnötig fand. Die einsame Stimmung durfte meiner Meinung nach nicht durch blödes Händeklatschen gestört werden. Obwohl ich das Stück schon so oft gehört hatte, packte es mich immer wieder und ich war jedesmal von der Intensität berührt.
Im großen Endapplaus kam Heinz Rudolf Kunze auf die Bühne, setze sich und sagte: “Tach.” “Schön, dass du da bist,” begrüßte ihn Purple, “und es passt auch gut. Das nächste Stück heißt ‘Dumm und reich’.” “Dankeschön”, sagte Herr Kunze. Purple erzählte, dass Heinz Rudolf Kunze gar nicht dumm sei und tausend Texte geschrieben hätte. Der ergänzte: “Ich habe heute noch zwei im Auto geschrieben.” Das Publikum lachte, aber Heinz Rudolf Kunze protestierte: “Stimmt wirklich!”
Ich fand es interessant, dass drei der Herren mehr oder weniger in dunkle Anzüge gekleidet waren, beziehungsweise zumindest ein Jackett anhatten, während Heinz Rudolf Kunze, bei dem ich das fast erwartet hätte, in Jeans, T-Shirt und franseliger Jeansweste auf der Bühne saß. Nur unter uns: Ich glaube, es ist nicht einfach, wenn man innerlich ein Rocker ist, äußerlich aber korrekt und distanziert wirkt, außerdem eine Brille trägt, sehr intelligent ist und poetische Texte schreibt. Mit der Jeansweste hatte Heinz Rudolf Kunze symbolisch einen Teil seines Inneren über seine äußere Hülle gezogen, um zu zeigen, wie er eigentlich war. Aber vielleicht war gerade dieser Konflikt, waren diese verschiedenen, fast gegensätzlichen Strömungen, so reizvoll? Er wirkte gleichzeitig stark und verletzlich und war eine faszinierende Persönlichkeit.
Dumm war er auf jeden Fall nicht und reich, wie er lachend sagte, auch nicht. Zu viert sangen sie trotzdem Dumm und reich, wobei Purple Keyboard spielte, Wolfgang Stute Cajon, Heinz Rudolf Kunze Mundharmonika und Josef Gitarre.
Purple erklärte danach, dass sie Ende 2006 die erste Gemeinsame Sache mit Heinz und Wolfgang gemacht hätten. “Das hat viel Spaß gemacht und seitdem haben wir sie an der Backe.” Josef korrigierte trocken: “Sagen wir so: Sie haben uns ein Angebot gemacht, das wir nicht ablehnen konnten.” Das Publikum lachte.
Weiter ging es mit Kinderleicht , das einen wunderschönen dreistimmigen Satzgesang hatte. In den zwanzig Monaten seit der ersten gemeinsamen Begegnung hatte sich viel getan. Gab es damals schnell eingeübte Begleitungen, wurde jetzt tatsächlich zusammen Musik gemacht. Die vier Musiker ergänzten sich dabei sehr gut und hatten aus den ursprünglichen Duo-Stücken aufwändigere Arrangements gemacht, in denen sie ihre vielfältigen Möglichkeiten einbringen konnten.
Für das nächste Stück griff Heinz Rudolf Kunze zur Gitarre und erklärte dem Publikum: “Ein Lebenstraum geht in Erfüllung: Rhythmusgitarrist bei Purple Schulz!”, was natürlich Gelächter auslöste. Vor dem Lied sollte aber Wolfgang Stute eine Ansage machen. Der erklärte sich dazu bereit, wartete einen Moment und sagte dann ins Mikrofon: “Da drüben gibt’s einen Tisch mit CDs und Büchern.” Die Zuschauer lachten und mehr wollte Wolfgang Stute auch gar nicht von sich geben. “Das war virtuos”, lobte Heinz Rudolf Kunze seinen Kollegen.
Bei Über 30 gab es wieder einen wunderbar vollen Klang und ich konnte nur zufrieden staunen, wie viel intensive Musik von nur vier Musikern kommen konnte. Der ganze Biergarten war voll davon und es fehlte nichts. Große Klasse!
Letztes Lied vor der Pause war Du hast mir gerade noch gefehlt, was von einigen Zuschauern eifrig mitgesungen und beklatscht wurde. Je nach musikalischem Gefühl auf die 1 und die 3 oder die 2 und die 4. Die gesungene Stelle: “Ich höre auf zu singen und steig bei PUR als Roadie ein!” war besonders witzig und aktuell, weil im Publikum Martin Stöck, der Schlagzeuger von PUR saß, auf den Purple dabei lachend zeigte und der das Angebot begeistert nickend annahm.
Mit viel Applaus endete der erste Teil des Abends und es ging in die 10-Minuten-Pause, die so kurz war, weil das Konzert wegen der Anwohner nicht unbedingt länger als bis 22 Uhr 30 gehen sollte. Schön zu sehen, fand ich, wie die Musiker in ruhigen Schritten einfach quer durch den Biergarten liefen und um sie herum die Besucher in die gleiche Richtung gingen, ohne nach Autogrammen zu fragen oder irgendwie lästig zu sein. Absperrgitter und Security war nicht nötig. Es war ruhig, entspannt und sehr normal.
Hatte im ersten Teil des Abends Purple Schulz den Ablauf geleitet, übernahm das für den zweiten Teil Heinz Rudolf Kunze. Er kam mit Wolfgang Stute auf die Bühne und zu zweit begannen sie mit Steckbrieflich gesucht . Eine Textzeile war ganz passend in “… werd’ gesucht in Erftstadt-Liblar” geändert, was natürlich kurzen Szenenapplaus und große Freude bei den heimatverbundenen Rheinländern aus Erftstadt-Liblar gab. So machte man sich Fans. Aber die hatte Heinz Rudolf Kunze sowieso im Publikum sitzen. Nach dem Lied bat er die “rheinischen Kollegen” zurück auf die Bühne, weil es zu viert mehr Spaß machen würde.
Purple erklärte leicht verärgert, dass er seine Textmappe vergessen hätte und darum nicht so sicher wäre, was sich gleich beim Anfangsakkord des nächsten Liedes zeigte. “Ich hab keine Ahnung wie es geht”, jammerte er und ließ sich von Josef den Akkord ansagen. Ab da kam er aber mit Erfahrung, Intuition und spontanen Variationen recht gut durch. Immer für dich da war wieder voller Klang und einfach eine Freude. So wie der ganze Abend sehr schön war, von der Musik her, dem Klang, dem Wetter und der Stimmung auf der Bühne und im Publikum.
Bevor das nächste Lied losging, guckte Purple zufällig zu Josef und rief empört: “Du pfuschst! Du hast den Text!” Josef nahm das Blatt aus seiner Mappe: “Komm, ich geb ihn dir!”, und betonte: “Ich kann’s auswendig”, woraufhin Purple die Annahme verweigerte und sich lieber risikobereit durch das Lied spielte. Bei Leg nicht auf fiel mir auf, dass der Biergarten ringsherum von Mauern und Gebäuden umgeben war, so dass der Klang rund und voll von allen Seiten zurückkam. Das Open-Air-Gefühl wurde durch Wind und Luft vermittelt, der Klang hörte sich nach geschlossenem Konzertraum an. Eine ideale Kombination. Und im Vergleich zu einem zugigen Konzertsaal mit mieser Akustik auf jeden Fall die viel bessere Variante.
Wunderbar war der Chorgesang bei Meine eigenen Wege. Durch etwas Hall sehr sphärisch und wunderschön. Ich kannte das Lied noch sehr gut von früher, oder wie Purple sagen würde, aus dem letzten Jahrtausend, und schon da hatte es mir gefallen. Aber momentan hatte es auch aktuellen Bezug zu meinem Leben und ich sang ganz leise, aber voller positiver Energie mit: “Ich geh meine eigenen Wege, ein Ende ist nicht abzusehen. Eigene Wege sind schwer zu beschreiben, sie entstehen ja erst beim Gehn”, und fand es schön, dass ich es gemeinsam mit der vertrauten Stimme von Herrn Kunze singen konnte. Der sang sehr kraftvoll und klar, und das Publikum, das sich über einen der alten Hits freute, reagierte am Ende mit lautem Applaus, Gejubel und begeisterten Pfiffen. Ich verstand ja gut, dass Künstler vor manchen alten Hits zurückschreckten und sich nicht darauf reduzieren lassen wollten, aber irgendetwas an den Liedern hatte sie damals ja auch zu Hits gemacht und die Fans angezogen, die sich und die frühere Zeit darin wiederfanden. Darum war es manchmal als Zuhörer auch besonders schön, wenn eine vertraute Musik zu hören war, die einem mal etwas bedeutet hatte und die man jetzt mit gerührtem Lächeln wieder hören konnte.
Eine Art Tribute to Jonny Cash war das nächste Lied, vor dem Heinz Rudolf Kunze von seiner Bewunderung für Jonny Cash erzählte und ihn mit einem der alten Sequoia-Bäume in den USA verglich. “Der wächst 200 Meter und wenn er nicht mehr wächst, fällt er um.” Purple kommentierte: “Gut, dass mir das nicht passiert ist”. Heinz Rudolf Kunze lachte: “Purple, du magst ihn nicht, den Vergleich mit 200-Meter-Bäumen, aber es gibt auch innere Größe.”
Ende mit dir war schwarz, makaber und witzig, und danach kündigte Heinz Rudolf Kunze an: “Jetzt kommt ein Lied für alle Biergärten”. Sofort startete Purple singend am Keyboard: “Die Karawane zieht weiter” und natürlich fielen die meisten Zuschauer fröhlich und laut singen ein. Wir waren in einem Biergarten im Rheinland, da brauchte es nur kleine Impulse, um große Massenbewegungen dieser Art zu starten. Herr Kunze guckte auch dementsprechend amüsiert ins Publikum und Purple fragte mit diebischer Freude: “Wie kommst du jetzt aus dieser Nummer raus?”
Heinz Rudolf Kunze wartete das Ende des Refrains ab, die Stelle, an der es stockte, weil viele überlegen mussten, wie der Text jetzt weitergeht und alle gespannt warteten, ob jemand damit beginnt, und antwortete: “Ich fange einfach an.” Und das tat er dann auch mit Lola. Da konnten die meisten Zuschauer den Refrain natürlich auch mitsingen und die Karawane war vergessen. Gleich danach ging es mit Finden Sie Mabel weiter, was auch einer der alten Hits war. Ich fand es klasse, dass zwar freudig und gerne, aber nicht feiernd und grölend mitgesungen wurde. Es blieb genau im richtigen Maß, das allen Spaß machte.
Aller Herren Länder sollte nach Aussage von Heinz Rudolf Kunze als Folksong beginnen, aber als psychedelische Percussion-Orgie enden. Er versprach nicht zu viel. Am Anfang war es ein Zuhörlied mit Aussage, dann ging es in rhythmische Gitarren- und Keyboardklänge über. Es war rockig und klangvoll, wurde dann leiser und fast tonlos, Klopfen, Hämmern, dumpfe Töne wie von der Cajon, aber immer in schnellem Rhythmus. Ich hörte zu und hatte vor meinem geistigen Auge den Anblick immer kürzer werdender Fingerglieder, denn die konnten die schnelle und laute Schrammerei nicht minutenlang unbeschadet überstehen. Es wurde wieder lauter und stärker, die Luft flimmerte von Rhythmus und Tönen und es war kaum zu glauben, dass nur vier Leute diesen Klang auf drei Gitarren und einem Keyboard erzeugten. Alles steigerte sich zu einem furiosen Ende, Kunze rief im letzten Takt: “Eins, zwei, drei, vier!” und es war aus. Ich war erleichtert, denn die Spannung war immer größer geworden und die Luft blieb mir zunehmend weg. Aber ich sah tatsächlich danach nirgendwo Blut von Fingern oder Saiten tropfen. Unglaublich.
Das Publikum jubelte und war nach der großen Anspannung vermutlich ähnlich erleichtert wie ich. Und auch die Musiker sahen plötzlich ziemlich geschafft aus und schienen froh über das gut erreichte Spielende und die Verschnaufpause zu sein. Es gab viel Applaus, lächelnde Gesichter, Verbeugungen und den Abgang der Musiker.
Purple kam auf die Bühne zurück und freute sich: “Ich hab mal auf die Uhr geguckt. Es ist gerade mal 10 Uhr, wir haben noch was Zeit, Kinners”, was das Publikum dann ebenfalls freute. Purple versprach eine weitere Kombination von “niedersächsischer Tristesse und rheinischem Frohsinn” und kündigte an: “Ich hab noch was ganz Spezielles für euch: ‘Dein ist mein ganzes Herz’, da habt ihr den ganzen Abend drauf gewartet!” Er grinste breit und begann dann mit Kleine Seen. Während er schon den Anfang spielte, kam Heinz Rudolf Kunze auf die Bühne, setzte sich, hörte erst zu und übernahm dann die zweite Strophe.
Es war wunderschön, abwechselnd die beiden Stimmen zu hören, und mir fiel auf, dass beide Musiker bei aller Unterschiedlichkeit doch etwas gemeinsam hatten: Sie machten deutsche Texte und sie wirkten sehr ehrlich. Kein falscher, süßlicher Kitsch, sondern Gefühle, die sie so meinten und so ausdrücken wollten. Leider gab es auch begeisterte weibliche Mitsingstimmen im Publikum, die eindeutig nicht auf eine Bühne sollten, aber auch in Biergärten Schaden anrichten konnten. Leicht grölig, drei Halbtöne unter dem richtigen Ton, immer etwas verspätet und dazu laut, störten sie den Genuss des zweistimmigen Bühnengesanges sehr. Schade. Am Ende des Liedes schwenkte Purple in Tränen lügen nicht um und das Publikum sang lautstark den Refrain mit. Kunze meinte trocken: “Michael Holm müsste man sein”.
Während Purple schon die Akkorde zum Intro von ‘Immer nur leben’ spielte, rief er laut die Namen der Musiker: “Purple Schulz, Josef Piek, Heinz Rudolf Kunze und Wolfgang Stute” und zur heroisch klingenden Musik vervollständigte er: “ … sind zusammen die phantastischen Vier!” was großes Gelächter auslöste, weil es so überraschend kam, sich aber ganz echt nach Hollywood anhörte.
Immer nur leben war wunderschön und ist ja eines meiner Lieblingslieder. Ich versank in der Version der vier Musiker und wurde am Ende, als die ganz leise, sehr berührende Stelle kam, unsanft herausgerissen, als die Biergartenbedienung rechts hinter mir in mein Ohr trötete: “Kann ich schon mal abkassieren?” Der Schluss des Liedes ging für mich verloren, weil ich mein Geld rauskramen musste und die Bedienung laut die Getränkepreise zusammenrechnete. Sehr unsensibel und schade.
Möglicherweise ein Walzer hatte Heinz Rudolf Kunze mal für Hermann van Veen geschrieben und sang es nun in seiner eigenen Version. Ganz sanft und wunderschön. Am Ende übernahm Purple und sang mit holländischen Hermann-van-Veen-Akzent, was lustig war, aber trotzdem schön blieb, weil Hermann van Veen es eben auch ruhig und schön sang.
Wenn du nicht wiederkommst passte zeitlich auch noch und dem Publikum war es noch lange nicht zu viel. Als Abschluss gab es dann Won’t get fooled again von The Who, bei dem Heinz Rudolf Kunze englisch sang und seine Stimme plötzlich eine ganz andere Färbung bekam. Manchmal kaum wiedererkennbar, weil sie viel dunkler und rockiger wurde. Laut und rockig endete der Abend, das Publikum war sehr begeistert und auch die Musiker sahen gut gelaunt und sehr zufrieden aus.
Es gab noch entspanntes Autogrammgeben im Biergarten, hier und da Fotos und Gespräche, dann war ein wunderbarer Abend der Gemeinsamen Sache beendet. Große Klasse, wenn vier Vollblutmusiker mit so viel Spielfreude, Können und ihren wunderbaren Liedern einen gemeinsamen Abend veranstalten!